08. Juni 2017
Vor kurzem haben die im deutschsprachigen Raum bekannten Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie, Andreas Marquart und Philipp Bagus, ein neues Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel "Wir schaffen das - alleine!" [1] und ist ein Bekenntnis zu kleinen Staaten, sowohl was deren Fläche, Bevölkerung und Interventionstiefe betrifft. Dass den Autoren grosse Zentralstaaten und umfangreiche Bürokratien nicht gefallen, überrascht mich nicht, denn gerade die bereits erwähnte österreichische Schule hat sich als eine der wenigen Ausprägungen der Wirtschaftslehre sehr ausführlich mit den gesellschaftlichen Mechanismen befasst, die sich in der Wirtschaft zeigen, dazu mit den im Hintergrung ablaufenden Prozessen wie Anreizsystemen.
Nicht wenige Vertreter dieser Schule sind zum Schluss gekomen, dass gerade in Bürokratien und in vielen Regelungen für das wirtschaftliche Treiben der Menschen und Unternehmen falsche Anreize grossen Einfluss haben und es darüber hinaus Regulierungen gibt, insbesondere im heutigen Finanzsystem, die zwingend grosse Verzerrungen hervorrufen müssen. In den Regulierungen enthalten sind auch allerlei Privilegien für die Finanzindustrie und Grossunternehmen, die die vielerorts verbreitete Annahme, man hätte es noch immer mit einer freien Marktwirtschaft oder einem Kapitalismus zu tun, weitgehend widerlegen. Was besonders in Andreas Marquarts Vortrag gut herausgearbeitet ist, ist die Kritik am Primat der Politik. Gegenwärtig werden viele Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens politisch und ideologisch diskutiert, wobei sich diese in einem Markt mit den ihm innewohnenden ehrlichen System von Anreizen eventuell gar nicht manifestieren würden, wobei eine solche Ansicht in der Politik als neoliberal abgetan und angesichts des angeblich grossen Marktversagens obsolet bezeichnet wird.
Sowohl Marquart als auch Bagus haben zur Vorstellung des Buches Vorträge gehalten, in Berlin [3, 4]. Beide beinhalten Plädoyers für Dezentralisierung in der Verwaltung und Förderung des Subsidiaritätsprinzips bis hin zur Teilung von Staaten in kleinere Ordnungen. Was mich etwas gestört hat, daran erkennt man wohl, dass beide Autoren Ökonomen sind, ist die teilweise etwas umständliche Sprache. Wenn ich Zentralisierung kritisiere, kann ich das auf eine ganz einfache Weise tun. Zentralisierung bedeutet generell eine Konzentration von Verantwortung und damit auch eine Akkumulation von Risiken. Wenn ein einzelner Mensch über seine Geschicke bestimmt, leidet er und eventuell sein Umfeld wegen einer schlechten Entscheidung. Hat ein Mensch die Macht erhalten, über das Schicksal vieler Menschen zu bestimmen, zieht eine schlechte Entscheidung wesentlich weitere Kreise und es ist nicht einmal garantiert, dass der Fehlbare seinen Fehler erkennt und seine Verbesserung wirklich anstrebt.
Wenn der Machthaber oder Entscheidungsträger einer gewissen Anonymität in einem Riesenreich erfreuen kann und es für die Bürger eines grossen Aufands bedarf, auszuwandern oder das Auswandern, vielleicht sogar das Reisen, von Staates wegen verboten ist, ist der Druck auf bessere Entscheidungen nicht allzu gross. Dieser wächst dann, wenn viele kleine Staaten auf engem Raum koexistieren und damit entsprechender Wettbewerb um gute und sich längerfristig positv auswirkende Entscheidungen vorhanden ist.
Als grosser Fan der Industrie und ausgebildeter Chemiker, der zwar nicht im Anlagenbau tätig ist, habe ich ein Interesse an Produktionsanlagen, die ich nicht selten für echte Wunderwerke halte. Diese werden in den meisten Fällen auch zentral gesteuert, allerdings und das gilt vor allem für kritische Prozesse, müssen eine ganze Reihe von Sicherheitsmassnahmen eingebaut werden, die auch bei einem Ausfall der Primärsteuerung noch funktionieren. Es braucht also nicht ein einzelnes operierendes System, sondern daran angehängte, die redundant zu diesem angelegt sind.
In der Industrie ist das die Ausgangslage und wer versagt und Unfälle produziert wird dafür haften müssen. Es nützt nichts, ein einziges operierendes System ideologisch zu verklären oder für alternativlos zu erklären, man wird im Falle des Versagens dafür bestraft und wird auch mit einer Beschädigung des eigenen Rufes in der Gesellschaft konfrontiert sein.
Chancen und Gefahren der Zentralisierung oder Vereinheitlichung
Die Kommunikation kann durch die Einführung entsprechender Standards bedeutend einfacher gestaltet werden. Wobei die Standards sinnvoll gestaltet werden müssen und in ihrer Komplexität so gestaltet werden, dass sie von den meisten Menschen nachvollzogen und verinnerlicht werden können. Im Bereich der Industrienormen gibt es einige gute Ansätze, aber auch dort hat in vielen Teilen ein grosser Regulierungseifer Einzug gehalten.
