Persönlichkeitsentwicklung 044 - Echoismus 1/2

in deutsch •  6 years ago 

27. Februar 2019

Dieser zweiteilige Beitrag handelt von einem ziemlich neuen Begriff aus der Psychologie, dem Echoismus. Im ersten Teil versuche ich mich an einer Einleitung, die auf eine ziemlich persönliche Weise darlegt, warum der Begriff und seine Definition bei mir eine Art Erleichterung ausgelöst hat. Dies ist ein Laientext, der selbstverständlich keine psychologisch-medizinische Beratung darstellt. Dennoch bin ich von der Wichtigkeit guter, laienhafter Darstellungen überzeugt, da sie nicht selten lebendiger und etwas praxisnäher sind als die der Experten. Im zweiten Teil gibt es die unautorisierte deutsche Übersetzung eines Textes, der im Herbst 2018 bei Psychology Today erschienen ist. Dieser wurde von einem renommierten Psychologen verfasst, der seit Jahrzehnten im Bereich Narzissmus arbeitet und forscht und bei der Begriffsdefinition des Echoismus mitgewirkt hat.

Begegnet ist mir der Begriff nicht erstmals dort, sondern in einem Beitrag der Journalistin Nathalie Gaulhiac, der bei Business Insider Deutschland erschienen ist [1]. Der genannte Psychologe ist Dr. Craig Malkin [2]. Dieser lehrt und praktiziert in den USA, in Cambridge MA, an der Harvard Universität.

Der Begriff Echoismus wurde in Anlehnung an die griechische Mythologie gewählt [1]. Es ging darum, einen Begriff zu finden, der das Gegenteil von Narzissmus [3] bedeutet. In dieser Mythologie gibt es die Legende der Bergnymphe Echo [4], die sich in den selbstverliebten Hirten Narziss [5] verliebte. Sie wurde zurückgewiesen und verschwand in der Folge stufenweise, bis nur noch ihre Stimme übrig blieb. Echoismus ist also mit Rückzug und Verfall in Selbstkritik und Entfremdung von der Erde verbunden, bis schlussendlich kaum mehr etwas übrig bleibt. Während Narziss durch seine Selbstverliebtheit in eine Blume verwandelt, verwelkt und stirbt, macht Echo einen Verfallsprozess durch. Sie verliert ihre Schönheit, ihre glatte Haut und ihre Knochen erstarren zu Stein. Die fortwährende Präsenz der Stimme zeigt auch, dass sie ihre Ruhe nicht finden konnte.

Auch wenn man als Laie bekanntlich sehr vorsichtig sein sollte mit medizinischen (Selbst-) Diagnosen fühlte ich mich von den Inhalten über Echoismus [1, 6, 7] unmittelbar angesprochen. An mir wurde der Befund nie diagnostiziert, aber fand mich direkt wieder in den Ausführungen. Ich wurde erstens sehr christlich-konservativ erzogen. Zweitens wurde ich nicht dazu erzogen, selbstbewusst zu sein oder zu werden, den eigenen Raum einzunehmen, sich nicht beirren oder vertreiben zu lassen und auch auf den eigenen Ansichten zu bestehen. Vielmehr wurde mir recht früh klargemacht, dass ich zu den starken und selbständigen Menschen gehöre. Ein Teil der Bestimmung der Starken sei es, den schwächeren zu helfen.

Das ist soweit in Ordnung und stimmte besonders in der Schulzeit auch weitgehend. Aber es entstand in mir nahezu ein Mantra der Selbstlosigkeit und der Absicht, möglichst niemandem in irgendeiner Weise zur Last zu werden. Damit muss ein niedriges eigenes Selbstwertgefühl verbunden sein, man fühlt sich nicht würdig oder wichtig genug, andere mit den eigenen Problemchen zu belasten. Das Problem lag also nicht nur in wenig tauglichen Eingaben von aussen, sondern auch am suboptimalen eigenen Umgang damit und am Eigeninteresse gemessen seltsamen Vorstellungen von Tugend. Dann kamen in der Jugend neue Beschäftigungen dazu, die andere Anforderungen stellten. Zum einen war da der Umgang mit Frauen. Da erntete ich bis auf Zurückweisungen kaum etwas positives. Wenigstens wurde etwas versucht, würden Berufsoptimisten dazu sagen. Wenn es um Schulstoff ging, erschien fast alles logisch, die Gesetze der zwischenmenschlichen Interaktion blieben hingegen ein Rätsel mit vielen Siegeln.

Dasselbe geschah im Studium, was früher in der Schule logisch funktionierte und mit etwas Einsatz und einigermassen strukturiertem Lernen gute Noten lieferte, funktionierte so gar nicht mehr. Die Prüfungsinhalte, die Art der Fragestellungen und die Bewertungen erschienen mir die ganze Zeit zum grossen Teil auf Zufall aufgebaut zu sein. Natürlich gab es die Genies, die einfach alles durchschauten und konnten und deswegen keine Schwierigkeiten hatten, aber es gab auch Mitstudenten, die ich regelmässig in völliger Ahnungslosigkeit erlebte, die es aber dennoch scheinbar mühelos und mit deutlich weniger Lernaufwand fertigbrachten, bessere Prüfungsresultate zu erzielen als ich.

