Filmbeschreibung - Toni Erdmann

in deutsch •  7 years ago 

Der im Juli 2016 in den deutschen Kinos angelaufene Film „Toni Erdmann“ von Maren Ade erzählt nuanciert von der Beziehung zwischen Vater und Tochter, die sich im Laufe der Jahre entfremdet haben.
Die Tochter, Ines Conradi (Sandra Füller), arbeitet als Unternehemensberaterin einer großen Firma und wird von ihrer Arbeit und ihrem Karrierebewusstsein voll verneinnahmt. Sie befindet sich im Dauerstress, wie es die erste gemeinsame Szene von Vater und Tochter verdeutlicht: Ines ist zu Besuch bei ihrer Mutter, und ihr Vater Winfried Konradi (Peter Simonischek) freut sich darauf, Zeit mit ihr zu verbringen, jedoch kreisen ihre Gedanken um ihre Arbeit, sie telefoniert geschäftlich und täuscht Ihrem Vater, der im Begriff ist, sich zu verabschieden, sogar ein Telefonat vor. Winfried äußert in ernstem Ton seiner Tochter gegenüber, dass er eine Ersatztochter engagiert habe, weil sie nie da sei.
Die sich im ganzen Film hindurchziehende Stimmung von latenter Einsamkeit, Melancholie und Beengtheit, von der das banale Leben geprägt ist, wird schon durch die erste Szene des Films angedeutet. Sekundenlang zeigt uns eine unbewegte Kamera den Eingangsbereich eines Hauses. Geräusche eines Autos, ein Postbote gelangt ins Bild, man sieht ihn klingeln. Die Langsamkeit und Authentizität, die durch diese Einstellung transportiert wird, erinnert in den ersten Sekunden an Hanekes „Caché“, doch nach wenigen Minuten wird deutlich, dass der Film eine zwar ernste, fast deprimierende Grundstimmung verwendet, doch im Gegensatz zu „Caché“ ist dieser Film mit Humor durchsetzt. Winfried öffnet die Tür und erlaubt sich einen kleinen Scherz, indem er von seinem angeblichen Bruder redet, der wegen Paketbomben im Gefängnis war, kurz verschwindet, um diesen zu holen und dann plötzlich verkleidet mit einer Handschelle an einer Hand wiederkommt. Nur für einen kurzen Moment ist die kleine Andeutung eines Lachens in dem Gesicht des Postboten zu erkennen. Eben diese Andeutung, dieses kurze Aufflackern eines Lachens ist symptomatisch für die im transportierte Stimmung.
Die Komik ist im gesamten Verlaufes des Films vorhanden, doch ein herzhaftes, warmes und natürliches Lachen als Reaktion von einem Scherz von Winfried hört man vergeblich. Die Tochter unterdrückt einmal sogleich ihr plötzlich aufkommendes Lachen, weil es in der Arbeitssituation als nicht angemessen gilt. Die Grundstimmung, der Dauerstress der Tochter und quasi die Aufgabe jeglicher Freizeit für ihre Arbeit dämpfen potenzielle Komik sogleich.
Der Vater versucht seiner Tochter wieder näherzukommen, besucht sie zunächst erfolglos in Rumänien, täuscht seine Abreise vor und kehrt als Toni Erdmann, „Life“-Coach“, wieder. Der Humor ist seine Methode, die Beziehung seiner Tochter zu verbessern und zu versuchen, ihr zu helfen zu leben, Momente des Glücks zu empfinden.
Maren Ade gelingt es, ein faszinierend komplexes Bild der zwei Protagonisten anhand scheinbar alltäglicher Situationen zu entwerfen. Die ernsten Töne, vermischt mit leisem Humor, geben dem Film eine fast poetische Leichtigkeit. Diese Leichtigkeit und zugleich auch Authentizität, die u.a. durch die gemächliche Darstellung gewöhnlicher Alltagssituationen verursacht wird, erinnert an Claire Denis „35 rhums“, nur dass Maren Ade neben latent vorhandenen gesellschaftskritischen Untertönen der Poetik ganz gewöhnlicher Begebenheiten, der unterschwelligen Verzweiflung und Wut der Protagonisten, subtilen Humor einbaut, der dem Film eine einzigartige Nuance hinzufügt. Auch das Auftauchen bestimmter Motive, die sich durch den ganzen Film ziehen, um die Vater-Tochter-Beziehung subtil darzustellen, lässt einen an den in „35 rhums“ immer wieder auftauchenden Reiskocher denken. In Toni Erdmann nimmt die Käsereibe eine ähnliche Symbolik ein und verdeutlicht das Sich-Näherkommen von Vater und Tochter.
Am Ende des Films, will der Vater ein lustiges Foto von seiner Tochter knipsen, die sich sein falsches Gebiss in ihren Mund eingesetzt und sich noch einen Korbhut aufgesetzt hat. Das Verschwindens des Vaters (um eine Kamera zu holen) und die allein zurückgebliebene Ines bilden eine ausdrucksstarke und komplexe Endszene, die die Ambivalität des Lebens mit seinen vorüberfließenden Momenten des Glücks oder des Humors widerspiegelt.

Fazit: Einer der besseren, aktuellen, Filme aus Deutschland. Dem Hype wird er leider nicht gerecht.

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