Politik 007 - Russische Einflussnahme im Westen?

in deutsch •  8 years ago  (edited)

Bereits im Dezember habe ich zwei Mal über russische Propaganda und Einflussnahme berichtet und Beiträge aus Mainstream und alternativen Medien verlinkt [1, 2].

Aktuell sind bei der Süddeutschen Zeitung zwei Artikel erschienen [3, 4], die zum einen aussagen, dass der für seine akribische Arbeit bekannte BND bislang keine Beweise für eine unmittelbare Einflussnahme von russischen Geheimdiensten zu Tage fördern konnte. Allerdings steht in den einleitenden Punkten des zweiten Artikels, dass wegen mangelnder Überzeugung von dieser russischen Spur vonseiten des Chefs des Kanzleramts, Peter Altmaier, der Bericht des BND der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Auch beim Spiegel gibt es diese Woche in der Printausgabe einen Artikel. Unter dem Titel "Putins Schläfer" [5] wird unter anderem ein vor langer Zeit geflüchteter Tschetschene zitiert, der schätzt, dass etwa jeder zweite neu in Deutschland einreisende Tschetschene für den Russischen Inlandsgeheimdienst FSB arbeitet. Darüber, dass vermehrt Tschetschenen nach Deutschland einwandern, wurde 2016 mehrfach berichtet und auch von mir zitiert.


Der Dienstsitz des Deutschen Bundesnachrichtendienstes, die Garde-Schützen-Kaserne in Berlin Lichterfelde [6].

Von aussen betrachtet sind ein Paar Eckpunkte der politischen Situation bekannt. Die EU und damit auch Deutschland befindet sich mit Russland in einem Konfllikt. Beiderseits wurden offiziell Sanktionen eingeführt, über die inoffiziellen Aktivitäten wird relativ wenig berichtet. Aufgrund der wesentlich heterogeneren Strukturen in der EU stelle ich mir die Einflussnahme in der EU im Prinzip einfacher vor, als in der homogeneren, strenger hierarchischen Struktur in der Administration der Russischen Föderation.

Die EU selber unterhält gemäss meinem Wissen bisher keinen eigenen Geheimdienst. Inoffizielle Aktivitäten sind also den Mitgliedsländern vorbehalten. Die Agenden der Mitgliedsländer dürften sich nicht nur in Bezug auf die Russische Föderation unterscheiden.

Darüber, wer in der europäischen Politik oder im Bereich der Einflussagenten hoch in der russischen Gunst steht, lässt sich zurzeit vor allem mutmassen. Dass es im Apparat der europäischen Regierungen und der EU eine grosse Zahl von alten Kommunisten wie ehemalige Angehörige von radikal-linken Bewegungen und Parteien gibt, ist ein Fakt. Anders als der Westen, der oft via Lobbyorganisationen, Denkfabriken und dergleichen einigermassen öffentlichkeitswirksam arbeitet, konzentrieren sich die Russen mehr auf personenbezogene Netzwerke, die weniger öffentlich einsehbar sind. In dieser Hinsicht müsste auch klar werden, dass Russland sich wohl grosse Mühe gibt, für ihre Zwecke einflussreiche Leute zu gewinnen. Es geht also bei weitem nicht nur um Mitglieder von Systema-Kampfsportschule, einfache, nicht wohlhabende Russlanddeutsche oder um gen Westen gesandte z.B. Tschetschenische Pseudoflüchtlinge, die in Wahrheit Agenten sind. Natürlich gibt es in Tschetschenien auch Menschen, die tatsächlich unter der Russischen Führung leiden.

Bezüglich Russland kann man im alternativmedialen Bereich aktuell eine klare Frontstellung beobachten. Einerseits gibt es die Fraktion der teilweise auch selbsternannten "Putin-Versteher", die ihrer Position bisher treu geblieben sind. Diese negieren praktisch jeden Versuch, auch ehrliche, russische Einflussnahme oder mögliche krumme Aktivitäten von russischen Geheimdiensten in die Öffentlichkeit zu tragen. Die linke Zeitung "Junge Welt" mit Chefredakteur Rainer "Topas" Rupp hat auch wiederholt viel Verständnis für die Russische Aussenpolitik geäussert. Zu diesem Verhalten ist zu sagen, dass sich diese Leute wohl selber keinen Gefallen tun. Denn unabhängig davon, wer nun mehr Verantwortung für die aktuelle Konfliktsituation trägt, ist diese eine Realität. In einer solchen Situation die Sicht der eigenen Administration zu verteufeln und die andere Konfliktpartei zu verteidigen kann einen durchaus in die Ecke "Landesverrat" bringen.