In der Folge begannen bei mir wie kaum anders zu erwarten grosse Analyseprozesse. Die Fragen lauteten:

  • Warum stehen Fleiss/Aufwand und Leistung/Ertrag in riesiger Disharmonie?
  • Was mache ich falsch?
  • Was muss sich ändern?
  • Wie muss ich mich ändern?
  • Wie stellt sich Erfolg ein?
  • Welche Hilfe brauche ich genau?
  • Was ist der Kern dessen, das mir fehlt?

Da ich nicht wusste, an wen ich mich am besten wenden sollte und ich auch kaum jemanden in meiner Umgebung hatte, zu dem das entsprechende Vertrauen aufgebaut war, gelang es mir nur sehr begrenzt, die kritischen Punkte zu erkennen und gezielt Verbesserungen vorzunehmen. Seit diese Zeit zu Ende ist hat sich aber viel getan und nicht zuletzt habe ich mir auch noch einmal Zeit genommen, bewusst Änderungen an mir selbst vorzunehmen. Interessanterweise haben mich zu damaliger Zeit immer wieder Mitstudenten und Bekannte im selben Alter um Rat gefragt, fast immer konnte ich zufriedenstellend helfen, nur mir selbst helfen konnte ich nicht.

Dass die Bildungsinstitute in der Regel genau für diese Probleme Angebote geschaffen haben, ist löblich. Damit man als Betroffener ein solches Angebot in Anspruch nimmt, muss erst das Bewusstsein vorhanden sein, dass möglicherweise ein psychologisches Problem vorhanden ist, nicht bloss ein Mangel an Talent. Wer im Alltagshamsterrad läuft wie ich damals, vor lauter Bäumen den Wald kaum sieht und sich selbst keine Kapazitäten für weitere Aktivitäten einräumt, wird gemäss meiner Erfahrung kaum selbst darauf kommen und den möglichen Ausweg hoffnungsvoll erkennen. Es bedürfte des Ratschlags einer Vertrauensperson oder der Anwendung leichten Zwangs von deren Seite, damit man sich dieser neuen Sache überhaupt erst öffnet. Erst dann kommt es wohl zur Erkenntnis und Bewusstwerdung, welches Problem gerade vorliegt, in welche Dingen und Vorstellungen man irrt, was mögliche Lösungsansätze sein können und was zu dessen Lösung zu tun ist. Wie üblich liegt das Problem auch darin, dass man in der Regel erst dann zum Arzt geht, wenn man krank ist. Wenn das Haus im Vollbrand steht, ruft man die Feuerwehr, aber diese heilt das Haus in der Regel nicht, sondern rettet, was noch zu retten ist und versucht zu verhindern, dass die Umgebung um das Haus grösseren Schaden nimmt.

Im Rückblick ist vor allem ärgerlich zu sehen, wie viel Zeit durch suboptimale Erziehung verschwendet wird und die Erkenntnis, dass man sich durch falsche Programmierung des Verstandes in bedeutender Weise um Chancen und ein gedeihliches Vorankommen bringen kann. Ich schätze heute, dass mich das im Studium in jeder Prüfung etwa 10-20 % meines Potentials gekostet hat, in Noten ausgedrückt 0,5 bis 1,25 Noten. Das entspricht dem Bereich zwischen einer knapp§ ungenügenden Leistung und einer mittleren genügenden bis knapp guten. Mängel in der persönlichen Entwicklung haben mich somit zu wesentlichen Teilen um ein harmonisches, zielgerichtetes Vorankommen gebracht und mir immer wieder Rückschläge beschert.

In Prüfungsbesprechungen nahmen mir Professoren kaum ab, dass ich durch ihre mir kryptisch erscheinenden Fragestellungen sehr verunsichert war. Sie beharrten stets darauf, dass ich fachlich grossen Nachholbedarf hätte. Wer soll ihnen auch verübeln. Sie haben teilweise pro Prüfungssession 40-50 mündliche Prüfungen abzunehmen, da ist es schwierig, bei jedem Prüfling noch auf dessen persönliche Situation Rücksicht zu nehmen.

Dass meine Mängel eher nicht im Fachlichen bestanden, zeigte sich jeweils dann, wenn es darum ging meine praktischen Arbeiten zu besprechen. Dann gab es überhaupt keine Probleme, dies auf gefühlter Augenhöhe zu tun. In einer solchen Situation ist der Professor auf den Studenten angewiesen, der sich für seine Arbeit in Literatur einlesen und Experimente durchführen muss, die der Professor möglicherweise gerade einmal der Spur nach oder gar nicht kennt. So bereitete es mir nicht die grösste Mühe, in der Abschlussarbeit eine sehr gute Leistung zu erreichen. Wenn es um die Reproduktion von Vorlesungsstoff geht, ist die Lage anders, da kann ein Professor seine überlegene Erfahrung von in der Regel 10+ Jahren theoretisch und praktisch gegenüber dem Studenten mit einem oder zwei Semester Theorie und mit Glück etwas Praxis im entsprechenden Fach problemlos ausspielen. Eine sehr unangenehme Ausgangslage, wenn man gerade nicht mit einem hohen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl gesegnet ist.

