Das Leben stellt Forderungen an mich, während die Anderen einfach weiter musizieren ...steemCreated with Sketch.

in deutsch •  7 years ago  (edited)

Umzüge, politische Aussetzer und der Seiteneinstieg.


Ein Blick zurück in die Jahre zwischen 1968 bis 1975


Teil 3

Teil 1 : https://steemit.com/deutsch/@w74/wo-trieb-ich-mich-rum-waehrend-andere-menschen-schoene-lieder-sangen
Teil 2 : https://steemit.com/deutsch/@w74/auch-revolutionaere-koennen-ganz-schoen-grosse-arschloecher-sein

Meine Ausbildung zum Revoluzzer mit späterem Pensionsanspruch wurde (wie bereits geschildert) jäh durch die französische Justiz beendet. Der Möglichkeit beraubt, arbeitsgerichtlich gegen die Aufhebung des Lehrvertrages und den dazugehörigen Landesverweis vorzugehen, stopfte ich meine Habseligkeiten ins Auto und war erstmal ratlos. Eigentlich nichts wirklich Neues in meinem noch jungen Leben. Alle Befreiungspläne zum Wohle der unterdrückten Basken und die Umsturzpläne für Spanien (detailliert ausgearbeitet am Lagerfeuer, unter Mitwirkung von schlechtem Wein und gestreckten Drogen), versandeten unbemerkt in den Dünen des Golfe de Gascogne.
Mit meinem roten 2CV unterm Hintern und einer abgebrochen Revoluzzer-Lehre im Gepäck, nutzte ich meine Abschiedstour von der Grande Nation, um noch schnell in Auxerre vorbeizuschauen. Zum einen galt mein Dank Monique und meinem Großonkel, die alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um mich von diesen lästigen Handschellen zu befreien. Außerdem hatte mich das Paar fast ein ganzes Jahr durchgefüttert und mir dabei auch noch zu vielen Kontakten im französisch-sprachigen Raum verholfen.
Denn nur diese Kontakte konnten für mich das Ticket zu dem bedeuten, von was ich Futter und Unterkunft zukünftig bezahlen könnte. Da Deutschland, und auch jetzt Frankreich, vermintes Gebiet für mich war, blieben ja nur noch Luxemburg und die Schweiz.


Luxemburg fiel dem Rotstift zum Opfer, da Stadt und Land in max. 45 Minuten von meinem Elternhaus aus erreichen sind. Zu groß also die Gefahr, dass meine Erzeuger mir plötzlich mit einer Plastiktüte voller Schmuggelware (Zigaretten und Kaffe) in Esch oder der Hauptstadt über die Füße stolpern. Blieb also nur noch die Schweiz.

Das Hotel Widder in Zürich gehörte zwar damals zu den besseren Hotels der Stadt, konnte sich jedoch nicht mit einem Beau Rivage messen, das eindeutig die bequemeren Badewannen vorweisen konnte, wie Uwe Barschel Jahre später eindrucksvoll unter Beweis stellte. Aber (und das sprach eindeutig für den 'Widder'), in dem Laden hatte ich bereits übernachtet, Wein geliefert, in der Küche den Handlanger gespielt.Außerdem (auch nicht unwesentlich) kannte im Widder die Person, die unter jede Überweisung ihre Unterschrift setzen musste.
Genau zwei Tage nach Auxerrre teilte ich ein Zimmer im Hotel-Personal-Bereich mit zwei Köchen und durfte mich 'deuxième Commissionnaire d’Hôtel' nennen. Das muss man den Gastronomen jedenfalls lassen, egal wie unwichtig dein Job auch sein mag, einen schönen Namen haben sie immer parat. Ich war im Grunde genommen nichts anderes, als der stellvertretende Lagerverwalter. Halt der, bei dem sie anklopfen mussten, wenn mehr Butter, Trüffel, Tischwäsche oder Toilettenpapier gebraucht wurde. Aber egal wie wenig man geistig gefordert war, der Lagerverwalter kannte sie eben alle. Alle, die in dem und von dem Hotel was benötigten. Denn kein Weg führte am Lagerist vorbei.
Das lag natürlich auch daran, dass Roger Latour, der Maître Commissionnaire, also mein Vorgesetzter, so gut wie nie im Hotel anzutreffen war. Roger tourte überall umher, feilschte um Preise, fand gute Lebensmittel und zwackte dabei immer was für die Familie ab. Frau Latour, so meine Einschätzung, hatte einen Einkaufsmarkt noch nie von innen gesehen. Roger nannte sein Treiben den Länderfinanzausgleich der Schweiz, da er selbst aus dem Wallis stammte. Länderfinanzausgleich klang für mich solidarisch – also war er sich meiner Verschwiegenheit gewiss..

