Steem, Anarchie und das NullsummenspielsteemCreated with Sketch.

in deutsch •  8 years ago  (edited)

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Ein kleiner Gedankenexkurs in Wirtschaft, Märkte, Nullsummendenken, Positivsummendenken, Anarchie und was zum Teufel das mit Steem zu tun hat.

Inspiriert wurde dieser Artikel durch einem Artikel von @dantheman über den Grund warum er @ozchartart flagged und einem Artikel von Alexander Fink

Einige Begriffsklärungen zuerst, damit klar wird wovon ich spreche:

"Nullsummenspiel" ist die weit verbreitete Annahme, dass nur jemand gewinnen kann, wenn ein anderer dabei verliert. Diese Gedankenwelt wird uns von frühester Jugend einzementiert und nur durch Erfahrung und Ausbildung können wir uns davon befreien. Wenn wir zusammen etwas spielen, sei es ein Kartenspiel, ein Computerspiel oder das allseits beliebte Monopoly, aber auch im Sport dann gibt es Gewinner und Verlierer. Jemanden der besser ist, jemand der mehr Glück hatte, bessere Ausrüstung, mehr Ressourcen, eine bessere Startposition. Diese Betrachtungsweise setzt sich in fast allen Bereichen fort. Auf den ersten Blick ist dies sehr nachvollziehbar und ich schätze mindestens 95% der Menschen würden die Welt auf ein Nullsummenspiel reduzieren.

Das Gegenteil: Positivsummenspiel
Wenn wir nun etwas tiefer eintauchen und wieder beim Spielen beginnen, stellen wir fest, dass wir meist freiwillig spielen. Das offensichtliche Ziel ist natürlich für die meisten zu "gewinnen". Das weniger beachtete Ziel ist zu "sozialisieren", also Zeit miteinander zu verbringen, Anerkennung zu erfahren, zu lernen mit dem Gefühl zurecht zu kommen zu verlieren und abhängig von Geschick und Glück auch mal das Gefühl des Gewinnens zu genießen. Im Sport wird es offensichtlicher. Bei Olympia heißt es "Dabei sein ist alles". Natürlich ist eine olympische Medaille die Krönung einer Teilnahme, aber alleine die Teilnahme ist für viele schon "Lohn" genug. Im Positivsummenspiel hat jeder etwas davon, der freiwillig teilnimmt, auch wenn er nicht als "Gewinner" aus der Teilnahme hervorgeht. Oder andersrum: Jede Entscheidung die ein Mensch trifft hat als Ziel die Verbesserung der eigenen Situation oder der Situation der Gruppe der man sich zugehörig oder verpflichtet fühlt.

Der Unterschied der beiden ist zu weiten Teilen basierend auf Wahrnehmung und Blickwinkel, sie resultieren aber in völlig unterschiedliche Handlungen und Gefühle.

Was passiert auf psychologischer Ebene?

Jemand der die Welt als Nullsummenspiel betrachtet wird dazu tendieren Regeln zu fordern die möglichst gleiche Abläufe, bzw. Resultate für alle ermöglichen. Dies wird in der Regel als "Chancengleichheit" bezeichnet und sieht auf den ersten Blick fair und "gut" aus. Im Gegensatz dazu wird jemand der die Welt als Positivsummenspiel betrachtet seine Ausgangssituation analysieren und nach Verbesserung seiner Chancen suchen, er wird innerhalb der gegebenen Möglichkeiten nach Wegen der Situationsverbesserung suchen, natürlich zuerst für sich, in letzter Konsequenz aber für alle. Dieses Suchen und vor allem das Finden solcher Möglichkeiten sieht auf den ersten Blick unfair aus und wird von vielen damit als "böse" wahrgenommen.

Beispiel Wirtschaftsmärkte

Reduziert man Abläufe in der Wirtschaft auf ein Minimum, bleibt in etwa folgendes übrig: Person A hat etwas (X) was Person B benötigt. Person A ist gewillt X an B zu übergeben, wenn er dafür Y erhält.
Dies wird A genau aus zwei Gründen tun. Freiwillig oder unter Zwang. In die Platzhalter kann man quasi beliebig einfügen was der Markt anbietet. A hat Holz, B braucht Holz. A gibt B das Holz für einen Geldbetrag. A hat Arbeitskraft, B braucht Arbeitskraft. A stellt B seine Arbeitskraft für Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung. (JA auch Arbeitskraft ist ein "Rohstoff")

Ich lasse an dieser Stelle mal offen, wie Eigentum zustande kommt und lasse die Definition davon offen. Trotzdem gehe ich weiter davon aus, dass es so etwas wie Eigentum gibt (Eine Klärung bedarf wohl mehrerer Bücher)

Meine These ist nun folgende:

A wird an B nur dann X übergeben, wenn er darin einen Vorteil sieht, also für A die Ware Y mehr wert ist als X. Und B wird nur dann Y gegen X tauschen, wenn dieser auch X mehr benötigt als Y

