Siddhartha und Besitz - aktueller den je

in hive-121566 •  5 years ago 

Ich habe den Ausschnitt heute in einem Buch gelesen und finde Ihn extrem Tiefgründig. das Fasten, nicht nur nahrungstechnisch, ist eine wichtige Fähigkeit. Manchmal muss man den Quick-Win ablehnen, um an das größere zu kommen.

Aus Siddhartha: eine indische Dichtung, Hesse, Hermann, frei Verfügbar im Projekt Gutenberg: http://www.gutenberg.org/ebooks/2499

BEI DEN KINDERMENSCHEN

Siddhartha ging zum Kaufmann Kamaswami, in ein reiches Haus ward er
gewiesen, Diener führten ihn zwischen kostbaren Teppichen in ein
Gemach, wo er den Hausherrn erwartete.

Kamaswami trat ein, ein rascher, geschmeidiger Mann mit stark
ergrauendem Haar, mit sehr klugen, vorsichtigen Augen, mit einem
begehrlichen Mund. Freundlich begrüßten sich Herr und Gast.

"Man hat mir gesagt," begann der Kaufmann, "daß du ein Brahmane bist,
ein Gelehrter, daß du aber Dienste bei einem Kaufmann suchst. Bist du
denn in Not geraten, Brahmane, daß du Dienste suchst?"

"Nein," sagte Siddhartha, "ich bin nicht in Not geraten und bin nie in
Not gewesen. Wisse, daß ich von den Samanas komme, bei welchen ich
lange Zeit gelebt habe."

"Wenn du von den Samanas kommst, wie solltest du da nicht in Not sein?
Sind nicht die Samanas völlig besitzlos?",

"Besitzlos bin ich," sagte Siddhartha, "wenn es das ist, was du meinst.
Gewiß bin ich besitzlos. Doch bin ich es freiwillig, bin also nicht
in Not."

"Wovon aber willst du leben, wenn du besitzlos bist?"

"Ich habe daran noch nie gedacht, Herr. Ich bin mehr als drei Jahre
besitzlos gewesen, und habe niemals daran gedacht, wovon ich leben
solle."

"So hast du vom Besitz anderer gelebt."

"Vermutlich ist es so. Auch der Kaufmann lebt ja von der Habe anderer."

"Wohl gesprochen. Doch nimmt er von den andern das Ihre nicht umsonst;
er gibt ihnen seine Waren dafür."

"So scheint es sich in der Tat zu verhalten. Jeder nimmt, jeder gibt,
so ist das Leben."

"Aber erlaube: wenn du besitzlos bist, was willst du da geben?"

"Jeder gibt, was er hat. Der Krieger gibt Kraft, der Kaufmann gibt
Ware, der Lehrer Lehre, der Bauer Reis, der Fischer Fische."

"Sehr wohl. Und was ist es nun, was du zu geben hast? Was ist es,
das du gelernt hast, das du kannst?"

"Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten."

"Das ist alles?"

"Ich glaube, es ist alles!"

"Und wozu nützt es? Zum Beispiel das Fasten--wozu ist es gut?"

"Es ist sehr gut, Herr. Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, so ist
Fasten das Allerklügste, was er tun kann. Wenn, zum Beispiel,
Siddhartha nicht fasten gelernt hätte, so müßte er heute noch
irgendeinen Dienst annehmen, sei es bei dir oder wo immer, denn der
Hunger würde ihn dazu zwingen. So aber kann Siddhartha ruhig warten,
er kennt keine Ungeduld, er kennt keine Notlage, lange kann er sich
vom Hunger belagern lassen und kann dazu lachen. Dazu, Herr, ist
Fasten gut."

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