07. Oktober 2017
In diesem Jahr gab es über fast zwei Monate ein grösseres Problem in der Güterdistribution in Mitteleuropa. Auf einer Bahnbaustelle in der Nähe von Rastatt BW (nahe Baden-Baden und Karlsruhe) kam es am 12. August 2017 zu einem folgenschweren Zwischenfall [1]. Eigentlich sollte im Zuge des vertraglich geregelten Bahnausbaus unter der bestehenden, vierspurigen Bahnlinie ein neuer Bahntunnel für den Durchgangsverkehr gegraben werden [2]. Bei dem Zwischenfall sackten die bestehenden Bahntrasse auf einer Distanz von 50 Metern ab, was eine Sperrung der Strecke für mehr als 50 Tage nötig machte. Seit dem 02. Oktober läuft wieder der normale Betrieb. Wer das Wort vierspurig gelesen hat, dem dürfte klar sein, dass es sich bei der Rheintalbahn (Mannheim bis Basel) [3] um eine der wichtigsten Bahnverbindungen Mitteleuropas handelt.
Zur Ehrenrettung der Bauverantwortlichen kann gesagt werden, dass das Gelände aufgrund des nahen Rheins nicht ganz einfach ist und dass bauen mit neuartiger Technik, wie es in diesem Fall getan wurde - Maschinenvortrieb im Eiskörper - stets gewisse Unsicherheiten beinhaltet. Die Tunnelbohrmaschine konnte nicht gerettet werden, an der betreffenden Stelle wurden 10'500 m3 Beton eingefüllt. Der deutsche Technikjournalist Holger Douglas hat am Projekt bemängelt, dass es teilweise den Anschein hatte, dass es der Politik unglaublich wichtig war [1], dass in den meisten Papieren betont wurde, dass sehr naturnah und umweltfreundlich gebaut werde. Das Einfrieren des Bodens an der Stelle, an der gebaut respektive gegraben wird, gilt etwa als eine gute Technik um den Wasserhaushalt der Umgebung nicht zu stören.
![2017-10 - Rastatt Bahnausbau.jpg](https://steemitimages.com/DQmXt7nCG9kSoHkeoPzjbbuvq2LJ5xLAWwc3kkh4a5TgPuA/2017-10%20-%20Rastatt%20Bahnausbau.jpg)
Karte von Rastatt mit Markierung der bestehenden und der im Bau befindlichen Bahnstrecken [9].
Als Massnahmen zur Bewältigung des Güterverkehrs wurden auf der Strecke Mannheim bis Basel kurzzeitig längere Schiffe mit bis zu 135 Meter Länge zugelassen und es wurde versucht, via Ausweichstrecken soviel wie möglich zu bewältigen, was aber nicht in gänze möglich war. Es kam zu grösseren Verzögerungen und teilweise zu Ausfällen. Eine der Ausweichstrecken, die in Sachen Quantität niemals mit der Rheintalbahn mithalten kann, war die Gäubahn [4], die von Stuttgart über Rottweil nach Singen und von dort entweder Richtung Bodensee oder Richtung Schweiz führt, via Schaffhausen nach Zürich. Werktags wurde der Betrieb rund um die Uhr geführt, da viele Bahnlinien tagsüber mit dem Personenverkehr schon gut ausgelastet sind.
Für die Anwohner dieser Bahnstrecken war das nicht besonders angenehm, was überhaupt nicht in Frage stellen möchte. Güterzüge können sehr lärmig sein, Durchfahrt, das Rangieren und Anfahren, nichts geschieht nahezu geräuschfrei. Es ist für mich nachvollziehbar, wenn man sich deswegen beschwert. Andererseits handelte es sich in erwähntem Fall um eine vorübergehende Belastung, die man nicht toll findet, aber in einem gewissen Masse zu akzeptieren hat. Denn es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass der Wohlstand Europas auch an funktionierenden Handelswegen hängt und zeitweilig auftretende Unannehmlichkeiten hinzunehmen sind. Man kann schon sagen, dass man gar nie die nicht so schönen Seiten der Industrie- und Wohlstandsnation erleben möchte. Ich zweifle dann aber ein wenig, ob man dann aber wirklich berechtigt ist, nur die schönen Seiten zu erleben.
Trotzdem musste ich in der Schaffhauser Lokalzeitung Schaffhauser Nachrichten zwei Mal Leserbriefe lesen, die sich einseitig über den Lärm beklagten und den Problemen, die den Logistikfirmen aufgrund der Situation zu schaffen machten, überhaupt nicht Rechnung trugen. Diese Firmen machten deswegen teilweise massive Verluste. Den ersten Leserbrief, der ziemlich rasch nach dem Streckenunterbruch erschien, habe ich nicht mehr vorliegen, den zweiten, der vor 10 Tagen, am Mittwoch 27. September 2017 erschien, aber sehr wohl. In beiden stand aber ähnliches. Im zweiten steht unter anderem, den Verfasser nenne ich nicht, es geht mir ausschliesslich um den Inhalt:
«Zur Lärmbelastung am Bahnhof Schaffhausen
Weiterhin gibt es inakzeptable Lärmbelastung durch marode Güterwagen, die im Viertelstundentakt durch den Bahnhof Schaffhausen gechleust werden. Ist man sich bewusst, was in den Chemikalientankwagen transportiert wird? Was geschieht bei einer Leckage oder gar einer Explosion von austretenden Chemikalien?
