Einen wunderschönen herbstlichen Nachmittag allerseits! Heute führt uns unser Ausflug in die Welt der Wissenschaft! 📚📖
Quelle
Definition der Neurodidaktik
Wie bereits erwähnt geht es bei der Neurodidaktik um gehirngerechtes Lernen. Das Ziel ist es, die biologischen Kenntnisse des Gehirns, also seinen Aufbau und seine Funktionsweisen, mit den bekannten Konzepten der Didaktik übereinzubringen. Das Lernen soll somit optimiert werden, um am Ende einen möglichst effektiven Lernprozess kreiert zu haben.
Dass unser Gehirn wie ein Muskel funktioniert ist bekannt und jeder, der schon mal Sport gemacht hat, weiß auch, dass ein Muskel am besten funktioniert, wenn man ihn möglichst umfangreich trainiert und stimuliert. Für unser Gehirn gilt dasselbe Prinzip: Je mehr Hirnareale beim Lernen angesprochen werden, umso leichter bilden sich neue neuronale Vernetzungen. Je öfter diese dann reaktiviert werden, desto stärker wird diese Verbindung. Neurodidaktisches Lernen funktioniert demnach am erfolgreichsten, wenn es regelmäßig angewendet wird.
Doch stellt ihr euch jetzt vollkommen zurecht die Frage, wie genau das jetzt in der Praxis aussieht. Um das zu veranschaulichen nehme ich euch mit in mein Klassenzimmer.
Anwendungsbereich Sprachlernen
Nachfolgend werde ich euch exemplarisch die – meiner Meinung nach – wichtigsten Prinzipien vorstellen und anschaulich erläutern.
Ich unterrichte Deutsch als Fremdsprache für Erwachsene, das heißt meine Schüler sind zwischen 17 und 65 Jahre alt und kommen aus der ganzen Welt. Verschiedene Kulturen und Wertevorstellungen prallen aufeinander, doch versuche ich diese Tatsache immer zu nutzen. Insbesondere in einem so gemischten Umfeld ist es enorm wichtig, von Anfang an eine entspannte, angenehme Atmosphäre zu schaffen, in der jeder gerne lernt. Denn dieses basale, positive Gefühl erleichtert den meisten das lernen und gibt die Gewissheit, dass hier der Raum ist, in dem er sich ausprobieren kann und Fehler machen darf.
Quelle
Das ist das erste Prinzip. Das zweite ist, dass der Stoff anhand verschiedener Impulse vermittelt werden sollte. Frontalunterricht macht den wenigsten Spaß und das zu berücksichtigen ist wichtig. Statt selbst die ganze Zeit im Mittelpunkt zu stehen, sollte man den Lernenden die Möglichkeit geben, Zusammenhänge selbst zu erarbeiten, sich miteinander auszutauschen (Stichwort „Schwarmintelligenz“) und auch die Art der Stoffvermittlung variieren. Jeder Mensch lernt auf unterschiedliche Weise gut; die einen lernen besser, wenn sie etwas hören, die anderen müssen es (nur) sehen und die dritten am besten anfassen.
Bei einer Gruppengröße von 15 Personen ist es eine Herausforderung jedem Schüler gerecht zu werden. Durch Variation in der Vermittlung der Information kann der Lehrende sicherstellen, dass möglichst viele Sinne angesprochen und dementsprechend viele verschiedene Schüler abgeholt werden. Immer wieder die Sozialform (Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Partnerarbeit) und die Präsentationsform (Buch, Film, Kopie, Spiel, Tafelbild) zu ändern hat darüber hinaus den Vorteil, dass sich das Gehirn auf neue Situationen einstellen muss und so Langeweile vermieden wird. Natürlich darf man es nicht übertreiben, sonst kommen die Lerner nicht mehr hinterher; der gesunde Mittelweg ist auch hier die beste Lösung.
Ein weiteres Prinzip ist, dass die Lerner ihr Vorwissen aktivieren und nutzen. Sprechen sie bereits eine andere Fremdsprache, dann ermuntere ich sie dazu, Parallelen zu ziehen oder sich Unterschiede deutlich bewusst zu machen. Das ist ebenso wichtig, wie nach dem theoretischen Teil Zeit für eine Anwendung zu geben, damit die Lerner das neu Erlernte reflektieren und durchdenken können.
