In meiner direkten Nachbarschaft gibt es einen wunderbaren Musiklehrer. Vorrangig gibt er Gesangs-sowie Flötenunterricht. Seine Gattin selbst ist eine nette, freundliche Persönlichkeit. Zusammen wohnen sie in einem grossen Haus. Eines ihrer gut sichtbaren Hobbies ist der beeindruckende Garten, in dem es viele Gemüse- und Obstsorten gibt.
In unserem kleinen Ort kennen alle den älteren Herren, da schon viele Kinder und so manch Erwachsener seinen Unterricht genossen haben. Ein kleines bisschen ist er aber auch wegen seiner auffallenden blonden, wallenden Mähne sowie seine Vorliebe für Leggings bekannt. Liebevoll wurde das ungewöhnliche Erscheinungsbild belächelt.
Hippie?
Auch ich habe manchmal über seinen Kleidungsstil schmunzeln müssen, doch für mich war es einfach ein Freigeist, ein Anhänger der Hippiezeit.
Doch vor ein paar Wochen begegnete ich dienstlich meinem Nachbarn, wie viele anderen Nachbarn an diesem Abend, da eine routinemäßige Verkehrskontrollstelle gleich ums Eck meines Wohnortes errichtet wurde. Gemeinsam mit meinen Kollegen überprüften wir die Verkehrsteilnehmer. Wie gesagt, da sie in unmittelbarer Nähe meines Wohnortes lag, begegnete ich vielen meiner Nachbarn, was beidseitig zu vielem Gelächter führte, schliesslich sieht man sich normalerweise nur unter anderen Bedingungen.
Besagter Nachbar wurde von meinen Kollegen ebenfalls gestoppt. Doch dieses Mal war er noch auffälliger vom Erscheinungsbild als sonst. Er trug ein geschmackvolles, geblümtes Kleid. Als Accessoire hatte er eine weisse Perlenkette angelegt. Da wir in unserem Beruf so manche Ungewöhnlichkeit sehen, wurde zwar geschmunzelt, aber war der Auslöser für eine interessante Unterhaltung, die damit endete, dass ein Kollege erzählte, dass in seinem Freundeskreis Mottoparties gefeiert werden und er diese liebt, da er so die Möglichkeit hat, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Ein Cosplayer, old school halt.
Das kleine Schwarze
Die nächste Begegnung fand in unmittelbarer Nachbarschaft statt. Mein lieber Nachbar trug ein schwarzes Kleid, als er seinen Hund Gassi führte. Da ich ja, wie oben schon erzählt, den ausgefallenen Modegeschmack meines Nachbarn kenne und ich sehr offen für alles bin, wurde ich erst bei dieser zweiten Begegnung nachdenklich.
Da Offenheit eine natürliche wohlgesinnte Neugierde beinhaltet, kam ich bei einem Gespräch mit einem weiteren Nachbarn auf den Musiklehrer zu sprechen. Hierbei äusserte dieser, dass das Verhalten ja unmöglich sei und das in dem Alter! Der Herr Musiklehrer lasse sich jetzt mit Frau Musiklehrer ansprechen. Man könne ja seine Kinder nicht mehr hinschicken! Man weiss ja nie!
Meet Mr. Kleingeist
Nachdem mir blitzschnell ein Kronleuchter aufging, teilte ich meinem kleingeistigen Nachbarn mit, dass der Wunsch eine Frau zu sein sicher nichts mit Pädophilie zu tun habe. Und dass ich es bewundernswert finde, noch in dem Alter diesen Schritt zu wagen. Da mein Nachbar merkte, dass er mit seinem engstirnigen, prähistorischen Vorurteil bei mir gewaltig in ein Fettnäpfchen trat, wechselte er flux das Thema.
Be yourself!
Mal abgesehen, dass ich durch meine unbefangenen Art, man könnte es auch vielleicht naiv nennen, nicht bemerkt habe, was so offensichtlich in all den Jahren war, könnte ich meinen Nachbar am liebsten drücken. Ihm gratulieren, dass er sich traut, sein Inneres endlich auszuleben, egal was die Öffentlichkeit denkt. Aber es macht mich auch traurig, daran zu denken, wieviele Jahrzehnte er angepasst gelebt und seine wahre Natur unterdrückt hat.
Letztendlich möchte ich sagen...
Lebe Dein Leben, lass dich nicht leben!
Drück Euch und seid ihr selbst!