Liebe Steemianer,
statt des üblichen Berichts über tolle Strände und die wilde Schönheit dieser Insel, auf der der Massentourismus - Gottseidank - noch nicht vollends angekommen ist, lege ich meinen Fokus zum Bericht über Naxos auf ein - altes Haus!
Wie es der Zufall (oder eher die Heiratspolitik bestimmter Vorfahren) will, ist meine bessere Hälfte zu einem Anteil im Besitz eines spätmittelalterlichen "Burgturms" im Bergdorf Apiranthos, der aus der Zeit der Venezianer (?) stammt. Diese hatten, nach dem Zerfall des byzantinischen Reiches, im Jahr 1207 die Insel erobert. Der Eroberer, der Venezianer Marco Sanudo, der die Insel, zusammen mit den anderen Kykladeninseln, 1210 als erbliches Lehensherzogtum zugesprochen bekommen hatte, teilte den Landbesitz auf seine 56 Offiziere auf (als Belohnung bzw. Sold). Diese bzw. deren Nachkommen errichteten dann befestigte Häuser als Adels-Landsitze zur Verwaltung der zugeteilten Lehen und gleichzeitig als Festungen gegen Angriffe auf die Insel (es gab damals oft Piratenangriffe). Nach Sanudo herrschte die Dynastie der Crispi (1383-1566).
Viele dieser Wohn-Wehrtürme, "Pyrgi" genannt, sind heute komplette Ruinen, andere dagegen aufwändig rekonstruiert und bewohnt, unserer, der heute "Bardani-Tower" genannt wird, ist eine Mischung. Nicht komplett verfallen, aber auch nicht in gutem Zustand. Es gibt auch kaum schriftliche Aufzeichnungen über die Entstehung, geschweige denn über die Reihe der Vorbesitzer, sodass es leider unmöglich ist zu sagen, aus welchem Jh. das Haus ursprünglich stammt. Gesichert ist zumindest, dass der Pyrgos im 17. Jh. der Familie Sforza-Castri gehört hatte (Quelle). Ich vermute aber, dass er damals schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Vor ca. 100 Jahren wohnte hier auch der Bürgermeister von Apiranthos, ein Urgroßvater.
Der Pyrgos ist von weitem schon sichtbar, wenn man von der einzigen Straße, von Süden kommend, auf das Dorf Apiranthos (oder auch Apirathos oder Aperathos genannt) zufährt (das graue Rechteck hinten ca. in der Mitte):
Apiranthos scheint seit der homerischen Zeit kontinuierlich besiedelt zu sein, andere Quellen sprechen von einer Gründung durch kretische Flüchtlinge im 10.Jh. Es liegt ca. 30km von der Hauptstadt von Naxos entfernt, ziemlich im Inneren der Insel auf 650m Seehöhe am östlichen Hang des Bergs Fanári. Kurz bevor man das Dorf erreicht, gibt es eine Stelle mit herrlicher Aussicht über den Westen von Naxos, im Hintergrund die Nachbarinsel Paros (die übrigens trotz der Nähe ganz anders als Naxos ist).
Eine der Besonderheiten an Apiranthos ist, dass alle Gehwege im Dorf (Autos müssen an der Straße am Rand des Dorfes abgestellt werden) mit weißem Naxos-Marmor gepflastert sind.
Außerdem besitzt es gleich 3 Museen, ein archäologisches, ein geologisches und ein naturkundliches. Jedes ist ungefähr so groß wie ein Wohnzimmer und die Exponate sind gefühltermaßen seit 40 Jahren nicht mehr abgestaubt worden.
Hier eine bessere SIcht auf den Pyrgos (die man nur erreicht, wenn man sich in das Labyrinth der verwinkelten Gässchen des Dorfs begibt). Im Einklang mit dem Festungscharakter hat das Erdgeschoß aussen keine Fenster (nur einen Lichteinlass).
Zwei Dinge sind hier gut zu erkennen. Erstens, wie über die Jahrhunderte das Dorf "rund um" den Pyrgos gewachsen ist, der ursprünglich sicher alleinstehend war. In Griechenlands Dörfern ist es Usus, die Mauern der Nachbarhäuser nach Möglichkeit zu nutzen als z.B. Stützmauer und da bieten die massiven Steinwände eines Pyrgos ideale Voraussetzungen. Freilich geht das oft nicht ohne Streit unter den Nachbarn ab. Übrigens, Grundbuch gibt es hier keines, das soll erst in 3 Jahren eingeführt werden.
Zweitens sieht man rechts im ersten Stock einen Balkon, der nachträglich vor ca. 70 Jahren vom Vater meines Schwiegervaters eingebaut wurde - eine entsetzliche Stilsünde und "Verschandelung". Damals war die Erhaltung des Originalzustandes leider keine Priorität.
Über mehrere enge Gassen und Treppen erreicht man das Eingangsportal. Das Wappen darüber zeigt einen Löwen, der eine Krone in seinen Pfoten trägt (siehe erstes Bild).
Der Boden im Erdgeschoß wurde nicht erneuert und ist sicher "stein"alt.
Blick in den Garten:
Der Brunnen ist mindestens 25m tief (wirft man einen Stein hinein, dauert es mehr als 2 Sek. bis zum "Platsch"). Falls es früher eine Dürre gab, sind oft alle Dorfbewohner hierhergekommen, um Wasser zu schöpfen. Rechts davon eine Art "Waschtisch".
