20. Juli 2017
Nachdem ich im Mai 2017 in einem Artikel [1] dargelegt habe, dass für mich unter anderem die Floskel «immer mehr» FakeNews-Alarm auslöst. Dies möchte ich anhand eines Beispiels zeigen.
Diese Woche wurde ich auf einen nicht ganz neuen Artikel beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF aufmerksam [2]. Der Artikel soll aber nicht dazu dienen, SRF generell zu verunglimpfen. Es gibt bei SRF einige interessante Formate - etwa das Tagesgespräch oder das Echo der Zeit, Radioprogramme - von eindeutig zuviel staatstragenden und freiheitsunfreundlichen Inhalten einmal abgesehen.
Screenshot des Titels des Artikels auf srf.ch [2].
Der Titel des Artikels lautet: «Immer weniger Menschen leben in ihrem Heimatland». Darin wird dargelegt, wie sehr die Anzahl der ausserhalb ihres Heimatlandes lebenden Menschen vom Jahr 2000 bis 2015 zugenommen hat. Demnach lebten 2015 244 Millionen Menschen ausserhalb ihres Heimatlandes, 41 Prozent mehr als noch im Jahr 2000, als es 173 Millionen waren. Eine Differenz von 71 Millionen Menschen. Würde die Zahl der in der Fremde lebenden Menschen mit einer konstanten Rate steigen, wären das für den Zeitabschnitt 2000 bis 2015 etwa 2,31 Prozent pro Jahr.
Der Artikel bezog sich auf eine Publikation der Vereinten Nationen, die wenige Tage zuvor erschienen war [3].
Was ist daran nun FakeNews? Die Tatsache, dass es bei der Publikation der UN überhaupt nicht darum ging, etwas über Menschen in ihren Heimatländern zu sagen. Sondern es ging darum, zu zeigen, dass die Zahl der Expats, der Menschen, die in der Diaspora leben, zunimmt. Sie wächst schneller, als es etwa die Weltbevölkerung tut. Daraus zu schliessen, dass deswegen wie im Titel geschrieben immer weniger Menschen in ihren Heimatländern leben, macht wenig Sinn, denn man braucht dafür zusätzliche Daten, die im Artikel gar nicht vorkommen. Nämlich die Entwicklung der Weltbevölkerung über denselben Zeitabschnitt.
Diese kann man sich etwa bei der Suchmaschine WolframAlpha innerhalb weniger Sekunden beschaffen [4]. Für das Jahr 2000 erhält man 6,12 Milliarden, für 2015 7,28 Milliarden, was einem Anstieg von 19 Prozent entspricht. Das ist weniger als die Hälfte des Anstiegs der Expats. In absoluten Zahlen nahm die Weltbevölkerung über die genannten 15 Jahre um 1,16 Milliarden zu. Währenddessen also 71 Millionen mehr Menschen nicht mehr in ihren Heimatländern leben, leben 1'089 Millionen zusätzliche in ihren Heimatländern. Weil beide Bevölkerungszahlen eine signifikante Vergrösserung zeigen, kann ich nicht nachvollziehen, wie man schreiben kann, dass immer weniger Menschen in ihrem Heimatländern lebten.
Zahlen in Mio. | Zahl 2000 | Zahl 2015 | Anstieg [%] | Diff abs. |
---|---|---|---|---|
Weltbevölkerung | 6'120 | 7'280 | 19,0 | 1'160 |
Expats | 173 | 244 | 41 | 71 |
Menschen im Heimatland | 5'947 | 7'036 | 18,3 | 1'089 |
Anteilsmässig kann man sagen, dass im Jahr 2000 etwa 2,8 Prozent der Menschheit nicht in ihrem Heimatland lebte und es im Jahr 2015 3,4 Prozent waren. Oder man kann sagen, dass ausserhalb ihres Heimatlandes lebende 6,1 Prozent des Anstiegs der Weltbevölkerung ausmachen, die im Heimatland lebenden machen 93,9 Prozent aus.
Theoretisch könnte ein grösserer Anteil des erhöhten Wachstums der Menschen in der Diaspora auch darauf zurückgehen, dass diese in der Fremde mehr Kinder haben als in ihrer Heimat. Darauf wird im Artikel allerdings nicht eingegangen, dort wird nur über MIgration gesprochen. Auch wird erwähnt, dass mehr als zwei Drittel der Migranten in 20 Zielländer einreist. In die meisten Länder weltweit wird also kaum eingewandert.
In den weiteren Abschnitten sind noch zwei weitere, interessante Aussagen zu finden:
«Weil sich die Auswanderer immer weiter von ihrem Heimatland entfernen und in fremden Kulturen, Gesellschaften und Politiksystemen ansiedeln, wird die Integration zusätzlich erschwert.»
Wenn sich die Leute von ihrer eigenen Kultur entfernen und einer neuen zuwenden, in der sie leben, dann wird doch Integration gelebt und nicht erschwert? Und was heisst, sich kulturell zu entfernen? Für mich heisst das, dass man die wichtigsten Bräuche und Traditionen noch pflegt, weil man sie bewahren will. Den Rest oder das, was man vielleicht sogar als Belastung empfindet, legt man ab.
«Die UNO betont jedoch, es sei zwecklos, die Wanderungsbewegungen von oben steuern oder gar bekämpfen zu wollen. Denn sie seien ein logischer Bestandteil der heutigen vernetzten Welt und der globalisierten Wirtschaft.»
