Schräglagen haben eine Vorgeschichte und mehrere Seiten.

in deutsch •  5 years ago  (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Unser Freund Erasmus Konsul räumt auf mit dem Irrglauben, wonach die derzeitige ökonomische Ausrichtung Deutschlands alternativlos wäre. Die starke Exportorientierung fordert ihren Preis. Dieser besteht in Abhängigkeit und Erpreßbarkeit.
Der Euro aber ist selbst in der gegenwärtigen Konstellation bestens entbehrlich. Nehmen doch auch andere Staaten mit eigener Währung erfolgreich am wirtschaftlichen Austausch teil. Für erwünschte Währungskursabsicherungen, will man nicht mit offenen Positionen spekulieren, halten die Banken schon seit jeher ein entsprechendes Instrumentarium bereit (Termingeschäfte, Optionen). Diese Maßnahmen sind beim Handel mit Nicht-Euro-Staaten ohnehin unentbehrlich.
Was Erasmus Konsul mit „Wir geben Euch Geld, damit Ihr bei uns kauft.“ umschreibt, erklärt konzis das Target II-Prinzip. Im Grunde verschenken wir letztlich den Teil der Exporte, der an marode Schuldner geht, die ihre Verbindlichkeiten letztlich nicht bedienen. Erasmus Konsul greift in diesem Zusammenhang ein kaum thematisiertes, aber wichtiges Phänomen auf: den damit einhergehenden Vermögenstransfer im Inland vom Staat hin zu Privaten.

Exportorientierung und die License to pay....

von Erasmus Konsul

Isabella Klais hat ja gestern auf Steemit bereits vor allem mit Bezug auf Italien darüber geschrieben, anbei zur weiteren Illustration das Werk Eric Gujers, Chefredakteur der NZZ, zum Thema Corona und seine Folgen auf die EU - das sich naturgemäß auch stark mit dem Verhältnis Deutschlands zu Italien und den mediterranen Mitgliedsstaaten befasst. Dem Vorwurf der „Moral“, besser gesagt, des Moralisierens, den Gujer an die Adresse Berlins richtet, kann man wohl getrost zustimmen. Dem der „Schäbigkeit“, sprich Geiz angesichts der Exportinteressen Deutschlands in der EU, verbunden mit der unter dem Euphemismus „Führung“ versteckten Forderung nach deutschem Geld, würde ich das Verdikt „unverschämt“ entgegensetzen, auch wenn G. ein noch so verdienter Mitarbeiter offener und verdeckter atlantischer Seilschaften ist. Die Begründung dafür hat IK in ihrem Artikel bereits schön herausgearbeitet: In diesem europäischen Follow-up - oder wird es auch in gewisser Hinsicht ein Finale oder gar ein Fanal? - zu Corona ist nicht die Stunde der Altruisten, sondern der Realisten! Man muss auch auf „Führung“ verzichten können, wenn es an der willigen Gefolgschaft fehlt. Gujers vermutlich kryptisches Motiv hinter seiner Argumentation: Deutschland soll gefälligst Europa für die USA in Ordnung halten, damit deren Stützpunkte nicht gefährdet sind.

