Ideologie 089 - Spaltung am Tag der Deutschen Einheit

in deutsch •  6 years ago  (edited)

04. Oktober 2018

Gestern habe ich aus Interesse kurz deutsches Mainstreamradio gehört, um 17 Uhr in einem der SWR-Sender. Sie haben von Kundgebungen zum Tag der Deutschen Einheit [1] berichtet und dann etwas inszeniert, was ich vielleicht etwas polemisch nur als Bunti-/Selbstbeweihräucherung bezeichnen kann. Denn, man war sehr einseitig in der Berichterstattung, brachte wenig davon, wie das Land zusammengehört, wie es durch die Vergangenheit geprägt wurde und wie man heute bezogen auf frühere Ereignisse stolz sein kann. Sondern es wurde nur gerade erzählt, wie sich der aktuelle Stand in deren Sinn darstellt. Es wurde gesagt, wie bunt man doch sei, wie modern, wie einig, dazu wie erstklassig und felsenfest Deutschland doch dastehe und wie intensiv man 'dazugehöre' (wie felsenfest Deutschland dasteht, hat Dr. Daniel Stelter in einem aktuell erschienenen Gespräch dargelegt [2]). Man brachte auch Eindrücke von Kundgebungsbesuchern, darunter von Hochgebildeten, die sich offenbar als Vorbilder wähnten, wenn sie nur schon bei der Kundgebung teilnahmen und ihr Gesicht zeigten. Mir persönlich fällt es gar nicht leicht, einen Mut darin zu erkennen, sich öffentlich konformistisch zu verhalten, aber das sehen diese Leute wohl ganz anders.

DSC_0191.JPG
Abendstimmung in meiner Heimat im frühen Herbst 2018. Eigene Aufnahme.

Dies zum Einstieg. Aber wie es eine dialektische Wahrnehmung normalerweise impliziert, lassen sich auch in dem ganzen Licht noch Schatten finden. Es gibt da noch diese anderen, die das wunderschöne Bild der grossen Einheit, da eigentlich und realistisch gesprochen ein kindisches Naivbildchen ist, trüben. Diese anderen sind ganz lästig, wahrscheinlich sind sie noch viel lästiger als diejenigen aus dem Kreis der Migranten, die nur vom Sozialstaat leben und im Teilzeitpensum auf dumme Gedanken kommen. So haben meine Augen letztens auf Videoaufnahmen einer politisch linksgerichteten Kundgebung eine Parole auf einem Pappschild gesehen, die folgendermassen lautete: "Liebe Ausländer, lasst uns mit mit diesen Deutschen nicht allein." Gegen diese anderen, die offenbar wirklich schlimm sind, muss gemäss der aktuellen Doktrin nicht nur Stellung bezogen und Haltung gezeigt werden, sondern mindestens der Versuch unternommen, sie weitgehend auszuschliessen.

Doch wie erlebe ich diese anderen? Die meisten von diesen Leuten, die ich zu diesen anderen zähle und mit denen ich gesprochen habe, sind sehr vernünftig, arbeiten fleissig und zahlen in Deutschland einen ordentlichen Batzen Steuern und Abgaben. Für einen freiheitlichen und demokratischen Staat sind das unverzichtbare Bürger, deren Interessenslage unbedingt zu berücksichtigen ist. Ich will nicht ausschliessen, dass sich unter den anderen auch Extremisten befinden, aber ich habe tatsächlich noch keinen solchen selbst erlebt. Erlebt habe ich Leute, die das Gefühl haben, sie könnten eine Art "Reconquista", Rückeroberung auf den Weg bringen, um dann weitgehend selbst das Land gestalten zu können, schon heute werden entsprechende Visionen vorgezeichnet. Dazu will ich schreiben, dass solche Vorstellungen erstens mit Demokratie nicht besonders viel zu tun haben und fernab der Realität angesiedelt sind. Weder gibt es eine substantielle Zahl an Menschen, die sich damit identifiziert, noch gibt es entsprechende finanzielle Mittel, so dass man die Vision der "Rückeroberung" getrost vergessen kann, am besten zugunsten der Vertretung der eigenen Interessenslage auf realistischer Basis. Die Demokratie ist ein System, das platt als Diktatur der Mehrheitsmeinung bezeichnet werden kann, Minderheitenschutz ist kein Prinzip der Demokratie, sondern muss gesetztlich geregelt werden. Etwas differenzierter gesehen findet der Wettstreit der Ideen, Vorstellungen und Interessen in einer Demokratie in der geschickten Interessenvertretung statt. Ohne Draht in die Politik hinein verändert man kaum etwas, in Deutschland läuft das über Parteien, parteinahe Stiftungen und Interessensverbände, ob einem das gefällt oder nicht, ist unerheblich.

