-- Die hier geschriebene Geschichte ist rein fiktiv und basiert auf keiner existierenden Tatsachengrundlage. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden und haben keinerlei Bezug zur Realität. Sollten sich Überschneidungen ergeben, sind diese rein zufällig. --
Eine neue Stadt.
Es war Sommer. Die Sonne brannte schon in den frühen Morgenstunden unerbittlich auf den geräumten großen Parkplatz der Kleinstadt, in welcher bald wieder eine Kirmes stattfinden sollte. Die am Rande des Parkplatzes stehenden rundlichen Wohnwägen der Schausteller wirkten aus der Ferne wie ordentlich nebeneinander aufgereihte Eierschalen mit kleinen Schlitzen drin. Leichter Staub lag in der ansonsten klaren Luft und es war noch ruhig. Man konnte nur das leise und entfernte Rauschen hören, das von der nicht weit entfernten Umgehungsstraße kam.
Sie waren nun schon eine halbe Woche hier. Alles verlief nach Plan. Die Arbeiten an den Ständen und Karussellen mit den Maschinen würden auch dieses mal rechtzeitig vor dem Beginn beendet sein. Man kannte sich – die einzelnen Schausteller untereinander – mal etwas besser, mal weniger gut. Es gab herzliche Wiedersehen nach langer Zeit, es gab mit manchen etwas Knatsch und es gab die nicht ernst gemeinten Beleidigungen der Männer untereinander, die aber stets freundschaftlich waren. Wie fast in jedem Jahr hatten sie die großen LKWs in der Nähe, aber doch etwas weiter weg geparkt. Für die interessierte sich schließlich sowieso niemand mehr, nachdem alles begonnen hatte.
Alles in allem keine einfache Arbeit, mit der diese Menschen ihr Brot verdienten. Ständig irgendwie doch wiederkehrend waren sie an einem anderen Ort. Das erforderte einige Kompromisse. Und so manche der Kinder wollten das für sich und ihre Zukunft nicht. Aber das war in den meisten Fällen in Ordnung. Für diejenigen, die blieben, war diese Arbeit im Großen und Ganzen schön – einfach schön. Es war ein kleiner Hauch und ein kleines Gefühl von Freiheit mit dabei, das sich nicht erst bei den Fahrten von Ort zu Ort einstellte. Nein. Es war weit darüber hinaus präsent und fand seinen Höhepunkt insbesondere dann, wenn nachts die Lichter im Sommer angingen und sich bewegten, die Musik dazu spielte und manche der Leute sogar anfingen zu tanzen.
Es war Kirmes, Jahrmarkt, Volksfest, Rummel, Kinderfest, Messe, Dult! Die Luft roch nach vielen Menschen und den Imbiss- und Süßigkeitenbuden mit ihren gebratenen Bockwürsten, gebrannten Mandeln, warmen Lebkuchen, dampfend süßer Zuckerwatte, knusprigem Backfisch, Schokolade in allen Formen, saftigen Hähnchen, frischen Crêpes, dem Kunstrauch, der von den Fahrständen und Karussellen kam und abends manchmal auch leicht nach Schwefel, nachdem ein großes strahlend buntes Feuerwerk stattgefunden hatte.
In diese ständig wechselnde Welt, die so bunt war, so farbenfroh und für Kinder wie junge Erwachsene voller Magie, Faszination und Freiheit war er hineingeboren. Alfons. Er gehörte zu denjenigen Kindern, die nicht fort vom Rummel wollten. Es war für ihn auch bisher nicht vorstellbar. Er hatte seinen Platz. Seine Familie lebte hier und er bei ihr. Alfons war mittlerweile schon 28 Jahre alt und rein äußerlich ein etwa 1,80 Meter großer junger Mann von insgesamt eher hagerer Statur mit dunklem Haar, blauen, treu drein blickenden Augen, die ein bisschen tief in den Augenhöhlen saßen, sowie einem dichten, dunklen Drei-Tage-Bart, der sein leicht gebräuntes Gesicht abschloss. Er hatte noch zwei Geschwister, einen älteren Bruder sowie eine ältere Schwester. Sein Bruder hatte ihn früher, als sie noch klein waren, öfter geärgert und ihm Streiche gespielt, da er – wie es seine Mutter auszudrücken pflegte – etwas langsam war. Sofern sie nicht da war, pflegte ihn seine Schwester nach den Streichen und Hänseleien meist wieder zu trösten. Das war lange her, mehr als 10 Jahre. Das wusste er, denn vor genau 10 Jahren war sein Bruder gegangen, um bei einem Autohaus in Süddeutschland anzufangen. Seither sah die Familie ihn nur noch an Feiertagen, über längere Wochenenden, teilweise in seinem Urlaub oder wenn sie gerade in oder in der Nähe seiner Heimatstadt waren. Ähnlich war es Alfons auch mit seiner Schwester ergangen, die als selbstständige Hebamme arbeitete und seit ein paar Jahren verheiratet war.
