In meiner Arbeit in einer führenden Strategieberatung habe ich viel über das Anfertigen von Analysen gelernt. Gerade in den ersten Monaten und Jahren eurer beruflichen Laufbahn werdet ihr euch oft in Situationen wiederfinden, in denen ihr Analysen zu vorgegebenen Themengebieten durchführen müsst. Mit einer Analyse ist hier im weiteren Sinne jede Auswertung von Daten oder anderen qualitativen Informationen gemeint, um eine unternehmerische Fragestellung besser zu verstehen.
Üblicherweise wird euer Vorgesetzter auf euch zukommen, um euch einen Arbeitsauftrag zu geben. Er wird euch sagen, welche Daten ihr dafür am besten auswertet und welche Analysen durchzuführen sind. Der typische Berufseinsteiger wird diese Anweisungen streng abarbeiten und dem Vorgesetzten das Ergebnis daraufhin zuschicken.
Dieses Vorgehen ist jedoch oft nicht optimal. Es ist wahrscheinlich, dass euer Vorgesetzter zwar eine konkrete Fragestellung im Kopf hat, sich jedoch nicht detailliert damit auseinandergesetzt hat welche Daten vorliegen und wie sie für die Beantwortung der Frage herangezogen werden können.
Wenn ihr die Anweisungen des Vorgesetzten bezüglich der Analyse streng befolgt, werdet ihr oft nicht die beste Antwort auf die Fragestellung finden oder manchmal zu Schlüssen kommen, die schlicht unsinnig sind.
Eine (vermeintlich) einfache Aufgabe
Ihr seid noch nicht überzeugt? Denkt als Beispiel über dieses Szenario nach, das an eine echte Begebenheit angelehnt ist:
Euer Vorgesetzter bittet euch, auszuwerten, mit welchen Kunden euer Unternehmen negative Deckungsbeiträge erwirtschaftet und herauszufinden, mit welchen 20 Kunden euer Unternehmen am meisten Geld verliert. Er gibt euch dafür eine Excel-Tabelle mit Daten des Unternehmens, um die Deckungsbeiträge für alle Kunden entsprechend zu ermitteln.
Ihr wertet die Tabelle aus und schickt dem Vorgesetzten die gewünschte Liste der 20 Kunden aus der Tabelle mit den negativsten Werten. Soweit so gut, Auftrag erfüllt - oder?
Stopp – Vermutlich habt ihr einen Fehler gemacht!
Aus den folgenden Gründen könnte eure Analyse für euren Chef wertlos sein (Liste ist nicht vollständig):
- Die Tabelle enthält möglicherweise Kundeninformationen über Tochterunternehmen der eigenen Gesellschaft. Leistungen für diese Tochterunternehmen wurden vermutlich zu günstigen internen Transferpreisen abgerechnet. Unter den 20 Kunden mit den negativsten Deckungsbeiträgen werden dann diese Tochterunternehmen auftauchen. Eine solche "Profitabilitätsbetrachtung" ist bei Tochterunternehmen jedoch unüblich, die festgesetzten Preise dienen oft der Steueroptimierung. Eurem Vorgesetzten ging es deswegen voraussichtlich nur um externe Kunden. Wenn eure Liste überwiegend Tochterunternehmen enthält, ist sie für ihn wertlos.
- Eine solche Tabelle ist üblicherweise nach den verschiedenen Gesellschaften aufgegliedert, denen euer Unternehmen eine Rechnung stellt (Debitorensicht). Moderne Konzerne bestehen jedoch oft aus vielen rechtlich unabhängigen Gesellschaften. Zu Bayer AG gehören beispielsweise die Bayer CropScience AG, Covestro AG oder die Bayer HealthCare AG. Ziel der Analyse wird gewesen sein, Kunden zu identifizieren, mit denen das eigene Unternehmen insgesamt kein Geld verdient. Wenn nun aber der Handel mit einer der Teilgesellschaften einen stark positiven Deckungsbeitrag und der Handel mit einer anderen Teilgesellschaft einen negativen Deckungsbeitrag aufweist ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen den Gesellschaften zu verstehen, bevor man Schlüsse daraus zieht. Dies wird euer Chef anhand eurer Tabelle nicht können.
