Ist eine anti-autoritäre Allianz möglich? - Interview mit Keith Preston (Teil 2)

in deutsch •  7 years ago 

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Keith Preston ist ein Blogger aus den USA, der politisch nicht leicht einzuordnen ist. Einerseits verortet er sich links von Karl Marx, andererseits hält er Reden vor dem identitären „National Policy Institute“. In seinem Buch „Attack The System – A New Anarchist Perspective For The 21st Century“ plädiert er für einen neuen anti-etatistischen Weg, welcher der Vielfalt von staatskritischen Strömungen Rechnung trägt, und positioniert sich klar gegenüber der gleichmacherischen Linken mitsamt ihrer politischen Korrektheit und ihrem „totalitären Humanismus“. Er betreibt die Webseite AttackTheSystem.com, welche dabei helfen soll, verschiedene anti-autoritäre Strömungen zu einer gemeinsamen Bewegung zu vereinen.

Wer den ersten Teil des Interviews verpasst hat, kann ihn hier nachlesen.

9 - Was ist Ihre persönliche Kritik an der Moderne?

Die Moderne ist ein Zivilisationsmodell, in dem traditionelle Institutionen größtenteils beseitigt und durch die Dominanz eines kalten Staates ersetzt wurden, welcher unabhängig von seinem Personal herrscht. Die Merkmale der Moderne sind die öffentliche Verwaltung, die Massengesellschaft, welche von Masseninstitutionen und -organisationen dominiert wird, die Hegemonie wirtschaftlicher Werte, die Bestimmung des sozialen Status durch das, was Thorstein Veblen „Statuskonsum“ nannte, die Kombination von Technologie und einem religiösen Glauben an die Wissenschaft, ein therapeutischer Egalitarismus, welcher den Traditionalismus als Fundament der Zivilgesellschaft langsam aber sicher ersetzt, ausgeklügelte Propagandasysteme, welche von den Massenmedien und der Werbeindustrie eingesetzt werden, der Aufstieg einer Kulturindustrie, das langsame Verschwinden der zwischen den Menschen und dem Staat stehenden Institutionen, atomarer Individualismus sowie die Aushöhlung der individuellen Identität abseits von Kollektiven wie dem Staatsbürger, dem Arbeiter und dem Konsumenten. Die Moderne ist in ihrer Essenz eine Kopie des Feudalismus, nur das unsere Gesellschaft heute durch Wirtschaft und Technologie angetrieben wird und die Bürokratie die Rolle des Grundherrn einnimmt.

10 - Sie pflegen Kontakt zu allen anarchistischen Lagern, weigern sich aber, sich jenseits des „Anarchismus ohne Adjektive“ einzuordnen. Welche Kritik würden Sie speziell am Anarchokapitalismus äußern?

Anarchokapitalismus spiegelt den Anarchokommunismus insofern, als dass beide Gefahr laufen, eine neue plutokratische Herrschaft einzuläuten. Diese Kritik übe ich an nahezu allen anarchistischen Denkrichtungen, von Anarchoprimitivismus bis zum Anarchotranshumanismus. Beispielsweise bin ich weder Österreicher noch Marxist, wenn es um Wirtschaft geht, sondern picke mir die besten Ideen aus verschiedenen ökonomischen Traditionen heraus. Das mag gelegentlich marxistische oder österreichische Gedanken beinhalten, aber nicht in höherem Maße als beispielsweise Denkanstöße aus der Verhaltens- oder Institutionenökonomik. Es ist notwendig, dass wir Herrschaftssysteme, wann immer sie auftreten, in verschiedenen Zusammenhängen kritisieren können, sei es politisch, ökonomisch oder sozial. In dieser Hinsicht bin ich stark von der Elitesoziologie beeinflusst, ebenso wie von einer Reihe von Machtkritikern wie Bertrand Russell oder Michel Foucault.

11 - Worin ist Ihr Anarchismus begründet? Utilitarismus? Dem Selbsteigentum am eigenen Körper?

Ich bin weder Utilitarist noch bin ich ein Anhänger vom Konzept des Selbsteigentums am eigenen Körper, welches von Lockes Naturrecht abgeleitet ist. Ich sehe diese Gedanken als einen Teil des englischen Liberalismus, welcher zwar eine nette Idee ist, jedoch keine universellen Gedanken repräsentiert. Stattdessen betrachte ich die Philosophie des Anarchismus als einen intellektuellen Weg, der im Westen bis zu Zeno und Diogenes, im Osten bis Zhuang Zhou und Lao-Tse zurückverfolgt werden kann und Vorläufer in allen möglichen eingeborenen, traditionellen und vormodernen Gesellschaften hat. Zu einer modernen intellektuellen Bewegung wurde der Anarchismus zur Zeit der Aufklärung, als er einen linken und einen rechten Flügel ebenso hatte wie viele verschiedene, ihm nahe stehende Denkschulen, und aus dieser Situation heraus entwickelt er sich und nimmt mit der Zeit neue Formen an. Anarchismus kann Dorothy Day oder Ivan Illich sein, es kann die Situationistische Internationale oder die anarchistische Trinkbrigade aus Boston sein. Wir müssen uns diesbezüglich von einheitlichen Vorstellungen trennen und uns in die Richtung pluralistischer Modelle entwickeln.