Deshalb war Alfons nunmehr allein, zusammen mit seinen Eltern. Er wusste nicht viel. Das sah er auch ein. Allerdings konnte ihm niemand bei der Montage des eigenen Karussells etwas vormachen, weshalb er seinem Vater trotz seiner Begriffsstutzigkeit und langsamen Art oft ein fleißiger Helfer war, der mit anpacken konnte. Nur mit dem Lesen, Schreiben und leider auch Rechnen hatte er es nicht sonderlich, weshalb früher noch teilweise seine Schwester und heute nur seine Mutter die Kasse des Fahrgeschäfts übernahmen. Zwar versuchte er diese Dinge während der Fahrten zu üben, aber so sehr er sich dabei auch anstrengte, er benötigte hierfür meist viel Konzentration und Zeit.
Die Stadt, in der sie waren, kannte er ein bisschen, aber nicht sonderlich gut, da sie früher nur selten hier gewesen waren. Wenn es gut lief, fuhren sie meist nicht so weit. Wenn es nicht so gut lief oder eine Stadt ihr Fahrgeschäft nicht mehr zum Rummel zuließ, mussten sie weiter fahren. Ganz blöd war es, wenn – gerade wie im süddeutschen Raum oft nicht unüblich – mehrere Jahrmärkte zu etwa der gleichen Zeit stattfanden. Denn dann konnte man nicht auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen, wie Alfons Vater manchmal zu sagen pflegte.
Hochzeit? - fragte sich Alfons immer wieder. Bisher hatte er noch nie Leute auf einer Kirmes heiraten gesehen, obgleich ihm diese Vorstellung ganz gut gefiel. Könnte es dafür nicht einen besseren Platz geben als die Kirmes? Dort waren viele Leute, die sich freuten, alles war bunt, es gab viele leckere Dinge zu essen und zu trinken. Eigentlich doch kein schlechter Platz für sowas, oder?
Es war bald Mittag. Die Arbeiten am Karussell waren fast fertig, pünktlich, wie immer. Die meisten Handgriffe saßen routiniert. Es musste nur noch die selbst gemalte bunte Verkleidung mit den schicken Bildern hingeschraubt werden. Das übernahm Alfons alleine, da er deutlich schneller darin war als sein Vater und bei dieser für ihn leichten Arbeit trotzdem seinen Gedanken freien Lauf lassen konnte.
Hochzeit… daran dachte er immer wieder. Die bisher Erste, bei der er dabei war, war diejenige seiner Schwester. Die fand zwar nicht auf einem Rummel statt, sondern zuerst in einer Kirche und dann in einem Gasthof, das an ein Hofgut angegliedert war, aber war trotzdem wunderschön. Gern würde er so etwas noch einmal erleben. Gern würde er es auch sein, der selbst heiraten würde. Doch dazu brauchte man – das wusste jedes Kind – eine Frau oder zumindest einmal eine Freundin, die das auch wollte. Die hatte er nicht. Noch nicht. Man sollte ja die Hoffnung bekanntlich nie aufgeben. Für jeden Topf gibt es auch einen Deckel, sagte seine Mutter. – Und das stimmte, bisher hatte er nur überwiegend Pfannen gesehen, die Keinen hatten. Aber egal, er war ein Topf. Und wo kein Deckel war, da konnte ja noch einer kommen. Die Möglichkeit bestand doch, da auf solchen Veranstaltungen durchaus auch viele hübsche junge Frauen anzutreffen waren.
Wie er es aber genau mit dem ersten Ansprechen versuchen sollte, wusste er auch noch nicht so genau. Bisher hatte er das nicht wirklich versucht. Klar war ihm nur, dass es Überwindung kosten würde. Ob es nach einem Bier leichter fallen würde? Wohl kaum – dann auch nicht nach Zwei, Dreien oder gar Vieren. Auch mit „Spezi mit Schaum“ oder einem „scharfen Radler“ hatte er bisher keine so guten Erfahrungen gemacht, da er wusste, dass wenn die Leute zu viel davon tranken, oft laut wurden und allerlei Blödsinn anstellten. Also lieber nicht, denn wenn er das nicht so gern mochte, dann wahrscheinlich auch keine Frau. Tja. In Filmen und auch Märchen hatte er gesehen, dass es zwischen Mann und Frau oft mit Hilfe von Blumen, insbesondere Rosen, klappte. Das war doch sicher keine schlechte Idee?! Die gab es, wenn nicht sogar auf dem Jahrmarkt, dann aber sicher in jeder Stadt.