Birke schreibt:
Diesen verregneten Dienstag im Zoo vor zwei Jahren im April lässt mich Lukas, mein siebenjähriger Sohn nicht vergessen. Wir wurden nasser und nasser, schließlich komplett durchweicht, während Lukas keine Bewegung der drei Löwenbabys entging. Sie tapsten um ihre Mutter herum, saugten am Euter, balgten sich, drei kleine Fellknäuel in Aktion eben. Weit und breit war niemand zu sehen, es regnete in Strömen und ich bereute meinen Entschluss, Lukas`Geburtstag im Zoo zu verbringen sehr. Ich hatte mir freigenommen und mit schlechtem Gewissen Lukas wegen Bauchschmerzen von der Schule befreit. Aber mit dem unangenehmen Anruf war es nicht getan, ich musste mir auch noch die Vorwürfe meiner Frau anhören: „Wenn ihr bei dem Wetter in den Zoo geht, kannst du ihn morgen wegen einer handfesten Erkältung entschuldigen!“
Lukas war überglücklich, er hatte die Geburt der drei Babys in Zeitung, Internet und Fernsehen verfolgt, sein Zimmer ist total überladen von Löwenpostern, Löwenfiguren und Kuscheltieren, König der Löwen läuft täglich bei uns im Videorekorder und Lukas singt HAKUNA MATATA lauthals mit. Jetzt drückte er sich die Nase platt am Zaun und seine blauen Augen leuchteten.
„Duuuu Paaapaaa???Können wir einen mitnehmen? Den da??“
„Wo willst du den denn unterbringen, der wird riesig und der braucht Bewegung! Und sein Rudel braucht ein Löwe auch, wir können doch so ein großes, wildes Tier nicht artgerecht halten!“
Doch Lukas lässt sich nicht lumpen, räumt jeden Vorwand aus dem Weg und hat sich alles ganz genau überlegt: „Na schlafen kann er in meinem Zimmer, Bewegung kriegt er im Park, sein Rudel das sind wir, Iiich (dabei stellt er sich auf Zehenspitzen, schaut sehr wichtig und deutet mit dem Daumen auf seine Brust), Duuu (zum Nachdruck tippt er auf meine Brust) und Mama (er macht eine weitausholende Armbewegung und deutet in die Richtung wo er unser Haus vermutet), und wild ist er ja nicht wenn ich ihn von klein auf mit der Flasche füttere und jeden Tag streichle!“
Stolz auf seinen Plan, wartet er auf meine Antwort. Ich schaue auf die Uhr: „Oweh jetzt müssen wir aber los, um drei kommen ja deine Freunde! Wir sind schon spät dran, uiui!“
„Tschüüüüss meine Lieben! Ich komme morgen wieder und dann nehm ich Dich mit!“ ruft Lukas noch winkend und deutet auf den kleinsten und dunkelsten von Allen.
Die nächsten Tage, Wochen und Monate verbrachten wir viele Stunden im Zoo, und der nächste Geburtstag war eine Tragödie, weil Lukas keinen Löwen bekam, sondern nur weitere Löwenstofftiere, Löwen aus Plastik und Löwen aus Holz.
Immer wenn wir im Park spazieren sind, werfen wir Stöckchen für unseren imaginären Löwen und träumen davon wirklich einen zu haben. Lukas rennt dann immer und holt den Stock, mit strahlendem Gesicht: „Schau mal LÖWE ist gar nicht wild, ich bin sogar schneller als er!!“
Heute hat Lukas wieder Geburtstag, ich war bei verschiedenen Hundezüchtern in den letzten Wochen und habe mir einen Welpen rausgesucht, der tatsächlich ein wenig den Löwenbabys aus dem Zoo ähnelt.
Stolz überreiche ich Lukas die Schachtel mit dem blonden Fellbündel darin.
Als er sie öffnet werden seine blauen Augen noch größer als sonst und das Lächeln will gar nicht mehr aus seinem Gesicht verschwinden.
„LÖWE!!!!!“ ruft er und das blonde Etwas verschwindet schwanzwedelnd in seinen Armen.
Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen, ich war mir nicht sicher, ob es klappen würde und ob er sich freut, hab mich schon drauf vorbereitet, dass er enttäuscht zusammenbricht, weil es eben kein Löwe ist. Aber dass der Kleine LÖWE heißen wird, hab ich mir schon fast gedacht, und sobald er ein bisschen größer ist machen wir als Löwenrudel den Park unsicher…
Das Wolfsbuch
geschrieben von vier Wolfsgenerationen und ihrem Rudel
Was kommt dabei heraus wenn Großeltern, Eltern, Kinder und Kindeskinder sich zusammentun und gemeinsam an einem kreativen Projekt arbeiten?
Eine Sammlung von Kurzgeschichten zu verschiedenen Themen, die abwechselnd von den Familienmitgliedern gestellt wurden. Eine schöner, witziger, trauriger, rührender, einfallsreicher als die andere. Es war toll zu erleben wie wir uns immer wieder selbst übertroffen haben und meist selbst darüber erstaunt waren was wir da Tolles geschrieben haben. Fiktion und wahre Erlebnisse verschmelzen, wenn man in eine andere Rolle schlüpft weiß niemand mehr was wahr ist und was erfunden. Beim Schreiben gibt man viel von sich preis und wir haben uns alle dadurch besser kennengelernt. Der Großvater Günter schreibt von Erlebnissen aus seiner Kindheit im Krieg über die er selten spricht. Auch die Großmutter Lilo packt Geschichten aus ihrem Leben aus, die wir noch nicht kennen. Irene wohnt in einem paradiesischem Ort auf dem Land, lässt dies immer wieder mit einfließen und bestellt ihre Parkplätze beim Universum. Rafael, ins Rudel hineingeheiratet spricht über seine verpasste Chance als Fußballprofi. Heute setzt er große Hoffnungen in seinen neugeborenen Sohn.
Lustig auch, jetzt ein paar Jahre später zu sehen, was sich damals in den Geschichten schon angekündigt hat, was wir selbst noch nicht ahnten. Peter hat nun einen Enkel, dem er seine Erlebnisse erzählen kann, was er sich in einer seiner Geschichten gewünscht hat. Wanja, der damals auf Berufssuche war entschloss sich zu einem Biologiestudium, nachdem er vorher von Löwenzahn, grünen Inseln und einem knorrigen Baum schrieb und in Andreas` Geschichte gleich Wichtiges über Dugongs wusste.
Birke versetzt sich in ihren Geschichten zweimal in die Elternrolle, es sollte gar nicht lange dauern bis ihr Sohn geboren wurde. Der im letzten Kapitel auch fleißig in die Tasten haut.
Andreas fliegt mit seinem Drachen im Wind, mittlerweile hat die Geschichte eine Fortsetzung verdient, den Drachen gibt es nicht mehr, weil er den Kampf mit einer Stromleitung verlor.
Aber viel mehr soll hier auch gar nicht verraten werden.
Viel Spaß beim Stöbern, Blättern, Lesen und Vorlesen der Geschichten!