Eine weitere Fraktion ist diejenigen der deutschen Patrioten und der freiheitlichen Antikommunisten. Deren Skepsis vor der Russischen Föderation ist ähnlich gross wie es die vor der Sowjetunion früher auch war. Von Überläufern aus der UdSSR, namentlich sind mir Anatolyi Golitsyn, Jan Seyna, Vasily Mitrokhin und Yuri Bezmenov bekannt, sind in grösserem Umfang Bücher erschienen, die ab den 1960er Jahren eine grossangelegte Desinformationsstrategie vonseiten UdSSR gegen den Westen verfolgt wird. Speziell gegen die offene Gesellschaftsform soll diese Strategie gerichtet sein, da diese das Herzstück der westlichen wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und Stärke darstellte, gegen die ein kollektivistisch-sozialistisches System systembedingt nicht den Hauch einer Chance hat. Von dem letztgenannten Yuri Bezmenov sind einige Videos bei Youtube gelandet, die jeder an Geheimdiensten und Desinformation interessiert ist, gesehen haben sollte. Unter anderem ein Interview mit G. Edward Griffin, einem Autor und Mitglied der John Birch Society [7].

Gemäss den Überläufern soll die Sowjetunion via einen kontrollierten, inszenierten Zusammenbruch untergegangen worden sein. Dasselbe gilt auch für die DDR. Das System und die Infrastruktur waren in einem Masse marode geworden, dass es nicht länger in der alten Form konserviert werden konnte. Mit diesem nach aussen hin schön präsentierten Untergang sollten erst einmal ausländische Fördergelder eingezogen und damit die Infrastruktur modernisiert werden, um danach den Sowjetkommunismus in neuem Gewand und am liebsten weltweit wiederauferstehen zu lassen.

Das Problem dieser Bücher ist, dass ihr Fundamente meist recht alt sind. Brandaktuelle Insidergeschichten gibt es leider kaum. Der deutsche Journalist Boris Reitschuster [8], den ich für einen sehr sympathischen und soweit ich einschätzen kann auch ehrlichen Menschen halte, hat vorwiegend auf europäischen Mainstreamquellen aufbauend, im Frühling 2016 das Buch "Putins verdeckter Krieg: Wie Moskau den Westen destabilisiert" veröffentlicht. Reitschuster hat in der Vergangenheit bereits mehrfach das Machtsystem unter Wladimir Putin kritisch beschrieben.

Die bekanntesten Antikommunisten im deutschsprachigen Raum, die im alternativmedialen Bereich respektive in Büchern die zweite Front bilden, sind wohl Alexander Benesch und Torsten Mann. Torsten Mann [9] hat die Bücher "Weltoktober: Wer plant die sozialistische Weltregierung?" und "Am Vorabend der Weltrevolution: Moskaus Strategie für die Neue Weltordnung" verfasst, in denen er sich sehr intensiv mit den russischen Taktiken auseinandergesetzt hat. Manns Herkunft als Autor liegt in rigoroser Kritik an der grünen Bewegung, der er zwei Bücher gewidmet hat.

Er hat heute auf seinem Facebook [10] Profil einen Post verfasst, über dem ich mit ihm diskutiert habe:

Vielleicht sollte ich mich mal beim BND oder beim Verfassungsschutz bewerben? Dort braucht man offenbar dringend Unterstützung in der Frage, wie man »russische Desinformation« erkennt und wie man ihr entgegenwirkt.

Vielleicht sollten die deutschen Geheimdienste mal untersuchen, wer die Werbeanzeigen eines bestimmten, in der Amerikahasser-Szene sehr bekannten Magazins bezahlt? Oder den Informationsweg zurückverfolgen, über den die "alternativen Medien" für gewöhnlich ihre antiwestlichen Verschwörungstheorien beziehen?

Und nein, meine Herren, der Kreml versucht nicht erst »seit 2014 mit einem deutlich "konfrontativeren Kurs", im Westen Unruhe zu stiften«, sondern mindestens schon seit dem Jahr 1960!

Angesichts solcher Geheimdienstberichte fragt man sich, ob BND und Verfassungschutz mittlerweile schon von der Stasi übernommen wurden? Aber vielleicht tue ich den deutschen Geheimdiensten auch völlig Unrecht? Vielleicht liegt das Problem einfach daran, dass das Kanzleramt von der FDJ übernommen wurde? Das wäre dann allerdings auch ein Versagen der deutschen Geheimdienste, das sich jedoch im Hinblick auf Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz korrigieren ließe.

Meine erste Antwort, die ich in einer durchaus pointierten Art geschrieben habe:

Das einzige, was in der Retrospektive also revidiert gehört, ist das Appeasement während Schröders Regierungszeit. Von den Russlandverstehern wird diese Zeit geradezu zur Referenz gekürt, was sie gemessen an den letzten sechs Dekaden überhaupt nicht ist. Seit den 1990er Jahren sollen zudem unglaubliche Mengen an Investitionen nach Russland geflossen sein. Jürgen Roth hat soweit mir bekannt mal von ca. 120 Mia. DM in den 1990ern gesprochen. Und wofür das Ganze? Um nachher wieder im Konflikt zu stehen? Und dann wird ein Geschrei produziert, wenn US-Stiftungen seit dem Ende der UdSSR 5 Mia. für Demokratisierung in der Ukraine ausgegeben haben.

