Als Schweizer bin ich zwar nicht wirklich involviert in die politischen Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland. Aber ich bin sehr interessiert am Wohlergehen des ganzen europäischen Kontinents. Gerade deswegen sehe ich mich je länger desto mehr bemüssigt, zur politischen Entwicklung in EU- und Nicht-EU-Europa Stellung zu beziehen. Deutschland nimmt für mich als das wirtschaftlich stärkste meiner Nachbarländer eine Schlüsselposition ein.
Seit einiger Zeit sehe ich als aufmerksamer Beobachter allzuoft politische Entscheidungen, zu denen mir vor allem eine Frage einfällt: "Sind sich die Entscheidungsträger in der Politik nicht bewusst, dass sich auch Europa in weltweiter Konkurrenz befindet und deswegen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Erdteilen zu den absolut prioritären Kernpunkten und nicht zu Randpunkten gehört?" Mit anderen Worten sei gesagt, dass auch in Europa wirtschaftliche Gesetzmässigkeiten gelten, die nicht durch politische Quacksalberei wie Verschuldung ins Unendliche, ideologisches Gerede bei Themen wie sozialer Wohlfahrt und Energieversorgung oder mittels Planwirtschaft gelöst werden können.
In Deutschland ist die Ausgangslage aktuell einigermassen prekär. Kein anderes Land hat in der Vergangenheit ähnlich viel bezahlt, um das bürokratische Konstrukt EU zu finanzieren. Obwohl von vielen Wirtschaftsgelehrten behauptet wird, Deutschland habe massiv von der Einführung der europäischen Währung Euro profitiert, lassen sich auch gegenteilige Erkenntnisse formulieren. Was den reinen Export von Gütern anbelangt, dürften genannte Experten Recht haben. Was den Anstieg vieler Preise und damit die Entwertung der Währung betrifft, dürften sich viele einfachen Leute nicht positiv über die Währung äussern. Der seit langer Zeit sehr hohe TARGET2-Saldo [1] der Deutschen Bundesbank - aktuell mehr als € 715 Mia. - zeigt auch auf, dass es mit dem Rückfluss an Währung innerhalb der EU nicht ganz reibungslos klappt. Dazu hat Deutschland einige Souveränität über das eigene Budget an die EU und ihre Institutionen abgegeben.
Politisch herrscht in der aktuellen Legislaturperiode, die von 2013 bis 2017 dauert, im Parlament eine übermächtige grosse Koalition aus CDU/CSU und SPD [2]. 503 der 630 im Bundestag vorhandenen Sitze, 79.8 %, vereinen die beiden Parteien auf sich, die CDU/CSU 310, die SPD 193. Die sehr kleine Opposition von nur 127 Sitzen verteilen sich auf die Linken mit 64 und die Grünen mit 63 Sitzen. Bei der Wahl zum 18. Bundestag waren zudem die Parteien FDP mit 4.8 % und die damals ganz neue AfD mit deren 4.7 sehr knapp an der 5 % Hürde gescheitert, die zum Einzug in den Bundestag berechtigt. Mit weiteren kleinen Parteien ergab sich somit ein Wähleranteil von nicht gerade geringen 15.8 %, der im aktuellen Bundestag nicht vertreten ist.
CDU/CSU 41,5 %, SPD 25,7 %, Linke 8,6 %, Grüne 8,4 %, FDP 4,8 %, AfD 4,7 %, Sonstige 6,1 %.
Für 2017 werden nicht ohne Grund grössere Veränderungen erwartet. Zunächst wird die Politik der grossen Koalition nicht unbedingt von weiten Teilen des Volkes akzeptiert und hoch geschätzt. Steuern und Abgaben sanken in der aktuellen Legislatur nicht, die Löhne sind auch nicht gestiegen, für Spareinlagen gibt es dank der Politik der Zentralbanken keine Zinsen mehr, dazu wird durch dieselben Institute der Wert der Währung mittels Schöpfung aus dem Nichts weiter verdünnt. Der einfache Mensch, der eigenverantwortlich leben möchte, wozu auch Vorsorge und Lebensplanung gehört, sieht sich einem grösseren Teil dieser eindeutig negativen Entwicklungen machtlos gegenüber und ist deswegen auch nicht erfreut.
Nicht zuletzt deswegen dürfte klar sein, dass mindestens die beiden Regierungsparteien 2017 Sitze verlieren werden. Die beiden Parteien AfD und FDP dürften mit Sicherheit in den Bundestag einziehen. Die FDP hat sich nach ihrem Absturz 2013 wieder konsolidiert, aber nirgendwo bestechende Erfolge erzielt. Ein Ergebnis in der Nähe von 10 % dürfte in der FDP als Erfolg gehandelt werden.
Bei der AfD sieht die Lage anders aus. Es handelt sich um eine sehr junge Partei, die im Moment durchaus ein Sammelbecken für diejenigen Bürger darstellt, die mit der Politik der anderen Parteien nicht glücklich werden. Neben einem Parteiprogramm, das man mit jenem der CDU von vor ca. 15 Jahren vergleichen könnte, sucht sich die AfD ihre Themen vor allem in den Bereichen, in denen die bekannten Kräfte das Lösen von Problemen versäumt haben oder die Meinung vieler Bürger signifikant in eine andere Richtung tendiert als diejenige in den genannten Kreisen. Damit lassen sich momentan je nach Bundesland Wähleranteile zwischen 10 und 25 % erreichen. Bisher hat die AfD auch noch nirgendwo Regierungsverantwortung getragen, insofern kann ihr im Moment auch kein konkretes Versagen in der Vergangenheit angelastet werden.
