Das rumänisch-orthodoxe Osterfest in der Kathedrale der Heiligen Drei Hierarchien in Timisoara

in deutsch •  last year 

Obwohl ich bereits seit fast drei Jahren in Timisoara lebe, habe ich es bisher nicht auf die Reihe bekommen, mir die Ostermesse in der rumänisch-orthodoxen Kirche anzusehen und diese mitzuerleben. Natürlich hatte dies auch mit der Pandemie und den daraus resultierenden Einschränkungen zu tun. Aber in diesem Jahr war es soweit.

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Ein rumänischer Bekannter hatte mir erzählt, ich müsse rechtzeitig in der Kathedrale sein, sonst gäbe es kein Reinkommen mehr. Die Messe, so meinte er, würde 21:00 Uhr beginnen und ich sollte spätestens zwei Stunden vorher dort sein. Zudem sei an freie Stühle sowieso nicht zu denken, die ersten Gläubigen würden bereits am Nachmittag zur Kathedrale pilgern und alle vorhandenen Stühle besetzen. Nun muss man wissen, dass es in orthodoxen Kirchen lediglich einige Stühle an den Wänden gibt. Der restliche Gemeinderaum bietet nur Platz zum Stehen.

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Also kam ich kurz vor 20:00 Uhr in die Kirche und rieb mir verwundert die Augen, denn es waren kaum Menschen da. Die Nachfrage bei einer Nonne, die für den Verkauf von Kerzen zuständig war ergab, dass der Gottesdienst erst 23:00 Uhr beginnen würde. Allerdings solle ich spätestens gegen 22:00 Uhr wieder hier sein, denn dann wird es voll.

Gut, die Kathedrale befindet sich am Rande der Altstadt und ich hatte noch Zeit für einen Kaffee. Gegen 21:00 Uhr war ich wieder in der Kirche und noch immer waren kaum mehr als 30-40 Gläubige da. Allerdings konnte ich die Vorbereitungen für die Messe und jede Menge Kirchgänger und ihre Rituale beobachten. Zudem hatte ich auch noch einen Sitzplatz in der Nähe der Ikonostase bekommen. Die Ikonostase, für alle, die sich in orthodoxen Kirchen nicht so auskennen, ist die Wand zwischen Altarraum und Gemeinderaum. Auf dem Stuhl ließen sich die Stunden gut durchstehen, sieht man mal davon ab, dass langes Sitzen auf Holz den Allerwertesten durchaus auf eine Prüfung stellt. Gegen 2:00 Uhr schließlich wurde es voll und in der Kathedrale waren es inzwischen etwa 700-1000 Menschen.

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Meine Zählung war etwas ungenau, da ich die Menschen im Rang nicht vollständig übersehen konnte. 40 Minuten später, also etwa 20 vor Mitternacht begann ein Prieset hinter der Ikonostase mit Gebeten, die von den Gläubigen mitgesprochen wurden. Zehn Minuten vor Mitternacht traten drei Priester vor die Ikonostase in den Gemeinderaum mit dem Rücken zu den Gläubigen und stimmten eine Liturgie an. Drei Minuten vor Mitternacht erloschen die Lichter in der Kathedrale, die drei Priester verschwanden hinter Ikonostase und Punkt Mitternacht öffnete sich die mittlere Tür der Ikonostase. Hindurch trat mit einer brennenden Kerze in der Hand der Metropolit, gefolgt von einigen Priestern. Im Gemeinderaum umringten sie den Metropoliten und zündeten die Kerzen, die sie in den Händen trugen an der Kerze des Metropoliten an. Nun wurde das Feuer, das Licht an die Menschen in der Kirche weitergegeben und es breitete sich in der gesamten Kathedrale aus. Jeder war bemüht, seine Kerze auf jeden Fall nicht ausgehen zu lassen und gemeinsam mit dem Metropoliten bewegte sich die Menschenmenge aus der Kirche. Es war beeindruckend zu sehen, wie sich ein einzelnes Licht in der Dunkelheit vervielfacht weitergetragen wird und schließlich die Kathedrale erleuchtete. Irgendwie kam mir in diesem Moment der Titel "One Voice" von Barry Manilow in den Kopf, auch wenn es hier um erst eine Stimme handelt, die sich dann vervielfacht.

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Vor der Kirche war etwa ein Drittel des Opernplatzes mit Menschen gefüllt, die alle eine Kerze in der Hand hielten. Ein ziemlich eindrucksvolles Bild. Dazu wurde gesungen und mit den Liedern die Auferstehung Jesus' gefeiert.
Auf der Heimfahrt sah ich zwei Menschen, die an einer Ampel auf "Grün" warteten, beide hatten eine brennende Kerze in der Hand und kamen aus irgendeiner anderen Kirche. Interessant zu sehen, dass sie ihre Kerzen behutsam trugen und darauf bedacht waren, trotz Windes, die Kerze am Leuchten zu halten.

Man kann zur Kirch stehen wie man will, an Gott glauben oder nicht, was man aber unbedingt einmal mitmachen sollte, ist die Ostermesse der orthodoxen Kirche. Denn, wie gesagt, es geht hier nicht um Tod, Schuld oder Sühne, sondern das Licht, den Neuanfang und wie man das Licht, die Gedanken weitergibt, sodass sowohl Licht, als auch Gedanke in die Welt getragen wird, sich vervielfacht. Und noch etwas: In der Kirche waren Menschen unterschiedlichsten Alters, unterschiedlicher Gehaltsklassen und niemanden interessierte dies. Es ging nur um den gemeinsamen Gedanken. An das Licht.

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