Antidepressiva Auswahl : Welches Antidepressivum ist richtig für mich

in deutsch •  7 years ago  (edited)

In diesem Beitrag möchte ich Dir einige Kriterien vermitteln nach denen ein Arzt - speziell ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenheilkunde - eine Auswahl von Antidepressiva vornimmt.

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Kriterien für mich als Psychiater bzw. nach den Leitlinien für die Behandlung von Depressionen sind

  • Wirksamkeitsnachweis in Studien
  • Verträglichkeit / Nebenwirkungsprofil der Antidepressiva
  • Therapeutische Sicherheit u.a. bei Überdosierung
  • Vorbehandlungen mit Antidepressiva bzw. früheres Ansprechen auf die Medikation
  • Einfachheit der Einnahme
  • Erfahrungen des Arztes mit der jeweiligen Medikation = Lieblingspräparate des Arztes
  • Schweregrad der Depression bzw. Form der Depressionen
  • Alters des Patienten (z.B. andere Dosis und Präparate bei älteren Menschen)
  • weitere Erkrankungen des Patienten
  • Soll eine Antriebssteigerung oder eher eine beruhigende / schlaffördernde Wirkung erreicht werden ?
  • Wunsch des Patienten = Der Patient hat selbstverständlich das letzte Wort
  • Kosten

Fangen wir also mit Punkt 1 an...

1. Wirksamkeitsnachweis der verfügbaren Antidepressiva

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Natürlich sollte man als Arzt nur Medikamente einsetzen, die sich in wissenschaftlichen Studien als wirksam heraus gestellt haben. Dazu muss man aber wissen, dass die meisten Studien eben als Zulassungsstudien der Pharmaindustrie so gestaltet sind, dass wahrscheinlich auch eine Wirkung beschrieben werden kann, die gegen eine Kontrollgruppe mit einem Scheinmedikamente (Placebo) überlegen ist.

Das heisst aber noch lange nicht, dass es dann in der alltäglichen Anwendung bei Patienten in der alltäglichen Routine ebenso ist.

Grundsätzlich gilt schon, dass die relativ neu zugelassenen modernen Antidepressiva bei mittelschweren bis schweren Formen der Depression eine gute Wirksamkeit haben.

Was man aber nun unter Wirkung definiert, kann sehr unterschiedlich sein :

  • Besserung der klinischen Symptomatik (gemessen anhand von Symptom- / Beschwerdeskalen)
  • Subjektive Einschätzung des Patienten und / oder seiner Angehörigen (Fremdbeurteilung)
  • Rückfall-Verhinderung (d.h. tritt eine erneute depressive Episode auf ?)

Sehr vereinfacht ausgedrückt : Die heute gebräuchlichen Antidepressiva sind wirksam , wenn es sich um

  • eine mindestens mittelschwere depressive Episode handelt (also nicht unbedingt bei leichten Depressionen)
  • können besonders bei familiär gehäuften Formen der Depressionen helfen
  • können bei wiederholten (= rezidivierenden) Depressionen gut helfen
  • vermindern bei wiederkehrenden Depressionen die Rückfallgefahr

Daneben setzen gerade Hausärzte Antidepressiva ein, wenn eine akute Krise bzw. beispielsweise Symptome bestehen wie

  • Schlafstörungen
  • innere Unruhe und Ängste oder
  • chronische Schmerzen (also als Schmerzmodulator, weniger als Antidepressivum)
  • Zwänge

Hier wird nicht immer ein gezielter antidepressiver Effekt der Medikamente sondern eher ein Teilaspekt der Wirkung oder sogar eher Nebenwirkungen wie z.B. Müdigkeit ausgenutzt.
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Weit weniger gut wirken werden die Antidepressiva aber bei

  • sehr unspezifischen Beschwerden, die eher durch äußere Einflüsse wie berufliche Problemlagen, Arbeitslosigkeit etc chronischer bestehen
  • wenn zu niedrige Dosierungen gewählt werden (dann hat man Nebenwirkungen, aber keine Wirkung)
  • wenn die Antidepressiva gar nicht genommen werden...

Grundsätzlich kann man dann einen Behandlungsversuch machen. Aus meiner Sicht SOLLTE man das auch machen, dann aber klare Zielsymptome und Erwartungen klären und die Behandlung auch so gestalten, dass man nach einer ausreichend langen (und ausreichend hoch dosierten) Medikation mit Antidepressiva dann die Antidepressiva wieder absetzen, wenn sich nicht der erwünschte Behandlungseffekt einstellt.

Dann wären nicht-medikamentöse Behandlungsangebote zu prüfen.

Fazit hier zur Wirksamkeit von Antidepressiva :
Grundsätzlich wirken alle heute gebräuchlichen Antidepressiva in etwa gleich gut (oder gleich schlecht). Sie sind besser als KEINE Behandlung, wenn die Indikation für die Behandlung korrekt gestellt ist. Dies setzt aber eine gute Betreuung durch den behandelnden Arzt / Psychiater voraus.

Fortsetzung folgt umgehend...

Dieser Blogbeitrag habe ich für mein mehrsprachiges Frage-Antworten-Portal Web4health.info/de geschrieben. Dort zählen Fragen zu Antidepressiva zu den häufig gestellten Fragen der Leserinnen und Leser.

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Gerade bei extremer Antriebsschwäche halte ich (aus Betroffenensicht) Antidepressiva für sehr hilfreich. Allerdings sind die Nebenwirkungen - vor allem Müdigkeit und Gewichtszunahme - für die allgemeine Lebensqualität nicht sehr förderlich.

Na ja. Die AD unterscheiden sich ja gerade hinsichtlich der Nebenwirkungen. Bei Antriebsschwäche muss man natürlich eher antriebssteigernde Medikamente wählen. Bzw. neutrale wie SSRI oder Elontril. Nicht aber sedierende Sachen wie z.B. Mirtazapin oder die älteren tricyclischen Antidepressiva. Die machen müde und fett, das stimmt.

Ja, Elontril ist ein wahrer Muntermacher. ;) Wirkt auch bei AD(H)S, nur nicht dafür in Deutschland zugelassen.

Ja, Buproprion (Elontril) ist auch bei ADHS-Klienten ziemlich gefragt. Oder zur Raucherentwöhnung. Ich selber verordne es aber trotzdem irgendwie nicht so gerne bei ADHS. Wenn schon, denn schon Stimulanzien... Aber immerhin kann es eine Alternative sein, wenn Stimulanzien halt mal nicht in Frage kommen.

Ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen, mich auszukennen, klinische Befunde zu kennen und um ehrlich zu sein, nämlich Deinen Beitrag lediglich überflogen zu haben...
Ich meine, dass eines der besten und kostengünstigsten Antidepressiva immer noch gute Freunde sind oder eine gute Gesellschaft ist, mit denen/der man zusammen etwas unternehmen kann, die ungezwungen ist und wo man so sein kann wie man eben ist...

Auch wenn in schlimmen Fällen natürlich viele Gründe nicht gegen eine medikamentöse Unterstützung sprechen.

Oh wie war. Ich bin ja Psychotherapeut. Es ändert nur nichts daran, dass ich meinen Patienten auch fair in die Augen sehen möchte. Und sie über die VERSCHIEDENEN Therapiemethoden aufklären will. U.a. eben auch über die Antidepressiva, die wir zur Verfügung haben.

Das beste Antidepressivum wäre wohl

  • Aufmerksamkeit von positiven Menschen in deiner Umgebung
  • Bewegung (am besten in der Natur)
  • Sinnhaftigkeit
  • Dankbarkeit erleben und spenden
    und noch so einige andere Dinge...