Wird wirklich aufgedeckt, was über die letzten Dekaden Russenpropaganda war, wird es für viele Aktivisten schwierig werden. Anti-AKW-Bewegung, kommunistische "(Friedens-)Bewegung, Club of Rome (globalistisch) Geschwafel wie Nullwachstums- und Selbstbeschränkungs- und -Schwächungsthesen, Sozialstaatsaufblähung, Marktwirtschaftsverachtung im Bildungssystem, die Behauptung der Westen beute die ganze Welt aus usw. Die Fanfaren aus Moskau tönen mannigfaltig!

Mann antwortete:

Schon im Jahr 1917 ist davor gewarnt worden, dass Russland »seine Irrlehren über die Welt verbreiten, (...) Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören« werde. Aber die Leute wollten es nicht glauben. Und als zwangsläufige Folge davon werden sie irgendwann dran glauben müssen!

Ich habe darauf noch folgendes Statement geschrieben:

Irgendwann wird man daran glauben müssen, aber keiner wird verstehen, woher die Zersetzung herkam. Dies wäre aber der zentrale Punkt. Ich kenne das russische Volk nicht besonders gut, aber dass die Russen bezüglich ihres Bewusstseins nicht auf der Höhe von interessierten Menschen im Westen sind, dürfte wohl stimmen. Drei Generationen UdSSR liegen denen arg in den Knochen.

Im Bezug auf die aktuelle Konfliktsituation kann ich das Verhalten der Russlandversteher kaum mehr verstehen. Die sagen bei allem, was an russischen Aktivitäten aufgedeckt wird, es sei absurd, Russland zu verdächtigen. Selbst wenn gemäss ihrer Theorie der Westen mehr verbockt hat als Russland, müssten sie doch wenigstens die Realität des aktuellen Konflikts anerkennen und merken, dass die Russen inoffiziell mehr tun, als ein Paar Gegensanktionen zu verhängen. Mit dieser Haltung bringen die sich freiwillig in die Nähe des Landesverrats, was ihnen dereinst zum Verhängnis werden wird. Wobei eine politische Einstellung nahe des Landesverrats in der deutschen Politik nach meinem Empfinden nicht besonders aussergewöhnlich ist und nicht ausschliesslich auf Desinformation aus Moskau zurückgeht.

Im Bezug auf die grüne Bewegung gibt es auch Bücher des einigermassen bekannten Autors Dr. John Coleman [11], in denen die als von globalistischen ThinkTanks und eventuell auch aus Moskau mitaufgebaute Betrugsmasche bezeichnet. Coleman behauptet von sich, für den Britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet zu haben. Seine Bücher gelten allerdings als verschwörungstheoretisch und verfügen auch nicht über detailgetreue Anmerkungen und Quellenverzeichnisse.

Abschliessend sei gesagt, dass mein Interesse nach wie vor darin liegt, der Realität so nahe wie möglich zu kommen. Hetze, Verleumdung oder reine eigene Profilierung liegen nicht in meinem Interesse. Ein Problem der EU und der europäischen Länder, insbesondere Deutschlands, im Umgang mit der Russischen Föderation und deren Präsident Wladimir Putin liegt für mich in der mangelhaften Formulierung von Eigeninteressen.


[1] Politik 005 - "Kampf" gegen "Russische Propaganda" in Europa.
https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-005-kampf-gegen-russische-propaganda-in-europa
[2] Ideologie 015 - Fake News, Russland greift Europa an?
https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-015-fake-news-russland-greift-europa-an
[3] Geheimdienste - BND: Keine Beweise für Desinformations-Kampagne Putins. Süddeutsche Zeitung, 6. Februar 2017
http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienste-bnd-keine-beweise-fuer-desinformations-kampagne-putins-1.3365839
[4] Geheimdienste - Die Angst vor dem langen Arm des Kreml, 7. Februar 2017
http://www.sueddeutsche.de/politik/demonstrationen-und-hackerangriffe-spur-und-vorurteil-1.3366393
[5] "Putins Schläfer". Der Spiegel 2017/6, Seite 39, von Gunther Latsch.
[6] Das Bild darf unter Creative Commons 3.0 verwendet werden. Urheber ist "Fridolin freudenfett (Peter Kuley)". Gefunden wurde das Bild in folgendem Artikel bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesnachrichtendienst
[7] Yuri Bezmenov: Deception Was My Job (Complete)


Tomas Schuman (Yuri Bezmenov) Soviet Subversion of America - Full L.A. Lecture (1983)

Yuri Bezmenov - The Art of Subversion and Demoralization
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Gute Arbeit, aber Kreml ist nicht kommunistisch! Die würden nicht mit linke zusammenarbeiten.

Danke für den Kommentar. Welcher Ideologie der Kreml genau anhängt, ist für mich nicht einfach so zu beantworten. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch dort der Pragmatismus wichtiger als Ideologie geworden ist.

Mir ist wichtig, irgendwie den Spagat zwischen verschiedenen Informationsquellen, die mir zur Verfügung stehen, hinzubekommen. Gleichzeitig möchte ich möglichst unbelastet von Ideologie schreiben.