Angefügt sei noch folgendes: Gujer bringt wie üblich das Argument, das ewig und immer wieder angeführt wird, Deutschland sei ja als Exporteur von der EU abhängig und profitiere von ihr. Dem sei erstens entgegengehalten, dass in den letzten zwei Jahrzehnten der Export in die als dafür besonders wichtig gerühmte Eurozone zurückgegangen ist, von über 45% in 2000 auf gute 35% in 2018 (2017 36,8%)! Deutschland hat sich in diesem Sinne eigentlich aus dem Euro „hinausexportiert“. Das wird in offiziellen Stellungnahmen der Politik meist „vergessen“. Damit soll gar nicht heruntergespielt werden, dass der Anteil der EU an den deutschen Exporten immer noch - zwar auch fallend - rund 58% beträgt. Aber dies zeigt eben auch, dass Handel in der EU auch ohne Euro möglich ist.
Allerdings hat Deutschland über den niedrigen oder niedrigeren Außenwert des Euro auch im Verhältnis zu Drittländern profitiert, ein Faktor, der natürlich der Mitgliedschaft „schwacher“ Ländern wie Italien geschuldet ist. Was uns zu einem zweiten Aspekt führt, der vielleicht der schwierigere ist, weil er vermutlich Handeln von Deutschland selbst, aber auch anderer Länder in ähnlicher Lage wie beispielsweise Österreich erfordern wird: Hier geht es um die Frage, ob die heutige Exportorientierung des Landes in der jetzigen Intensität im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen der Weltwirtschaft und damit eben auch der europäischen noch zeitgemäß ist. Deutschland liegt mit seiner Exportquote von rd. 38 % (ähnlich übrigens auch Österreich) weit über denjenigen vergleichbarer oder zumindest ähnlich großer Länder: Frankreich, Italien oder Spanien bewegen sich in einer Größenordnung von mindestens 10% weniger, auch ein Land wie Japan liegt nur bei rd. 15%! Dass kleinere Länder oft deutlich darüber liegen, hat mit der Begrenztheit von deren Märkten zu tun, im Falle von Slowakei (82%!), Slowenien, Ungarn oder Tschechien (alle über 60%) auch mit ihrer Entwicklung als Produktionsbasis für die deutsche (Auto)industrie! Diese Exportorientierung Deutschlands schafft außenpolitische Abhängigkeiten (der Donald lässt das die Deutschen ja auch permanent spüren) im internationalen Kontext, sie führt über den Euro aber auch zu solchen in Europa , zu Trade-offs mit der Bereitschaft zum Zahlen, the license to pay! Und sie führt auch zu binnenwirtschaftlichen Verteilungseffekten in Deutschland selbst: Nimmt man beispielsweise budgetäre Hilfen der EU für Italien u.a. (etwa über die Strukturfonds), so werden diese eben auch aus dem Staatshaushalt geleistet, zu Lasten des Steuerzahlers, während die Profite direkt in die Exportindustrie gehen. Ähnlich müssen die Tief- oder Nullzinsen, die aus der Euromitgliedschaft folgen, von allen Sparern bezahlt werden und allen Wirtschaftssubjekten, die unter ihren negativen Verteilungswirkungen leiden, während die positiven Wirkungen für die Ausfuhren über den niedrigen Eurokurs spezifisch den Exporteuren zugute kommen.
Wenn Deutschland und andere den „bail-out“ nicht wollen und auch nicht wollen sollten, dann müssen wir uns sukzessive auf das vorbereiten, was den „day after bestimmen könnte. Sollte das eine stärkere „Nationalisierung“ der Wirtschaft - nicht im Sinne von Verstaatlichung, sondern eine stärkere Konzentration auf die heimischen Märkte sein, dann wir unser Exportmodell in der bisherigen Form nicht mehr fraktionslos funktionieren. Diese Nationalisierung kriecht ja buchstäblich aus allen Ritzen, vor allem auch deswegen, weil eine der größeren Triebfedern des bisherigen Freihandelsmodells, die durch die aus Ölgeldern gespeiste Dollarisierung und dadurch ermöglichte Nachfrage aus dem U.S.-Markt nicht mehr in gleichem Maß funktionieren könnte wie bisher. Desgleichen spricht einiges dafür, dass ein weiterer „Zufluss“ dieses großen Nachfrageteiches, die konstant hohen Wachstumsraten des chinesischen Marktes sich tendenziell eher zu einem Rinnsal vermindern könnte. Auch in der EU wird eine ausreichende Nachfrage durch Transferzahlungen an die schwächeren Staaten vor allem im Euro - nach dem Motto „ wir geben Euch das Geld, damit Ihr von uns kauft- ohne Einsatz immer größerer Summen immer weniger möglich sein. Also bezweifle ich, dass ein Zurück zum Status Quote ante vermutlich die Zukunft ist.
Fazit: Eine Vielzahl von Überlegungen ergeben ein differenziertes Bild über Nutzen und Nachteil einer deutschen Euromitgliedschaft, die diese nicht ganz so “alternativlos“ erscheinen lassen, wie aus ideologischen Gründen von der Politik und aus ökonomischen Motiven von der einschlägigen Wirtschaft dargestellt. Vielleicht als Apercu am Ende: Nimmt man die deutschen Exporte nach Österreich und der Schweiz zusammen, so sind diese beiden Länder deutlich der größte Exportmarkt mit einem Volumen von bald 120 Mrd € in 2018, umgekehrt stehen beide Länder zusammen hinter China und den Niederlanden immer noch an dritter Stelle der deutschen Importeure (knapp 89 Mrd €). Man muss also auch nicht immer in die Ferne schweifen, Chancen gibt es viele, nicht zuletzt auch manchmal direkt vor der Haustür.

