03. April 2019
Am vergangenen Wochenende wurde im deutschen ÖR-TV eine Episode eines bekannten Diskussionsformates ausgestrahlt [1]. Es ging um das aktuell sehr angesagte Thema Klimawandel, Klimakrise oder menschengemachte Erderwärmung. Darin behauptete ein TV-bekannter Wissenschafter namens Harald Lesch [2], dass er es für einen positiven Beitrag gegen den Klimawandel hält, wenn er sich immer wieder bewusst Zeit nimmt, um nichts zu tun, sich nicht einmal mehr zu bewegen.
Das Original-Zitat aus der Sendung. Es findet sich auch im unterhalb verlinkten Zusammenschnitt von FMD's TV-Channel [3]: (9:09-10:02)
H. Lesch: So radikal wie sie (Greta Thunberg) schaffe ich es nicht. Aber ich schaffe es, radikale Brüche in meinen Alltag einzubauen.
A. Will: Was ist das?
H. Lesch: Zum Beispiel, sich überhaupt nicht zu bewegen im wahrsten Sinn des Wortes.
A. Will: Das tut dem Klima gut?
H. Lesch: Das tut dem Klima sehr gut. Wenn die Republik sich ein Mal am Tag für eine Stunde nicht bewegen würde, Sie ahnen gar nicht, was für Auswüchse das hätte. Wenn zum Beispiel tatsächlich der Verkehr steht. Das ist natürlich eine völlig absurde Vorstellung (herzlichen Dank für die Selbstentlarvung - Anm.). Aber tatsächlich ein Land dazu zu bringen, regelmässig so etwas wie einen Energiesabbat zu haben. Nehmen wir an, wir würden es so machen wie Israel.
A. Will: ... indem ich auf dem Sofa liege?
H. Lesch: Wenn Sie eher auf dem Sofa liegen anstatt wegzufliegen ist bereits ein ganz... Wenn Sie sich anschauen, welche Optionen uns heute zur Verfügung stehen, dann ist es tatsächlich so, dass das Nichtstun sehr viel Unheil verhindern kann.
H. Lesch: Sehr gut, das ist schon einmal eine gute Nachricht. Herr Haseloff (Gelächter im Publikum)
Das Zitat hat auch für mediale Aufmerksamkeit gesorgt [4, 5].
Meine Wenigkeit ist anderer Ansicht und wird die folgenden Zeilen dazu nutzen, die Gründe dafür darzulegen. Herrn Lesch habe ich schon einmal grundsätzlich widersprochen [6] und ich gehe nicht davon aus, dass es das letzte Mal war, dass ich es öffentlich tue.
Den lebendigen Menschen halte ich grundsätzlich für einen Konsumenten von Ressourcen. Auch wenn man sich kaum bewegt konsumiert man Atemluft und Nahrung, man erreicht also keinen Momentanverbrauch von Null. In der modernen Zivilisation werden auch weitere Annehmlichkeiten wie etwa Elektrizität und Mobilitätsdienstleistungen fast wie Selbstverständlichkeiten konsumiert. Dazu hat kaum eine Immobilie einen Hintergrundverbrauch an Elektrizität von Null.
Wer in einer solchen wohnt, hat also auch über diese einen gewissen Restverbrauch hinzunehmen. Dieser dürfte in etwa so hoch sein, dass es ziemlich unerheblich ist, ob man sich pro Tag eine Stunde gar nicht bewegt oder darauf verzichtet. Wer genügend schläft, dürfte genügend herumliegen. Mein Bedürfnis nach mehr liegen ist jedenfalls eher gering.
Wer das Denken in den Kategorien schwarz und weiss für sinnvoll hält, dem mag es unerträglich vorkommen, als Konsument zu gelten. Da ich von Schwarz/Weiss-Denken grundsätzlich wenig halte, kümmert mich das nicht weiter. Ich habe kein Problem damit, diese Tatsache anzuerkennen, wie ich auch jedem Menschen zugestehe, dass er sich pro Tag etwa 6-8 Stunden Schlaf genehmigt, 2 Stunden zum gemütlichen Essen verwendet, täglich den Körper reinigt und sich Zeit nimmt, sich für verschiedene Dinge zu engagieren.
Was mich kümmert ist, dass es bestimmt Menschen gibt, die ein Wort wie das von mir geäusserte Wort Konsument als eine Einladung zur Stigmatisierung anderer Menschen sehen. Mit Stigmatisierungen beginnt es in der Regel harmlos. Von einer halbwegs harmlosen Kategorie, in die man hineingedrückt wird, bis zum Extremfall, dass man plötzlich als lebensunwertes Wesen bezeichnet wird, ist alles möglich. Auf solche Äste will ich mich deswegen ganz allgemein so wenig wie möglich hinausbegeben. Ich war auch mehr als lange genug Konsument. Besonders stolz darauf bin nicht, aber es war einfach eine Tatsache.
