Freundschaft in der Psychologie / Friendship in Psychology

in hive-146118 •  3 years ago 

english below...

Wie angekündigt, habe ich die Suche nach Einordnungen der Freundschaft in philosphischen Betrachtungen zunächst eingestellt. Meine ursprüngliche Orientierung bei Wikipedia ließ ja schon vermuten, daß es da eine gewisse Leerstelle geben könnte. Dies hat sich aus meiner Sicht bestätigt. Nachdem ich Cicero ein paar altbacken-überholte und vermutlich bereits zu seiner Zeit elitär-ignorante Ansichten ausgewiesen habe, stieß ich tatsächlich noch beiläufig auf Herrn Nietzsche. Der war auch der Meinung: "Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fähig..." (aus "Und also sprach Zaratusthra") - immerhin 1884 und damit fast 2000 Jahre später als vorgenannter Cicero. Ein hartnäckiges Ding, diese Frauenverachtung... Na ja, mit dem "noch" attestierte er der Weiblichkeit eventuell eine Chance, aufzuholen. Ob das seine Intention war...? Jedenfalls hat die wissenschaftliche Zunft, deren Ziel doch das Erklären der Welt und der menschlichen Existenz als Gesamtes ist, eindeutig Nachholbedarf.

Die Soziologie hat Freundschaft in vieler Hinsicht stärker beachtet und als Thema bearbeitet. Die Definitionen und Wertungen bleiben dabei auch eher vage, eben weil Freundschaften ein sehr individuelles Konstrukt sind und sich nicht vereinheitlichen lassen. Aber ihre Bedeutung für Individuum und Gesellschaft scheint klar erwiesen.

Psychologisch geht bezüglich Freundschaft so richtig die Post ab! Es gibt Studien, Befragungen, Beobachtungen, unterschiedliche Schulen, therapeutische Ansätze, ... Auf der einen Seite war ich doch beruhigt, daß etwas in meinen Augen sehr wichtiges und bedeutsames entsprechende Würdigung auf wissenschaftlicher Basis findet. Andererseits stieß ich auch hier auf einige steile Thesen, die mich zumindest zum grimmigen Stirnrunzeln bringen, wenn nicht gar zum streiten:

Natürlich ist in der Psychologie die Fähigkeit und die Sehnsucht nach Freundschaft bei beiden oder allen Geschlechtern mittlerweile unbestritten. Sie benennt allerdings konkrete Unterschiede: Frauenfreundschaften bedienen in erster Linie den Wunsch nach Nähe, Vertrautheit, Intimität und Ansprache (face-to-face) und Männerfreundschaften im Gegensatz dazu den nach gemeinsamen Aktivitäten und übereinstimmenden Standpunkten (side-by-side). Geschlechterübergreifende Freundschaften können funktionieren, haben aber laut verschiedener Statistiken eine geringere Belastbarkeit und "Lebensdauer". Nun ja. Aus eigenem Erleben sehe ich das von A bis Z anders ;-)) Ich glaube, um in diese Schemata zu passen, müßte es auch ein "typisch Mann" und "typisch Frau" geben. Ist das aber nicht genau die Denkweise, von der wir uns langsam entfernen wollten und sollten?

Weitere Studien belegen wohl, daß Männer ihre Freundschaften reduzieren, sobald sie in einer festen Partnerschaft eingebunden sind. Bei Frauen scheint es genau anders zu sein... Diese Daten sind durchaus zeitgenössisch (ich hätte sonst glatt vermutet, es läge an der geänderten Versorgungssituation der Frau in einer Ehe der 60-er Jahre und die gewonnene Freizeit nach Aufgabe eigener Berufstätigkeit...) Aber nein. Im Hier und Heute erzielte Studienergebnisse...

