Meine Erfahrungen vom zweiten Tag der G20 Proteste – Schwerverletzte, Pressezensur, Schanzenviertel zwischen Bürgerkrieg und Seelenfrieden

in deutsch •  8 years ago  (edited)

Der zweite Tag der Proteste brach an, Freitag, an dem ich über 50 km gelaufen bin.

Freitag

Morgens – Block G20 - Eine gute Idee mit schnellem Ende

Freitagmorgen gab es verschiedene Treffpunkte für verschiedene Aktionen. Ein Bündnis hatte dazu aufgerufen den Hafen zu blockieren, ein anderes die Stadt Hamburg. Angedacht waren friedliche bunte Sitzblockaden. An dem Treffpunkt zu dem wir gingen, kamen viele Leute. Es sollte die Stadt blockiert werden. Doch schon nach wenigen Metern wurden wir gestoppt. Überraschung, die Robocops sind wieder da. Direkt wurde unsere Protestgruppe versucht zu vereinzeln, was auch klappte. Vorher waren wir weit über 1000 Leute, jetzt nur noch 50. Viel machen konnten wir erstmal nicht mehr, denn wir fürchteten Angriffe der Polizei.
Nach ein paar Stunden trafen wir dann wieder andere bunte Gruppen, unter anderem auch mit Musikern. Zusammen sollte eine Sitzblockade auf einer großen Kreuzung stattfinden. Aber dann das übliche Spiel. Kaum befanden sich die Demonstranten auf der Kreuzung, kamen auch schon die Wasserwerfer und Knüppelgarden und drohten mit Eskalation, wenn die Kreuzung nicht sofort geräumt wird. Also verließen alle erfolglos die Kreuzung, die Repression war zu stark.
Während dieses Morgens und Vormittags waren also tausende Menschen in Kleingruppen unterwegs. Doch worauf lag der mediale Fokus? Auf einer kleinen Gruppe Vermummter, die einen ganzen Straßenzug Autos anzündeten. Im Vergleich zu den tausenden friedlichen Menschen die gerade unterwegs waren, waren die paar Zündler wirklich eine Minderheit. Kleinwagen anzünden ist natürlich eine sehr fragliche Aktion. Doch der psychologische Effekt war schon stark. Der ganze Himmel über Hamburg war in schwarze Rauchwolken gehüllt. Was sich die Präsidenten wohl gedacht haben müssen, die zu dieser Zeit gerade zur Konferenz wollten? Ich denke, das symbolische Zeichen war klar: Niemand hat hier Bock auf euch und eure veraltete, autoritäre Politik. Auch wenn die Methode mehr als zu hinterfragen ist, wie gesagt. Doch auch die tausenden friedlichen Menschen die unterwegs waren, hatten einen kleinen Erfolg, sie konnten den Ablauf der Konferenz verzögern. So kam Trump zum Beispiel zu spät wegen der ganzen Menschen auf den Straßen.

Mittag – Lügen durch die Polizei und vermehrte Pressezensur

Der Mittag verlief erstaunlich ruhig. Es war mal an der Zeit im Internet zu schauen, was die Außenwelt eigentlich so berichtet. Auf Twitter tauchten plötzlich Fotos von Transportpanzern der Bundeswehr in Hamburg auf. Grundsätzlich sind Bundeswehreinsätze im Inneren ja erstmal nicht legal. Auf Anfrage sagte die Polizei Hamburg, das wäre ein Zufall und hätte nichts mit G20 zu tun. Zwanzig Minuten später berichtete jedoch Spiegel Online, die Bundeswehr hätte ihnen bestätigt, dass sie den Polizeieinsatz unterstützen. Die Polizei lügt. Naja, ist ja nichts neues. Außerdem häuften sich immer mehr Aussagen von Journalisten, denen ohne Begründung ihre Akkreditierung entzogen wurde. Natürlich waren das vor allem die eher kritischen Journalisten. Auch war vermehrt von Journalisten zu lesen, deren Pressefreiheit von der Polizei bedroht wurde.