Aktuell ist es sehr wohl an der Zeit, wertkonservatives, wirtschaftsliberales und generell das bürgerfreundliche Gedankengut zu stärken, in der Bevölkerung, den Parteien, Stiftungen und Verbänden. Weil dieses Gedankengut bei den Christdemokraten offenbar kaum mehr artikuliert wurde bedurfte es neuer Bewegungen, die selbstverständlich auch nicht perfekt sind. Wenn vonseiten der etablierten Kräfte behauptet wird, wie immer wieder und auch jüngst geschehen [3, 4], dass diese neuen Bewegungen nicht nur unerwünscht, sondern gar illegitim sein sollen, wird die Situation in keiner Weise verbessert. Auf diese Weise drückt man einen Keil noch viel tiefer in die Gesellschaft der Staatsbürger hinein, als es eigentlich nötig wäre. Auch ein Konformitätsdruck, um absolut legitime Meinungen und Ansichten kleinzuhalten und auszugrenzen, ist nicht hilfreich, denn um eine Gesellschaft voranzubringen, muss den erwachsenen Menschen alles mögliche an Informationen zur Verfügung stehen, damit wenigstens die, die das wollen, sich wirklich bilden können und nicht zwangsweise in die Irre geführt werden. Zu dem Meinungsbeitrag, auf den unter [4] verwiesen ist, sei angemerkt, dass er beim registrierten Publikum alles andere als gut ankam, 176 (6,5 %) zustimmende sehen sich 2'539 (93,5 %) ablehnenden Voten gegenüber (2'715 total, Verhältnis 1/14,4).

Zurück zu den anderen. Das einzige, was diese anderen gemäss meiner Wahrnehmung nicht wollen, ist, der Regierung blindlings bei allem Irrsinn stumpf hinterherzutrotten und noch zu jubeln. Denn nicht wenige der Massnahmen, die in den letzten Dekaden von Regierung und Parlament beschlossen wurden, waren sehr kostenintensiv ohne dass sich für den fleissigen, steuerzahlenden Bürger ein wirklicher, greifbar nachvollziehbarer Nutzen ergab. Es gibt mehr als genug Beispiele des Wahnsinns, als regelmässiger Leser von Artikeln, die bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt, bei Cicero, Tichy's Einblick und der Jungen Freiheit erscheinen - für Anhänger der Buntreligion sind das wohl allesamt illegitime Naziblätter - präsentiert sich mir ein Bild das tatsächlich vorhandenen Wahnsinn sehr nahe legt. Das einzige, über was man streiten kann, ist das Ausmass dieses Wahnsinns. Für Staatsbürger, die am langfristigen Fortbestand eines Landes oder eines politischen Systems in einem Land interessiert sind, sollte es stets von zentraler Wichtigkeit sein, jegliche Art von Wahnsinn klein zu halten.

Die anderen wollen gemäss meiner Wahrnehmung lediglich die Eigenverantwortung und Führungsstärke, die sie selbst im Alltag an den Tag legen müssen auch im Staat verkörpert sehen. Das ist eine berechtigte Forderung und diese anderen verspüren derzeit, dass man diese durchaus massenhaft vorbringen kann. Aktuell ist eine gute Zeit, der Regierung zu widersprechen, es herrscht kein Krieg und die wirtschaftliche Lage ist zwar angespannt, aber noch nicht in der Todesspirale angekommen. Im Krisenfall ist Widerspruch viel schwieriger zu artikulieren und man gerät rascher in den Fokus repressiver Massnahmen. Solche Massnahmen werden aktuell von Menschen gegen die anderen gefordert, die von ihrem Bildungsstand unabhängig zu 100 % ohne eigenen Willen und eigene Meinung ihr Fähnchen ins Regierungslüftchen halten und sich für mutig halten, wenn sie in der Öffentlichkeit als Resonanzkörper der Regierungsmeinung auftreten.

Derzeit hat die AfD - keine Parteiendiskussion jetzt, aber ihr Wähleranteil ist ein Gradmesser für Systemtreue mindestens auf der rechten Seite des politischen Spektrums - ein Potential, das bei etwa 20 % liegt. Alle die in diese Kategorie fallen, sind latent abtrünnig und müssten aktiv zurückgeholt werden. Freiwillig und gratis werden sie nicht zurückkommen, vor allem dann nicht, wenn kaum eine Gelegenheit ausgelassen wird, sie einerseits zu beschimpfen, beleidigen und zu demütigen, während andererseits Steuern und Abgaben sehr gerne und reichlich entgegengenommen werden. Mit der Gesetzestreue und dem Bezahlen der Abgaben ist die staatsbürgerliche Pflicht erledigt. Ein Zwang, sich mit der Politik auf Resonanzu zu stellen, besteht erstens nicht, ist zweitens illegitim und drittens keinesfalls mit einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung vereinbar.