Also: Kein Grund, sich kleingläubig aus dem Süden wegen vermeintlicher Exportabhängigkeit „erpressen“ zu lassen. Aber ein guter Grund, „lieb“ gewordene Denkgewohnheiten auch im ökonomischen Bereich einmal auf den Prüfstand zu stellen!

https://vk.com/@-163464132-was-wirklich-zhlt
https://vk.com/@-163464132-taschenspielertricks-des-italienischen-patienten

Anhang:

NZZ-E-Paper vom 03.04.2020

Die Corona-Krise ist eine Bewährungsprobe für die EU
Berlin schwankt zwischen Moral und Schäbigkeit

von Eric Gujer

Krisenzeiten sind teure Zeiten. So stellen in Deutschland Bund und Länder unglaubliche 1,8 Billionen Euro bereit, um das Coronavirus zu bekämpfen. Es ist das grösste Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie Deutschland mobilisieren auch andere Nationen alle ihre Reserven, in der Krise beweist sich die Stärke des Nationalstaats. Die EU aber gibt kein gutes Bild ab, und das ist nicht die Schuld derer, die oft als Brüsseler Bürokraten tituliert werden.

Obwohl Covid-19 Europa bereits seit Wochen in seinem unsichtbaren Griff hält, tun sich die Mitgliedsstaaten schwer, Solidarität mit ihren am stärksten betroffenen Partnern zu zeigen. Eine Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs zu einem europaweiten Hilfspaket brachte kein greifbares Ergebnis. In der Krise ist sich jeder selbst der Nächste. Zwar nimmt etwa Baden-Württemberg Erkrankte aus dem Elsass auf, doch bringen solche humanitären Gesten keine echte Linderung.

Die Schuldfrage stellt sich nicht

Auch in Zeiten der Seuche ist Geld die Währung, die zählt. Italiens Staatsschulden betragen derzeit noch 135 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Experten schätzen, dass sie wegen der Pandemie auf 160 Prozent ansteigen könnten – auf einen Wert also, der Griechenland in den Abgrund riss und die Euro-Krise auslöste. Alle Europäer müssen daher ein grosses Interesse haben, Italien und anderen Ländern mit ähnlichen Problemen zu helfen. Die Regierungen in Rom, Madrid, Paris und mehreren anderen Ländern fordern deshalb gemeinsame Anleihen. Wie in der Euro-Krise lehnen Berlin, Wien und Den Haag solche sogenannten Euro-Bonds ab, weil sie eine Vergemeinschaftung der Schulden fürchten. Wer sparsamer gewirtschaftet hat als andere, soll für die Aussenstände der Verschwender aufkommen: Das missfällt nicht nur der schwäbischen Hausfrau.

Berlin verweist zu Recht stolz auf die Haushaltsdisziplin, mit der es den in der Finanzkrise 2008 angehäuften Schuldenberg teilweise wieder abgetragen hat. Die schwarze Null ist und bleibt die grösste Leistung der an Glanztaten sonst eher armen grossen Koalition. Dennoch muss man sich fragen, ob die Situation heute wirklich mit der Euro-Krise vergleichbar ist. Diese wurde ausgelöst, weil Griechenland über Jahre den Maastrichter Stabilitätspakt verletzt und dies obendrein mit geschönten Bilanzen vertuscht hatte. Athen ging mit einer gehörigen Portion krimineller Energie zu Werke. Auch andere damals von der Staatspleite bedrohte Länder wie Italien oder Portugal waren in die gefährliche Lage gerutscht, weil sie sich in den Boomjahren nach Einführung des Euro allzu sorglos mit billigem Geld eingedeckt hatten.

Zudem haben sich auf Betreiben Deutschlands die politischen Rahmenbedingungen in der EU verschoben. Im Euro-Debakel liess sich Berlin wie in vielen Krisen zuvor von den eigenen Interessen leiten, die klar gegen eine Haftungsgemeinschaft sprachen. Dann aber kam die Flüchtlingskrise, und Deutschland verlegte sich auf eine moralische Begründung. Im Jahr 2015 hiess es, die Aufnahme von einer Million Flüchtlingen sei eine moralische Verpflichtung, so wie andere EU-Staaten verpflichtet seien, sich solidarisch zu zeigen und einen Teil der Flüchtlinge zu übernehmen. Noch im letzten Jahr hielten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Aussenminister Heiko Maas Italien eine Standpauke und erklärten sinngemäss, die Schliessung der Häfen für Bootsflüchtlinge sei unmoralisch.

Italienische Politiker klagen an

Wäre in der Corona-Krise nicht eine von finanziellen Hintergedanken freie Solidarität ebenfalls ein moralisches Gebot? Die Bürgermeister von Bergamo, Mailand und Venedig sowie weitere italienische Regionalpolitiker sehen es so. Sie warnen Deutschland in einem ganzseitigen Inserat in der «FAZ» vor «kleinlichem nationalem Egoismus». Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für den Bundespräsidenten, sich wieder an die italienische Nation zu wenden und zu erklären, dass Deutschland bedingungslos an ihrer Seite stehe – «whatever it takes», um die berühmte Formel von Mario Draghi aufzugreifen.

