Einleitung
In diesem Artikel veröffentliche ich den ersten Teil meiner deutschen Transkription eines Interviews, welches in Schweizerdeutsch geführt wurde. Wegen des grossen Umfangs veröffentliche ich es in drei Teilen Das Gespräch fand im Jahr 2014 statt. Der 2015 verstorbene Publizist und Historiker Erwin Bischof [1] wurde vom Gründer des nationalkonservativ ausgerichteten Schweizerzeit Verlag, Ulrich Schlüer [2], interviewt. Der erste Teil umfasst die ersten 10 Minuten des Interviews, zu dem ich alle wesentlichen Anmerkungen anfügen wollte.Bischof veröffentlichte 2010 und 2013 via seinen Verlag zwei Bücher, die die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Schweiz zum Thema hatten:
Honeckers Handschlag. Beziehungen Schweiz-DDR 1960–1990: Demokratie oder Diktatur.
Verräter und Versager. Wie Stasi-Spione im Kalten Krieg die Schweiz unterwanderten.
Ulrich Schlüer ist in der Schweiz nicht unbedingt als Sympathieträger bekannt. Seine klare politische Ausrichtung, die insbesondere die nationale Souveränität und strenge Nichteinmischung in internationalen Organisationen, dazu eine konservative Grundhaltung umfasst, hat ihn sehr of Angriffen ausgesetzt. Schlüer ist promovierter Historiker, war Gymnasiallehrer für Geschichte und auf allen Ebenen der Schweizer Politik aktiv. Er ist darüber hinaus Herausgeber und Chefredakteur des Magazins Schweizerzeit [3].
Ich fand das Gespräch so interessant, dass ich es transkribierte. Teilweise weiche ich von den im Original gewählten Worten ab, um eine verbesserte Lesbarkeit zu gewährleisten. Den Sinn der Aussagen habe ich weitestgehend nicht zu verfälschen versucht.
Das Interview - Teil I. Die Bedrohung aus dem Osten
Ulrich Schlüer: "Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Ich begrüsse Sie herzlich zur Juli-Ausgabe des Schweizerzeit-Magazins. Herausgegeben oder gestaltet von der Zeitung, die das aussprechen will, was andere nicht sagen wollen. Ich habe einen Gast, der in genau dieses Bild hineinpasst. Ich bin bei ihm zu Gast, bei Dr. Erwin Bischof, Publizist in Bern. Er ist einer, der hartnäckig Wissen behalten und weitergeben will. Aus der Zeit des Kalten Krieges, in der es auch von der Schweiz aus gewisse Verbindungen in kommunistische Länder gegeben hat. Erwin Bischof hat sich auf das Verhältnis Schweiz-DDR spezialisiert. Wer hat damals was getan? Wer hat damals legal oder illegal Verbindungen gepflegt? Hat es Spionage gegeben? In welchem Ausmass hat es Spionage gegeben? Das sind die Fragen, mit denen wir uns heute beschäftigen werden. Dr. Erwin Bischof hat sein Wissen in zwei Büchern festgehalten. "Honeckers Handschlag" heisst das eine, "Verräter und Versager" das andere. Beide befassen sich mit Personen, die die Verbindungen Schweiz-DDR, sei es gutgläubig oder verräterisch, gepflegt haben. Es sind empfehlenswerte Werke, beide sind im Interforum Verlag erschienen, der dem Autor Erwin Bischof selber gehört. Zuerst, Herr Bischof, bitte ein Paar Worte zu Ihrer Herkunft. Sie sind Historiker und haben Ihre Jugendjahre im Kalten Krieg zugebracht."Erwin Bischof: "Danke vielmals für die Einleitung. Ich kann folgendes sagen: Häufig werde ich gefragt, warum ich Bücher über den Kalten Krieg schreibe. Eigentlich ist das eine besondere Aufgabe, die man sich stellen kann. Mindestens in der Schweiz kommt das sehr selten vor. In Deutschland gibt es viel mehr Menschen, die das tun. Aber wir Schweizer hatten als Bürger eines neutralen Staat eine andere Situation. Trotzdem waren auch wir im Kalten Krieg dabei, wie ich auch festgestellt habe. Zu meiner Herkunft: Ich habe Geschichte studiert, in Bern bei Professor Walther Hofer (1920-2013). Er war Professor und der wohl berühmteste Schweizer Historiker, weil er wichtiges über den Nationalsozialismus geschrieben hat. Sein Buch "Der Nationalsozialismus" erzielte eine Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren. Bis man als Historiker mit einem Buch auf eine Millionen Exemplare kommt, braucht es unheimlich viel, das ist unter Publizisten bekannt. Hofer hatte grossen Einfluss