Wichtig ist für mich, dass man dem Konsumentendasein entgegenwirken kann. Man kann dies mit produktiver, wertschöpfender Tätigkeit tun. Indem man aus (möglichst wenigen) nicht besonders wertvollen Ressourcen (bedeutend) wertvollere Produkte herstellt, betreibt man eine Wertschöpfung. Von den so entstandenen Werten kann man wiederum abgeben oder sie in technologischen Fortschritt, Umweltprojekte und alle anderen denkbaren Dinge investieren.
Umweltschützer und Aktivisten gegen den menschengemachten Klimawandel sind aber nicht selten sehr skeptisch gegenüber der Marktwirtschaft eingestellt. Als Gegenargumente verwenden sie meist denselben Kanon an Marktversagen-Theorien, die Sozialisten auch verwenden, von denen ich überwiegend nicht gerade viel halte, weil sie in der Regel nicht für konkrete, einfach realisierbare Verbesserungen sorgen, sondern eher an Instanzen wie den Gesetzgeber appellieren, der die Dinge im Namen des Kollektivs von Menschen verbessern soll.
Ein Argument, das auch häufig genannt wird, ist jenes, dass für viele Rohstoffe und Ausgangsmaterialien kein echter Preis bezahlt wird. Sie sagen, dass der Preis höher sein müsste, weil die Gewinnung und der Verbrauch der Ressource der Umwelt längerfristig einen Schaden zufügt, der im Preis nicht abgebildet ist. Ich kann diesen Einwand nicht vollständig entkräften, möchte aber einerseits dazu sagen, dass es sich bis auf diese Komponente um echte Marktpreise handelt, andererseits in Erinnerung rufen, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass in den von diesen Menschen favorisierten, planwirtschaftlichen Umgebungen
- die Preise besser festgelegt werden,
- über die bezahlten, höheren Preise sinnvoll Umweltschutz betrieben wird,
- grundsätzlich mehr für den Schutz der Umwelt getan wird.
In Wahrheit geschah in den Planwirtschaften der Vergangenheit das genaue Gegenteil. Die Verwaltungen hatten niemals das Wissen, welches sie gebraucht hätten um gut regieren zu können. Sie hinkten im Gegenteil hoffnungslos hinter dem in den marktwirtschaftlichen Ländern erzielten technischen Fortschritt her und generierten weder die Ressourcen, die für einen guten Unterhalt der bestehenden Infrastruktur nötig gewesen wären, noch die, die einen regelmässigen Generationenwechsel ermöglicht hätten. Diese schlechten Ergebnisse sollten einen lehren, dass man nicht alles zentral planen und standardisieren kann. Stattdessen sollte man anerkennen dass es sinnvoll ist, auf Dezentralität zu setzen, weil man nur so der Lebendigkeit menschlichen Handelns einigermassen gerecht werden kann und nur so die Produktivität aufrechterhalten kann, die teilweise längst als Standard vorausgesetzt und für selbstverständlich gehalten wird.
Dass die planwirtschaftlichen Konzepte des sozialistischen Vordenkers Karl Marx (1818-1883) [7] zu dessen Lebzeiten etwas realitätsnäher war, will ich nicht bestreiten. Damals war die Industrialisierung in Europa in vollem Gang. Aber es war auch eine Zeit, die sich von der heutigen massiv unterscheidet. Bei nicht wenigen Technologien dauerte es von der ersten Umsetzung bis zur ersten Weiterentwicklung mehr als 10 Jahre, bis zur Runderneuerung oder weitgehenden Neugestaltung eines Produktionsverfahrens sogar 30-50 Jahre. Die Preise für Hardware waren damals unvorstellbar viel höher als heute und Forschung wurde von viel weniger Menschen betrieben.
Heute gibt es in sehr vielen Bereiechen eine Massenproduktion, Generationenwechsel finden über die Zeitabschnitte von ca. 2-20 Jahren statt, teilweise werden Produktionsanlagen auch migriert und in anderen Ländern noch einmal aufgebaut und genutzt. Das wirtschaftliche Treiben ist heute wesentlich lebendiger als zu Karl Marx' Zeiten. Der Glaube an seine Theorien wirkt auf mich deswegen nicht etwa fortschrittlich, sondern rückwärtsgewandt und altbacken. Wegen der von Antonio Gramsci (1891-1937) [8] 1916 ins Feld geführten religiösen Natur des Sozialismus [9] habe ich auch schon vom Glauben an politökonomische Alchemie gesprochen [10].
Anstelle des Ansehens von TV-Diskussionen des deutschen ÖR-TV empfehle ich die Lektüre oder das Ansehen von Inhalten geistig offenerer Gestalten. Als aktuelle Beispiele kann ich den aktuellen Kommentar des Chefredakteurs der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Eric Gujer, empfehlen [11], der bezogen auf die jugendlichen Anti-Klimawandeldemonstrationen von Populismus mit Fundamentalopposition und antikapitalistischer Agitation spricht. Er fügt dazu an, dass er die jungen Aktivisten ernst nimmt und es für dem Paternalismus nahe hält, würde man sie nur als jugendliche Utopisten sehen.