Und zum Schluss noch das Multi-Prinzip: Es sollten nach Möglichkeit beim Lernen so viele Hirnareale wie möglich gleichzeitig angesprochen werden. Das lässt sich im Klassenraum leider eher schlecht umsetzen, ist jedoch eine super Methode für Zuhause: Je mehr Gehirnbereiche auf einmal angesprochen werden, umso mehr und stärkere Vernetzungen bilden sich im Gehirn. Man kann dies beispielsweise dadurch herbeiführen, indem man für ein bestimmtes Grammatikthema eine bestimmte Farbe aussucht, während des Lernens eine bestimmte Musikrichtung oder Band/Künstler hört, sich an einem bestimmten Ort befindet und sich dann am besten auch noch bewegt. (Weiter unten folgt ein genaueres Beispiel dazu.)
Praxisbeispiele
Theorie ist schön und gut. Wie genau ein solcher Unterricht aussieht möchte ich euch aber auch zeigen!
Skizzieren wir folgende Situation: Mein B2-Kurs soll den Konjunktiv 2 wiederholen und vertiefen. Also beginne ich mit der Frage, was sie dazu (noch) wissen und notiere dies am Whiteboard. Anschließend ergänze ich die fehlenden Aspekte. Unterschiedliche Informationen erhalten unterschiedliche Farben, werden unterstrichen und/oder eingekreist oder sonst wie optisch aufgehübscht. Das mache ich gezielt für die visuellen/optischen Lerner.
Anschließend erfolgt eine Übungsphase, in der die Lerner zunächst allein arbeiten, um für sich in Ruhe die Thematik zu begreifen. Anschließend haben sie die Möglichkeit, sich miteinander auszutauschen. Daran schließt eine freie Übungsphase an, in der die Lernenden das neue Wissen aktiv und eigenständig anwenden und sich gegenseitig helfen. Denn wer anderen etwas erklären kann, hat es selbst verstanden. Wenn möglich gestalte ich diese freie Übungsphase so, dass die Lernenden sich bewegen müssen. Bei diesem Thema ist das nicht so leicht, doch lernen wir beispielsweise Wortschatz, so kann das Einüben der Artikel mit dem Werfen eines kleinen Balls kombiniert werden. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass die Fangkünste mancher Lerner immer wieder für Lacher sorgen und so die Stimmung gehoben wird! 😉
Um auch eine spätere Beschäftigung mit dem Thema zu gewährleisten gibt es natürlich eine Hausaufgabe dazu. Zudem ist es empfehlenswert einige Zeit (mehrere Tage oder wenige Wochen) später und dann immer wieder – in größer werdenden Abständen – noch mal eine kleine Wiederholung zum Thema zu machen, um es im Langzeitgedächtnis zu verankern.
Für die Gestaltung einer möglichst optimalen Lernsituation nach dem Multi-Prinzip könnte man folgendermaßen vorgehen:
- Thema: Konjunktiv 2
- Musik: Klassik, da Studien zufolge ohnehin lernfördernd oder etwas Anderes. Wichtig ist, dass jedem Thema ein fester Musikstil/Künstler zugeordnet wird.
- Ort: Konjunktiv 2 wird in der Küche gelernt, Imperativ im Wohnzimmer, Wortschatz auf der Terrasse u. s. w. Das hat den Sinn, dass man sich in Gedanken in den spezifischen Raum zurückversetzen kann, um das nötige Wissen abzurufen.
- Bewegung: Wenn es machbar ist, dann sollte man möglichst auch Bewegung in den Lernprozess integrieren. Egal ob man spazieren geht und dabei den neuen Wortschatz über das Handy hört, einen Ball hin- und herwirft oder sich einen Tanz ausdenkt und dabei Verben aufsagt.
- Etc. pp: Natürlich lassen sich hier nach belieben noch weitere Aspekte anfügen, ganz so, wie man sich am wohlsten fühlt.
Die fertige Lernsituation sähe dann beispielsweise so aus:
Dienstags wird in der Küche Thema X gelernt, dabei wird Mozart gehört, Pfefferminztee getrunken und alle drei Minuten eine Runde um den Küchentisch gedreht. Alle Notizen zu diesem Thema werden mit einem schwarzen Kulli angefertigt und in eine rote Mappe geheftet. Wenn man 90 Minuten gelernt hat, darf an sich mit einem Keks und einer Pause belohnen.
Ich hoffe, mein Einblick in das gehirngerechte Lernen hat euch gefallen, war informativ, aber nicht zu lang und ich konnte euch dazu anregen, eure Lernstrategie zu überarbeiten. Wenn ihr Fragen hab, immer her damit!
Eure meluni