Nachmittag – Block G20 2.0 – Erneute Gewalteskalation

Um 15 Uhr sollte dann eine neue angemeldete Demo starten. Dieses mal in Richtung Elbphilharmonie- der Ort, an dem die Präsidenten den Abend verbringen sollten. Alle warteten eine Stunde und die Demo ging nicht los. Die Polizei hatte mal wieder ihre Probleme und verzögerte alles. Nach etwa einer Stunde setzte sich der Protest dann von alleine in Bewegung. Natürlich endete das in direkten Angriffen durch die Polizei, der Protest war ja gegen ihren Willen. So spielten sich die mittlerweile bekannten Bilder ab. An einer Stelle als der spontane Protest den Fischmarkt erreichte, wurde er mit Wasserwerfern angriffen. Die spritzten übrigens ein Gemisch aus Wasser und Tränengas. Viele Menschen flohen und mussten wiedermal über eine Mauer fliehen. Der Wasserwerfer spritzte auch auf die fliehenden Demonstranten und so gab es 11 Schwerverletzte auf einmal, da die Demonstranten von der Mauer gespritzt wurden. Der ganze Protest löste sich wie am Vortag in der Gegend vom Fischmarkt auf und die Demonstranten begaben sich ins Schanzenviertel.

Abends – Autonome Zone im Schanzenviertel

Machen wir mal einen kurzen Check. Friedliche Demonstranten wurden schon unzählige Male von der Polizei angegriffen. Die Polizei hat gelogen. Die Presse wurde immer mehr zensiert. Der Fokus der noch aktiven Presse lag auf einer Minderheit gewalttätiger Demonstranten. Die Stimmung war echt in puren Hass umgeschlagen. So begannen einige Vermummte Barrikaden zu errichten. Zuerst welche aus Bauzäunen, später dann brennende. In fast allen Zufahrten zum Schanzenviertel brannten Barrikaden, die mit Steinen und Flaschen verteidigt wurden. Doch wie sah es im Schanzenviertel selber aus? Die Presse schrieb von Bürgerkrieg. Doch ein Gang durchs Schanzenviertel gab einem ein ganz anderes Bild. Es gab keine Polizei mehr, die stand auf der anderen Seite der Barrikaden. Die Menschen lächelten plötzlich wieder. Viele saßen auf den Straßen und machten Musik. Die Restaurants und Kneipen hatten offen und waren voll. Sogar Kinder waren unterwegs. Die Stimmung abseits der Barrikaden war echt gelassen.
Doch mit Einbruch der Nacht kamen dann diverse Plünderungen. Zwei davon konnte ich zum Teil sehen. Die Menschen, die dort plünderten, waren größtenteils ganz andere als die von den Protesten. Vor allem pubertierende Jugendliche, die die Chance sahen, viel für nichts zu kriegen.
Dann ging die Information rum, dass bald mit Maschinenpistolen bewaffnete Sondereinheiten der Polizei kommen werden. Wir hatten genug und gingen. Später erfuhren wir dann von Journalisten, die während der Räumung von der Polizei mit Waffen bedroht wurden, oder sogar angegriffen wurden.

Hier ein paar Leseempfehlungen:

Die Presse ist beim G20-Gipfel in Hamburg nicht mehr sicher

Datenschützer entsetzt über "schwarze Liste" mit Journalisten

Polizeigewalt Hamburg


Dieses Gif habe ich während der Proteste gemacht.

Meine Erfahrungen von den G20 Protesten – Massive Polizeigewalt, Lügen und versuchter Mord an Unschuldigen

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Es ist sehr aussagekräftig, dass Deine Schilderungen nur so wenig Kommentare und likes bekommen. Menschen demonstrieren mal gegen links, mal gegen rechts, mal gegen Umweltverschmutzung, mal gegen Kastor. Die öffentliche Meinung wird beeinflusst durch Medien und Erziehung und letzt endlich geht alles seinen gewohnten Gang. Weltweit
Gewinner sind immer diejenigen, die von der öffentlichen Angst profitieren, also die, gegen die die Proteste oft gerichtet sind.