Natürlich gibt es den in der Euro-Krise geschaffenen Europäischen Stabilitätsmechanismus, einen mit 400 Milliarden Euro dotierten Fonds für Länder in Schieflage. Berlin möchte die Forderungen Italiens am liebsten an diese Kasse abschieben, was Rom umso mehr erzürnt. Zum einen ist der Fonds völlig unzureichend ausgestattet, wenn man dem die 1,8 Billionen allein für Deutschland gegenüberstellt. Zum anderen müssen die Empfänger ihre haushaltspolitische Souveränität abgeben und Entscheide eines Direktoriums akzeptieren. Das Verfahren war gegenüber dem reichlich betrügerischen Griechenland angemessen, Italien in seiner jetzigen Situation würde dies als entwürdigend empfinden.

Der allerletzte Ausweg, wenn Politiker nicht mehr weiterwissen, ist die Europäische Zentralbank. Weil sich die Mitgliedsstaaten nicht einigen konnten, musste sie schon für den Euro den Rettungsanker auswerfen, indem sie fleissig Staatsanleihen zu kaufen begann. Damit operiert sie zwar hart am Rand der verbotenen Staatsfinanzierung mit der Notenpresse, aber in der Not frisst nicht nur der Teufel Unappetitliches.

Auch in der Corona-Krise griff die Zentralbank zu dem bewährten Instrument und legte einen Sonderfonds auf, der durchaus Wirkung zeigt. Seit seiner Ankündigung fielen die Zinssätze für italienische Staatspapiere wieder.

Die EU ist in Gefahr

In einer existenziellen Lage wie der grossen Seuche würde sich die EU indes blamieren, wenn sie deren Bewältigung wiederum allein auf die Zentralbank abwälzte; wenn sie also keine politische Lösung findet, die als ein Akt echten europäischen Zusammenhalts empfunden wird. Kommen Euro-Bonds nicht infrage, weil man aus guten Gründen eine Vergemeinschaftung der Schulden vermeiden möchte, sind Zuwendungen à fonds perdu denkbar. Dazu müsste man allenfalls das EU-Budget temporär aufstocken, wodurch alle Mitgliedsländer in die Pflicht genommen würden. Will man den am schlimmsten heimgesuchten Ländern wirklich helfen, finden sich Wege, die Solidarität mit haushaltspolitischer Solidität zu verbinden.

Das wäre kein reiner Altruismus. Die EU stellt schon heute ein ziemlich anämisches Gebilde dar. In der Frage der Erweiterung ist sie zerstritten, bei der gemeinsamen Verteidigung kommt sie nicht voran, und um die Bedingungen des Brexits feilscht sie mit der Verbissenheit eines Krämers. Selbst über die gemeinsamen Werte besteht keine Einigkeit mehr. Wenn die EU auch in diesen speziellen Zeiten versagt, dann ist sie endgültig keine Union mehr, sondern nur noch ein blasses Rumpfgebilde.

Die Krise der EU wird verschärft, weil Deutschland als wirtschaftlich und politisch stärkste Macht zwischen Hypermoral und Schäbigkeit schwankt. In der gewiss wichtigen Flüchtlingsproblematik erschien keine Geste gross genug, bei Covid-19 hingegen dominiert bis anhin Kleinkariertheit. Aus diesem Zickzackkurs lässt sich weder eine glaubwürdige Politik des Idealismus und Internationalismus noch eine nüchterne, interessengeleitete Realpolitik herauslesen. So entsteht keine Führung.

Widersprüchliche Rollen

Helmut Kohl wollte die Europapolitik noch gestalten, notfalls mit dem Checkbuch. Seine Nachfolger denken nur noch ans Portemonnaie und vergessen darüber das Gestalten. Deutschland will beides sein: Führungsmacht Europas und dessen Chefbuchhalter. Die beiden Rollen lassen sich aber nur bedingt vereinbaren.

Für die Bundesrepublik in ihrer verletzlichen Mittellage ist ein geeinter Kontinent seit sieben Jahrzehnten einer der zentralen Pfeiler ihrer Aussenpolitik. Die deutsche Exportwirtschaft profitiert vom Binnenmarkt und vom günstig bewerteten Euro. Gäbe es noch die Mark, hätte sie in der letzten Dekade wohl manche Aufwertung durchlaufen. Die Pandemie ist kein schlechter Zeitpunkt, um Vor- und Nachteile abzuwägen und sich zu überlegen, was Europa noch wert ist.

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