Wenn “flach” Standard wird – Spiegel-Online fliegt unterhalb der Grasnabe

in deutsch •  6 years ago 

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Es gab eine Zeit, da war der Spiegel so etwas, wie ein Magazin, dessen erscheinen am Montag man nicht unbedingt verpassen wollte. Gut geschrieben, gut recherchiert und oft kontrovers. Ohne Frage ging es in diesen Zeiten auch darum, gewisse Interessen zu vertreten. Denn Objektivität gibt es nicht. Irgendwann muss allerdings der Prozess der inneren Zersetzung stattgefunden haben. Es ist nicht ganz klar, ob diese Zersetzung ihren Ausgangspunkt im Inneren, in den Reaktionsbüros des Spiegels ihren Anfang nahm oder ob dieser Prozess von außen initiiert wurde.

Es scheint so, als ob beide Prozesse parallel zueinander liefen. Auf der einen Seite Redakteure, denen es aufgrund ihrer Sozialisierung immer schwerer fiel, den Rand des Tellers zu erkennen, geschweige denn, darüber hinaus zu sehen, auf der anderen Seite ein vitales Interesse der Politik und Wirtschaft, ihre Interessen mit Hilfe des Blattes selbst voranzutreiben. Der Prozess verlief schleichend, nie wurde wirklich eine Wahrnehmungsschwelle überschritten, allenfalls einmal angerissen. Inzwischen unterscheidet sich das Blatt von solchen Spitzenprodukten wie „Super-Illu“, „Focus“ etc. nur noch durch Preis und Format.

Interessant in diesem Zusammenhang, dass Enzensberger bereits in den 50er Jahren der Meinung war, der Spiegel sei demokratiegefährdend. Niemand allerdings wollte das wirklich zur Kenntnis nehmen. Inzwischen belehrt uns der Spiegel und sein Online Ableger täglich, wer oder was demokratiegefährdend ist. Dies kann das Blatt auch tun, schließlich steht es sicher und fest über all diesen anderen verschwörungstheoretisch, rechtsnationalen, faschistoid angehauchten und rechtsextremen Querfront-Medien, wie man sie z.B. auf YouTube findet. Das versucht der Spiegel seinen Lesern täglich zu vermitteln. Denn der Spiegel ist ja ein unabhängiges Unternehmen, freie Journalisten recherchieren und machen täglich nichts Anderes, als Nachrichten und Hintergründe zu recherchieren, investigativ selbstverständlich. Der Leser wird ausgewogen und objektiv informiert.

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Hier einmal kurz etwas zu den Eigentumsverhältnissen:
25.5% des Spiegels hält Gruner+Jahr (Brigitte, GEO, Stern, Gala, New York Times). Gruner und Jahr gehört zu Bertelsmann. Bertelsmann ist eines der weltweit größten Medienunternehmen: u.a. RTL, VOX, BMG, Springer Wissenschaftsverlag, AOL, Penguin Random House. Gemeinsam betreiben G+J, Spiegel und Zeit die Henri-Nannen-Schule, eine Schule für zukünftige sog. Journalisten. Die Zeit gehört zur Holtzbrinck-Gruppe, der eine Reihe deutscher Verlage gehört (u.a. Fischer, Rowolth, Kiepenheuer und Witsch, Droemer Knaur). Einem abgetrennten Zweig des Unternehmens gehört die Tagesspiegel-Gruppe, Handelsblatt, Wirtschaftswoche.

Wow, unabhängiger Journalismus.

Aber das nur am Rande und zurück zum Spiegel und Spiegel-Online. Für manch einen Leser ist ja selbst der Spiegel-Online intellektuell noch zu anspruchsvoll und darüber hinaus interessieren sich junge Leute ohnehin immer weniger für Politik. Also gründet man einen Online-Ableger, den man „bento“ nennt. Vielleicht deswegen, weil es so an Japan erinnert. An diese kleinen Kästchen, in denen das Essen, durch kleine Trennwände sauber voneinander getrennt, angeboten wird. Hipp, modern, frisch, eben genau richtig für den jungen Leser. Von denen wird wahrscheinlich kaum jemals einer nach Japan kommen, weil das Geld aus dem Job dafür nicht reicht, aber der Name hat Klang. Der Unterschied zwischen einer japanischen Bento-Box und „bento“, das Angebot von Spiegel-Online ist ungefähr das Gleiche, wie der Unterschied zwischen Uran und Urin.

Bento-Box liefert Qualität, auch wenn man es in der Lebensmittelabteilung eines Tokioter Kaufhauses erwirbt. „bento“ von Spiegel bietet Schrott und dumpfe Artikel. Man hat den Eindruck, dass Schüler der Henri-Nannen-Schule hier ihre ersten Ergüsse abliefern dürfen. Häufig auch unter dem Motto „sex sells“. Ein Beispiel dafür sind die Artikel einer gewissen Helene Flachsenberg. Die durfte kürzlich darüber fabulieren, was der Hype um bügellose Bh über unsere Gesellschaft aussagt (http://www.bento.de/gefuehle/buegellose-bhs-soft-bras-geben-frauen-ein-stueck-freiheit-2231930/#ref=ressortblock).

Beim Lesen der Zeilen konnte man sich direkt in die Seele der geschundenen Weiblichkeit versetzen, die abends nur von einem geschafft ist, wenn sie nach Hause kommt: ihrem BH. Schuld daran ist die Gesellschaft, allen voran natürlich, klar, die Männer. Die Männer wollen ordentlich Möpse sehen, schön pushed up, die Gesellschaft verhindert allerdings gleichzeitig, dass Nippel sichtbar sind. Zwänge über Zwänge. Denen muss man sich beugen und wird dabei verbogen. Aber jetzt gibt es ja den bügellosen und überall sieht man Frauen Bilder in eben diesem von sich posten. Das ist so befreiend.
Befreiend wäre es, wenn solche Artikel nicht erscheinen würden. Denn zusätzlich zum Gejammer über die Erwartungen der Gesellschaft und von Männern, werden im Artikel selbst Worte, Firmennamen und Sätze fett gestellt.

So ziemlich jeder weiss heutzutage, dass durch Verwendung von fettem Text eine gewisse zusätzliche Aufmerksamkeit geschaffen wird, die letztlich unbewusst wirkt. Und schlussendlich hat solche Art von Artikel nichts mit objektiven Journalismus über Frauen, BH, gesellschaftliche Zwänge o.ä. zu tun, sondern dient letztlich nur, versteckt Werbung zu machen, verpackt in einem scheinbar gesellschaftskritischen Artikel. Flacher Journalismus, der nur einem Zweck dient: Stimmungen und Meinungen zu erzeugen, währenddessen man verkauft.

Gute Nacht Spiegel.

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Sämtliche Medien sind in der Hand weniger Konzerne, schön dargstellt bei den Netzfrauen.
https://netzfrauen.org/2013/12/10/teil-1-wer-macht-die-oeffentliche-meinung-ein-paar-wenige-medienkonzerne/
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danke für die Übersicht!