27. März 2017
Nachdem ich im ersten Teil der Rubrik Persönlichkeiten [1] einen kurzen Nachruf auf den Amerikaner David Rockefeller verfasst habe, geht es in diesem Fall mit Viktor Cathrein um eine wesentlich weniger bekannte Persönlichkeit, auf die ich erst letztens gestossen bin.
Vor einiger Zeit, etwa vor drei Jahren habe ich begonnen, politische Literatur zu lesen. Damals war ich vom hier herrschenden System ziemlich enttäuscht und begann, sozialistische Literatur und Inhalte zeitgenössischer, linker Kritiker wie Noam Chomsky oder Petr Vltchek zu lesen. Was mich an den meisten Inhalten störte, war die grosse Treue zu Ideen, mehr als zu empirisch erwiesen funktionsfähigen Systemen und die meist vorhandene Abhängigkeit von externer Energiezufuhr.
Weil mich das störte, bin ich weiter gegangen zu freiheitlicher, konservativer und anarchokapitalistischen Inhalten. Als Ergebnis kam dabei heraus, dass es auf jeder Seite Ideologen gibt und dass der (Sozial-)Staat in Europa momentan eine Realität darstellt, unabhängig davon, ob es dem Betrachter gefällt oder nicht. Von den Ideologen sind meiner Erfahrung nach in der Regel nicht Konzepte zu erwarten, die sich problemlos und mit vornehmlich positiven Auswirkungen realisieren lassen. Aktuell suche ich vorwiegend Inhalte über die Frühzeit der Sowjetunion und aus der Zeit bevor der Sozialismus dort umgesetzt wurde. Dazu interessieren mich auch politische und gesellschaftliche Werke von christlichen Autoren. Nichtreligiöse Betrachter dieses Blogs mögen das vielleicht nicht verstehen, ich erkenne bei der Lektüre aber, dass insbesondere die Katholiken die europäischen Gesellschaften über die Jahrhunderte sehr stark geprägt haben.
Einen Autor, der christlich war und früh kritisch über den Sozialismus geschrieben hat, habe ich gefunden, Viktor Cathrein SJ (*8. Mai 1845 in Brig, Kanton Wallis † 10. September 1931 in Aachen) [2, 3]. Einst war er wohl sehr bekannt, ich als Rechts- und Politlaien hatte noch nie von ihm gehört. Er war ein Schweizer Jesuit, Moral- und Rechtsphilosoph. Ein lesenswertes Kurzporträt findet sich auch unter [4] unter Ziffer 142. In der katholischen Kirche war er geweihter Priester, die Weihe empfing er 1877. Dem Jesuitenorden gehörte er da schon lange an, nämlich seit dem Jahr 1863. Zunächst war er nach der Kindheit in der Schweiz im süddeutschen Gorheim in eine Niederlassung der Jesuiten gegangen, wobei er 1873 Deutschland verlassen musste. Der Jesuitenorden wurde dort wie in der Schweiz 1873 verboten. Er ging mit deutschen Jesuiten nach England, ins Kolleg Ditton Hall, in der Nähe von Liverpool, welches wegen des Verbotes erst gegründet wurde [5].
Die St. Michaels Kirche des Jesuitenkollegs in Ditton, England [6]
Viktor Cathrein hat sich in seinen Werken oft auf das scholastische Naturrecht [7] bezogen, welches in den von mir übersetzten Präsentationen von Mark Passio auftaucht. Heute werden neue Gesetze selten auf ihre Kompatibilität mit dem Naturrecht überprüft, man formuliert eigenständig positives Recht (ob man das so formulieren kann?). 1890 veröffentlichte Viktor Cathrein sein erstes kritisches Werk über den Sozialismus: Der Sozialismus: Eine Untersuchung seiner Grundlagen und seiner Durchführbarkeit. Bis zum Ende seines Lebens kamen noch einige weitere Werke hinzu, die aber meist (noch) nicht elektronisch zu bekommen sind, auch wenn das Urheberrecht bereits abgelaufen ist. Dazu bezog Cathrein auch klar Stellung gegen Darwinismus und die Lehren des englischen Philosophen und Soziologen Herbert Spencer (1820-1903) [8]. Seine gesellschaftlichen Vorstellungen waren für damalige Zeiten ziemlich, für heutige unheimlich konservativ, aber gerade deswegen fand ich es interessant, darin zu lesen. Solches liest man in aktueller Literatur nicht mehr, aber damals war es legitime Wissenschaft, was für die grosse Abhängigkeit der Sozialwissenschaften vom zur entsprechenden Zeit herrschenden Zeitgeist spricht. Fragt sich nur wer, welche Partei mehr beeinflusst, welche mehr reagiert.
