Versus. Über Kultur und Zivilisation. Und Wertegemeinschaft. Teil 2.

in hive-146118 •  3 years ago  (edited)

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Image: Netzfund

Versus. Über Kultur und Zivilisation. Und Wertegemeinschaft.


Teil 2.

Ist klar, ich beginne mit Kant: „Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt. Wir sind civilisirt bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisirt zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus.“
(aus: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784; zitiert nach Wikipedia)

Zivilisation: die Gesamtheit der Zivilisierung, der Selbst-Domestikation, die „äußere Anständigkeit“. Das „Sittenähnliche“!

aus Wikipedias Artikel „Kultur“ (Link siehe unten): „Denn als Bedingung für Kultur gilt für Kant die „Idee der Moralität“ (der kategorische Imperativ), also dass die Menschen ihre Handlungen bewusst auf an sich gute Zwecke einrichten.“
(kursiv im Original)

(Wie viele Shitstorms aus wie vielen Ecken bekäme Kant heute, wäre er als Blogger unterwegs?)

Im Teil 1 (Querverweis unten) hatte ich noch nicht ganz deutlich gemacht, dass Kultur ein Ganzes ist, als ein Ganzes gedacht wird. Daher ist es zunächst einmal so, dass man sich als Teil einer Kultur, als Angehöriger einer Kultur sehen kann – oder eben auch nicht, oder eben auch in ausdrücklicher Distanzierung dazu. Aber kulturelle Fragmente sich anzueignen und diese schon für eine neue (Mikro-)Kultur zu halten, das wäre übereilt. Ich kann natürlich meine eigene Vorstellung von Kultur haben, meine eigene, private Definition. Das kann ich immer und überall. Das forciert meinen Individualismus. Aber wem dient das? Nicht einmal mir selbst, fürchte ich.

Kultur (cultura) war beim Römer Cicero (der mit den Freunden in der Sauna, Querverweise unten) gemeint als die Pflege und sittliche Veredelung der eigenen Seele, der eigenen Person oder des eigenen Geistes (cultura anime). Auch das ist als eine ganzheitliche Aufgabe gedacht, nicht als äußerlicher Schmuck oder als ungeordnetes Sammelsurium gleichwertiger Fähigkeiten, Vorlieben.

Das Wort „Leitkultur“ – ich sage es mal ganz kurz – ist ein modernistischer Bullshit. Es lässt sich sinnvoll sprechen von „Leitmotiven“ (nicht nur bei Kompositionen von Richard Wagner), von (Erkenntnis-) leitenden Interessen, von Leitplanken. „Leitkultur“ ist ein ideologisch besetzter Kampf-Begriff, dessen propositionalen Gehalt, also dessen argumentative Bedeutung ich so zu rekonstruieren versuche:

Es gibt in jeder Kultur Wertesysteme, das sind Wertvorstellungen und Handlungsmaßstäbe in einer hierarchischen Ordnung: höchste Werte, die nicht aufgegeben werden können, ohne die Basis der betreffenden Kultur zu verlassen oder zu verlieren; hohe Werte, die immer noch prägend und konstituierend sind für eine Kultur, und geringere Werte, welche einer Kultur zugehören, die aber anders ausfallen könnten. Diese Stufungen werden innerhalb der betreffenden Kultur vorgenommen und dort gelebt, sie kommen nicht von außerhalb. Wer sich in eine Kultur einordnen, in ihr leben will, kommt nicht umhin, sich mit dem Wertesystem vertraut zu machen. Dabei darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass es dominierende, höchste Werte gibt. In der mir vertrauten Kultur, die bisweilen ein bisschen unbeholfen als christlich-abendländisch bezeichnet wird, sind diese obersten Werte die Würde des Menschen und seine politische Freiheit.

Diese beiden könnte man als die Leitplanken ansehen, innerhalb derer sich alles weitere an Handlungen und Verantwortung, an ethischer Reflexion und persönlichen Zielsetzungen abzuspielen hat. Sie sind nicht hintergehbar, aber sie bedürfen immer wieder neu der Begründung, denn das gehört zum freien Meinungsaustausch in öffentlicher Diskussion, einem der höheren, unverzichtbaren Werte der genannten Kultur. Freiheit und Menschenwürde bilden die Basis einer „Wertegemeinschaft“. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass der, der diese „Wertegemeinschaft“ in propagandistischer Rede beschwört, selbst an ihr teilnimmt, selbst diese Werte als seine höchsten Werte pflegt.

