Mildreds Fenster | Mildred's windows

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Mildreds Fenster

Opa Eis-Peer begann: „Diesmal habe ich mir die Bilder schon im voraus angesehen, und sie erinnern mich an eine Geschichte aus meiner Jugend.“ Er nahm einen Schluck aus der Rum-Flasche, und Rajafee rief: „Opa! Der Rum gehört doch in den Tee!“ Gehorsam goss Peer einen Schwung davon in den Tee. Dann kippte er sich wieder einen Schluck aus der Flasche direkt in den Mund und schob das erste Bild auf die Leinwand.

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photo: bambuka

„Es war zwanzig vor vier und erstaunlicherweise noch hell. Meine Schwester Mildred stand in ihrer blauen Latzhose am Küchentisch und fädelte Perlen auf eine Schnur. Ihre Freundin und ich waren nicht dabei, sie hatte aber ein Foto von uns ins Fenster gehängt. Fenster waren Mildreds letztes Tor zur Welt, denn sie ging kaum noch hinaus, und sie gestaltete Fenster zielgerichtet als eine Art von Teleskopen in diese Ferne der Welt von ihr. Weil es so viele Fenster und Fensterchen waren, nannten wir Mildreds Fenster die Hundertfenster oder das Hundertstfenster, Hundreds of Windows oder Hundredth Window. Mildred’s 100th window.“

Peer holte Luft, nahm einen großen Schluck Tee, während Quantolin an der heißen Schokolade nippte, die Oma Maudita ihm und Raja zubereitet hatte: aus zwei Sorten Kuvertüre, Milch und Sahne, gekrönt von Schlagsahne, serviert mit einem Halm aus echtem Stroh.

„Mildred war also wie so oft allein, ich selbst war beim Schlittschuhlaufen, und ihre Freundin war auch nicht bei ihr zu Besuch“, fuhr Opa Peer nun fort und schob das nächste Bild ein.

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photo: bambuka

„Genau genommen, war ihre Freundin überhaupt nicht mehr da. Sie wurde nur wenige Wochen zuvor von einem Auto überfahren, weil der Fahrer bei der winterlichen Glätte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Ihre Mutter, also die Mutter der Freundin, war bei diesem tragischen Unfall mit dabei gewesen, überlebte jedoch, wenngleich mit einem zerschmetterten Bein.“

Betroffenes Schweigen.

„Mildred hatte dazu überhaupt nichts gesagt, als sie es erfuhr, und sie kam auch nicht mit zur Beerdigung ihrer Freundin. Sie schwieg einfach, und sie fädelte Perlen auf eine Schnur. Das schien ihre Art zu sein, in der Zeit zu bleiben, am Nacheinander der Dinge teil zu nehmen, den Tag zu strukturieren. Oder sich abzulenken, eine subtile Art von Eskapismus.“

„Was ist Eskapismus?“, wollte Quantolin fragen, aber Rajafee wies ihn zurecht: „Pscht, jetzt nicht! Schau halt nachher mal bei Wikipedia oder im Wahrig.“

„Seitdem es passiert war, lief ich wie gegen eine Wand“, fuhr der Opa mit seiner Erzählung und mit einem neuen Bild fort.

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photo: bambuka

„Mildred schien nicht ansprechbar. Gleichzeitig nahm sie doch irgendwie teil am Geschehen, ließ in Fenster-Fotos Erinnerungen aufblitzen, so wie ich hier mit Schlittschuhen und den Händen in der Tasche. Und gleichzeitig war da eine Wand, nicht brutal oder gefährlich, aber undurchdringlich. Eine Wand mit einem Fenster vielleicht, aber ohne Tür.“

„Wegen dem Unfall der Freundin?“, fragte Raja, während nun Quanto „pscht“ zischte, aber Raja winkte ab. Der Opa schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, das war ein ganz anderer Grund, der lag zu diesem Zeitpunkt schon etwa zwei Jahre zurück.“ Er holte tief Luft.

„Mildred hatte nämlich eine Spritze bekommen. Es sollte eine Impfung sein, zu ihrem Schutz, zum Schutz gegen eine verbreitete Kinderkrankheit. Aber es war etwas passiert, es lief schief, Mildred bekam diesen Schaden, von dem wir nicht wussten, wie er hieß, wie er zu beheben war. Und so wussten wir auch immer weniger von Mildred: was sie dachte, was sie fühlte. Sie schien für uns wie in einen Eisklotz eingesperrt. Sichtbar, aber nicht erreichbar. Und umgekehrt schien es genauso zu sein.“

Pause. Niemand sagte etwas.

