Persönliche Exit-Strategie

in deutsch •  5 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Der Name Thomas Schäfer war auch versierten Polit-Aktivisten nicht durchgängig bekannt. Dennoch bekleidete Thomas Schäfer ein wichtiges Amt als Finanzminister von Hessen, das die deutsche Bankenmetropole Frankfurt beherbergt.
Seine Karriere begann schon im Alter von 14 Jahren in der Jungen Union und ließ eine der üblichen Ochsentouren erwarten, die sich ohne Umweg über eine solide Ausbildung nicht weiter in den Niederungen einer Berufstätigkeit aufhalten würde. Doch weit gefehlt! Auf eine Lehre als Bankkaufmann und ein Jura-Studium können heute nur noch wenige Politdarsteller zurückgreifen. Mit Tätigkeiten als Rechtsanwalt und Dozent wagte er sich in die reale Arbeitswelt. Politisch führte ihn der Weg über Tätigkeiten in der dritten und zweiten Ebene schließlich ins Finanzministerium Hessens. Dort verdiente er sich eine Reputation und Meriten als solider Sachkenner und Arbeiter. Er galt als präsumtiver Nachfolger Volker Bouffiers als Ministerpräsident von Hessen.
Zuletzt hatte er die Förderungsmaßnahmen für die Wirtschaft zur Abfederung der Corona-Krise zu verantworten.

Vor wenigen Tagen fand man ihn tot neben der ICE-Trasse. Er hatte sich über einen Suizid aus dem Leben verabschiedet. Der Grund für seinen Entschluß lag dem Vernehmen nach in Versagensängsten angesichts der Herausforderungen, die mit den Implikationen der Corona-Krise verbunden sein werden.

Die Einordnung fällt nicht leicht.
Will man es positiv bewerten, kann man ihm Respekt zollen für die Erkenntnis seiner eigenen Grenzen und den Mut, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Über die Art, dies zu tun, kann man geteilter Meinung sein. Die Politik krankt daran, daß viele an hoffnungsloser Selbstüberschätzung leiden und ihre intellektuelle Überforderung nicht bemerken. Die Tendenz des sich Klammerns an eine Position aus dem Gefühl vermeintlicher Unabkömmlichkeit, aus Wichtigtuerei und aus Raffgier ist unverkennbar. Hier hat sich jemand anders entschieden.
Man kann es aber auch anders sehen. Hier hat sich jemand aus der Verantwortung gestohlen, indem er vom im übertragenen Sinne fahrenden imaginären Zug abgesprungen und vor einen konkreten fahrenden Zug getreten ist. Dies geschah zu einer Zeit, in der die Maßnahmen zur Abfederung des zu erwartenden Konjunktureinbruches sich noch jeder Bewertung entziehen, da das Ausmaß der Rezession noch nicht abzusehen ist. Mithin konnte derzeit niemand substantiierte Kritik anbringen.
Der Verzicht darauf, seine in die Welt gesetzten Kinder (9 und 12 Jahre alt) nicht wenigstens bis zu ihrer Selbstständigkeit ins Leben zu begleiten, kann man kaum als Großtat werten.
Wurde hier jemand seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht? Hatte er Angst vor der Häme und dem vernichtenden Urteil der anderen im Falle eines Scheiterns? Man weiß es nicht. Das Dilemma besteht oft darin, daß man auf dem Karriereweg Ansprüche anmelden muß, um überhaupt zum Zuge zu kommen. Damit aber stellt man sich der Bewertung anderer, und Mißerfolge werden meßbar und öffentlich bekannt. Man setzt sich selbst unter Zugzwang.

Ein Selbstmord stellt immer die nähere Umgebung unter Anklage. Nicht erkannt zu haben, daß jemand der Verzweiflung nahe ist, kommt einem unverzeihlichen Versagen gleich. Ob andere eine solche Tat dauerhaft verhindern können, hängt von der Entschlossenheit des Lebensmüden ab. Letztlich wird man niemanden vor sich selbst bewahren können, der definitiv nicht mehr weiterleben will. Tragisch ist es, wenn eine Kurzschlußhandlung diesen Schritt auslöst, und man danach davon ausgehen muß, daß die Tat nur aus momentaner Aussichtslosigkeit erfolgte und sich später nicht mehr zugetragen hätte.

Es ist feststellbar, daß dieser Ausweg ein Phänomen bestimmter Familien ist, in denen solche Fälle wiederholt zu verzeichnen sind. Wissenschaftlich erscheint es noch ungeklärt, ob ein Selbstmordgen existiert, das die Betreffenden zu diesem Weg aus dem Leben erblich prädestiniert, oder ob sie sich in schwierigen Lebenslagen einfach nur am Beispiel ihrer Vorgänger orientieren.

https://www.hna.de/politik/thomas-schaefer-tot-hessen-finanzminister-abschiedsbrief-coronavirus-todesursache-nachfolger-suizid-selbstmord-bouffier-zr-13631954.html
https://www.welt.de/wirtschaft/article182769514/Riskante-Geschaefte-Hessen-verzockt-mehr-als-drei-Milliarden-Euro.html
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