Wochenthema Behindert! - Bist du behindert? - Eine Beleidigung?

in deutsch •  7 years ago 

Heute möchte ich auf eine Frage eingehen, die mir immer wieder gestellt wird. Darf man eigentlich behindert sagen, oder ist das eine Beleidigung?

Das Wort behindert höre ich hin und wieder im Alltag. Meist auf Spielplätzen oder im Park, wenn einer ruft: Bist du behindert? Im Allgemeinen soll das soviel sagen wie: “Ist das dein Ernst?” oder “Bist du bescheuert?” Dieser Ausruf spielt meist nicht darauf an, dass der Angesprochene wirklich ein sogenannter Mensch mit Behinderung ist. Auch wenn das Wort im Alltag oft so benutzt wird, ist es für mich grundsätzlich keine Beleidigung. Es sagt in manchen Fällen nur etwas über den Sprecher aus. Wer einfach so: “Bist du behindert?” rausschreit, denkt in der Regel nicht weiter über diesen Begriff nach.
Ich kenne auch einige Menschen mit Behinderung, die sich selber sagen: Ich bin ein_e Behinderte_r. Sie meinen damit, dass sie behindert werden. Der Begriff Menschen mit Behinderung soll den Menschen in den Mittelpunkt stellen, aber manchmal bekommt man den Eindruck, dass dieser Begriff zugleich versucht die Behinderung unsichtbar zu machen. Die Aufmerksamkeit davon weg zu führen, dass Menschen tatsächlich behindert werden.

Ein paar echt behinderte Fakten

An meiner Hochschule ist eine neue Bibliothek gebaut worden. mit drei Etagen und einem Aufzug. Nur leider darf nur das Personal von der obersten Etage herunterfahren. Denn die Planer haben ganz oben keine Scanner hingestellt. Damit die Bücher nicht einfach geklaut werden, kann man von ganz oben nur mit einem Personalschlüssel den Aufzug benutzen. Ich darf also jedes Mal an der Rezeption anrufen und auf einen Mitarbeiter warten, wenn ich oben in der Bibliothek bin. Verrückterweise hat hier niemand an Rollstuhlfahrer gedacht und eine schicke Barriere eingebaut.

Ein weiteres Beispiel aus dem Alltag. Wusstet ihr, dass die meisten Lokale und Restaurants zwar einen barrierefreien Eingang haben, aber keine Toilette? Du kannst dort zwar schon essen gehen, oder auch mal was trinken, aber eben nur so lange bleiben, bis du aufs Klo musst.

Menschen sind nicht behindert, aber die Umstände

Meiner Meinung nach haben wir alle unsere ganz eigenen Einschränkungen, ob körperlich oder Geistig. Wir müssen uns alle Wege suchen im Leben erfolgreich zu sein. Ich zum Beispiel habe da einfach noch einige Hürden mehr zu nehmen, weil mein Körper anders arbeitet. Viele dieser Hürden und Barrieren sind einfach unnötig, wie man am Beispiel der Bibliothek sieht.

Der Begriff Menschen mit Behinderung suggeriert irgendwie, dass da ein Mensch ist, der irgendwie kaputt ist. Dabei ist da einfach ein Mensch, der Wege suchen muss in der einer Gesellschaft und Umgebung klar zu kommen, die seine besonderen Bedürfnisse nicht sehen will. Nur durch diese Blindheit ist der Mensch behindert.

Ja, ich bin behindert

Ja, ich bin behindert und wenn das jemand sieht und damit tatsächlich versucht umzugehen ist das keine Beleidigung. Wenn jemand das Wort behindert als Beleidigung nutzt, fühle ich mich davon nicht betroffen. Manchmal, wenn ein Jugendlicher zu mir sagt: “Bist du behindert?”, sage ich einfach: Ja! - Da ist die Ganze Wut auch schon wieder verflogen.

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Super Artikel. Finde ich gut, dass du dich von diesem Ausdruck nicht schickanieren lässt und eher die behindernde Einrichtung des öffentlichen Raumes kritisierst.

Lieben Dank!

Darf man auch sagen, dass du hübsch bist, wie eine kleine Elfe? Also, ich meine, ich frage erst Mal.

das darf man, lieber Frosch!

Dann sage ich das. Hier am Tümpel fliegen Elfen die ganze Nacht über und Frösche versuchen sie zu schnappen. Die Elfen wissen das natürlich. Oft amüsieren sie sich, wenn Jungfrösche versuchen, sie im Sprung zu fangen. Man hat schon Frösche mit verknoteter Zunge gefunden. Du weißt, die sind lang. Deswegen bin ich froh, mittlerweile auch Heuschrecke, Bulle, Bär und ein Tier zu sein, das ich jetzt bestimmt vergessen habe.

Maus auch noch, oder?

Jepp, genau. Nicht wirklich, aber ich muss mich schon in sie hinein denken.

Vielen danke für diese ausführlich Antwort auf meine Frage.

Ich hatte da auch eine Anekdote von der ich nicht wusste wie sie ankommt und daher lieber erstmal nachhorchen wollte.

Ein ehemaliger Kommilitone hat Sonderpädagogik studiert. Er ist ein super freundlicher und schlauer Mensch und hat dies auch sicherlich im Umgang mit behinderten Menschen gezeigt.
Als wir uns mal über die Uni unterhalten haben, hat er es geschafft ca. zehn mal das Wort "behindert" als Fluch in einem Satz zu benutzten. Worauf ich und ein weiterer Kumpel lauthals angefangen haben zu lachen und ihn gefragt haben "Du weißt schon, dass du Sonderpädagogik studierst? Pass mal lieber auf was du sagst."
Er war erst irritiert und dann etwas empört weil für ihn ein Ausdruck wie "Die Vorlesung ist behindert" nichts mit seiner Arbeit mit Menschen, die behindert werden, zu tuen hat.

Find es super zu hören, dass du als Betroffene es ähnlich siehst. Diese Diskussionen darüber, was man in der Alltagssprache sagen darf und was nicht, lenkt nur von den echten Problemen ab. Wie z.B. die Barrierefreiheit, die du angesprochen hast.
Einen Restaurantbesuch vorzeitig abzubrechen, nur weil man auf Toilette muss oder jedesmal in der Bib anrufen und warten nur um den Aufzug zu benutzen, stell ich mir extrem nervig vor.

Hahaha ... sehr geil! Würde ich Sonderpädagogik studieren, würde ich auch fragen, ob die keine anderen Probleme haben, als sich an dem Begriff aufzuhängen.

Und ja, es ist extrem nervig.