Rassisten, Rechtsextreme, Nazis, Autonome, Flüchtlinge, Demonstranten, Aktivisten, ..
und es gibt noch viel mehr davon.
Dass diese Worte vor allem von Mainstreammedien inflationär und oft unreflektiert verwendet werden, ist eigentlich bekannt – zumindest bei denen, die sich tiefergehend mit dem Weltgeschehen auseinander setzen als nur Schlagzeilen und einseitige Berichte zu lesen.
Doch wenn man so darüber nachdenkt, muss man zum Ergebnis kommen, dass die große Masse dies eben nicht erkannt hat, sonst würden die Medien diese Begriffe nicht derart häufig verwenden.
Die Begriffe funktionieren nicht, weil man die Bedeutung davon kennt, sondern weil man eine Assoziation dazu (beigebracht bekommen) hat.
Kleiner Selbsttest:
Woran denkst du beim Wort "Demonstranten"? - An friedlich demonstrierende Menschen mit pseudoverärgerten Pappschildern über dem Kopf, oder aber an wütende Mobs, die Steiner schmeißend durch die Fußgängerzone rennen?
Solltest du noch die übliche Assoziation haben, dachtest du natürlich an Ersteres.
Wenn ich "Rechtsextreme", "Nazis" oder "Flüchtlinge" sage, wird es – vor allem bei meiner potentiellen Leserschaft anders aussehen. Bei Rechtsextremen und Nazis denkt man an Opfer des Linkenwahns und kommt auf friedliche Gestalten wie Birgit Kelle, Martin Sellner, Frauke Petry o.ä. Die Assoziation funktioniert nicht mehr, wenn sie zu oft bei relativ informierten Leuten eingesetzt wurde. Konsumenten, die ausschließlich Mainstreammedien verfolgen dürften bei niedriger Medienkompetenz damit immer noch Neonazis im Kopf haben und diese konsequenterweise diese mit völlig pazifistischen Personen in Verbindung bringen.
Genauso ist es bei "Flüchtlingen". 2014 hätte man damit arme, ausgehungerte Menschen mit zerfetzter Kleidung und Wunden assoziiert. Mittlerweile assoziiert man damit wohlgenährte, aggressive, laute Migranten aus dem arabischen Raum und Afrika.
Dieses Rhetorikspiel der Medien ist nicht nur falsch und fern von jeder halbwegs richtigen Definition, sondern auch extrem gefährlich! Bevor ich das ausführe: Ich habe nichts gegen Rechte und halte sie vor allem nicht für schlimmer als Linke.
Wenn also Rechtsextreme mit ungefährlichen und gar pazifistischen Personen in Verbindung gebracht werden, werden auf Dauer nicht die betroffenen Personen mit dem bösen assoziiert, sondern das gewalttätige Extreme mit etwas völlig Legitimen, wie Kritik und friedlichem Aktivismus. Dadurch verliert das Negative seine negative Bedeutung und wird als etwas harmloses interpretiert. Die Frage ist dabei, was schreiben, wenn echte Rechtsextreme oder gar Nazis etwas tun?
Genauso gefährlich ist es beim Wort "Flüchting" (respektive "Refugee"). Das Wort wird bei der informierteren Bevölkerung mit etwas Bedrohlichem, Gefährlichen, Parasitärem und Invasivem assoziiert. Wie könnte sich das wohl auf Menschen auswirken, die tatsächlich den Brgiff "Flüchtling" verdienen; Menschen, die tatsächlich aufgrund ihres Glaubens, ihrer politischen Ansicht oder ihrer Sexualität verfolgt werden; die sich nichts sehnlicher wünschen, nachts einzuschlafen, ohne Angst haben zu müssen, den nächsten Tag nicht zu überleben? Wird man sie herzlich Willkommen heißen oder mit dem in einen Topf werfen, die Medien fälschlicherweise als "Flüchtling" bezeichnet haben: undankbare, wohlgenährte, aggressive Migranten, deren Hauptproblem es ist, dass sie nicht immer und überall Wlan haben?
Begriffe sind das, was man draus macht. Begriffe, Definitionen und Assoziationen ändern sich. Da kann man nichts machen, außer den ganzen Tag mit dem Duden oder dem Oxford Wörterbuch rumrennen und jeden damit kloppen, der Begriffe falsch verwendet – was natürlich Schwachsinn ist. Kurz gesagt: Gegen die Eigendynamik der Begrifflichkeiten kann man nicht viel tun und es gehört wohl oder übel zum Voranschreiten einer Zivilisation.