Selbst wenn Zwang oder Gewalt ausgeübt wird stimmt die These noch, da in dem Fall A seine Gesundheit oder sein Leben höher schätzt als X. Sowohl A als auf B werden versuchen den idealen Weg zu finden um Ihren Teil so "gut wie möglich" an den Mann zu bringen. Möglichst schnell arbeiten, möglichst sauber arbeiten, möglichst gute Qualität oder möglichst guten Preis bei minderer Qualität etc. Es wird zwangsläufig ein Gleichgewicht entstehen aus Angebot und Nachfrage bzw. Qualität und Preis. Damit ist Positivsummenspiel produktiv. Dieses Gleichgewicht wird gestört durch Regulierungen, Zwang, Gewalt und mangelnde/fehlende Informationen, also Resultaten des Nullsummenspielgedankens. Damit ist das Nullsummenspiel contra produktiv.

Fließende Übergänge

Nachdem genau dieser Prozess täglich milliardenfach abläuft ist es natürlich ein leichtes unzählige Situationen auszumachen in denen einer von beiden Parteien (vor allem hinterher) eine gewisse Reue über gemachte Entscheidungen empfindet. Je länger die Bindung / Folgen einer Entscheidung, desto wahrscheinlicher diese Reue. Damit ist subjektiv das Nullsummenspiel offensichtlicher, aber oft ist es nur basierend auf der Perspektive ob eine Situation ein Nullsummenspiel oder ein Positivsummenspiel ist. Mit etwas Distanz wird jede freiwillige menschliche Interaktion vom Nullsummenspiel zum Positivsummenspiel.

Warum reite ich so darauf herum?

Ich lehne mich nun ziemlich weit aus dem Fenster und behaupte dass JEDE Einmischung in freiwillige (also zwanglose) menschliche Interaktion zu einer Veränderung von produktivem Positivsummenspiel in Richtung contra produktivem Nullsummenspiel resultiert. Dieser Gedanke brachte mich über viele Umwege zur Anarchie. Aus meinem Blickwinkel heraus ist dies die einzige langfristig funktionierende Basis für menschliches Zusammenleben. Nur ein Gedanke dazu: Anarchie bedeutet für mich nicht Regellosigkeit, sondern Führerlosigkeit. Toleranz, soziales Handeln und all die anderen Tugenden können (und dürfen) nicht erzwungen werden. Dieser Unterschied ist für mich genau der Unterschied zwischen Nullsumme und Positivsumme.

Was hat das nun mit Anarchie und Steemit zu tun?

Als selbsterklärter Anarchist ist Steem ein gewaltiger Schritt in eine Richtung, die ich sehr befürworte. Jeder kann frei und zwanglos der freien Rede huldigen und versuchen alleine oder in Gruppen das bestmögliche Resultat für sich oder die Gruppe zu erreichen. Ein echter freier Markt, wenn auch derzeit noch ein SEHR kleiner. HURRA!
Es gibt Basisregeln ähnlich der "Naturgesetze". Man kann upvoten, man kann downvoten, die Gewichtung ist abhängig von verschiedenen Dingen. Ein Artikel muss aus einer Überschrift einem Text oder Bildteil und maximal 5 hashtags bestehen. Löschen und Verändern ist unter bestimmten Bedingungen möglich, bleibt aber sichtbar, bzw. nachvollziehbar. Und vieles mehr. Innerhalb dieser "Gesetze" ist es nun möglich sich "frei" zu bewegen.

Je nach Qualität, Sichtbarkeit, Timing, Vernetzung und vielen anderen Aspekten "verdient" dann ein Artikel Steem und Aufmerksamkeit. Keiner zwingt irgendjemanden dazu etwas zu schreiben. Wir befinden uns also in einem freiwilligen Markt, einer Suche nach der idealen Balance zwischen Zeitaufwand, Ideen, Kreativität und Verdienst (der auch nur aus Aufmerksamkeit bestehen kann).

Steem und die Blockchain dahinter ist für mich die reinste Form des Positivsummenspiels die ich bisher gefunden habe.

Nun beobachte ich aber seit einiger Zeit, wie viele Menschen Reue empfinden über die investierte Zeit in Steemit, sich über unfaire Verteilung beklagen, laut Zensur schreien, wenn etwas mit einer "flag" versehen wurde. Es wird geschimpft dass NSFW Inhalte gezeigt werden und es wird geschimpft dass sie verborgen wurden etc. Wir haben das alle mitbekommen. In diesem Fall durchgesetzt hat sich eine hervorragende Lösung und daraus entstand eine neue Grundregel (keine NSFW Bilder im Titelbild und die Möglichkeit von Anzeigeoptionen bei NSFW Beiträgen). Ich finde das wurde hervorragend gelöst. Die gerechter empfundene Verteilung findet durch Gilden, Trails und Votinggemeinschaften statt. Freiwillig! Hervorragend!