„Die Hundertfenster entstanden und blieben, waren aber kein Ersatz für eine Tür. Sie zeigten, aber sie trennten auch. Die aufgefädelten Perlenschnüre wurden länger und bunter, und auch sie stellten keine Verbindung her. Zeigten sie etwas, bedeuteten sie etwas? Das sollte ich erst viel später heraus finden, da war Mildred schon nicht mehr unter uns.“

„Oma?“, flüsterte Raja, „hatte Opa wirklich eine Schwester mit dem Namen Mildred?“ - „Das spielt doch jetzt wirklich keine Rolle!“, zischelte Quanto dazwischen, „wir wollten eine Geschichte hören, und jetzt bekommen wir eine.“

Opa Peer schob ein neues Bild ein und fuhr fort:

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photo: bambuka

„Selbst unseren Königspudel schien Mildred nur noch durch eine Art Schleier hindurch wahrzunehmen. Sie schaute kaum auf, wenn er in ihre Nähe kam, und sie spielte auch nicht mehr wie früher mit ihm. Alles schien wie durch ein Schneetreiben hindurch entfernt und immer entfernter von ihr zu sein.“

„Das soll ein Königspudel sein? Ich hätte es für einen Terrier gehalten“, murmelte jemand, wahrscheinlich war es Quanto. Aber niemand gab eine Antwort darauf, und der Opa wechselte rasch das Bild auf der Leinwand.

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photo: bambuka

„An diesem Mildred-Fenster haben wir lange gerätselt, und an dem nächsten eigentlich noch mehr“,fuhr der Opa fort und tat so, als wolle er einfach schon zum folgenden Bild schalten, ließ sich dann aber augenblicklich von mehrstimmigen „He!“-Rufen bremsen und sagte: „Lange gerätselt, ja, und bis heute bin ich nicht sicher, was dieses Fenster zu bedeuten, zu sagen, zu zeigen hat.“

Opa Peer schwieg kurz und fuhr fort: „Es ist ein Riss in der Welt, wie wir sie kennen, ein Riss, aus dem Licht zu quellen scheint in Form von schwarzen und weißen Schnüren. Wenn ihr genau hinschaut, seht ihr, wie sich der Riss vergrößert, wie sich die Welt hinter der Welt öffnet.“

Bevor jemand etwas sagen konnte, schaltete Peer weiter zum nächsten, zum letzten Bild.

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photo: bambuka

„Der Riss öffnete sich für Mildred zu einem Tunnel aus Licht, und wie mit einem Fahrrad fuhr sie hinein, übermütig zurück gelehnt, voller Vorfreude auf – ich weiß nicht, worauf. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich übermütige Vorfreude war oder doch eher der Versuch zu bremsen, was sie sich zurück beugen ließ.“

Schweigen.

„Die Perlenschnüre, davon wollte ich noch berichten. Nachdem Mildred uns ganz verlassen hatte und nachdem sie dann auch verstorben war, bekam ich die Kiste in die Hände, in der alle Schnüre gesammelt lagen, sorgfältig aufgerollt und scheinbar irgendwie geordnet. Vier oder fünf davon rollte ich damals auf und legte sie vergleichend nebeneinander. Da entdeckte ich Ähnlichkeiten in den Mustern, in den Abfolgen der Farben der aufgefädelten Perlen.“

„Eine Botschaft? Wie bei einem Khipu der Azteken?“, wollte Raja wissen, und Quanto ergänzte: „Aber nicht so verzweigt, sondern mit einzelnen Schnüren.“ – „Genau“, erwiderte Peer, „ich entdeckte, dass immer an der 13. Position eine rote Perle eingefädelt war, an der 22. Position eine blaue, und an der 34. Position eine grüne.“ – „Hängt das denn nicht davon ab, von welcher Seite du zu zählen beginnst?“ – „Das könnte man meinen, aber es war egal – die Schnüre waren in dieser Hinsicht symmetrisch!“ – „Aber was bedeuten diese Zahlen? Haben sie etwas zu tun mit der Fibonacci-Reihe?“, wollte Quantolin wissen.