Wenn ich sehe, dass mehr als zwei Drittel der Migranten in nur 20 Länder einwandert, dann dürfte es Gründe dafür geben, in bestimmte Länder gehen zu wollen. Umgekehrt gibt es auch Gründe, die einen davon abhalten, in gewisse Länder einwandern zu wollen. Migration muss anreizgesteuert sein. Der, der geht, geht ein Risiko ein, er investiert. Ohne Anreize, aus reiner Freude tut das kaum jemand. Von einer rein spontanen, chaotisch ablaufenden Migration kann aus meiner Sicht nicht die Rede sein.
[1] Medien 003 - Zwei Ausdrücke, die bei mir FakeNews-Alarm auslösen. @saamychristen
https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/medien-003-zwei-ausdruecke-die-bei-mir-fakenews-alarm-ausloesen
[2] Immer weniger Menschen leben in ihrem Heimatland. srf.ch, 16. Januar 2016 https://www.srf.ch/news/international/immer-weniger-menschen-leben-in-ihrem-heimatland
[3] 244 million international migrants living abroad worldwide, new UN statistics reveal. UN, 12. Januar 2016 http://www.un.org/sustainabledevelopment/blog/2016/01/244-million-international-migrants-living-abroad-worldwide-new-un-statistics-reveal/
[4] http://www.wolframalpha.com/input/?i=world+population+2000
http://www.wolframalpha.com/input/?i=world+population+2015
Bisherige Posts in der Rubrik «Medien».
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Bei der Fülle an Nachrichten sind FakeNews im Grunde nicht zu erkennen. Deshalb finde ich es klasse, dass jemand wie du Hinweise darauf gibt, wie man vielleicht doch den Durchblick behält!
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Danke für den lobenden Kommentar!
Überall habe ich garantiert nicht den Durchblick, da will ich mich gar nicht brüsten. Aber einige Dinge erkenne ich schon. Bei dieser Überschrift war mir direkt klar, dass das nicht stimmig sein kann.
Von immer weniger zu schreiben, wenn eine Zunahme von fast 19 Prozent stattgefunden hat, passt einfach nicht.
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Es ist immer wieder erstaunlich wie Menschen aus anderen Dingen Sachen herauslesen können, die in ihr Weltanschaungsbild passen und dabei alle anderen Information außen vor lassen. Soll der Titel ausdrücken "Immer mehr weniger Menschen leben in ihrem eigenen Land und um so mehr in unserem" ? Ist das subtile Fremdenfeindlichkeit?
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Danke für den Kommentar!
Auch wenn ich sagen muss, daraus nicht ganz schlau zu werden. Das SRF ist der UN und internationaler Migration gegenüber freundlich gesinnt, hat aber in dieser Sache eine falsche Überschrift über den Artikel gesetzt. In der Schweiz haben wir eine lange Tradition der Ansässigkeit internationaler Organisationen. Die Vorläufer-Organisation der UN, der Völkerbund, war in Genf ansässig. Noch heute unterhalten viele UN-Organisationen einen Standort in Genf. Auch die meisten Staaten sind dort offiziell vertreten.
Da sehe ich keine subtile Fremdenfeindichkeit, bei mir sehe ich auch keine.
Und übrigens, willkommen auf steemit!
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Haha danke, ja meine Gedankengänge sind ein wenig komisch, da ich die Nacht mal wieder durchgemacht habe. Ich wollte mit meiner Frage nicht andeuten, dass die Seite Fremdenfeindlich ist, aber das jemand der es ist den Titel so für sich aufgreifen könnte. Hab mich vielleicht ein wenig doof ausgedrückt :)
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Bei der UN bin ich generell sehr vorsichtig. Schön dass du die Fakten so deutlich dargelegt hast.
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Danke für den Kommentar!
Wer mit klarem Verstand ist gegenüber der UN nicht kritisch? Das muss man sein, wenn man sich ansieht, wer sich dort trifft und wer sie bewirbt. Vor allem Politiker, Korporatisten, Schauspieler und Lehrer, die damit beauftragt wurden, bewerben die UN. Alles nicht wirklich meine engen Freunde.
Was haben die mit dem gewöhnlichen Arbeiter, Kleinunternehmer oder auch höheren Angestellten in Forschung und Entwicklung usw. zu tun? Sehr wenig, also bezeichne ich die garantiert nicht als meine Lobby.
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Was Du hier tust, nennt sich Recherche. Eigentlich ein fundamentaler Skill für einen Journalisten. Eigentlich...
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Danke für den Kommentar!
Ja, ein wenig Recherche habe ich für den Artikel betrieben. Aber der Journalist hätte eigentlich merken müssen, dass er über seinen Artikel nicht diese Überschrift setzen kann. Dafür müsste man halt verstehen, was man geschrieben hat.
Ich bin in dieser Hinsicht vielleich besonders privilegiert mit 6 Jahren Lateinunterricht und naturwissenschaftlichem Studium. Jetzt bitte nicht denken, ich bilde mir darauf etwas ein, tue ich eigentlich nicht, aber ab und zu muss man Leuten, die ihre Arbeit nicht vortrefflich tun. Ich habe das Gefühl, dass gerade Naturwissenschafter oder auch Informatiker, wenn sie sich gut ausdrücken können, präziser schreiben als etwa Juristen. Sie sind es mehr gewohnt, in dynamischen Abläufen oder Algorithmen denken zu müssen und diese adäquat zu beschreiben haben.
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