Gleich in der ersten Woche stand auf einmal Christina vor meinem Schreibtisch. In der ausgestreckten Hand einen Anforderungsschein für Kerzen und gläserne Blumenvasen. Ein kurzer Smalltalk und wir waren, quasi ohne Modem, vernetzt. Sie, die Schwedin auf 2-jähriger Schnuppertour durch Europa und ich, das unerkannte Genie mit abgebrochener Revolutions-Lehre. Da schienen sich zwei Menschen auf Anhieb gefunden zu haben. Denn, bepackt mit dunkelblauen Kerzen und einem Karton voller Blumenvasen, ließ die Aushilfskraft für den Zimmerservice mich ungefragt an ihren nahen Plänen für die Zukunft teilhaben.
„Wir sollten unbedingt miteinander schlafen.“ Daraufhin ich: „Aber nicht jetzt und hier. In der Küche warten die schon dringend auf den Fisch.“


Ich war endgültig angekommen in der, so widersprüchlich es klingen mag, autarken Welt eines Hotels. Kein Flower-Power, keine chemischen Drogen und keine Wasserwerfer. Statt dessen gaben wir uns zufrieden mit Wein (wer hatte da noch den Schlüssel zur Vorratskammer?), Leckereien aus der Küche und der Patisserie, etwas Gras und einem sexuellen Gemischtwarenhandel ohne dauerhafte Versprechungen. Ich war annähernd begeistert. Was mir fehlte, war der Moment (ich meine den, als ich nicht ans Vögeln dachte) mit der Erleuchtung für meine Zukunft. Ich konnte ja schlecht bis zum Lebensende die Champignons zählen, Hummer am Leben halten und auf neue Praktikantinnen warten.

Die nächste räumliche und berufliche Teilveränderung stand aber bereits in den Startlöchern. Sie kam mithilfe von Roger Letour und dem Genossen Zufall. Und das hat damit zu tun, dass es neben Ärzten, Musikern und Investmentbankern keine Berufsgruppe gibt, in der sich mehr Drogenkonsumenten (Alkohol inbegriffen) aufhalten, als in der Medienbranche. Aus dem Grund wird unter den Damen und Herren auch jede Gelegenheit gerne wahrgenommen, an einer kleinen internen Feier teilzunehmen. Dröhnstoff ist mit Sicherheit immer genügend da.
Wie sich herausstellte, war Roger Letour so etwas wie der Haus- und Hoflieferant der NZZ (Neue Züricher Zeitung). Während der Vorbereitungen zu einem Event im Verlagsgebäude plagte meinen Vorgesetzten ein Handicap. Er hatte nämlich keine Ahnung von Wein. Für den Stoff war ich verantwortlich, da auch mit besten Kontakten ausgestattet.
So kam es an einem frühen Nachmittag zu folgender Konstellation:
Einer der Herausgeber der NZZ saß beim Hoteldirektor und verhandelte mit dem über Sonderkonditionen, während unten im Keller, wo das Warenlager sein zuhause hat, festgelegt wurde, welche Tropfen letztendlich in die durstigen Kehlen der Zeilenfüller fließen sollte. Um exakt 18:00 Uhr MEZ waren der Leiter Feuilleton und der Chefredakteur der NZZ nicht mehr aufnahmefähig. Weder liquide noch verbal.
Eine Woche nach diesem spontanen Besäufnis startete mein Schnupperkurs als Sklaven-Redakteur bei einer der renomiertesten Tageszeitungen der Schweiz. Das Motto für mich lautete: Learning by doing – und ohne Entlohnung. Ab sofort war Doppelbelastung angesagt. Tagsüber Lagerverwalter und am Abend der wandernde Schreiberling.
Ganz offensichtlich der Fehleinschätzung die Treue haltend, ich hätte Ahnung von der Gastronomie, kam irgend ein Witzbold in der Redaktion auf die Idee, ich könnte doch zur Wochenendausgabe einen Bericht aus der Sicht eines deutschen Touristen,über die gastronomischen Erfahrungen in der Schweiz abliefern. Da mir keine Alternative angeboten wurde, fiel mir die Entscheidung leicht. Am Mittwoch der darauffolgenden Woche war Abgabetermin für meine ersten Erfahrungen beim Sprung ins kalte Wasser.