„Ich denke, nicht. Fibonaccis Zahlen-Reihe lautet ja 13, 21, 34 und hat hier nicht die 22 in der Mitte. Ich glaubte, hier war ein Alphabet einkodiert: der 13. Buchstabe des Alphabets, danach der 9. und danach der 12.“

Die Teenager zählten schnell an den Fingern nach: „M – I – L…!“ – „Gab es denn noch mehr? Noch mehr Buchstaben oder andere Muster?“ – „Ich habe mir viel Mühe gegeben, manchmal dachte ich, ich könnte die Schnüre anordnen wie ein Pascalsches Dreieck, dann wieder wie die wachsenden Radien einer Spirale, aber ich kam nie zu einem brauchbaren Ergebnis.“

Schweigen.

„Die Kiste mit den Schnüren steht auf dem Dachboden, ihr könnt ja selbst mal schauen. - Aber Vorsicht, die Stiege ist ein bisschen brüchig!“ Das letzte rief Peer den bereits davon gestürzten Kids hinterher. Maudita kicherte. „Diesmal hast du sie wieder richtig aus der Reserve gelockt, gratuliere!“, sagte sie. „Aber ist denn da oben wirklich eine Kiste mit Perlenschnüren? Mir ist nie eine aufgefallen.“ Peer nahm einen Schluck Rum und einen Schluck Tee mit Rum und schwieg.

Dann griff er in eine Hosentasche und zog eine Perlenschnur hervor. Maudita nahm sie entgegen und studierte sie. Die Schnur enthielt 10 gelbe Perlen, 10 rote, 10 blaue und 10 grüne, dann wieder 10 blaue, 10 rote und 10 gelbe. „Du siehst, es ist sogar eine Verschlüsselung im Spiel“, sagte Peer.


Mildred's windows

Grandpa Eis-Peer began: "This time I looked at the pictures in advance and they remind me of a story from my youth." He took a sip from the rum bottle and Rajafee shouted: "Grandad! The rum belongs in the tea!" Peer obediently poured a dash of it into the tea. Then he tipped another sip from the bottle straight into his mouth and pushed the first picture onto the screen.

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photo: bambuka

"It was twenty to four and surprisingly still light. My sister Mildred was standing at the kitchen table in her blue dungarees, threading pearls onto a string. Her friend and I weren't there, but she had hung a photo of us in the window. Windows were Mildred's last gateway to the world, because she hardly ever went out anymore, and she purposefully designed windows as a kind of telescope into this distant world of hers. Because there were so many windows and little windows, we called Mildred's windows the Hundred Windows or the Hundredth Window, Hundreds of Windows or Mildred's 100th window."

Peer caught his breath and took a big sip of tea while Quantolin sipped the hot chocolate that Grandma Maudita had made for him and Raja: two types of chocolate coating, milk and cream, topped with whipped cream and served with a straw made of real straw.

"So Mildred was alone, as is so often the case, I was ice skating myself and her friend wasn't visiting her either," continued Grandpa Peer and inserted the next picture.

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photo: bambuka

"In fact, her friend was no longer there at all. She had been run over by a car just a few weeks earlier because the driver had lost control of his vehicle in the icy winter conditions. Her mother, the friend's mother, had been involved in this tragic accident but survived, albeit with a shattered leg."

Sorrowful silence.

"Mildred didn't say anything about it when she found out, and she didn't come to her friend's funeral. She just kept quiet and strung pearls on a string. That seemed to be her way of staying in time, taking part in the succession of things, structuring the day. Or to distract herself, a subtle kind of escapism."

"What is escapism?" Quantolin wanted to ask, but Rajafee rebuked him: "Shh, not now! Have a look at Wikipedia or Cassell's dictionary later."

"Ever since it happened, I felt like I'd hit a wall," Grandpa continued his story with a new picture.

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photo: bambuka

"Mildred seemed unresponsive. At the same time, she somehow took part in what was happening, flashing memories in window photos, like me here with my ice skates and my hands in my pockets. And at the same time there was a wall, not brutal or dangerous, but impenetrable. A wall with a window perhaps, but no door."

"Because of the girlfriend's accident?" asked Raja, while Quanto now hissed "shh", but Raja waved him off. Grandpa shook his head and said: "No, that was a completely different reason, it was about two years ago at the time." He took a deep breath.

"Mildred had had an injection. It was supposed to be an immunisation to protect her against a common childhood disease. But something happened, it went wrong, Mildred got this damage that we didn't know what it was called, how to fix it. And so we knew less and less about Mildred: what she thought, what she felt. She seemed to us to be locked in a block of ice. Visible, but unreachable. And it seemed to be the same the other way round."

Pause. Nobody said anything.

"The hundred windows were created and remained, but they were no substitute for a door. They showed, but they also separated. The strings of pearls became longer and more colourful, and they didn't create a connection either. Did they show something, did they mean something? I wouldn't find out until much later, when Mildred was no longer with us."

"Grandma?" whispered Raja, "did Grandad really have a sister called Mildred?" - "It doesn't really matter now!" hissed Quanto, "we wanted to hear a story and now we're getting one."

Grandpa Peer inserted a new picture and continued:

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photo: bambuka

"Even our King Poodle appeared to be perceived by Mildred only through a kind of veil. She hardly looked up when it came near her, and she didn't play with it like she used to. Everything seemed to be distant and increasingly distant from her, as if through a snowdrift."

"That's supposed to be a king poodle? I would have thought it was a terrier," someone murmured, probably Quanto. But no one answered, and Grandpa quickly changed the picture on the screen.

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photo: bambuka

"We puzzled over this Mildred window for a long time, and the next one even more so," Grandpa continued, pretending to simply switch to the next picture, but was then immediately stopped by several shouts of "Hey!" and said: "We puzzled over it for a long time, yes, and to this day I'm still not sure what this window means, what it says, what it shows."

Grandpa Peer was silent for a moment and continued: "It's a crack in the world as we know it, a crack from which light seems to spill out in the form of black and white strings. If you look closely, you can see how the rift is widening, how the world behind the world is opening up."

Before anyone could say anything, Peer switched to the next, final image.

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photo: bambuka

"The crack opened up into a tunnel of light for Mildred, and she rode into it like a bicycle, leaning back exuberantly, full of anticipation for - I don't know what. I don't know if it was really exuberant anticipation or rather an attempt to slow down that made her lean back."

Silence.

"I wanted to tell you about the strings of pearls. After Mildred left us completely and after she passed away, I got my hands on the box in which all the strings were collected, carefully rolled up and apparently somehow organised. I unrolled four or five of them and laid them next to each other for comparison. I discovered similarities in the patterns, in the sequence of colours of the pearls strung together."

"A message? Like an Aztec khipu?" Raja wanted to know, and Quanto added: "But not so branched, but with individual strings." - "Exactly," replied Peer, "I discovered that a red pearl was always threaded in at the 13th position, a blue one at the 22nd position and a green one at the 34th position." - "Doesn't that depend on which side you start counting from?" - "You might think so, but it didn't matter - the strings were symmetrical in that respect!" - "But what do these numbers mean? Do they have anything to do with the Fibonacci series?" Quantolin wanted to know.

"I don't think so. Fibonacci's series of numbers is 13, 21, 34 and doesn't have 22 in the centre. I thought there was an alphabet encoded here: the 13th letter of the alphabet, followed by the 9th and then the 12th."

The teenagers quickly counted on their fingers: "M - I - L...!" - "Were there any more? More letters or other patterns?" - "I tried very hard, sometimes I thought I could arrange the strings like a Pascal's triangle, then again like the increasing radii of a spiral, but I never got a useful result."

Silence.

"The box with the strings is in the attic, you can have a look for yourselves. - But be careful, the stairs are a bit brittle!" Peer shouted the last one after the kids, who had already dashed off. Maudita giggled. "You've really lured them out of their shell again this time, congratulations!" she said. "But is there really a box with strings of pearls up there? I've never noticed one." Peer took a sip of rum and a sip of tea with rum and fell silent.

Then he reached into a trouser pocket and pulled out a string of pearls. Maudita took it and studied it. The string contained 10 yellow beads, 10 red, 10 blue and 10 green, then another 10 blue, 10 red and 10 yellow. "You see, there's even an encryption involved," said Peer.

(Thanks to DeepL)

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It's hard to understand another person's message the way they meant it. Even when the message is made with the help of speech.
What to say about beads and windows )

Tja , jaja .

Maudita hätte in der heißen Schokolade, also, in ihrer, nicht in der für die Kids, übrigens auch gerne einen tüchtigen Schuß Rum... Das Ganze würde sie dann "LUMUMBA" nennen und fröhlich kichern... ;-))

@tipu curate

Holisss...

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This is a manual curation from the @tipU Curation Project.