Wenn man sich die Mitglieder der AfD betrachtet, ist dort durchaus Vielfalt vorhanden. Von Arbeitern zu Ingenieuren und Professoren ist alles vorhanden, bezüglich der Geschlechterverteilung gibt es Stand April 2016 aber einen ganz klaren Männerüberschuss von ca. 5/1 [4]. Von damals ca. 22'000 Mitgliedern waren nur ca. 3'400 weiblich. Ich verorte den Grund dafür darin, dass der AfD seit ihrer Gründung medial immer wieder ein harscher Gegenwind entgegengebracht wird. Meiner Erfahrung nach neigen Frauen mehr zu Gruppenverhalten als Männer und sorgen sich auch mehr um ihre Konformität. Dies quantitativ untermauern bin ich aber nicht fähig, es handelt sich um eine subjektive Einschätzung.
Abzuschätzen, wie gross der Wähleranteil sein wird, den die AfD 2017 auf sich wird vereinen können, ist nicht ganz einfach. Umfragen zeigen Ergebnisse zwischen 12 und 16 %. Weniger dürften es dann werden, wenn es innerhalb der Partei noch einen handfesten Skandal gibt. Mehr ist bei einer geschickten Nutzung der aktuell vorhandenen politischen Dynamik sicherlich auch möglich und die Richtung zeigte bei der AfD über die letzten Jahre trotz interner Krisen meist nach oben. Ein ganz wichtiger Punkt dürfte in der AfD der Auswahl der Kandidaten liegen. Bei einem derart jungen Produkt ist bei vielen Parteimitgliedern keine umfassendes Profil zu erstellen oder erstellt worden und die politische Historie bei vielen wohl wenig umfangreich.
Letztens war ich von einer Rede im Landtag BW, gehalten von Prof. Dr. Jörg Meuthen sehr beeindruckt. Es ging um die Erbschaftssteuer, die die AfD aufgrund komplizierter Bürokratie und wenig Effizienz ganz abschaffen möchte. Der Volkswirtschafter Meuthen zeigte sich gegenüber den anderen Parteien sehr angriffslustig und stellte freiheitlich und wirtschafsliberal Denkende mit Zitaten von Frédéric Bastiat und Ludwig von Mises zufrieden [5].
Nun die beiden Abschätzungen für 2017. Die erste habe ich aus aktuellen Umfragewerten destilliert [6]:
Sollten es wiederum 630 Sitze geben, würden diese folgendermassen verteilt, in Klammern ist die Veränderung zu 2013 angegeben: CDU/CSU 210 (-100), SPD 140 (-53), Linke 70 (+ 6), Grüne 77 (+ 14), AfD 86 (+86) und FDP 45 (+45). Auffällig sind vor allem die zu erwartenden Verluste für die Parteien der grossen Koalition, in dieser Abschätzung sind es deren 153.
Eine zweite Abschätzung habe ich mit dem Zweck angestellt, zu sehen, unter welchen Umständen sogar eine grosse Koalition nicht mehr möglich sein wird. Ich habe dabei einen recht AfD- und FDP-freundlichen Wahlausgang gewählt. Das scheint aktuell keine besonders realistische Vorstellung zu sein, trotzdem möchte ich sie hier erwähnen.
Für wiederum 630 Sitze würde sich das Ergebnis in Sitzen folgendermassen lesen: CDU/CSU 183 (-127), SPD 120 (-73), Linke 82 (+ 18), Grüne 79 (+ 16), AfD 100 (+100) und FDP 66 (+66). In diesem Fall würden die aktuellen Regierungsparteien 200 Sitze verlieren. Interessant an diesem Ausgang wären folgende Punkte:
- keine grosse Koalition möglich,
- keine linke Koalition aus SPD, Linken und Grünen möglich,
- welche zwei Parteien holt sich die CDU zur Regierungsbildung ins Boot? Die SPD muss nicht dabei sein.
Verluste von 120 bis 170 Sitzen dürften für CDU/CSU und SPD realistischerweise zu erwarten sein. Wie diese damit umgehen, ist mir nicht bekannt. Wäre ich in einer dieser Parteien mitverantwortlich für die strategische Ausrichtung, würde ich mir viele Gedanken machen. Gemäss einem Artikel, der gestern bei Welt online erschien, setzt der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, und damit wohl auch die Parteispitze weiter auf die amtierende Bundeskanzlerin [7], deren Talent, das Volk zu einen in den vergangen Jahren eindeutig abgenommen hat.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie nahe an der Realität die von mir gezeichnete Variante zu liegen kommt. Bisher habe ich mich mit solchen Prognosen mangels profundem Wissen eher zurückgehalten. Eindeutig ist, dass bis zum Wahltermin noch viel geschehen wird, das den tatsächlichen Ausgang zu beeinflussen vermag.
[1] https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_details_value_node.html;jsessionid=0000UPEnjzj6v3sHjQMHmH7455y:-1?tsId=BBFI1.M.N.DE.4F.S121.S1.LE.A.FA.O.F2___T2.S._T.N.N&
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2013
[3] Welt.de, Merkel total für Bundestag 2017
https://www.welt.de/politik/deutschland/article158972746/Die-CDU-plant-im-Wahlkampf-Merkel-total.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Alternative_f%C3%BCr_Deutschland
[5] Jörg Meuthen zur Erbschaftssteuer, Landtag BW.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2017
[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article158972746/Die-CDU-plant-im-Wahlkampf-Merkel-total.html
[8] Das Bild des Bundestages wurde von User Jürgen Matern bei Wikipedia im Artikel "Bundestagswahl 2017" veröffentlicht und darf unter CC BY-SA 3.0 weiterverbreitet werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2017