Die Tage danach.
Ihm war übel. Es fühlte sich an, wie wenn jemand Alfons einen Schlag in die Magengrube verpasst hätte. Da stand er, allein und doch unter Vielen. Ihm war kalt. Das Donnern des Feuerwerks dröhnte dumpf in seinem Kopf irgendwo im Hintergrund. Irgendwie war gerade alles zu viel für ihn, sodass das Lichtspektakel am Himmel merkwürdig farblos erschien. Langsam stapfte er zurück zum Karussell seiner Eltern, das momentan eine Fahrten- und Musikpause während der Dauer des Feuerwerks eingelegt hatte. Er war doch an der richtigen Stelle gewesen, oder? Er hatte auch mehrmals nachgesehen und sogar gewartet. Am liebsten würde er in einem Loch im Boden versinken und nicht mehr weiterarbeiten. Aber das ging nicht. Das wusste er. Scheiße. Was jetzt? Wie würde er den heutigen Tag noch einigermaßen überstehen? Und wie dann auch noch morgen und Montag und all die anderen Tage, in der er in dieser Stadt war? Er wollte nur noch weg. Wohin wusste er nicht genau, da er bisher in seinem ganzen Leben meist immer irgendwo anders war.
Am Karussell angekommen, versuchte er Ruhe zu bewahren. Er sah seine Mutter außerhalb des Kassenhäuschens stehen wie sie das Feuerwerk gespannt beobachtete und stellte sich zu ihr. Sein Vater kam gerade von der Seite und brachte mit Schokolade umhülltes Obst mit und lächelte. Sein Gesicht schien in dem kontrastreichen Licht, das immer wieder aufblitze, kurzzeitig noch faltiger zu sein als sonst. „Zum Bergfest“, sagte er zu Alfons uns seiner Mutter, „die hatten wir schon lange nicht mehr.“, und reichte jedem sein Stück. Das war ein kleiner Trost. Nichtsdestoweniger brachte Alfons kaum einen Bissen herunter. Selbst das Kauen und anschließende Schlucken fiel ihm schwer.
Er beendete die Schicht, mehr schlecht als Recht, da er sich nicht mehr wirklich konzentrieren konnte und fiel hundemüde in sein Bett. Die nächsten Tage wurden für ihn zur Qual. Insbesondere der Sonntag schien sich für ihn ewig lang zu ziehen. Hier fanden teilweise Spiele für die ganze Familie statt, bei denen man auch Preise gewinnen konnte. Es war merkwürdig, alle schienen so übertrieben fröhlich an dem Tag und wenn er seinen Blick umherschweifen lies, kam ihm das Tageslicht entweder so vor als ob es unangenehm grell zu sein schien oder als ob am nächsten Tag die Welt unterginge, insbesondere abends. Der Himmel hüllte sich in beim Sonnenuntergang in ein prächtiges Abendrot, das durch manch kleinere Wolken verziert war, die dem Abschluss des Tages an sich etwas magisches gaben. - Auf Alfons wirkte es bedrückend.
Schließlich war er noch nie so verdammt froh über einen Montag, wie den, der ihn morgen erwarten sollte, da es nach dem Umzug für ihn sowie seine Eltern lediglich bis um 8 Uhr abends dauern sollte. Und dann war es wieder so weit: Zeit zum abbauen, aufladen, Besorgungen machen und weiter fahren. Bisher empfand Alfons die Abbauarbeiten an dem Karussell immer als für ihn persönlich schwieriger und irgendwie schade. Er übernahm sie jedenfalls sehr viel unlieber als die Aufbauarbeiten. Vielleicht lag das auch an einer gewissen Vorfreude. - Doch diesmal war es genau umgekehrt. Es gab nichts mehr, was ihn hier in dieser merkwürdigen Stadt halten konnte, selbst wenn seine Eltern noch so positiv überrascht über die gemachten Umsätze waren. Er verstand das. Verstanden sie ihn?