in Deutschland, weil das genannte Buch dort auch als Unterrichtsbuch verwendet wurde. Das Buch wurde von Helmut Kohl gefördert und Hofer hatte auch in Berlin eine Professur (er lehrte an der Freien Universität Anm.). Ich bin dewegen nach Bern studieren gegangen. Dazu habe ich noch eine andere Gemeinsamkeit mit ihm, die wichtig ist. Er war ein sehr kämpferischer Mensch, ist auch in die Politik gegangen, war Nationalrat (von 1963-1979, grosse Parlamentskammer der Schweiz, 200 Sitze), in den er auf Anhieb gewählt wurde. Dies nachdem er von Berlin nach Bern an die Universität zurückgekommen war. Das war die Zeit, in der ich an die Universität Bern gekommen bin. Das kämpferische ist sehr wichtig. Im Buch "Der Nationalsozialismus" hat er nicht nur beschrieben wie es dort wohl war, sondern er hatte stets auch eine Meinung dazu, was mir gefallen hat.
Ulrich Schlüer: "Während des Kalten Krieges war er auch Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, in der er eine sehr markante Stimme war."
Erwin Bischof: "Im Nationalrat war harter Kampf angesagt. Es gab sehr harte Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts in der Zeit des Kalten Krieges. Einige Linke waren sogar noch Kommunisten, 10-20 oder noch mehr. Dasselbe galt für die kantonalen Parlamente. Jean Vincent (1906-1989) [4] und wie sie alle geheissen haben. Die waren sehr aktiv und viele lagen im Clinch mit ihnen."
Ulrich Schlüer: "Gehen wir zum Thema Schweiz-DDR. Zunächst eine grundsätzliche Frage: Herr Bischof, war die Schweiz echt bedroht während des Kalten Krieges? Von der DDR. Wenn ja, worin hat die Bedrohung bestanden?"
Erwin Bischof: "Das ist meine eigentliche Haupterkenntnis, die ich im einen Buch in der Einleitung dargestellt habe. Dazu gab es ganz verschiedene Auffassungen. Die Linken und im Speziellen die Kommunisten sagten, dass die DDR überhaupt keine Bedrohung darstelle. Die ganze Bedrohung sei lediglich von den Bürgerlichen aufgebläht und aufgemacht worden (heute würden diese als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, Anm.) im Zivilverteidigungsbuch [6]. Noch heute heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz unter den Stichworten Kommunismus [7] und Antikommunismus [8], dass die kommunistische Bedrohung gar nicht reell gewesen sei. Das sei ein Mythos gewesen, den die Bürgerlichen benutzt hätten, um Wähler hinter sich zu scharen. Das ist völlig falsch! Ich habe den Beweis angetreten und 600 Seiten darüber geschrieben. Natürlich ist das nicht die absolute Wahrheit, aber es ist alles seriös recherchiert in den Archiven. Das ist ein eigentliches Novum, niemand aus der Schweiz hat sich durch die Deutschen Archive durchgearbeitet, um sich das genau anzusehen. Genau das wollte ich tun und mir die Sachen vor Ort ansehen."
Ulrich Schlüer: "Kann man aus der Auseinandersetzung mit den Originalquellen feststellen, ob der Schweiz in dieser Zeit, von den 1950er Jahren bis 1989, echter Schaden erwuchs oder war das nur ein ideologischer Kampf? "
Erwin Bischof: "Genau das war es nicht. Meine erste Erkenntnis war, dass die Bedrohung viel grösser war, als man gemeinhin angenommen hatte. Sie war aufgrung mangelnden Wissens eigentlich viel grösser. Unsere Behörden, wir haben eine Bundespolizei und einen Geheimdienst, haben schon mehr gewusst, als sie herausgegeben haben. Dass das so ist, ist aber klar. Wenn es wieder einmal einen Prozess gegeben hat, wurden wichtige Erkenntnisse daraus nicht dargelegt in der Öffentlichkeit. Dies zu tun, wäre eine Selbstschädigung gewesen. Man musste damals sehr zurückhaltend sein, aber da wurden Erkenntnisse gesammelt. Meine zweite Erkenntnis war, dass die Behörden bei weitem nicht über alle Spione Bescheid wussten und sie dementsprechend auch nicht alle überwachen konnten. Stets wurde von den Behörden begründet, sie hätten gewusst, dass es viel mehr Spione gegeben hätte. Interessant ist, dass ich in den Akten lesen konnte, dass die Bundespolizei von etwa 500 Ostspionen ausging, von denen sie 50 überwachen konnte. Das wurde damals so festgestellt."