Die Anzahl von Entscheidungsträgern in gleicher Funktion kann mit Zentralisierung verringert werden. Dokumente wie zum Beispiel Identitätspapiere können in einem Staat von einer einzigen Zentralstelle herausgegeben werden, es braucht nicht in jeder Stadt oder jedem Verwaltungskreis eine Stelle, die das kann, sondern nur Aussenstellen, die die Formalitäten regeln, damit die Kunden nicht von weit her anreisen müssen. Mit Zentralisierung geht aber in der Regel die Vergrösserung der Hierarchien einher. Da eine HIerarchie in der Regel in Pyramidenform angelegt ist, führt eine Erhöhung vielleicht zu einer Verringerung von Entscheidungsträgern in gleicher Funktion aber trotzdem zu mehr Personal und Bürokratie.
Regeln, die populär sind und gleichzeitig an vielen Orten in gleicher Form gelten, vereinfachen die wirtschaftliche Tätigkeit und auch die Mobilität. Allerdings sollte auch hier Wert darauf gelegt werden, dass die Regeln bezüglich ihres Inhaltes gut formuliert sind. Wenn es Verbesserungsbedarf gibt, muss dieser rasch und unkompliziert erzielt werden können.
Im Bildungssystem ist eine gewisse Vereinheitlichung sicherlich wünschenswert. Wer Kinder hat und umzieht, möchte seine Kinder gerne nahtlos in der gleichen Stufe wie vorher unterrichtet sehen. Wer Ausbildungen besucht, möchte nicht, dass der Abschluss nur in der Heimatstadt Gültigkeit besitzt, sondern mindestens regional. Menschen, die ein Fach studieren, möchten nach ihrem Abschluss gerne international als Sachverständige akzeptiert werden. All dies war schon möglich, bevor die Staaten die Ausbildungen weitgehend zu kontrollieren begannen. Und auch heute können private Bildungsanbieter die Kompetenzen derer, die bei ihnen ausgebildet werden, veröffentlichen und mit den Anforderungen von Industrie und Gewerbe beispielsweise via deren Verbände in Einklang bringen.
Kleine Tabelle mit logischen Punkten im Vergleich mit der heute vorherrschenden Realität
Eigenschaft | Gesellschaft 1 | Gesellschaft 2 | heutige Realität |
---|---|---|---|
konsumfreudige Gesellschaft | Ja | Nein | Ja |
Ersparnisse | knapp | vorhanden | sehr unterschiedlich |
Kreditmenge | klein | gross | rekordgross |
Zinssätze | hoch | tief | rekordtief |
Risiko Zahlungsausfall | gross | gering | rekordgross |
In der Tabelle geht es nicht darum, exakte Informationen zu transportieren, sondern darum, ein ganz fundamentales, heute vorherrschendes Problem zu zeigen. Die Fälle 1 und 2 zeigen Gesellschaften, wie sie durchaus existieren können, aber ausschliesslich Marktmechanismen ausgeliefert sind. Im ersten Fall, der konsumfreudigen Gesellschaft ist automatisch klar, dass Ersparnisse ein knappes Gut darstellen, weswegen sich deren Preis, also der Zins, erhöht. Kredite werden darum kaum vergeben, weil sie sehr teuer sind.
Im zweiten Fall handelt es sich um eine wenig konsumfreudige Gesellschaft, in der viel gespart wird. Weil Ersparnisse in hohem Masse verfügbar sind, verringert sich deren Preis und die Zinsen fallen. Das impliziert aber, dass gleichzeitig die Aufnahme von Krediten günstiger wird.
In der heute vorherrschenden Realität sieht es Dank der Schaffung vieler Privilegien für die Finanzindustrie sehr anders aus. Bis auf den Energiesektor, dort wird man von Staates wegen zu grosser Sparsamkeit gemahnt, wird zu exzessivem Konsum aufgerufen. Viele Menschen sind verschuldet, insbesondere wenn sie Wohneigentum besitzen. Dasselbe gilt für Wohlfahrtsstaaten, die sich dauernd in hohem Masse verschulden. Nicht zuletzt durch den Zwang zur Partizipation in bestimmten Vorsorgemodellen, berufliche und (teil-)private, die zum Kauf von Staatsanleihen verpflichtet werden. Durch die dauernde Neuaufnahme von Schulden wächst auch das Risiko eines Zahlungsausfalls, welches unter Marktbedingungen zu einem Anstieg der Zinsen führen muss. Im aktuell vorherrschenden System gibt es Agenturen, die die Bonität von Kreditnehmern einstufen und dazu gibt es für Zentralbanken die Möglichkeit Leitzinsen willkürlich festzulegen. Unter anderem wegen dieses Privilegs sieht man sich heute mit der extrem gefährlichen Situation rekordtiefer Zinssätze bei gleichzeitig rekordgrossem Risiko eines Zahlungsausfalls konfrontiert. Dazu gibt es anders als bei industriellen Produktionsanlagen keine redundanten Sicherungssysteme, was das Risiko weiter erhöht und eine Problemlösung absolut zwingend macht.
