Sie fühlten sich wie Popstars

in elphi •  7 years ago 

Ein merkwürdiges Programm

Gestern abend betrat das Kronos-Quartett den großen Saal der Elbphilharmonie, schaute ungläubig in die Runde und war völlig von den Socken. Der Saal war ausverkauft, sie haben vor 2.100 Zuhörern gespielt. Klar gibt es Bands, die problemlos ein ganzes Stadion füllen können. Streichquartette spielen in der Regel auf kleineren Bühnen. Jetzt konnten sie einmal im Leben spüren, wie sich Rockstars fühlen, wenn sie von tausenden erwartungsvollen Zuhörern tosend begrüßt werden.

Aber von vorne. Derzeit läuft das 3. internationale Musikfest Hamburg. Das diesjährige Thema lautet Utopie. Das tolle daran, und weshalb ich das Musikfest überhaupt erwähne: für das gestrige Konzert im großen Saal unserer Elphi hatte ich Karten ergattert. Zuerst war ich unschlüssig, ob ich überhaupt zugreifen sollte. Das Kronos-Quartett ist dafür bekannt, dass sie experimentelle, zeitgenössische Werke spielen. So etwas kann sehr anstrengend sein. Angekündigt waren Weltraumklänge und andere Werke. Auch das hat mich nicht spontan begeistert, denn den Weltraum stelle ich mir ziemlich leise vor. Außerdem: Ein Streichquartett im großen Saal - wer ist denn auf die Idee gekommen?

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Es funktioniert!

Im großen Saal hört man jedes raschelnde Bonbonpapier, also wird man auch ein Streichquartett hören können. Meine Freundin wollte unbedingt das Kronos-Quartett sehen, also habe ich die Karten gekauft und wir sind hingegangen. Unsere Plätze waren excellent, besonders für die kleine Besetzung auf der Bühne. Wer neidisch werden will, kann in der Sitzplatzvorschau nach 12 A 4 4 suchen.

Bei der Ankündigung des ersten Stücks war der erste Geiger so aufgeregt, dass ihm fast die Stimme wegblieb. Das erste Stück klang auch noch etwas nervös, aber danach haben sie routiniert, kraftvoll und mit sichtbarer Begeisterung gespielt. Man konnte geradezu sehen, wie sie die Situation genossen. Das übertrug sich natürlich auch auf das Publikum.

Das Kronos-Quartett spielt viel mit elektrischer Verstärkung und Verfremdungseffekten. Dadurch war der Klang ohnehin gut und ausgewogen. Sie haben dabei nicht nur auf ihren klassischen Instrumenten gespielt. Der Bratschist hat zwischendurch auf einer Djembe und auf einem chinesischen Gong getrommelt, es kamen Klingeln zum Einsatz und auch sonst noch einiges, was Geräusche macht. Sogar Heulschläuche. Ich erinnere mich noch daran, wie ich damals am Nordseestrand meine Eltern mit so einem Ding zum Wahnsinn getrieben habe. Aber zurück zum Thema.

Uraufführung

Ein echtes Highlight war die Uraufführung des Stücks "Just strings and a light wind above them" der litauischen Komponistin Onutė Narbutaitė. Die Komponistin war extra dafür angereist. Es muss ungeheuer aufregend für sie gewesen sein, zum ersten Mal ihr eigenes Stück in der Aufführung zu erleben. Sie kam auch auf die Bühne, bedankte sich bei den Musikern mit einer Umarmung und beim Publikum mit einer Verbeugung. Es war schön, ihre Emotionen zu sehen.

Wenn es etwas länger dauert

Das geplante Programm war mit 16 Stücken ziemlich umfangreich. Die Elbphilharmonie hatte deshalb darum gebeten, dass zwischen den Stücken nicht applaudiet werden möge. Keine Ahnung, ob sich auch nur einer der Zuschauer daran gehalten hat. Es machte nicht den Eindruck.

Nach dem Programm kam das Quartett noch einmal zurück auf die Bühne und spielte eine vorbereitete Zugabe.

Nach der Zugabe wurden sie so ausführlich bejubelt, dass sie sich zu einer zweiten Zugabe entschlossen. Das Stück konnten sie auch ohne Notenblätter spielen. "Ghost riders in the sky" hatte ich bis dahin nie in einer Version für Streichquartett gehört. Ziemlich cool.

Nach der zweiten Zugabe bekamen sie immer noch ausführlichen Applaus. Der Bratschist wollte schon endgültig die Bühne verlassen, aber die anderen Musiker riefen ihn zurück. Sie wollten noch eine dritte Zugabe spielen. So einen Saal und so ein Publikum muss man doch ausnutzen. Sie spielten also noch "Strange Fruit", das ich bisher nur in einer Version von Billie Holiday kannte.

Letzten Endes war ich kurz nach Mitternacht zu Hause.

Gerne wieder

Wieder einmal hat mich unsere Elphi mit einem unerwarteten Highlight überrascht. Es war eine mitreißende Live-Show, an die ich mich noch lange erinnern werde.

Momentan stehen übrigens die Karten für die Herbst/Winter-Saison zum Verkauf, und zwar wieder im bewährten Losverfahren. Ich kann Euch nur empfehlen, Euch um Karten zu kümmern. Es lohnt sich.

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