Weil es in den Texten Cathreins nicht nur darum geht, das damals vorherrschende System zu beweihräuchern, sondern auch um echte Moral und Tugendhaftigkeit und generelle Wahrheitssuche habe ich mich dazu entschlossen, darüber einen Artikel zu schreiben. Ich bin selber kein Befürworter einer moralisierenden Spiessergesellschaft und auch kein kadavergehorsamer Konservativer. Bewahren um des Bewahrens Willen, leiden um des Leidens Willen und ähnliches mag ich gar nicht. Ich möchte meinen Mitmenschen bei ihrer Lebensgestaltung so wenig wie möglich dreinreden. Allerdings erwarte ich selbiges auch von den anderen.
Dass auch Jesuiten gegen den Sozialismus geschrieben haben, war mir neu. Gerade in Oliver Janich's (@oliver-janich) Werk "Die Vereinigten Staaten von" wurden die Jesuiten als die Kraft in der katholischen Kirche bezeichnet, die am meisten für (globalen) Sozialismus kämpfen. In Südamerika gab es schon in der frühen Zeit der katholischen Mission, im 16. Jahrhundert, Jesuiten, die dort aktiv waren. Von 1609 – 1768 betrieben Jesuiten auf dem Gebiet des heutigen Paraguay einen Staat, der von verschiedener Seite als sozialistisch beschrieben wurde [10]. Der Staat verschwand mit der Vertreibung der Jesuiten aus dem Gebiet im Zuge des Verbots des Ordens im König- und Kolonialreich Spanien.
Inwiefern der Jesuitenorden wirklich für Sozialismus oder eine Weltregierung kämpft, ist mir nicht bekannt. Deswegen kann ich mich an den vielerorts angestellten Spekulationen nicht sinnvoll beteiligen. Ich weiss lediglich, dass es diesem Orden regelmässig gelungen ist, bildungstechnisch sehr weit oben zu stehen und sehr intelligente Menschen für sich zu gewinnen. Noch heute gibt es viele Bildungseinrichtungen, die den Namen des Ordensstifters Ignatius von Loyola (1491-1556) tragen [11]. Mit dem Schweizer Martin Rhonheimer [12] gibt es aktuell auch einen bekannten deutschsprachigen, katholischen Priester, der sehr freiheitliche Gedanken verbreitet. Teilweise werden seine Beiträge auch in den grossen Medien veröffentlicht.
[1] https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/persoenlichkeiten-001-david-rockefeller-12-juni-1915-20-maerz-2017
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Cathrein
[3] http://www.kathpedia.com/index.php?title=Viktor_Cathrein
[4] https://books.google.ch/books?id=HyBNtY4EILAC&pg=PA241&lpg=PA241&dq=viktor+cathrein&source=bl&ots=V2QZBn70gC&sig=tk4qn9Krqy-DN1TyAthy3FUcTLU&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjM_MCzz_bSAhVGQBQKHaNgBqMQ6AEIOTAF#v=onepage&q=viktor%20cathrein&f=false
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/St_Michael%27s_Church,_Ditton
[6] Das Bild darf frei verwendet werden. Urheber ist Peter I. Vardy. Gefunden wurde es unter:
https://en.wikipedia.org/wiki/St_Michael%27s_Church,_Ditton
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Naturrecht
https://de.wikipedia.org/wiki/Moraltheologie
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Spencer
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Jesuitenreduktion
[10] Sonderfall Paraguay - Vom Jesuitenstaat zur Agrarmacht. NZZ, 28. April 2015, Werner Marti.