Der maximale Lärmpegel ist gesetzlich limitiert. Dieser wird bei weitem überschritten, vor allem in der Nacht wirkt dieser Umstand noch empfindlicher für die Anwohner.»
Darauf fühlte ich mich bereits nach der Lektüre aufgefordert, etwas zu entgegnen. Denn, erstens wollte diese Lärmbelastung eigentlich niemand überhaupt generieren, aber es ist trotzdem dazu gekommen, weil die Logistikwege auch nach einem Streckenunterbruch funktionieren müssen. Dass die maximal zulässige Lärmemission gesetzlich geregelt ist, ist auch in Ordnung, aber sowenig wie ein Fahrverbotsschild ein Fahrzeug aufhält, wenn sich der Fahrer nicht an die Regeln hält, lassen sich Bahnwagen von ungesetzlichen Geräuschemissionen abhalten.
Bezüglich der Beladung der Wagen gibt es für nahezu jede Art von Fracht Sicherheitsvorschriften, die zwingend eingehalten werden müssen. Neben Treibstoffen, die selbstverständlich grosse Mengen potentieller Energie beinhalten, werden auch Lösungsmittel oder Substanzen für chemische Herstellungsprozesse befördert und zwar seit weit mehr als 100 Jahren [5]. Die entsprechende Technologie ist also weit mehr als erfunden. Die Befüllung, Entleerung und Reinigung der Wagen erfolgt in vielen Fällen auch heute noch nicht voll automatisiert [6]. Es gibt also Menschen, die nicht nur als Anwohner durch den Lärm in Mitleidenschaft gezogen werden, sondern sich selber in Gefahr begeben und die genannten Arbeiten erledigen.
Dass es im Güterverkehr auch schon zu üblen Unfällen gekommen ist, ist eine Tatsache. Als Beispiel kann ich ein Video der letzten grossen Schienengüterverkehrskatastrophe in der Schweiz verlinken [7], als am 08. März 1994 ein Treibstoffzug bei Zürich Affoltern entgleiste und es zu Explosionen und einem riesigen Brand kam. Gemäss dem Bericht detonierten dabei 5 Wagen, mit je etwa 75 m3 Füllmenge. 75 m3 entsprechen etwa 60 Tonnen Treibstoff, bei einem Energieinhalt von etwa 42 MJ/kg ergibt sich pro Wagen die beträchtliche Verbrennungswärme von etwa 2,52 TJ. Es gab Verletzte, aber zum Glück keine Toten [8]. Im Bericht kann man auch mutige Feuerwehrleute sehen, die mit Unmengen Wasser in unmittelbarer Nähe der Brände die nicht brennenden Wagen kühlten. Aber auch sie konnten nicht verhindern, dass sich das Unfallgebiet erweiterte, die Kanalisation lief auch mit Treibstoff voll und es kam auch dort zu Explosionen. Es flossen rund 400 m3 Treibstoff in die Umgebung.
Zu solchen Katastrophen kann es immer wieder kommen, sie sind aber zum Glück die grosse Ausnahme und extrem selten, wenn allen Sicherheitsvorschriften die nötige Beachtung geschenkt wird. Dass es aber Menschen gibt, die Texte schreiben, in denen sie zeigen, dass sie von den Dingen, die den Wohlstand seit mehr als 100 Jahren ermöglichen, absolut keine Ahnung haben und entsprechend kaum Respekt vor den Menschen, die dabei die dreckigen und gefährlichen Arbeiten erledigen, stimmt mich nachdenklich. Vielleicht könnte man mit etwas Dankbarkeit beginnen, dass es andere tun und man selber nicht muss, denn darauf zu verzichten wird nicht möglich sein.
[1] Transport-Chaos wegen Deutschland. bazonline.ch, 17. August 2017, von Beni Gafner und Andrea Sommer https://bazonline.ch/schweiz/transportchaos-wegen-deutschland/story/18399414
Alle Artikel bei der Basler Zeitung zum Thema: https://bazonline.ch/service/suche/suche.html?date=alle&order=date&key=rastatt
Lesenswerter Artikel des Technikjournalisten Holger Douglas: Das Versagen deutscher Verkehrspolitik. bazonline.ch, 24. August 2017, von Holger Douglas https://bazonline.ch/ausland/europa/das-versagen-deutscher-verkehrspolitik/story/25645144
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Tunnel_Rastatt
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Mannheim%E2%80%93Basel
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Stuttgart%E2%80%93Hattingen
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Schieneng%C3%BCterverkehr#Geschichte
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Kesselwagen
[7] Die Feuerhölle von Zürich-Affoltern (1994). SRF Archiv YouTube Kanal, 07. März 2014
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Z%C3%BCrich-Affoltern
[9] Diese Bilddatei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch lizenziert. Gefunden wurde sie unter [2].
Bisherige Posts in der Rubrik «Ideologie».
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dazu fällt mir das sprichort ein: schau über deinen tellerrand!
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Danke für den Kommentar!
Das sehe ich genauso. Man muss nicht alles wissen, aber ein wenig ganzheitliches Betrachten kann kaum je schaden...
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