Doch Begriffe absichtlich falsch verwenden, um falsche Assoziationen zu wecken, um damit eine gewollte Reaktion zu erreichen, ist unmoralisch, gefährlich und nicht zuletzt niederträchtig, da unehrlich.
Wenn ihr nach diesem Text Artikel lest, versucht nicht nur darauf zu achten, was er an Informationen enthält, sondern welche Reaktion er in euch auslösen will und ob diese durch objektive Tatsachenbeschreibung erreicht wird – oder durch Verdrehung von Begriffen. Ebenso kann man es auch an diesem Artikel ausprobieren; Ist mein Text tendenziös? was bewirken die Bilder? Welche Reaktion will ich erregen? Dieser Artikel ist immerhin nicht die reine objektive Wahrheit.
Schafft man sich dafür wieder eine Sensibilität, kann man auch in analogen Diskussionen, in denen das Gegenüber mit Kampfbegriffen um sich schmeißt, einfach mal nach der Definition von den einzelnen Begriffen fragen. Dabei dürfte schnell klar sein, dass sich die meisten gar nie Gedanken darüber gemacht haben, was welche Begriffe überhaupt bedeuten, sondern einfach die Rhetorik aus den Mainstream-Medien übernommen haben. Da kann dann durchaus zur Selbstbelustigung führen, weil das Gegenüber dann herumstottert und (der eigenen Erfahrung nach) in Gesichtszucken und Cholerik verfällt. In diesem Moment hättet ihr die Diskussion dann gewonnen – oder wisst zumindest, dass euch das Gegenüber noch nicht gewachsen ist.
Um zu verhindern, dass euer Diskussionspartner den Spieß umdreht, solltet ihr euch so viel Selbstreflexionsvermögen aneignen, um zu erkennen, ob ihr selbst Begriffe falsch verwendet, und ob ihr die Bedeutung der Wörter in eurem Mund auch wirklich kennt. Es kommt nicht selten vor, dass z.B. Linke sehr sachlich diskutieren und sehr genau wissen, was sie vertreten.
Ich hoffe, dieser Beitrag hilft euch,
- Medien genauer zu durchschauen
- Eine Sensibilität für Begrifflichkeiten zu entwickeln
- Sachlicher und damit effizienter zu diskutieren
- Euren Bekanntenkreis durch Teilen dieses Artikels, offener für Diskussionen zu machen
Nun gibt es noch eine Videoempfehlung zu diesem Thema:
Im nächsten Teil der Reihe "Medienkompetenz" wird es voraussichtlich um den Gebrauch des Konjunktiv gehen:
Er habe gesagt; Sie solle dies tun; Es sei nicht seine Schuld...
Folgt mir, wenn ihr daran interessiert seid ;)
Interessante Ansicht, jedoch stoß ich ein paar mal auf während ich deinen Artikel lese. Während du am Anfang noch das einfache Beispiel Demonstration wählst und davon ausgeht das die "übliche" Assoziation der friedliche Demonstrant ist, hätte dies kurz nach dem G20 Gipfel glaub ich nur die Minderheit vor Augen gehabt.
Auf die Dynamik einer Assoziation gehst du zwar später ein, wiederspricht jedoch deinen ersten Ansichten.
Dennoch hast du aufjedenfall Aufmerksamkeit für ein sehr komplexes Thema geweckt und allein die Diskussion darüber zeigt schon dass es was bringt: Deswegen gute Arbeit!
Ich persönlich denke dass es ein Zusammenspiel zwischen Assoziation und Benutzung gibt. Je häufiger ein Schlagwort von verschiedenen Personen in einem Zusammenhang benutzt wird, desto eher wird es damit verknüft. Benutzt man ein Schlagwort jedoch ausserhalb dieses Zusammenhangs wirkt es sehr leicht deplatziert. Ich denke Sprache ist ein Dynamisches Konstrukt und gerade die anderen Sprachebenen oberhalb der informativen sind sehr variabel.
Aber wie gesagt ist nur meine persönliche Ansicht ;)!
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Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Zum "Demonstranten"-Teil: Tatsächlich habe ich die G20-Thematik auch gemeint. Ich habe absichtlich öfter die Schlussfolgerungen offen gelassen, damit der Leser sich beim Lesen selbst die Lücken schließt. Das klingt jetzt wie ne faule Ausrede. Aber mein Hintergedanke dabei ist, dass ich will, dass meine Leser aufmerksam lesen und dabei mitdenken und praktisch selbst auf Gedanken kommen.
Trotzdem hab ich keinen Anspruch auf 100 prozentige Logik und weiß, ich bin fehlbar ;)
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