https://www.nzz.ch/international/amerika/vom-jesuitenstaat-zur-agrarmacht-1.18530967
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Ignatius_von_Loyola
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Rhonheimer
Ich verabscheue Organisationen, deren Zweck darin besteht, über Menschen Macht auszuüben und dabei auch noch "moralische" Beweggründe als Begründung anführen. Egal ob sie Christliche Kirche, Islam, NATO, Antifa, SS oder Open society foundation heißen. Ihre Absichten wären jedoch keine Gefahr, wenn sich die Menschen nicht auch noch freiwillig ihren Postulaten und Dogmen unterwerfen würden.
Vielen Dank für deinen Beitrag, der wie immer interessante Informationen darbietet.
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Danke für den Kommentar.
Ich achte solche Organisationen auch nicht besonders hoch.
Je nachdem wie gut sie finanziell und personell aufgestellt sind, kommt man aber kaum darum herum, ihre Visionen, Vorhaben und Taktiken mindestens zur Kenntnis zu nehmen. Für einigermassen akzeptabel halte ich Organisationen, die sich auch nach aussen sehr lebendig geben und in denen auch eine Vielfalt der Ansichten und Kontroversen ihren Platz haben. Wenn sich scheinbar alle einig sein sollen, ist das für mich ein alarmierendes Zeichen. Bei den Klimamodelltheoretikern sollen sich ja 97 % der Beteiligten Systemdenker einig sein, ja welch ein Wunder, warum sollte man gegen die eigenen Geldgeber rebellieren?
Die katholische Kirche ist ein Musterbeispiel einer sehr langlebigen Organisation, das Konzil von Nicaea 325 liegt fast 1'700 Jahre zurück. Den Jesuitenorden seit 1540, der feiert auch bald sein 500-jähriges Bestehen.
Die meisten Menschen sind momentan leider in einem Stadium, in dem sie alles, was das Etikett international, Vereinte Nationen, NGO usw. trägt, für etwas edelmütiges, positives halten. Mit anderen Worten, sie sind nicht aufmerksam. Ich habe vor einigen Monaten beschlossen, mir von keinem solchen mehr die Meinung geigen zu lassen.
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Ich finde deine Erkenntnisreise durch die Literatur sehr anregend und bewundere deine Art und Weise, die Gesellschaft verstehen zu wollen, ihr auf den Grund zu gehen. Das strahlt eine große Ernsthaftigkeit aus und ich erwarte für die Zukunft, von dir noch einige wichtige Erkenntnisse zu lesen, denen ich nie auf den Grund gehen würde. Aber dass jede Seite ihre Ideologen, sprich Verrückten hat, das kann man auch ohne Quellenstudium täglich beobachten.
Ich meine fast @saamychristen, dass man das ganze Gesellschaftsgefüge ziemlich banal über den dicken Daumen peilen kann. In der Literatur liest du sowieso nur überwiegend Gedanken von Ideologen der jeweiligen Richtung und das ist immer Gift. Das gesellschaftliche Problem kannst du auf den Satz reduzieren, dass die einen zu viel und die anderen zu wenig haben. So einfach ist das.
Nun wäre es sinnvoll, getrost die zu vergessen und auszuschließen, die zuviel haben aber die machen ein ganz entscheidendes Problem. Wer zu viel hat, lebt in der ständigen Angst, das zu verlieren. Daher können diese Menschen nicht aufhören zu raffen. Womit sie zur Ursache dafür werden, dass andere zu wenig haben. So entstehen die gesellschaftlichen Lager an der Wurzel. Das Links–Rechts Schema ist in dem Zusammenhang für die einen Unterhaltung und für die anderen Beschäftigungstherapie. Damit bloß niemand aus diesem sinnlosen Reigen ausschert und vielleicht noch auf schlaue Gedanken kommt. Jeder soll immer schön in dem ihm zugewiesenen Schema verfangen bleiben. Wir haben es dabei mit Feudalismus 2.0 zu tun.