- Wichtig ist auch zu verstehen, auf welche Umsatz- und Deckungsbeitragszahlen genau ihr schaut. Oft enthalten solche Tabellen keine nachträglichen Rückvergütungen wie jährliche Kickback-Zahlungen wenn der Kunde ein bestimmtes jährliches Volumen erreicht hat (z.B. eine Vereinbarung, dass der Kunde 3% auf alle gezahlten Beträge zurückerhält wenn sein Geschäftsvolumen am Ende des Jahres 5 Millionen EUR überschreitet). Solche Vereinbarungen wurden möglicherweise nur mit einzelnen, großen Kunden getroffen. Lässt man diese Rückzahlungen außen vor, könnte sich die Profitabilität des Kunden deutlich höher darstellen als sie eigentlich ist. Das Ergebnis eurer Analyse wäre dann verzerrt.
Wie ihr seht kann schon eine vermeintlich einfache Aufgabe mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet sein. Über diese Dinge gar nicht nachzudenken und einfach nur die Anweisung des Vorgesetzten zu befolgen wird regelmäßig dazu führen, dass die Arbeit sich später für den Vorgesetzten als wertlos herausstellt.
Ihr werdet auch oft feststellen, dass der Vorgesetzte diese Dinge am Anfang eben noch nicht bedacht hat, als er euch sagte, ihr sollt die Tabelle auswerten. Ein guter Berufsanfänger fällt dadurch auf, dass er die ihm vorgelegte Aufgabe selbstständig hinterfragt und nötige Anpassungen vornimmt.
Wenn ihr in Zukunft mit einer solchen Bitte um eine Analyse konfrontiert werden, können euch die folgenden drei Hinweise helfen, einen guten und konstruktiven Beitrag zur Problemlösung zu liefern:
Versteht die Fragestellung
Stellt zunächst sicher, dass ihr nicht nur die Arbeitsanweisung verstanden habt, sondern auch den Grund, warum euer Vorgesetzter euch darum bittet. Was ist das Motiv des Vorgesetzten, wenn er euch beispielsweise anweist, die Deckungsbeiträge der Kunden auszuwerten?
Wenn ihr nicht versteht, was die zu Grunde liegende Frage ist, wird es euch auch schwer fallen, die richtigen Antworten zu geben. Hakt immer bei eurem Vorgesetzten nach bis ihr genau versteht, was der Grund für die Analyse ist.
Sucht nach den richtigen Daten
Gebt euch nicht mit dem ersten Hinweis zufrieden, welche Datenquelle ihr für die Analyse verwenden könnt. Hinterfragt für euch, was die optimale Datenbasis wäre, um die Fragestellung zu beantworten, und fragt euch ob die Daten, die euch dafür bisher vorliegen, gut genug sind.
Wenn ihr Fragen habt oder nicht sicher seid, welche Dinge genau in den Daten berücksichtigt sind, versucht möglichst direkt mit den zuständigen Personen der Fachabteilungen (z.B. Controlling) zu reden. Nehmt nicht einfach an, dass die Daten schon gut sein werden, sondern hinterfragt das kritisch und lasst es euch bestätigen.
Wenn ihr auf diese Weise bessere Daten erhaltet, um die zu Grunde liegende Fragestellung zu beantworten, verwendet diese stattdessen (ggf. nach kurzer Rücksprache mit dem Vorgesetzten).
Arbeitet die Kernergebnisse heraus
Ihr habt intensiv gearbeitet und seid zu einem Ergebnis gekommen. Jetzt ist es an der Zeit, das Ergebnis dem Chef zu kommunizieren. Dies geschieht üblicherweise, indem ihr die Analysedatei an den Chef sendet. Macht hier nicht den Fehler, einfach nur eure Tabelle an eine E-Mail anzuhängen und sie mit einer Grußformel an den Vorgesetzten zu senden. Niemand hat Lust sich erstmal in Excel-Tabellen einzuarbeiten, um eine Schlussfolgerung ziehen zu können.
Verfasst eure E-Mail so, dass ihr in Stichpunkten die Kernergebnisse in Bezug auf die Fragestellung zusammenfasst. Gebt euch dabei Mühe - euer Vorgesetzter sollte die zentralen Aussagen erfassen können, ohne einen Blick in die Tabelle werfen zu müssen. Auf diese Weise stellt ihr sicher, dass euer Vorgesetzter die Ergebnisse mühelos und schnell zur Kenntnis nehmen kann.
Gerade am Anfang des Berufslebens ist das Erstellen einer guten Analyse nicht immer einfach. Beherzigt diese wichtigen Ratschläge und ihr werdet erfolgreich sein. Welche Erfahrungen habt ihr schon mit dem Anfertigen von Analysen gemacht?
Wieder einmal sehr informativ und hilfreich !
Weiter so :)
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Das freut mich, dankeschön! LG
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit