Wenn Orwell schweigen würde...

in gedankenverbrechen •  5 years ago 

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Im heutigen Gedankenverbrechen versuche ich ein wenig auf den Gedanken von Orwell früheren Leben zu wandeln und gleichzeitig den Bezug zum heutigen Menschen herzustellen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass so manch einer an der einen oder anderen Stelle anecken wird. Daher bitte ich gleich um Entschuldigung. Ich möchte in keinster Art und Weise den Leser seinen wohlverdienten Abend versauen und in irgend einer Form emotional verletzten. Aber jeder Mensch, der danach bestrebt ist nicht nur auf Impulse seines Umfeldes zu reagieren, sondern wahrhaft nach Wissen zu streben, setzt sich stets der Gefahr aus etwas zu finden, was ihn aufwühlt und am Ende nicht gefällt.

Viele Menschen, die die Bücher „1984“ und „Animal Farm“ von George Orwell gelesen haben, interpretieren in seinen Werken vor allem eine scharfe Kritik am Sozialismus. Ebene jene Staatsform, die scheinbar mit vermeidlich guten Motiven, die Menschen in ihrer Freiheit einschränkt und bisweilen stets ins Elend gestürzt haben. Jaja, man kann nun sicherlich darüber diskutieren, ob das nun „echter“ Sozialismus war und man den echten bisher halt nur noch nicht richtig umgesetzt hat. Darum geht es mir aber nicht.

Einige sind gerade zu überrascht, wenn sie erfahren, dass Orwell ein waschechter Sozialist war. Kein liberaler Geist wie ihn einige sehen würden und erst recht kein Anhänger irgend einer totalitären Ideologie. Dies ist ein wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass sein erster Beruf Polizist war. Nicht irgendwo, sondern im besetzten Burma, dass damals ein Bestandteil von Britisch Indien war und damit eine Kolonie war. Er war somit Bestandteil der herrschenden Elite dort und profitierte vom Imperalismus. Ohne Nennung von Gründen kam er von einem Heimaturlaub nicht wieder zurück. Es war ihm zuwider geworden, was dort geschah und er hängt seinen guten Beruf an den Nagel.

Es dauerte nicht lange und er freundete sich mit den sozialistischen Ideen an. Das er davon überzeugt war, daran gibt es keinen Zweifel. Immerhin griff er 1936 im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Repubikaner ein um gegen die Faschisten zu kämpfen. Auf Grund eines Empfehlungsschreiben einer linken Gruppierung innerhalb der Labour Partei, kämpfte er dabei insbesondere mit den anarschistischen Milizen der P.O.U.M. Er war fasziniert als er in Barcelona die Entwicklung eines vermeidlich herrschaftsfreien Staates erleben konnte.

Es dauerte aber nicht lange bis er die ganze Sinnlosigkeit dort vor Ort erkannte und merkte, dass die P.O.U.M. von den Stalinisten massiv bekämpft wurde. Wohlgemerkt obwohl man eigentlich auf der gleichen Seite kämpfte. Diese Geschichte ist in seinem Werk „Mein Katalonien“ erzählt und prägte ihn zunehmens davor sich nicht von einer Fassade blenden zu lassen. Als Humanist konnte er mit den Stalinisten eben doch nichts anfangen. Er fragte sich oftmals, ob nun eigentlichen die Kommunisten oder die Faschisten der größere Feind war. So dauerte es auf jeden Fall nicht lange bis die utopischen Städte eben auch wieder in sich zerfielen.

So erscheint Orwell oft als sehr ambivalenter Charakter, der auf der einen Seite ein aufgeklärter und überzeugter Sozialist war und gleichzeitig mit eben den Linken im Zwiespalt stand und vor deren Methoden warnte. Sich nicht von einem träumerischen sozialistischen Staate blenden zu lassen, sondern sich eben bewusst machend, dass auch dort am Ende um die Macht weniger geht und alles andere nur bloßer Federschmuck sei.

Besonders deutlich wird dies auch in einer seiner Reportagen, die er für die Linken schrieb. In „Der Weg nach Wigan Pier“ mischte er sich als Journalist in die englischen Elendsviertel der Kohlearbeiter unter die Menschen. Er wollte nicht einfach nur über sie berichten und ihre Situation als Beobachter beschreiben, sondern wirklich erleben, was diese durchmachen. So lebte er unter ihnen und fuhr mit ihnen in die Stollen ein. Egal was man über ihn sagt, er war stets ein extrem guter Beobachter, der eben auch sehr selbstkritisch umging.

So war er über die Lebenszustände schwer schockiert und sprach davon, dass Wigan einer der scheußlichsten Orte sei, die er je zu Gesicht bekommen hat. So klagte er die Sozialisten an, dass sie sich sehr gut überlegen sollten weiterhin zu fordern, dass Prolatariat an die Macht zu lassen. So sehr wie er die Lebensumstände der Menschen verabscheute, umso weniger war er davon überzeugt, dass diese eine gute Gesellschaft aufbauen könnten.

Er richtete diesen Appell an seine sozialistischen Freunde und schimpfte über sie, dass sie keine Vorstellung von deren Lebensweise hätten. Und das jeder britische Sozialist am Ende eben doch Teil der Bourgousie sei, die am Ende dann eben doch nur ihr Kreuz bei der Wahl an anderer Stelle machen würden.

Orwell rächte sich auf seine ganze persönliche Weise. Der erste Teil des Buches beschrieb das prekäre Leben der Bergleute mit seiner schier gewohnten Präzision. Ein gefundenes Fressen für jeden Kommunisten und Sozialisten, der dafür warb die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Er erfüllte die Aufgabe die der Left Book Club ihn für diese Recherche mit auf dem Weg gab.

Er heftete aber noch einen zweiten Teil an den Essay in dem er mit der gehobenen Linken abrechnete, die gar kein Interesse daran hätte etwas an der Lebensweise der armen Bevölkerung etwas zu ändern, da sie davon profitieren würden. Zähneknirschend wurde auch der zweite Teil mit abgedruckt und sabotierte somit die eigentliche Intension.

Der Sozialismus in Großbritanien würde vorwiegend daran scheitern, dass die Menschen:

  • Klassenvorurteile hätten
  • Sozialisten zur Technokratie neigen würden
  • Eine vor Fachausdrücken strotzende Sprache sprechen
  • Sich nicht auf das wesentliche konzentrieren können
  • Zuviele merkwürdige Randgruppen wie Veganer, Nudisten oder Sandalenträger hätten

Jeder kann ja nun einmal prüfen, wie wir rund 90 Jahre später in Bezug dazu stehen. Fast jeder der einer linken Idee anhängt, wird hier immer noch mit den Zähnenknirschen müssen. Solidarisiert sich die Mittelschicht mit der Unterschicht? Ganz gewiss nicht, weil man dann schließlich eine Mehrheit stellen würde. So sehr wie man Gerechtigkeit will, so wie die da unten will man nicht sein. Entwickelt man gerne utopische Technologien und verfängt sich in bürokratischen Gerechtigkeitsspielen und vergisst dabei den Menschen?

Als Ideologietest reicht heute auf jeden Fall bereits ein Begriff wie „Imperalist“ aus um einen ideologischen Linken zu entlarven, wie er in einem Wall aus auswendig gelernten Begriffen einen herniederredet. Eine Sprache, die die eigentliche Unterschicht überhaupt nicht versteht. Wofür braucht man den solch eine Sprache überhaupt anderes als sich selbst intelekueller zu machen als man es am Ende ist?

Das gerade die linken Ideologien zutiefst verstritten sind ist auch kein offenes Geheimnis. Nirgendwo sonst gibt es soviele Splittergruppierungen. Genderisten betreiben ein ideologisches Klein-Klein, dass man als normaler Mensch kaum noch nachvollziehen kann. Wenn selbst Transgender-Menschen bereits irritiert abwenden und nicht mehr verstehen, was dort überhaupt diskutiert wird, sollte dies ein Alarmindikator sein. Es geht oft eben einfach nur darum eine ideologische Überlegenheit zu demonstrieren und nicht darum ein wirklich negatives Element unserer Gesellschaft zu entsorgen.

Natürlich erkennt man insbesondere in „1984“ und „Animal farm“ eine riesige Kritik an einer sozialistischen Weltanschauung. Wer hier reininterpretiert, dass andere Formen wie der Liberalismus für ihn je eine Lösung waren, hat nie seine Essays oder früheren Werke gelesen. Er war stets ein Anhänger eines humanistischen Sozialismus gewesen und wollte stets vor den negativen Folgen des Sozialismus warnen, der sich damals in den Ländern Europas aufbaute.

Das viel zu sehr versucht wurde ideologische Diskussionen zu führen, anstatt das wirkliche Übel in der Welt anzugehen. Das es keine Rolle spielt, ob man an der Spitze eines Staates einen König oder Führer hat, einen großen Führer oder eine selbsternannte Elite, die einen vorschreibt wie man zu leben hat. Ja, dass selbst das Proletariat mit seiner niedrigen Bildung dazu verdammt wäre wieder in sich zusammen zu brechen und der Ungerechtigkeit wieder Tor und Tür zu öffnen.

Dabei zeigte er mit dem Finger keineswegs nur auf andere Menschen, sondern schien davon überzeugt zu sein, dass man die Schuld stets zunächst bei sich suchen sollte. Das man ehrlich zu sich selbst sein sollte und Gerechtigkeit nie als Schild vor sich tragen solle, wenn man innerlich am Ende doch über die aktuellen Zustände froh ist und davon profitieren würde. Er rechnete somit durchaus hart mit sich selbst und seiner Polizistenkarriere ab und eben auch dem Kolonialismus, denn er auf diese Weise förderte.