Deswegen frage ich mich, wie die Anhänger dessen, was ich Buntreligion nenne, die längst die Buntesrepublik in Deutschland ausgerufen haben und dazu die Zügel in der Hand halten, es mit ihrer festgefahrenen Regierung hinbekommen wollen, 20 % der Bürgerschaft wirklich auszuschliessen, wenn sie sonst nichts halbwegs vernünftig hinbekommen. Und ich frage mich auch, warum tut man sich das überhaupt an? Viel einfacher wäre es doch, man würde endlich auf Versöhnung setzen und ein paar, von mir aus auch halbwegs kaputte, Deals anbieten. Dass das nicht passiert, liegt viel weniger an den Abtrünnigen, sondern an der Illusion derer, die meinen sie könnten allen eine weitgehende Konformität zu ihren Ideen und Vorstellungen aufdrücken, unabhängig davon, ob diese richtig, vernünftig, gut, zukunftsfähig und nachhaltig sind. Wenn es heute eines braucht sind das konstruktive Deals für die Zukunft und jeder Nichtideologe ist stets bereit, vernünftigen Vorschlägen zuzustimmen, Bedingung ist lediglich Vernunft und dazu entlarvt man auf diese Weise alle Ideologen.

Gegenwärtig scheint es vor allem den Einflussagenten der Migrationsbefürworter und den Anhängern der permanenten Revolution - man fragt sich stets wohin - nicht schnell genug gehen mit der Transformation des Landes, wohin eigentlich. Mit dem gestrigen Feiertag erschienen Meldungen, dass es neben dem Tag der Deutschen Einheit auch einen Tag der Deutschen Vielfalt geben soll [5]. Henryk M. Broder kam meinem unausgegorenen und spontanen Gedankenanflug, man solle vielleicht besser der Einfalt gedenken, wenn man schon alle uniform gestalten möchte, zuvor und schrieb einen entsprechenden Kommentar [6]. Die Einfalt ist nämlich wahrlich viel einfacher zu kontrollieren als Vielfalt, Vielfalt beinhaltet stets 'Faltungen' zu akzeptieren, die einem nicht gefallen.



[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_der_Deutschen_Einheit
[2] Dr. Daniel Stelter: „Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns ruiniert“. Privatinvestor TV YouTube Kanal, 23. September 2018


Finanzpolitik 004-007 - Daniel Stelter über das «reiche» Land Deutschland - 4 Teile. @saamychristen, Oktober 2018 Teil 1: https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/finanzpolitik-004-daniel-stelter-ueber-das-reiche-land-deutschland-1-4 Teil 2: https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/finanzpolitik-005-daniel-stelter-ueber-das-reiche-land-deutschland-2-4 Teil 3: https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/finanzpolitik-006-daniel-stelter-ueber-das-reiche-land-deutschland-3-4 Teil 4: https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/finanzpolitik-006-daniel-stelter-ueber-das-reiche-land-deutschland-4-4
[3] Alternative für Deutschland - Wer sie wählt, wählt Nazis. Spiegel online, 02. September 2018, von Valerie Höhne http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-wer-sie-waehlt-waehlt-nazis-a-1226160.html
[4] Meinung - Buhlen um Stimmen - Verständnis für AfD-Wähler? Einfach nur peinlich. Welt.de, 03. Oktober 2018, von Alan Posener https://www.welt.de/debatte/kommentare/article181748444/Buhlen-um-Stimmen-Verstaendnis-fuer-AfD-Waehler-Einfach-nur-peinlich.html#Comments
[5] Deutschland - Tag der deutschen Einheit - Migrantenverbände fordern „Tag der deutschen Vielfalt“. Welt.de, 03. Oktober 2018, dpa/pve https://www.welt.de/politik/deutschland/article181749734/Tag-der-Deutschen-Einheit-2018-Migrantenverbaende-fordern-Tag-der-deutschen-Vielfalt.html
[6] Gegen jegliche Ausgrenzung - Ich fordere den Tag der deutschen Einfalt! Welt.de, 03. Oktober 2018, von Henryk M. Broder https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus181752892/Henryk-M-Broder-Ich-fordere-den-Tag-der-deutschen-Einfalt.html


Bisherige Posts in der Rubrik «Ideologie».
Übersicht über alle Rubriken.

Authors get paid when people like you upvote their post.
If you enjoyed what you read here, create your account today and start earning FREE STEEM!
Sort Order:  

Leroy schließt sich Broder an.

Eigentlich wäre ich persönlich pro Vielfalt eingestellt. Die Deutschen, respektive die ausgemittelte Stereotypenversion davon scheint mir aber nicht in der Lage zu sein, wirklich zu verstehen, was Vielfalt ist und in ihrer Konsequenz bedeutet. Da fährt man besser ein Einfaltsprogramm und schon sind die Menschen glücklicher, auch wenn darin Differenzen miteingebaut sind.

Broder meint in erster Linie sicher die Einfalt abgeleitet von einfältig :-)

Genau das meine ich auch, aber ich habe es in meiner eigenen Art etwas hübscher darzustellen versucht, was mir augenscheinlich nicht ganz so gelungen ist, dass es direkt rüberkommt... hmm.