Ulrich Schlüer: "Sie haben vorhin das Zivilverteidigungsbuch erwähnt. Ich kann mich an jenes noch sehr gut erinnern. Zu dieser Zeit habe ich in Zürich am Gymnasium Freudenberg unterrichtet, wo genanntes Büchlein im Staatskundeunterricht behandelt wurde. Das Büchlein hat sehr stark polarisiert. Einerseits wurde in der Öffentlichkeit polemisiert, dass die Herausgeber hinter jedem Baum einen lauernden Spion zu sehen glaubten. Andererseits standen im Büchlein reelle Feststellungen, die der aufmerksamen Leser zum Schluss kommen liessen, dass Gefahren vorhanden sind. Danach hat es nie mehr eine Zeit gegeben, in der der Staat ein ähnliches Buch herausgegeben und an alle Hauahalte verteilt hatte. Das war eine ausserordentliche Massnahme. Es könnte darauf hinweisen, dass der Staat trotz des Unwissens in einigen Punkten die Sache sehr ernst genommen hat."
Erwin Bischof: "Natürlich. Ich habe dies nochmals genau studiert, wobei ich damals ja auch gelebt habe. Im Parlament ist die Diskussion über dieses Büchlein total einseitig geführt worden. Ich erinnere mich daran, dass der führende Kommunist, Jean Vincent, gesagt hat, dass im Zivilverteidigungsbuch alles falsch und gelogen ist. So hat der dies gesagt, im Parlament. Im Zivilverteidigungsbuch gibt es ein Kapitel über die 'psychologische Kriegsführung', welches den Hauptstreitpunkt darstellte. In genanntem Kapitel wurden 9 oder 10 Arten der möglichen psychologischen Kriegsführung dargelegt. Unterwanderung (mehr fällt Erwin Bischof leider nicht ein, Liste unter [9]). 10 Varianten psychologischer Kriegsführung wurden dort aufgezählt. Bei der Arbeit an meinem Buch wollte ich alle genannten Aspekte überprüfen. Bis auf eine dieser Varianten wurden in der Schweiz alle praktiziert. Massive Spionage, Unterwanderung der Universitäten, der Journalisten und Medien wurde bewiesen. Die nicht praktizierte Variante war der Aufstand, die höchste Eskalationsstufe, die Anwendung von Gewalt, die hat es in der Schweiz nicht gegeben. Aber, in wievielen Länder gab es diese Anwendung von Gewalt? In Ostberlin, Budapest, der Tschechoslowakei usw. hat es Aufstände gegeben mit Einsatz von Panzern und vielen Toten im Ergebnis. Auch die höchste Eskalationsstufe wurde in der Praxis angewendet."
Weiter zu Teil II:
https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/politik-009-schweiz-im-kalten-krieg-spionage-teil-ii
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Bischof
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Schlüer
[3] https://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/startseite
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Hofer
[5] https://fr.wikipedia.org/wiki/Jean_Vincent_(homme_politique)
[6] Schweizer Zivilverteidigungsbüchlein, 1969. Herausgegeben von der Schweizerischen Eidgenossenschaft, verteilt an alle Haushalte.
http://www.libenter.ch/090610_zivilverteidigung_1969_v1.4_de.pdf
[7] Historisches Lexikon der Schweiz: "Kommunismus"
http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17455.php
[8] Historisches Lexikon der Schweiz: "Antikommunismus"
http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D27836.php
[9] Zivilverteidigung, S. 225-275. Die zweite Form des Krieges
- Verräterische Parteien
- Defaitismus und Pazifismus
- Sympathiepropaganda
- Einschüchterungspropaganda
- Wirtschaftskrieg
- Spionage
- Zermürbung und Subversion
- Desorganisation des politischen Lebens
- Terror
- Staatsstreich und Intervention