Das er ein Idealist war daran besteht keinen Zweifel, weil er eben erneut als Freiwilliger zu den Waffen griff als Deutschland in Polen einmarschierte. Er ertrug die Ungerechtigkeit nicht und wurde durchaus ungewöhnlich emotional, wenn es um Faschismus ging. „Rache ist sauer“ ist ein Beleg dafür in dem er von den Deutschen nichts anderes als eine „ungeheuerliche Friedensbedingung“ forderte. Doch obwohl er von Wut schäumte, verlor er auch darin nicht seinen Blick für das Leid in der Welt.

"Strenggenommen gibt es so etwas wie Vergeltung oder Rache gar nicht. Rache ist eine Handlung, die man begehen möchte, wenn und weil man machtlos ist: sobald aber dieses Gefühl des Unvermögens beseitigt wird, schwindet auch der Wunsch nach Rache." - Orwell

Einen durchaus sehr komplexen Sachverhalt, der von modernen Menschen oftmals im Affekt und ohne große Überlegung gelebt wird, in so wenig Worte zu erfassen, beeindruckt mich immer wieder. Rache ist eine Handlung, die aus Machtlosigkeit erwächst. Würde Orwell heute leben und Pegida sehen, würde er vermutlich im Kreise hüpfen und vermutlich nicht die Leute dort angreifen, sondern alle Anderen. Schlichtweg, weil sie nicht verstehen, dass man hier nicht mit Ideologie weiter kommt, sondern den Menschen ihre Ohnmacht nehmen muss, damit man diese Wunden heilen kann. Wer die ideologische Keule schwinkt, wird darin nur die Ungerechtigkeit ausweiten und immer größere Kreise der Eskalation bewirken.

Insgesamt wäre ich sehr froh, wenn Orwell noch Leben würde und gerne mit ihm das eine oder andere Bier trinken und über diese Welt sinnieren. Obwohl ich zumeist eine sehr gefestigte Meinung habe, würde ich es genießen ihn einfach dabei zu lauschen, wie er die Lage sieht. Man muss Orwell nicht für das lieben was er war oder für das er einstand. Sondern vorwiegend für seine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und die Fähigkeit außerhalb der Bahnen zu denken.

So ist folgender Gedanke auch von ihm und ich stolpere immer wieder darüber. Denn je mehr ich darüber beginne nachzudenken, umso mehr betrübt es mich, weil es unweigerlich stimmt, dass er damit recht hat:

"Was mich am meisten bedrückt, wenn ich an die Antike denke, ist der Umstand, dass diese Hunderte von Millionen von Sklaven, auf deren Rücken ganze Zivilisationen generationenlang beruhten, nichts über sich hinterlassen haben. Wir kennen nicht einmal ihre Namen." - Orwell

Die Erkenntnis das alles auf dem wir unseren heutigen Wohlstand und Wissen aufbauen am Ende von einer Armee von anonymen Menschen erschaffen wurden. Die ihr gesamtes Leben dem Aufbau für eine große Sache gegeben haben und vom Strudel der Zeit verschlungen wurden. Während so mancher Sozialist vielleicht die Aufopferung einer großen Idee als etwas positives darstellt, sagt Orwell jedoch, dass es ihn bedrückt. Das man auf den Schultern von Riesen steht, deren Namen man nicht einmal kennt.

Vielleicht sollte man sich eben doch nicht Idealen hingeben und sich ihnen blindlings unterordnen. Ganz unabhängig davon welche Färbung diese am Ende auch haben wird. Denn immer wann man dies auch tut, wird man empfänglich darüber neues Leid in der Welt zu erzeugen und nur zu einem weiteren vermutlich anonymen Sklaven einer größeren Sache. Vielmehr sollten wir als Gesellschaft danach streben, dass ein jeder von uns die Chance erhält einen für ihn angemessenen Fußabdruck in der Zeit zu hinterlassen.

Wir uns immer dann fragen sollten, ob etwas nicht stimmt, wenn wir es den Menschen nicht ermöglichen eben dies zu tun. Wir ihnen den Zugang zu Bildung verweigern, die Möglichkeit sich zu Verwirklichen oder überhaupt in irgend einer Weise nicht so leben zu können wie man will. Das Ohnmacht stets neue Probleme hevorruft, die die eigentlichen darunter liegenden Probleme verbergen bis man am Ende zerstritten bis in alle Einzelteile in einer Dystrophie lebt in der man nicht einmal mehr sich aneinander versteht.

Es sollte nie um eine blinde Ideologie gehen, sondern stets darum die wahre Natur eines Problemes zu verstehen und dann zu lösen. Nietzsche lässt Grüßen. Wie schwer es jedoch ist sich solchen Kreisläufen zu entziehen zeigt unsere heutige Welt. Die 90 Jahre später mit immer größeren Herausforderung darsteht und am Ende sich in keinster Weise zum positiven verändert hat. Ich bin mir sicher, dass Orwell wenn er davon erfahren würde ein wenig geqäult lächeln, aber ansonsten – ausnahmsweise – schweigen würde. Denn eigentlich hat er bereits alles gesagt.

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