Der Bezug zum Artikel von @dantheman über @ozchartart?

Im ersten Moment war ich nun irritiert über die Dauerflags von Dan gegen OZ. Oz hat doch nach allen gegebenen "Regeln" gespielt, war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hat die richtigen Kontakte und profitiert nun davon. Kein Grund für Neid.

ABER (Achtung Metapher)

Oz und seine Kumpels baden im übertragenen Sinne zusammen mit uns allen in einem Pool. Dan und viele andere wollen schwimmen, Oz will mit seinen Kumpels die Rutsche verwenden. Damit die Rutsche schön geschmeidig bleibt, nimmt jeder immer einen Becher aus dem Pool mit und kippt den über die Rutsche dabei tropft einiges daneben und viel verdunstet, das wenigste fließt zurück in den Pool. Das geht eine Weile gut aber das Wasser wird immer weniger im Pool. Dan als Bademeister sorgt nun dafür, dass nicht mehr so viel Wasser aus dem Pool herausgeholt wird und diejenigen, die schwimmen wollen weiter schwimmen können. Das macht für die Rutscher natürlich deutlich weniger Spass. Zuletzt muss Dan (und der Rest von uns) für sich entscheiden, wen er lieber in seinem Pool haben möchte, jemand, der den Pool recht kurzfristig leer macht und dabei eine Menge Spass hat, oder aber diejenigen, die langfristig den Pool verwenden wollen und dafür sorgen dass er sauber und voll bleibt. Durch die Machtposition in der sich Dan befindet fühlte sich seine Handlung für mich als erstes nicht richtig an, beinahe wie Intervention oder Zensur.

Letztendlich gehört diese Entscheidung aber ohne Frage zur Findung der Balance auf einem freien Markt.

Die Brücke zu meiner These:

@ozcharart hat alles richtig gemacht. @dan aber auch. Zwei konträre Einstellungen, bzw. Bedürfnisse oder besser zusammengefasst Ziele kollidieren auf einem freien Markt und die involvierten Marktteilnehmer reagieren mit den zur Verfügung stehenden Mitteln darauf. Am Ende steht ein Wert (reward) einem Produkt(steemit-Artikel) gegenüber und OZ muss sich überlegen ob er zu diesen Konditionen weiter "produziert" oder ob er seine Strategie dem Markt anpasst.

Fazit

Ich denke Dan hat sich seine Entscheidung sicher nicht leicht gemacht, dennoch scheint es für Ihn die sinnvollste Handlung innerhalb der gegebenen Möglichkeiten zu sein OZ mit den flags weitere hohe Auszahlungen zu verweigern. Oz hat in den letzten Wochen ordentlich profitiert und jedes Recht dazu, seine verdienten Früchte auch zu ernten, also seine SBD auszuzahlen. Es ist völlig unnötig hier Partei zu ergreifen, es ist nur nötig ganz persönliche Verhaltensschlüsse aus der Situation zu ziehen.

Ganz persönlich möchte ich weiterhin Steemit nutzen und hier nur im äußersten Notfall die angehäuften Steem auszahlen, einfach weil auf diese Weise das (noch) Microsystem "Steem" weiter funktioniert und vielleicht auch wieder wächst. Derzeit schrumpft Steemit nämlich nur, da keine "Werte" ins System kommen, sondern nur hinaus fließen. Ich habe bereits vor langer Zeit damit angefangen darauf zu achten mit meinen (irrelevanten) votes eher 100% powerup posts zu voten und regelmäßige Auszahler eher nicht zu voten. Dies ist aber eine ganz persönliche Entscheidung, die sich für mich richtig anfühlt.
Lasst uns bitte gemeinsam darauf achten, dass Steemit ein Positivsummenspiel bleibt und nicht zu einem Nullsummenspiel verkommt. Das bedeutet mit den gegebenen Möglichkeiten und Werkzeugen kreative Lösungen zu finden und nicht Regulierungen für mehr Fairness zu fordern.

Über jegliches Feedback und Eure Gedanken würde ich mich freuen!

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@pollux.one

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als für mich zumindest klingt das sehr ein (und auch erleuchtend) gefällt mir richtig gut!!

Dankeschön, hab versucht mir mal Mühe zu geben ;-)

das ist zu merken! alles gut gemacht!

Hammer Artikel. Respekt :-)
Inhaltlich 1 A und eine wirklich gute Analyse der kompletten, komplexen Situation. Resteemed :-)

Vielen Dank für die Antwort und das Resteemen! Das bedeutet mir viel!

Ich habe immer einen guten Überblick über das große Ganze aber wenn man das noch so toll detailiert erklären kann wie du, dann ist das echt eine grosse Gabe :-) Sehr gerne und meinen vollsten Respekt.

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Respekt! Sehr guter Artikel ,leider viel zu unterbewertet !

Dankeschön! Immerhin hat die Dan die englische Fassung gevoted, darf mich also nicht beschweren glaub ich ;-)