Alfons heiß ersehnter Wochenanfang war schließlich gekommen. Um dem Rummel für ein paar Momente zu entfliehen, beschloss er, die Besorgungen und Einkäufe auch gleich auf diesen Tag vor zu verschieben, sobald es seine Zeit hierfür zuließ. Auch wenn die kleineren Geschäfte aufgrund des Rummels einen örtlichen Ruhetag einlegten, so hatten doch die größeren Läden und Supermärkte auf jeden Fall geöffnet. Und mehr wollte er schließlich auch nicht. Er empfand es als plötzlich merkwürdig wohltuend einmal rauszukommen, einmal alleine einkaufen gehen zu können, auch wenn er nicht viel Geld bei sich hatte. Er fühlte sich merkwürdig frei und somit auch gleich besser, als er durch die automatische Drehtür des Supermarktes ging. Drittklassige Fahrstuhlmusik rieselte durch die Lautsprecher. Er schlenderte zwischen den Regalen mit den verschiedenen Waren hindurch. Erst durch die Getränkeabteilung, dann rüber zu den anderen Sachen. Gemüse wollte er grad keins, könnte ja gesund sein. Es war im Übrigen nicht viel los hier drinnen heute, obwohl viele Autos auf dem Parkplatz draußen parkten. - Alle auf dem Rummel, dachte er sich – und schritt erleichtert weiter, bis er zum Regal mit den Cerealien und Kakao kam. Das war‘s! Genau darauf hatte er jetzt richtig Lust, anstatt irgendwelches ödes Brot mit Zeugs drauf. Er schnappte sich eine Packung Kakao und Nougat-Kissen-Cornflakes und schlenderte weiter beruhigt zur Kasse. Vor ihm waren nur zwei Leute. Ob er noch irgendwas für seine Eltern mitnehmen sollte? Hm, eher nicht… so viel Geld hatte er grade auch nicht und außerdem würden die sowieso nochmal gemeinsam vor der Abfahrt einkaufen gehen. Also passte das schon.
Gedankenverloren verbrachte er die kurze Wartezeit am Band bis er schließlich an der Reihe war. Ihm blieb der Atem stehen. Seine Augen weiteten sich. Das war sie! Die Versetzerin! Er zitterte leicht. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er kam sich plötzlich so vor als ob seine Arme ziemlich merkwürdig an ihm aussahen wie sie so an ihm herunterhingen. Er hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, die brünette junge Frau vom Rummel ausgerechnet hier wieder zu sehen. Dabei schien der Ort doch anfangs so entspannt. Mist! Dabei schaute sie ihn so an, als ob nichts gewesen sei. Mist! Erinnerte sie sich eigentlich an ihn? Mist! Dabei blieb er länger an der Kasse stehen als ihm eigentlich lieb war, weil er sich mit dem Zählen des Geldes schwerer tat als sonst, nachdem sie mit ihrer für eine Frau eher tiefen Stimme monoton aber freundlich den Preis angesagt hatte. Mist! Ob sie ihn jetzt wohl für völlig dämlich hielt? Mist! Er brachte kein Wort heraus, kaufte die Sachen um des Kaufens Willen, so als ob er Lösegeld dafür blechen müsste, endlich aus dem tückischen Supermarkt raus zu kommen. Mist! Mist! Mist! Als Alfons endlich alles beisammen hatte und die junge Dame ihm freundlich, aber lustlos die Quittung übergab, war er froh, endlich nach draußen zu gelangen. Er blieb einen Augenblick stehen und schritt zur Seite, um noch eine Weile unter dem Schatten des Vordachs bleiben zu können. Nichts wie weg von hier… und ob er Appetit auf die Cornflakes heute noch finden würde, wusste er nicht.
Der Weg zurück zum Festplatz kam ihm im Gegensatz zum Hinweg merkwürdig kurz vor. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er sich für diese Strecke mehr beeilte, denn am Wohnwagen angekommen, schien er leicht außer Puste zu sein. Alfons Eltern waren schon bereits damit beschäftigt, kleinere Dinge zusammenzuräumen. Der Fahrbetrieb der Karussells sollte heute erst gegen die Mittagszeit starten, da an diesem Tag der historische Festumzug durch die Stadt stattfinden sollte. Somit blieb für die organisatorsiche Arbeit etwas mehr Zeit, die das Abbauen und die anschließende Abreise erleichtern sollten.
Alfons stellte die Sachen beiseite und goss sich einen Schluck des restlichen, lauwarmen Kaffees aus der Thermoskanne ein, den er schnell hinunterstürzte. Er dachte kurz nach. Ihm kam eine Idee. Er wusste jetzt, was er brauchte und was möglicherweise helfen konnte, die Gedanken, die sich in seinem Kopf drehten, loszuwerden. Es war Ablenkung – und die wollte er sich durch Arbeit holen. Es gab bestimmt etwas zu tun, oder? Vater würde schon etwas einfallen, da gab es immer etwas, ganz sicher:
„Nein, Deine Mutter und ich haben das meiste heute schon erledigt, während Du weg warst. Es gibt nicht viel, was wir momentan machen können, außer es gemütlich angehen lassen und warten, bis der Rummel gegen Mittag anfängt...“
Das hier ist mein wahrscheinlich letzter (vernünftiger) Post vor dem Probeexamen, das vom 29.01. bis zum 09.02.18 dauert und 8 fünfstündige Klausuren umfasst.
Ciao Leute, war nett euch gekannt zu haben ^^
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