Bin ich „grüner Gutmensch“ (Sebstbezeichnung von @jaki01 in seinem Artikel) oder „guter Grünmensch“? Das ist jetzt mehr als ein Wortspiel: Es soll andeuten, dass die gleichen Werte aufzählbar („mengentheoretisch“) vorhanden sein können, aber in eine ganz andere Ordnung und Hierarchie, in ein anderes Zuerst-und-danach gebracht werden. Es ist insofern wie bei einem Mosaik (Metapher von @jaki01): die Zusammensetzung ergibt aber ein Bild, ein Ganzes, und wie viele Steinchen davon in dem einen Mosaik denen gleichen, die in einem anderen Mosaik vorkommen, spielt keine Rolle. Im Extremfall könnten es zu hundert Prozent die gleichen Steinchen sein und doch ein völlig anderes Bild darstellen, sprich: ein anderes Wertesystem, einen anderen Lebensstil. Insofern sehe, verwende ich die Metapher vom Mosaik anders als ihr Autor. Ein Mosaik ist ein Gesamt-Arrangement. Seine Individualität ist entscheidend, nicht, ob es Bausteine enthält wie ein anderes Mosaik.

Gibt es eine ‚ty-ty-Kultur‘ wie es eine ‚jaki01-Kultur‘ gibt? Das glaube ich nicht. Dem gegenüber gibt es vielleicht einen ‚ty-ty-Style‘. Vielleicht aber auch nicht. Denn was mir subjektiv als individuell erscheint, kann durchaus vielfach in der Welt vorkommen. Es ist Mode. Sowohl einer bestimmten, aktuellen Modeströmung zu folgen als auch Mode-Elemente verschiedener Strömungen unsystematisch hier und da aufzugreifen, sie zu rekombinieren und daraus einen eigenen „Style“ zu schaffen oder vielmehr zu imaginieren.

aus Wikipedia, Artikel „Mode“ (Link siehe unten): „Jede neue Mode etabliert neue Verhaltens-, Denk- und Gestaltmuster. Jede neue Mode bringt damit neue Wertungen mit sich und bewertet damit auch bestehende Phänomene der menschlichen Umwelt immer wieder neu.“


Mode ist nicht individuell. Kultur auch nicht. „Style“ und Zivilisation, Selbst-Design - dessen Ergebnis mag individuell sein, aber auch damit folge ich einer Mode als Teilnehmer an einer Kultur.

Im geplanten Teil 3 kann ich hoffentlich ein bisschen auf kulturelle Komplexe wie Kunst und Sprache eingehen.


Links:

Querverweis zum Original-Post von jaki01:
https://peakd.com/deutsch/@jaki01/gedanken-zu-kultur-identitaet-loyalitaet

Querverweis zu meinem Teil 1:
https://steemit.com/hive-146118/@ty-ty/versus-ueber-kultur-und-zivilisation-und-wertegemeinschaft-teil-1

Links zur vertiefenden Lektüre bezüglich Kultur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kultur
https://tour-de-kultur.de/2019/07/09/kultur-gedanken-ideen-und-fragen/

Querverweise zu Posts bezüglich Cicero:
https://steemit.com/hive-146118/@weisser-rabe/cicero-und-die-sache-mit-der-freundschaft-cicero-and-the-matter-of-friendship
https://steemit.com/hive-146118/@ty-ty/laelius-ueber-die-freundschaft

weitere Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mosaik
https://www.kreativ-depot.de/kreatives-gestalten/mosaik-basteln/?p=1
https://de.wikipedia.org/wiki/Mode






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Hihi, ja , kompliziert , ja , das mit den WortdeFiniTionen .
#Es und ich , #Ich , begnügen "uns" mit dem kulturell sein , #KULTURELLSEIN , Feulleton , wegen der TradiTion ?

Ja, die wollte #Es nicht haben , so wirklich , die TradiTionen von den AltvOrderen, die bei näherer BetraChtung eine Kultur beinhalteten , die damit dann auch der AbleHnung von #Es anheim fiel .

#Es hat keine Kultur , #Es ist kultiviert worden vielleicht , muss #Sich #Selbst weiter kultivieren mit kulturellen SchniPpseln , nach Gusto und nach FähiGkeit , real undoder illusionär .