12 - Sagen wir einmal, Sie könnten den freiheitsliebenden Lesern dieses Interviews einen Denker nennen, der sie dazu zwingen würde, ihre Prämissen zu überdenken. Welcher wäre das?

Der Denker, den ich empfehlen würde, würde von der politischen oder kulturellen Orientierung meines Gesprächspartner abhängen. Eher links stehenden Personen würde ich zur Lektüre von Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ oder Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ raten. Koestlers Werk legt das unterdrückerische Erbe dar, das angeblich „fortschrittliche“ Regierungen in der Geschichte angehäuft haben. Schmitt stellt utopische Illusionen dadurch infrage, dass er sie mit einem kompromisslosen Realismus konfrontiert. Linke jedweder Art haben die schlechte Angewohnheit, zu glauben, dass nur Konservative und Reaktionäre Tyrannen sein können. Für jemanden, der eher rechts steht, würde ich Peter Gays „Die Moderne“ oder Stefan Zweigs „Castellio gegen Calvin“ empfehlen. Rechte haben in der Regel die schlechte Angewohnheit, die Vergangenheit zu glorifizieren und sie als etwas besseres darzustellen, als sie es tatsächlich war. In Wirklichkeit ist die Vergangenheit oft ziemlich bescheiden gewesen. Ein Denker, den ich sowohl Linken als auch Rechten ans Herz legen würde, wäre Thomas Szasz, ein nonkonformer Psychiater, der eine klassisch-liberale Kritik an dem therapeutischen Staat der Moderne formulierte.

13 - Wer ist Ihr Lieblingsanarchist und warum?

Ich kann nicht sagen, dass ich einen Lieblingsanarchisten habe. Ich bin von zu vielen Denkern der anarchistischen Tradition beeinflusst, als dass ich einen nennen könnte, der heraussticht. Philosophisch gesehen bin ich Stirner am nächsten. Im Bereich der Wirtschaft bin ich nah bei Proudhon. Ich weiß Bakunin aufgrund seiner Klassenanalyse, insbesondere seiner Ausführungen zum Lumpenproletariat, zu schätzen, und achte ihn als Strategen und Marxismuskritiker. Kropotkins Analyse der historischen Staatsentwicklung ähnelt der meinen. Ich hege große Sympathie für die individualanarchistische Tradition aus Amerika. Auch die Organisation der spanischen Anarchisten verdient unsere Aufmerksamkeit. Es gibt einen englischen Anarchisten und Schriftsteller namens Peter Marshall, der eine umfangreiche Geschichte des Anarchismus niedergeschrieben hat und dessen Geschichtsverlauf sehr stark demjenigen ähnelt, den ich stets beschreibe. Müsste ich jedoch eine der bekannteren Personen aus der Geschichte auswählen, so wäre es vermutlich Voltairine de Cleyre, deren Idee des „Anarchismus ohne Adjektive“ meinem persönlichen Anarchismus sehr nahe kommt. Eine andere Tradition, die ich bewundere, ist der Panarchismus, welcher zuerst von Paul Emile de Puydt formuliert wurde und dessen bekanntester Vertreter heute John Zube ist. Ebenso bin ich froh über die fortdauernde Vermehrung durch neue Formen des Anarchismus und die Fusion von anarchistischen Ideen mit solchen, die aus einer Vielzahl anderer Denktraditionen stammen. Beispiele für dieses Zusammenspiel wären Öko-Anarchismus, Christlicher Anarchismus, Schwarzer Anarchismus, Nationalanarchismus, Islamischer Anarchismus und Anarchafeminismus.

14 - Ich würde das Interview gerne mit jenen Worten beenden, die Sie Ihrem Buch vorangestellt haben: „Allen Staatsfeinden, wer und wo immer sie sein mögen“. Irgendwelche Einwände?

Keineswegs. Ich denke, dass das eine exzellente Art ist, eine Aussage oder ein Gespräch zu beenden.

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Na das ist doch mal ein Interview wo man noch was lernen kann :)
Danke fürs Übersetzen!

Und fürs Führen! ;) Hatte das Interview ursprünglich an eigentümlich frei gesandt, wo man es nicht haben wollte. Daher kommt ihr Steemians in den Genuss.

Hi! I am a robot. I just upvoted you! I found similar content that readers might be interested in:
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Korrekt, kleiner Mann.