Der Chefredakteur der Weltwoche, Roger Köppel, der auch für die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Nationalrat sitzt, geht noch einen Schritt weiter. Er hat in der öffentlich zugänglichen Ausgabe von Weltwoche-Daily [12] von einer Klimakolchose gesprochen, die den Aktivisten als erstrebenswertes Ziel vorschwebt. Köppel wurde aktuell von der NZZ zu diesem Thema interviewt [13].
Mich hat besonders gefreut, dass beide Journalisten die Nähe der Aktivisten zum Linksaussen-Gedankengut erkennen und es in ihren Stellungnahmen erwähnen.
Herr Lesch tut dagegen, so, als ob er von den politischen Hintergründen keinerlei Kenntnis hätte [3]. Entweder ist er also wirklich so naiv oder genau von diesem Gedankengut überzeugt, was es aus meiner bescheidenen Sicht aber nicht besser macht. (7:02-8:00)
Es geht um Begriffe wie Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Was hier passiert, ist, dass man diesen jungen Leuten nicht vorwerfen kann, dass sie irgendein Amt ergattern wollen. Sie haben da keine Aktien drin. Sie sorgen sich um etwas, was nur sie betrifft, nämlich ihre Zukunft. Es geht um richtig grosse Zeitbereiche von 50, 60 Jahren, in denen diese katastrophalen Entwicklungen (stattfinden?). Von denen in verschiedenen Szenarien und vor allen Dingen im Business as usual Szenario, also wenn wir so weitermachen wie bisher mit all dem bisschen Klimapolitik was wir betreiben, was da auf uns drauftritt. Und der dritte Punkt ist, sie sagen die Wahrheit. Die jungen Leute sind die einzigen, die die Wissenschaft wirklich ernst nehmen. Es sind die einzigen, die (mit) den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern all diesen ganzen Lamentierern, diesen ewigen Nörglern, die in allen möglichen Talkshows sitzen, immer wieder sagen: Freunde, wenn wir so weiter machen, wird es nicht besser, es wird eher schlimmer. Sie sind die einzigen, die das ernst nehmen.
Die Situation der Diskussionssendung in Ehren. Ich sass nie in einer und hätte bestimmt meine Schwierigkeiten, mich klar auszudrücken. Dennoch sind die Sätze im obenstehenden Zitat kaum zu gebrauchen.
[1] Streiken statt Pauken - ändert die Generation Greta die Politik? Das Erste, Anne Will, 31. März 2019 https://daserste.ndr.de/annewill/Streiken-statt-Pauken-aendert-die-Generation-Greta-die-Politik,annewill5964.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Lesch
https://en.wikipedia.org/wiki/Harald_Lesch
[3] Das „Beste“ aus ‚Anne Will’ vom 31.03.2019. FMD's TV-Channel YouTube Kanal, 01. April 2019
[4] TV-Talk im Ersten - Anne Will: Emotionaler Klima-Appell von TV-Moderator polarisiert - Zustimmung und Zorn im Netz. Merkur, 03. April 2019, von Florian Neumann https://www.merkur.de/politik/anne-will-ard-zdf-moderator-harald-lesch-polarisiert-zustimmung-und-zorn-im-netz-zr-12047245.html
[5] Ändert die Generation Greta die Politik? - Anne Will: Klimatherapie mit Prof. Lesch: Eine Stunde stillstehen. Tichy's Einblick, 01. April 2019, von Stephan Paetow. https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/medien/anne-will-klimatherapie-mit-prof-lesch-eine-stunde-stillstehen/
[6] Ideologie 104 - Wir tun zu wenig gegen .... @saamychristen, 13. Dezember 2018. https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-104-wir-tun-zu-wenig-gegen
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Gramsci
https://en.wikipedia.org/wiki/Antonio_Gramsci
https://it.wikipedia.org/wiki/Antonio_Gramsci
[9] Zitate 115 - Antonio Gramsci - Sotto la Mole 1916. @saamychristen, 27. Januar 2019 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/zitate-115-antonio-gramsci-sotto-la-mole-1916
[10] Ideologie 088 - Polit-ökonomische Alchemie - Mietpreisbremsen und Non-Profit-Immobilien. @saamychristen, 21. September 2018. https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-088-polit-oekonomische-alchemie-mietpreisbremsen-und-non-profit-immobilien
[11] Kommentar - Statt eine kohärente Energiepolitik zu formulieren, applaudiert man Jugendlichen mit unerfüllbaren Forderungen: Das ist Populismus. NZZ, 29. März 2019, von Eric Gujer https://www.nzz.ch/meinung/verbaler-radikalismus-loest-die-probleme-des-klimaschutzes-nicht-ld.1470774
[12] Weltwoche Daily, 01.April 2019. Die Weltwoche YouTube Kanal, 01. April 2019
[13] Interview - Roger Köppel: «Die Umweltdiktatur ist eine Bedrohung des sozialen Friedens». NZZ, 04. April 2019, Interview geführt von Irène Troxler und Daniel Fritzsche https://www.nzz.ch/zuerich/roger-koeppel-im-interview-angreifen-und-einstecken-ld.1472551
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