Der wichtigste Schluss, den ich aus dieser Zeit für mich ziehe, ist der, dass viel intensiver mit verschiedenen Menschen im fortwährenden Austausch und Dialog stehen will und ganz allgemein mehr Vertrauen aufbauen möchte. Das senkt die Wahrscheinlichkeit, sich plötzlich irgendwo im Abseits wiederzufinden und sich in einer bezüglich einer oder mehrerer Sachverhalte ratlos und verlassen zu fühlen.


Im zweiten Teil steht die Übersetzung eines Artikels des erwähnten Psychologen Craig Malkin, der im Herbst 2018 bei Psychology Today erschienen ist [6]. Er trägt den Titel Neun Dinge, die jeder über Echoisten wissen sollte. Craig Malkin hat zum Thema Echoismus auch ein Video aufgenommen [7], in dem er einige Aspekte des Echoismus anspricht.

Craig Malkin hat zwei Bücher veröffentlicht - Rethinking Narcissism (deutsch Narzissmus neu durchdacht) [8] und The Narcissistic Test (deutsch als Der Narzissten-Test erschienen) [9]. Ane einem weiteren war er als zweiter Autor beteiligt [10] - When Depression Hurts Your Relationship: How to Regain Intimacy and Reconnect with Your Partner When You're Depressed (deutsch Wenn die Depression Ihrer Beziehung schadet: Wie man Intimität zurückgewinnt und sich wieder mit seinem Partner verbindet, wenn man depressiv ist.).


Das in den letzten Tagen einige Male von @fabio erwähnte Buch Manipulism and the Weapon of Guilt - Collectivism Exposed [11] (deutsch Manipulismus und die Waffe der Schuld - Kollektivismus entlarvt) des Dänen Mikkel Clair Nissen handelt ganz wesentlich von Narzissmus, aber auch von einer Abwandlung davon, die sich nicht extrem stark vom Echoismus unterscheiden dürfte. Es geht um den narcissist inferiority complex - den narzisstischen Minderwertigkeitskomplex. Dieser beinhaltet, dass Menschen mit tiefem Selbstwertgefühl sich gerne um andere kümmern, helfen wo es nur geht, dies aber nicht unbedingt tun, weil sie das so gut können, sondern weil sie durch die Dankbarkeit und Belohnungen angetrieben werden, die sie sich unbewusst in der Zukunft als Gegenleistung erhoffen. Das ist sicher nicht ganz dasselbe und Nissen nannte es auch nicht Echoismus. Nissens Buch erschien aber auch schon 2013, also bevor der Begriff Echoismus eingeführt wurde.


[1] „Echoisten“ sind das Gegenteil von Narzissten — und das ist nicht unbedingt besser. Business Insider Deutschland, 25. Februar 2019, von Nathalie Gaulhiac https://www.businessinsider.de/echoisten-sind-das-gegenteil-von-narzissten-und-das-ist-nicht-unbedingt-besser-2019-2
[2] Craig Malkins Webseite: http://www.drcraigmalkin.com/
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Narcissism
https://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Echo_mythology
https://de.wikipedia.org/wiki/Echo_Mythologie
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Narcissus_mythology
https://de.wikipedia.org/wiki/Echo_Mythologie
[6] 9 Things Everyone Should Know About Echoists. Psychology Today, 28. September 2018, von Craig Malkin https://www.psychologytoday.com/intl/blog/romance-redux/201809/9-things-everyone-should-know-about-echoists
[7] Are You an Echoist? Dr. Craig Malkin YouTube Kanal, 06. Dezember 2018
[8] Rethinking Narcissism: The Secret to Recognizing and Coping with Narcissists. Craig Malkin, 2016, Harper Perennial. Amazon: https://www.amazon.com/dp/0062348116/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_.0IDCbTG4VSX3
[9] The Narcissist Test. Craig Malkin, 2001, Thorsons. Amazon: https://www.amazon.com/dp/000758380X/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_-0IDCbRBG8WR8
Der Narzissten-Test. Craig Malkin, Dumont. Amazon: https://www.amazon.com/dp/3832198156/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_V2IDCb5Q40AMT
[10] When Depression Hurts Your Relationship: How to Regain Intimacy and Reconnect with Your Partner When You're Depressed. Shannon Kolakowski und Craig Malkin, 2014, New Harbinger Publications. Amazon: https://www.amazon.com/dp/B00HZ9SA92/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_12IDCb6TG7ZBH
[11] Manipulism and the Weapon of Guilt - Collectivism Exposed. Mikkel Clair Nissen, 2013, im Selbstverlag erschienen. Amazon: https://www.amazon.com/dp/B00BUL83JI/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_ODPDCb6BRH0ZN Als Hörbuch kostenlos bei YouTube, Wiedergabeliste: https://www.youtube.com/playlist?list=PLfNI5HyhCb7uHKFF7YKYGEJniWb-A2xI_


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