Abschliessend noch eine ganz kurze Anmerkung zu ideologischen Diskussionen. Ideologien beinhalten Konzepte, die in der Regel über ihre tatsächliche Wirksamkeit hinaus verklärt und teilweise geradezu als Heilslehren propagiert werden. Über fast die ganze Zeit seiner Existenz war der Mensch vor allem damit beschäftigt, sich selber am Leben zu erhalten, damals war kaum Platz für Ideologie, dafür waren praktische Intelligenz und Pragmatismus, aber auch physische Stärke gefragt. Platz für Ideologie gibt es eigentlich nur in reichen Zivilisationen, sie stellen also primär einen Luxus und nicht eine Notwendigkeit dar. Dies sollte man immer im Kopf behalten, wenn man es mit idealisierten Vorstellungen und Konzepten zu tun hat. Allerdings will ich nicht als jemand verstanden werden, der solche Konzepte am liebsten gänzlich über Bord geworfen sehen möchte. Nein, das gesellschaftliche Zusammenleben beinhaltet viele Punkte, an denen Konflikte auftreten können. Um diese oder vor allem deren unkontrollierte Eskalation vermeiden zu können, ist eine gemeinsame Wertebasis unter den Menschen nötig und auch die Sanktionierung jener, die sich nicht daran halten wollen, völlig unabhängig von dem Rang, den sie in der Gesellschaft innehaben.
Für mich ist wichtig, dass zwischen den Begriffen Regulierung und Privilegierung unterschieden wird. Denn es ist schon ein Unterschied, ob durch eine Regel jemand gegenüber anderen eindeutig bevorzugt wird oder ob die Regel niemanden bevorzugt, aber das Zusammenleben verbessert. Privilegierung halte ich in sogenannt rechtsstaatlichen Demokratien für ein ganz schwieriges Thema, da in den meisten Ländern in der Verfassung etwas von der Gleichheit vor dem Gesetz für ein jedes menschliches Individuum steht. Das gilt aber vor allem für Bürger. Ausländer müssen stets gewisse Abstriche in Kauf nehmen, da sie in der Regel auch nicht allen Bürgerpflichten nachzukommen haben. In Mittel- und Westeuropa sind die Bedingungen für Ausländer meist sehr gut bis vorteilhaft, was in vielen anderen Ländern nicht der Fall ist. In Russland etwa darf man als Ausländer ein Grunstück nur in einer 50 %-igen Teilhabe erwerben, die andere Hälfte muss von Einheimischen besessen werden. Soweit mir bekannt, darf man in Thailand keine Arbeiten verrichten, die nicht auch von vielen Einheimischen verrichtet werden können.
Als junger Erwachsener war ich in der Schweiz mit der aufkommenden Diskussion konfrontiert, ob die Schweiz vonseiten der EU eingeführte, neue Regulierungen automatisch übernehmen soll. In mir regte sich unmittelbar die Frage: "Wer versichert der Schweiz, dass die EU sinnvolle Regularien einführt? Wer hat der EU ein Abonnement auf Weisheit und vorausschauendes Handeln geschenkt?" Die richtige Antwort lautet, es gibt keine Garantie und auch keine Weisheitsabonnemente. Deswegen sollte man ganz neuen Regulierungen immer die nötige Skepsis gegenüberstellen. Handelt es sich um Verbesserungen in die Jahre gekommener Richtlinien, die von den Betroffenen als nicht zeitgemäss erkannt werden, darf man offen sein. Allerdings sollten diese Betroffenen imstande sein, ihrer Argumentation eine objektive Qualität zu verleihen. Damit nicht nur deren eigene Interessen, sondern auch der gesellschaftliche Kontext diskutiert werden kann.
[1] Wir schaffen das - alleine!. Andreas Marquart, Philipp Bagus, FBV, 2017
https://www.amazon.de/dp/3959720432/ref=cm_sw_r_cp_dp_T1_qlpozbDBST73K
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Schule
[3] Europa: Wettbewerb statt Brüssel - Andreas Marquart. misesde, 26. Mai 2017.
Präsentation des Buches „Wir schaffen das – alleine!“ anlässlich der Münchner Wirtschaftsgespräche am 5. April 2017. Die Autoren Andreas Marquart und Philipp Bagus zeigen, warum kleine Staaten in sehr vielen Bereichen einfach besser sind. Das Vorwort zum Buch stammt von Roland Tichy. Andreas Marquart ist Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.
Manuskript (wohl nicht ganz deckungsgleich): http://www.misesde.org/?p=15836
[4] Philipp Bagus: Mehr Europa - weniger EU. misesde, 26. Mai 2017. Dieselbe Veranstaltung wie die unter [3] genannte.
[5] Wirtschaft wirklich verstehen: Einführung in die Österreichische Schule der Ökonomie. Rahim Taghizadegan, FBV, 2011.
https://www.amazon.de/dp/3898796248/ref=cm_sw_r_cp_dp_T1_-BpozbZVKMGXW