Das weltweit dritthäufigst verschriebene Antibiotikum, Ciprofloxacin, schädigt massiv die mitochondriale DNA

in deutsch •  6 years ago 

Liebe Steemianer,
das 1983 von de Fa. Bayer patentierte Ciprofloxacin(1) (Handelsnamen z.B. Ciprobay (D) oder Ciproxin (A, CH)) schädigt, wie kürzlich in einem Artikel im "Nucleic Acids Research" (2) gezeigt, die Integrität der mitochondriale DNA (mtDNA), und es wird angenommen, dass dieser Effekt die Nebenwirkungen dieses Antibiotikums (AB), und generell die der Fluorchinolone verursacht.

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Mitochondrien aus Säugertierlungengewebe (Quelle, public domain)

Die Mitochondrien sind bekanntlich semiautonome Organellen in den Zellen der meisten Eukaryoten mit eigener DNA, die für die ATP-Produktion und somit die Energiegewinnung zuständig sind - die "Kraftwerke" unseres Körpers. Die mtDNA ist doppelsträngig, ringförmig und in verschiedenen Konfigurationen anwesend, meist mehrfach verdrillt. Sie kodiert für 13 Proteine, 22 tRNAs und 2 rRNAs (3).
Um abgelesen zu werden, muss die mtDNA in einer bestimmten 3D-Struktur vorliegen. Generell ist in ringförmigen DNA-Molekülen (Plasmiden, bakteriellen Genomen und hier bei der mtDNA) der Verdrillungsgrad (das "DNA-supercoiling") ein wichtiger Regulator für Genaktivität. Dafür sorgen die DNA-Topoisomerasen. Diese können das Supercoiling ändern, indem sie einen Doppelstrangbruch induzieren, eine Ver- oder Entwindung auf einer Seite der DNA bewirken und dann wieder ligieren (verknüpfen). Es gibt mehrere Unterformen von Topoisomerasen, die positive und negative Supercoilings entfernen können. Die mtDNA wird überwiegend von der Topoisomerase 1mt und 2β kontrolliert. Die letztere ähnelt aber der bakteriellen Gyrase, dem Angriffspunkt von Ciprofloxacin und anderen Fluorchinolon-Antibiotika (die deshalb auch als Gyrasehemmer bezeichnet werden).

Das finnische Forscherteam rund um Anu Hangas konnte zeigen, dass Ciprofloxacin die Topoisomerase 2β-Aktivität stark reduziert. Zwar wurden keine vermehrten Doppelstrangbrüche indiziert, wie früher beschrieben, aber die generelle mtDNA-Integrität war deutlich verringert und eine Anhäufung von positiv supercoiled mtDNA wurde beobachtet, einhergehend mit einer Hemmung der Transkription von mtDNA. In der Folge sinken die Leistungsfähigkeit der Mitochondrien und der Atmungskette (5), und es kommt zu oxidativen Stress.
Die für Fluorchinolone beschriebenen Nebenwirkungen wie Sehnenrupturen, Gelenkentzündungen, Muskelschwäche, bis hin zu Neuropathien und Depressionen, für die man bislang den oxidativen Stress als gemeinsame Ursache ansieht, ohne dessen molekulare Ursache zu kennen (4), sind vermutlich Auswirkungen der topologischen Veränderungen der mtDNA.
Die Topoisomerase 2β kommt in Mitochondrien des Gehirns wesentlich häufiger vor als in anderen Geweben. Es wird vermutet, dass in Gehirnzellen ein besonders hoher Bedarf an mtDNA Topologie-Regulation besteht, und dass dadurch Nervengewebe besonders anfällig für Ciprofloxacin-Intoxikation ist. Der klinische Einsatz sollte darauf besonders Rücksicht nehmen.

Dieser Artikel soll einer "Verteufelung" von Antibiotika keinesfalls Vorschub leisten, ich glaube auch nicht, dass sich durch die Arbeit das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Substanz(klasse) geändert hat. Man sollte nach wie vor gezielt Antibiotika geben dort, wo sie indiziert sind, und sich über die Nebenwirkungen so bewusst wie möglich sein, insbesondere was das individuelle Risiko oder persönliche Empfindlichkeiten betrifft (stattdessen werden sie leider oft "mit der Gießkanne" verschrieben).

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Ciprofloxacin
(2) https://academic.oup.com/nar/advance-article/doi/10.1093/nar/gky793/5088042
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Mitochondriale_DNA
(4) https://www.pharmazeutische-zeitung.de/massive-dna-schaeden-durch-ciprofloxacin/
(5) https://www.amboss.com/de/wissen/Atmungskette

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Ich hab relativ viel mit Topoisomerasen gearbeitet, und sogar mal einen post darüber verfasst. Es ist mir ein bisschen unverständlich, wieso man da nicht früher drauf gekommen ist... Die strukturelle Ähnlichkeit der Gyrase zu den Topos ist ja wirklich nichts neues.
Man muss aber dazu sagen, dass Ciprofloxacin schon länger wegen Nebenwirkungen im Verruf ist. Die finnische Arbeit ist weniger ein Finden neuer Nebenwirkungen, sondern mehr eine mechanistische Erklärung derselben.

Tollen Artikel hattest Du da geschrieben, ja die Welt ist klein.

Gerade noch rechtzeitig gereestemed.

Ich arbeite ja in dem Bereich Mitochondriendiagnostik und kann dir sagen, dass es Leuten welche an sowas leiden wirklich schlecht geht.

Mit allem was dazu gehört.

Passt auf eure Mitos auf!

Vielen Dank für den Beitrag

Gruß

Chapper



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