Blick auf die Ostseite vom Garten aus. Das linke Fenster ist - vom erwähnten Schwiegeropa - vergrößert worden, da ihm das ursprüngliche (rechts) zu klein war.
Wer kann sagen, wieviele Veränderungen noch im Laufe der Jahrhunderte vorgenommen worden sind, neben den offensichtlichen: Etwa der moderne Zubau oben rechts auf der Terasse, der ein Bad und WC beherbergt. Strom wurde auch eingeleitet. Die Küche, die sich im Erdgeschoss hinter der Tür befindet, wurde übrigens mehrere Jahrzehnte lang, als das Haus unbewohnt war, von Nachbarn als Ziegenstall verwendet. Auf Naxos ist der Begriff "Eigentum" ein ganz anderer als bei uns. Wer sich z.B. 20 Jahre nicht blicken lässt, kann keinen Anspruch mehr auf ein Grundstück erheben.
Dieser Raum diente seit eher als Vorratsraum und ist als einziger nicht verputzt, was ihn so interessant macht, denn das Gewölbe ist selbsttragend. Kaum zu glauben, dass es ohne Mörtel über die Jahrhunderte nicht eingestürzt ist.
Die Treppe zum oberen Geschoß:
Sowohl diese als auch die äußere Treppe (auf dem vorvorigen Bild zu sehen) haben keine Geländer (und hatten auch nie welche). Klar, dass das Gebäude schon von daher für kleine Kinder und gebrechliche Personen nicht sehr wohntauglich ist.
Blick von einem der oberen Fenster nach Westen. Bemerkenswert: Die Fensterläden sind innen und nicht außen! Dadurch konnte man die Fenster schneller bei Bedarf verriegeln (offenbar hielt man die Glasfenster meist geschlossen)
Detail einer Inschrift am marmornen Fenstersims, eine Mischung aus griechisch und lateinisch:
So sieht das "Wohnzimmer" heute aus:
Jedenfalls ist es auch bei der größten Hitze herrlich kühl.
Aussicht von der Terasse nach Süden:
Ich hoffe, diese kleine Führung hat Euch gefallen und ich habe Euch nicht zu sehr gelangweilt mit den Details, aber ich nutze die Steemchain auch, um den Ist-Zustand des Hauses zu dokumentieren, zum vielleicht ersten Mal überhaupt...
Schöner Post 👌
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Cool! Ein schönes Exil, wenn uns die Welt in D um die Ohren fliegt.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Ja, aber nicht leicht zu erreichen.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Vergiss nicht das die Bilder nicht gespeichert werden auf dem Steem. Eine sehr schöne Führung. Man kann sich richtig gut hinein versetzten. So ein Häuschen ist schon Cool. Mir wäre es dort zu warm auf Dauer. :-)
Liebe Grüße
Alucian
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Vielen Dank, auch für den reminder wegen der Fotos. Schade.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Das würde sehr sehr viel Speicherplatz kosten. Technisch schwer umsetzt bar. Vielleicht gibt es die nächsten Jahre eine Möglichkeit auf anderen größeren Blockchains solche Datenmengen zu verarbeiten. Da ist bereits das ein oder andere im Busch.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Einen sehr schönen Bericht hast du geschrieben.
Der Ort und die Landschaft sehen beeindruckend aus.
Wenn die Dorfgemeinschaft gut ist, ist der
Aufenthalt bestimmt sehr angenehm.
Viele Grüße.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Gerade die Apiranther sind sehr eigen und kaum aufgeschlossen für "Fremde" (ausser Tagesgäste, die konsumieren in einer der Tavernen und cafenions). Als Fremder gilt jeder, der nicht aus Apiranthos ist, also z.B. auch jemand vom Nachbarort Filoti. Früher hat man sich auch gegenseitig die Ziegen gestohlen. Heute ist das alles nicht mehr so, je mehr die Alten aussterben und sich die modernen Gebräuche durchsetzen. Auch der dorfeigene Dialekt ist nicht mehr so stark wie früher.
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Ein toller Artikel!!!
Nicht nur euer Turm sondern der ganze Ort hat irgendwie etwas Gemütliches ;-) und geschichtsträchtig obendrauf. Wer besitzt schon so etwas???? Glückwunsch! LGG
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Danke!
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Gerne! Ist wirklich super interessant dein Artikel. Viel Spaß weiterhin! LGG
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Hallo ich bin Mikrobi,
dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen und du bekommst von mir Upvote.
Ich bin ein Testbot, wenn ich alles richtig gemacht habe, findest du deinen Beitrag in meinem Report wieder.
LG
Mikrobi
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit
Hi @stayoutoftherz!
Your post was upvoted by @steem-ua, new Steem dApp, using UserAuthority for algorithmic post curation!
Your UA account score is currently 3.825 which ranks you at #4878 across all Steem accounts.
Your rank has improved 87 places in the last three days (old rank 4965).
In our last Algorithmic Curation Round, consisting of 279 contributions, your post is ranked at #190.
Evaluation of your UA score:
Feel free to join our @steem-ua Discord server
Downvoting a post can decrease pending rewards and make it less visible. Common reasons:
Submit