Seine Rente war sicher. Tod eines Überzeugungstäters

in deutsch •  5 years ago 

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Die Aussage „Die Rente ist sicher.“ allein schon verrät, um wen es sich handelt. Dieser Satz blieb nachhaltig in Erinnerung und stand schon fast als Synonym für Norbert Blüm.
Norbert Blüm war ein Überzeugungstäter im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist selten bei Politikern, deren Überzeugung allzu oft nur von vor bis nach einer Wahl anhält. Ihm nahm man die Ehrlichkeit seiner Motivation wirklich ab.
Leider nahm er seinerseits anderen etwas zu viel ab. Das „C“ im Namen seiner Partei ließ er sich als bare Münze verkaufen. Diese naive Gutgläubigkeit ließ ihn zum Sozialromantiker werden. Man ist versucht zu sagen, er sei der erste Kasnerianer gewesen, noch ehe es Kasner gab. Doch das würde ihm nur zum Teil gerecht. Zwar war er der Links-Außen der CDU, allerdings fehlte ihm zur Gänze die Kasner eigene Bösartigkeit. Kolportiert wird von ihm die Aussage „Sei nett zu Tieren, du könntest selbst eins sein!". Diese Aussage kann von keinem bösen Menschen stammen.

Der Weg Norbert Blüms und der unseres Freundes Notan Dickele kreuzten sich einmal. Diese Begegnung liegt den von erkennbarer Sympathie getragenen Abschiedsworten Notans zugrunde.

Kleiner Mann ganz groß – zum Tod des CDU-Politikers Norbert Blüm

von Notan Dickerle, Anwärter auf den Leuchtturmpreis für mutigen Journalismus gegen “Bunt”

Er maß nur 164 Zentimeter, hatte die Volksschule 1949 im Alter von 14 Jahren verlassen und wurde zunächst Werkzeugmacher bei Opel im heimatlichen Rüsselsheim. Über den Zweiten Bildungsweg erreichte er sein Abitur sowie die Zulassung an die Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität Bonn für ein Studium u.a. der Philosophie und Theologie und promovierte 1967 über die Willens- und Soziallehre des deutschen Soziologen Ferdinand Tönnies, bevor er sich der Politik zuwandte. Norbert Blüm hat vor seiner politischen Karriere die soziale Leiter der jungen Bundesrepublik vollständig durchmessen, er wußte daher später, wovon er in seinem unverkennbar hessischen Idiom sprach, und wo das Volk der Schuh drückte. Mit einer kurzen Unterbrechung Anfang der 80-er Jahre saß er von 1972 bis 2002 für die Union im Deutschen Bundestag, während der gesamten Kanzlerschaft von Helmut Kohl diente er ununterbrochen als Minister für Arbeit und Soziales.

Es war die Zeit der beiden großen Volksparteien CDU und SPD. Nicht wenige meinten damals, Blüm hätte mit seiner Sensibilität für soziale Fragen besser in letztere gepasst, zumal in einer Zeit, da unter Helmut Schmidt dort ein eher konservatives Profil angesagt war. Aber das Geheimnis der Volksparteien bestand eben auch in ihrer Fähigkeit zur Integration gegensätzlicher Strömungen, und so vertrat der als Messdiener und Pfadfinder katholisch sozialisierte “Nobby” in der CDU den sog. Arbeitnehmerflügel, der sich an der Christlichen Soziallehre mit ihrer Betonung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums bzw. des ersten Elements in der Sozialen Marktwirtschaft orientierte. “Das linke Gewissen der CDU” nannte ihn die Neue Zürcher Zeitung. Den angeblichen “Tiefschlaf” der “großen Idee” der Katholischen Soziallehre hat Blüm, zu dessen Lehrern Oswald von Nell-Breuning und Joseph Ratzinger zählten, bis zuletzt bedauert.
In seiner Partei wurde er für diese Positionen gerne als “Herz Jesu-Marxist” verspottet, was der mit schlagfertigem Mutterwitz begabte, humorvolle Politiker aber leicht wegsteckte und was seiner Popularität keinen Abbruch tat – im Gegenteil: Ohne den Blüm-Flügel hätte die CDU kaum die entscheidenden Stimmen aus der linken politischen Mitte gewinnen können, die Helmut Kohl 16 Regierungsjahre sicherte.
Zum Höhepunkt dieser Popularität trug eine Aktion aus dem Bundestagswahlkampf 1986 bei, ein suggestives Bild, das jetzt noch einmal in allen Medien gezeigt wird: ein lachender Minister Blüm, im Trenchcoat auf einer Leiter stehend, plakatiert auf einer Litfaßsäule den Slogan “Denn eines ist sicher: Die Rente”. Sozusagen Werbung in eigener Sache, und Blüm hat auch sicherlich daran geglaubt. Die Häme, die ihm das später eingebracht hat, als sich die deutschen Renten - weitgehend wiedervereinigungsbedingt - als doch nicht so krisenfest erwiesen, hat er nicht verdient.

Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik blieb Norbert Blüm ein ebenso vielseitiger wie streitbarer Geist und erklärter Feind kapitalistischer Auswüchse. “Aufschrei – Wider die erbarmungslose Geldgesellschaft”, “Ehrliche Arbeit: Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier” lauten die Titel einiger seiner Streitschriften der letzten Jahre. Andererseits war Blüm skeptisch gegenüber dem linken Ideal vom bedingungslosen Grundeinkommen und vertrat in gesellschaftspolitischen Kontroversen häufig die in der CDU vor Angela Merkel üblichen konservativen Positionen. Die Schwulen-Ehe lehnte er ebenso ab wie die “Verstaatlichung der Familie”: ein umfassendes staatliches Kinderbetreuungsangebots sah er als “Waffe” gegen das Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder. Der überfürsorgliche, allgegenwärtige Nanny-Staat war Blüms Sache nicht.
Gemäß seiner Devise “Tue recht und scheue niemand!” entzog sich Norbert Blüm der politischen Schablone, ging ungewöhnliche Wege und schonte sich dabei auch selbst nicht. Seine komödiantische Ader bewies er in zahlreichen Fernsehshows, bevorzugt in "Rudis Tagesshow" von Rudi Carrell. Im Herbst 2007 zog er mit dem Schauspieler und Linken-Politiker Peter Sodann mit dem Kabarettprogramm "Ost-West-Vis-à-Vis" über deutsche Bühnen. Blüm hielt aber auch Universitätsvorlesungen in Bonn und Aachen. Nach dem Zweiten Golfkrieg bereiste er wiederholt den Irak. Zusammen mit Rupert Neudeck engagierte er sich für die Rechte der Palästinenser im Nahen Osten, stellte sich aber auch dem im Herbst 2000 auf Initiative des Zentralrats der Juden gegründeten Verein “GesichtZeigen! Für ein weltoffenes Deutschland” als Zweiter Vorsitzender zur Verfügung. Im Alter von 80 Jahren campierte er 2015 im Flüchtlingslager von Idomeni, um die Öffentlichkeit auf die unhaltbaren Zustände dort aufmerksam zu machen.

Im Gefolge einer Sepsis im vergangenen Jahr blieb Norbert Blüm teilweise gelähmt. In der “Zeit” veröffentlichte er vor einem Monat einen letzten, sehr persönlichen Text: “Was bedeutet mein Unglück? Im Rollstuhl fällt der Blick auf das Leben anders aus.” Sein Schöpfer hat ihn vorgestern (23.4.) zu sich gerufen und ihm eine ganz andere Perspektive zugewiesen. Wir hoffen, es ist diejenige, die er sich als gläubiger Christ erwartet hat. Norbert Blüm war ein großer Politiker Deutschlands, eine authentische Persönlichkeit, wie wir sie heute kaum noch finden, die den Dank seines Landes redlich verdient hat. Requiescat in pacem!

https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/nachruf-norbert-blüm-deutschland-verliert-„jahrhundertpersönlichkeit-der-sozialpolitik“/ar-BB138NCw?ocid=spartandhp

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