Was macht ein Großmaul, das vorgibt zu allem eine Meinung zu haben, jedoch, außer einer abgebrochen Revolution nichts vorzuweisen hat?
Er versucht es zuerst einmal mit dem Camouflieren. Zumindest, bis er nicht einen kleinen Überblick darüber gewinnt, welcher Hase in der Redaktion zuerst erlegt wird.
Durch meine Touren mit dem Großonkel wusste ich zwar schon, wirklich gute von guter Küche zu unterscheiden. Aber dann war auch schon Ende im Gelände.
So kam mir die Idee mit der bipolaren Störung.
Dabei erfand ich mich neu als deutsches Ehepaar. Beide so Anfang 50, gut situiert und mega-gescheit. Ich glaube mich erinnern zu können, bei der Auswahl der beiden Protagonisten, meine Eltern nicht gänzlich außer Acht gelassen zu haben. Jedenfalls zogen die beiden Artisten einmal in der Woche los, besuchten eines der damals angesagten Restaurants in Zürich und ließen jede Servicekraft sogleich wissen, wer hier der Gast und damit die Krone trägt.
Zwischen klarer Champignonsuppe und der Entenbrust mit wilder Rauke wurde fachmännisch seziert, Gedanken ausgetauscht und verglichen mit der Tennisklause in Bad Bertrich.
Zwischen dem Rehrücken und der Creme Caramel neben flambierten Feigen, war man sich auch manchmal einig darüber, mal wieder genau den richtigen Wein bestellt zu haben. Dies war meist die Zeit, wenn Gislinde (so der feminine Part meiner bipolaren Störung) erste Bemerkungen über das Porzellan schob, die in die Richtung zielten, ihr ehemals geliebter Ehemann Karlheinz (bipolar/maskulin und mich in den Kampfhahn zu versetzten, fiel mir besonders schwer) solle doch bitte beim Wegkippen des vergorenen Rebensafts einen Gang zurückschalten. Meist der Startschuss für das erste kleinere Duell. Vor dem Dessert wurde meist noch mit Florett gefochten. Nach dem Calvados, wenn Karlheinz von der Toilette zurückkam und Gislinde vor Scham unter den Tisch kriechen wollte, weil der besoffene Trottel seinen Hosenstall nicht geschlossen hatte (weil ein Stück vom Hemd im Reißverschluss eingeklemmt war), erst dann griff das Ehepaar auf Urlaubsreise zum Degen.


Nach einem Monat wurde mein Chefredakteur mit Anfragen Züricher Gastronomen bombardiert, wieso ich nicht auch mal einen Abstecher in ihr Etablissement wagen würde.
Warum? Weil ich den gastronomischen Betrieb immer habe besser aussehen lassen, als die Ehe von Gislinde und Karlheinz. Als dann auch noch die Berner und Baseler wissen wollten, wieso sich zwei Deutsche so lange in Zürich aufhalten, wagte ich eine folgenschwere Frage zu stellen.

„Wann kann ich eigentlich damit rechnen, für meine Arbeit auch einigermaßen bezahlt zu werden?“

Einen Monat später parkte ich meinen 2CV in London, direkt vor dem Eingang zum Bond-Hotel, keine 100 Meter vom Kaufhaus Harrod's entfernt.

Heute darf ich mir die Frage stellen, ob ich besser für zwei Hungerlöhne in der Schweiz geblieben wäre,
Oder das mit der Musik, den Frauen, den Handschellen, den Sprengsätzen und endlich mal der Sohn von Adolf zu sein, nicht doch geiler war.

Wir treffen uns dann in London ...

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Herrlich. Atmosphäre pur. Und interessant obendrein.