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Danke für den Kommentar!
Ich habe dem nicht viel hinzuzufügen. Was mich bei der Weltwirtschaft vielfach nervt, ist, dass oft gerade mit den Produzenten physischer Güter keine fairen Deals gemacht werden. Die Wertschätzung hat, wenn es nicht gerade um ausgewiesene Luxusgüter geht, sehr abgenommen.
Dass die wirklich Reichen dieser Welt grössere Schwierigkeiten haben, ihren Reichtum zu erhalten und zu vergrössern, glaube ich nicht. Dafür gibt es viel zu viele lukrative Finanzprodukte auf diesem Planeten, insbesondere auch ausserhalb des klassischen Bankensystems. Die haben sie sich vielfach auch durch besonders "geschickte" Anlagestrategien dem staatlichen Zugriff entzogen. Eine der offensichtlichsten geschah in den USA 1913. Die grossen Industriellen wie Rockefeller und Carnegie hatten bereits ihr Vermögen in steuerbefreite Stiftungen gesteckt, als die progressive Einkommenssteuer erhoben wurde.
Die Reichsten höher besteuern zu wollen, endet nicht selten in höheren Abgaben für wohlhabende Mittelständler, leider.
Wenn es etwas ausgeglichener zugehen sollte, dürfte es wohl notwendig sein, dass sich die einfachen Menschen aus dem de facto Sklaventum zum aufgeklärten, sich selbst genügenden Bürgertum entwickeln, was wiederum für die staatliche Herrschaft nicht ungefährlich sein dürfte.
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Nun beobachte ich das Spiel schon seit fünfundsechzig Jahren und konnte feststellen, dass es nicht nur in den zweitausend Jahren zuvor unmöglich war, sich der Gewalt und den Ränkespielen der Nimmersatten zu entziehen, sondern auch in den wenigen Jahrzehnten meines Lebens. Auf der einen Seite stehen die Nimmersatten, denen alle Gewalten auf Erden untertan sind und auf der anderen Seite stehen die Hungerleider, die nichts anderes werden wollen, als Nimmersatte. In diesem pathologischen Setup nach Vernunft zu suchen ist vergebliche Liebesmühe, @saamychristen. Ich persönlich habe mich diesem idiotischen Spiel schlicht entzogen, obwohl ich aus einer sehr großbürgerlichen Familie stamme. Ich habe nichts, ich bin nichts und ich will auch nichts mehr werden. So gehe ich, wie ich gekommen bin und habe wenigstens in dieser Hinsicht das gute Gefühl, niemandem etwas weggenommen zu haben. Aber ich habe trotzdem eine verdammt gute Zeit gehabt und habe sie immer noch.
Was die Wertschätzung der Produzentengüter betrifft, so ist die Ursache des Problems doch ganz einfach. Schau nur danach, wie viele Menschen z.B. an einer Tüte Milch mitverdienen wollen, die weder die Milch noch die Tüte jemals berührt haben. Ich nenne das Pack immer gerne Trittbrettfahrer.
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Wenn du das Spiel schon so lange beobachten kannst und tust, dann dürfte einiges dran sein.
Altersmässig sind wir definitiv nicht am gleichen Punkt, ich bin noch nicht 30 Jahre alt und habe, wenn mein Leben nach normaler Lebenserwartung abläuft, noch 50 Jahre vor mir, die ich soweit möglich gerne positiv gestalten möchte.
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Das ist ein sehr vernünftiger Plan, junger, ernsthafter @saamychristen. Danke, dass du mir stets so nett antwortest. Ich muss Dir jetzt aber mit einem ganzen Posting antworten, weil mich deine Antworten wohl zu einem profunden Schreib–Flash getriggert haben. Den Link dort hin gebe ich nachträglich an dieser Stelle bekannt.
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