Kreatives Schreiben: in vier Schritten zu besseren Protagonisten

in deutsch •  7 years ago 

Aktuell überarbeite ich gerade das erste Buch, unter das ich das Wort Ende setzten konnte. Es hat einige Monate geruht und darauf gewartet, dass ich es aus objektiv(er)en Augen sehen kann.

Nun habe ich es in einem Rutsch durchgelesen und erste Baustellen ausfindig gemacht. Doch wie geht es nun weiter?

Ich vermute, dass ich mit dieser Frage nicht allein dastehe. Der ersten Euphorie, ein Projekt beendet zu haben folgt oft die Erkenntnis, dass der Text bei weitem noch nicht veröffentlichungsreif ist.

Mein momentanes Hauptproblem sind die Figuren. Sie sind sich schlicht zu ähnlich. Niemand scheint einen Charakter, eine eigene Persönlichkeit zu besitzen.
Nach ausgiebigem Schmollen darüber, dass ich kein Supertalent bin, welches einen perfekten ersten Entwurf schreibt, bin ich nun bereit, mit der Überarbeitung zu starten.

Mein erster Schritt zu besseren Protagonisten wird eine Überprüfung auf vier Ebenen sein. Jede Figur durchläuft nacheinander alle Punkte. Dadurch, dass ich vorab einen Szenenplan erstellt habe, fällt es mir leicht, alle Auftritte der jeweiligen Person zu finden.

Handlungen

Handelt die Protagonistin stimmig? Passt das, was sie tut zu ihr? Ist es glaubhaft? Und nachvollziehbar?

Wenn ich einen Angsthasen habe, der aber plötzlich etwas sehr Mutiges tut, muss ich mich fragen, ob es zu der Figur passt. Ist es innerhalb der Szene nachvollziehbar, dass er plötzlich ein Schwert schwingt und sich dem Angreifer stellt? Oder war es nur Mittel zum Zweck, um die Handlung voranzutreiben? War ich vielleicht zu faul, eine glaubwürdigere Lösung zu finden?

Motivation

Ist die Motivation der Protagonistin für den Leser nachvollziehbar? Hat er genügend Informationen über den Hintergrund der Figur? Ist die Entwicklung der Figur logisch? Oder braucht es mehr Informationen, damit klar wird, weshalb das Ziel so wichtig ist für die Protagonistin?

Vergangenheit

Ist meine Protagonistin charakterlos, weil ich zu wenig über sie weiß? Ist sie zu eindimensional, weil ihr eine Vergangenheit fehlt?
Wenn ich weiß, dass sie als Kind von einem Hund gebissen wurde, muss ich das nicht zwangsweise in den Text schreiben. Allein durch mein Wissen werde ich sie im Umgang mit Hunden anders handeln und fühlen lassen. Ohne, dass es direkt angesprochen wird, merkt der Leser, was Sache ist.
Oder wenn ich weiß, dass die Protagonistin in einer Lehrerfamilie aufgewachsen ist. Dann werde ich ihr bestimmt einen anderen Wortschatz geben, als wenn sie beispielsweise auf der Straße gelebt hat.
Solche Details geben der Figur eine glaubhafte Grundlage. Sie machen sie einzigartig. Die Protagonisten bekommen ein Leben abseits der Geschichte und werden dadurch sympathischer.

Die Person und die Zeitachse

Im Idealfall entwickeln sich die Protagonisten im Laufe der Geschichte. Sie verändern sich durch die Geschehnisse und die Beziehungen untereinander.
Nun kommt es aber vor, dass ich am Ende Szenen streiche, umschreibe, neu schreibe oder innerhalb der Geschichte verschiebe.
Wenn es der Spannung, dem Verständnis der Geschehnisse oder dem Lesefluss dient, ist das auch eine super Sache. Aber es kann dadurch passieren, dass Figuren auf Seite zwei plötzlich viel weiter entwickelt sind, als es auf Seite zehn der Fall ist.
Auch, wenn ich eine längere Schreibpause gemacht habe, kann es sein, dass ich nicht mehr im Blick habe, auf welcher Entwicklungsstufe meine Figur gerade ist.
Dies gilt natürlich auch, wenn äußerliche Veränderungen stattgefunden haben. Deshalb kontrolliere ich in jeder Szene, ob die Handelnden auch in der richtigen Zeit sind.
Es wäre doch furchtbar ärgerlich, wenn die Ehefrau auf der ersten Seite in ewigen Hass zu ihrem Gatten verfällt, und auf der fünften mit ihm redet, als wäre alles eitel Sonnenschein.

Natürlich ist mir klar, dass auch diese Vorgehensweise nicht alle Aspekte der Figurenüberarbeitung abdeckt. Aber sie stellt meinen Start in eine spannende Phase auf dem Weg zu meinem ersten Buch dar.

Ich hoffe, dass der Eine oder andere etwas nützliches aus dem Text ziehen konnte. Vielleicht findet sich ja auch jemand, der einen anderen (oder besseren) Ansatz mit mir teilen will.

Ich setze mich jetzt erst mal wieder mit meinen Protagonisten auseinander.

Eure Schreiblust.

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Also ich überarbeite Texte nie. Das würde ich als Verrat am Genie des unmittelbare Augenblicks betrachten.

So viel Genie steckt leider nicht in mir und somit auch nicht in den Augenblicken meines Schaffens. :-)

Hey

Von dieser Seite habe ich das ganze noch nie betrachtet.
Ich gehöre eher zu den Personen die das was sie fertig haben am liebsten nicht mehr antasten vor Angst es könnte kaputt gehen.
Und wenn ich mich doch mal überrede kommt oft was komplett anderes heraus als vorher gedacht.

Die wünsche ich mit dem was du schreibst viel Glück, Erfolg und natürlich auch Spaß.

Ich lass dich auch herzlich ein auf meinem Profil vorbei zu schauen 😊🙈

MfG aus der Pfalz - Jonas 😊

Ich habe beim erneuten Lesen eher Angst davor, dass ich mich für das Geschriebene schämen muss. ;-)
Aber ich verstehe, was du meinst. Allerdings finde ich es auch spannend, die Veränderung am Text zu sehen. Und wenn man alles immer speichert, kann man ja jederzeit zurück gehen und die beiden Versionen vergleichen. Im schlimmsten Fall lösche ich die Überarbeitung eben und mache frustriert eine Flasche Wein auf. ;-)
MfG zurück aus der Schweiz :-)

Vielen dank für diese tolle Einführung, da konnte ich mir wirklich einige Scheiben abschneiden, und viel Erfolg für dein Buch! Und keine Sorge, keiner ist perfekt xD es wird bestimmt toll!! :3

Danke für deinen netten Kommentar. :-)

Super, Ende unter ein Manuskript schreiben zu können, ist schon eine krasse Leistung.

Ich glaube, niemand, wirklich NIEMANDschreibt den perfekten Entwurf. Viel wichtiger ist, dass man überarbeiten kann :)

Das denke ich auch. Zumindest habe ich noch niemanden kennengelernt, der mit der ersten Fassung wirklich zufrieden war. :-)