Wie wichtig erlebte Freundschaft tatsächlich ist, zeigt meines Erachtens die Zunahme des Einsamkeitsgefühls in ähnlich der unseren strukturierten Gemeinschaften. In Großbritannien wurde vor einigen Jahren ein Ministerium für Einsamkeit geschaffen, um sich des ständig größer werdenden Problems auf gesellschaftlicher Ebene anzunehmen. Der Aufbruch der traditionellen Großfamilien und Mehrgenerationenhaushalte führen bei gleichzeitiger Unfähigkeit, Freundschaften einzugehen und zu leben, zu emotionaler Isolation und Vereinsamung. Die wenigsten Leute haben dabei gar keine sozialen Kontakte - nur das Eingehen tiefer Bindungen scheitert an erlernten oder erworbenen Blockadehaltungen.

Ich bin sehr froh auch über frühere Freundschaften, die keine Ewigkeitsverträge waren und nur eine gewisse Zeit überdauerten. Sie haben mich geprägt und dazu beigetragen, daß ich heute bin, wie ich nun 'mal bin. Um so schöner, wenn so eine Freundschaft über Entfernungen und lange Zeiträume Bestand hat. Korrigiere mich also: ich bin dankbar.

Im "Spektrum der Wissenschaften" wurde über viele Jahre hinweg immer wieder die Freundschaft unter psychologischen Gesichtspunkten beleuchtet. Wer sich also tiefer einlesen möchte, ist dort sicher gut aufgehoben, um verschiedene Anstöße zu finden...

Wunderbaum-Sorten.jpg

english version:

As announced, I have stopped searching for classifications of friendship in philosphical considerations for the time being. My original orientation on Wikipedia already suggested that there might be a certain blank space. From my point of view, this has been confirmed. After I had identified a few old-fashioned, outdated and presumably already elitist-ignorant views in Cicero's time, I actually came across Mr. Nietzsche in passing. He was also of the opinion: "Woman is not yet capable of friendship..." (from "And thus spake Zaratusthra") - after all in 1884 and thus almost 2000 years later than the aforementioned Cicero. A stubborn thing, this contempt for women... Well, with the "still" he possibly gave femininity a chance to catch up. I wonder if that was his intention...? In any case, the scientific guild, whose goal is to explain the world and human existence as a whole, clearly has some catching up to do.

Sociology has paid more attention to friendship in many respects and has dealt with it as a topic. The definitions and evaluations remain rather vague, precisely because friendships are a very individual construct and cannot be standardised. But their importance for the individual and society seems to be clearly established.

Psychologically, friendship is a real hot topic! There are studies, surveys, observations, different schools, therapeutic approaches, ... On the one hand, I was reassured that something that I consider to be very important and significant is being given appropriate scientific recognition. On the other hand, I also came across some steep theses that make me at least frown, if not argue:

Of course, in psychology the ability and the longing for friendship in both or all sexes is now undisputed. However, it names concrete differences: women's friendships primarily serve the desire for closeness, familiarity, intimacy and address (face-to-face) and men's friendships, in contrast, serve the desire for joint activities and concurring points of view (side-by-side). Cross-gender friendships can work, but according to various statistics have a lower resilience and "lifespan". Well. From my own experience, I see it differently from A to Z ;-)) I believe that in order to fit into these schemes, there would also have to be a "typical man" and a "typical woman". But isn't that exactly the way of thinking we wanted and should slowly move away from?

Other studies seem to show that men reduce their friendships as soon as they are involved in a steady partnership. For women it seems to be exactly the opposite... These data are quite contemporary (otherwise I would have assumed that it was due to the changed situation of women in a marriage in the 60s and the free time they gained after giving up their own occupation...). But no. Study results achieved in the here and now...

In my opinion, the increase in the feeling of loneliness in communities similar to ours shows how important experienced friendship really is. In the UK, a Ministry of Loneliness was created a few years ago to address the ever-growing problem at a societal level. The break-up of traditional extended families and multi-generational households, combined with an inability to form and live friendships, lead to emotional isolation and loneliness. Very few people have no social contacts at all - only the forming of deep bonds fails due to learned or acquired blockades.

I am also very happy about former friendships that were not eternal contracts and only lasted for a certain time. They have shaped me and contributed to the way I am today. So much the better when such a friendship lasts over distances and long periods of time. So correct me: I am grateful.

Over many years, the "Spektrum der Wissenschaften" (Spectrum of Science) has repeatedly examined friendship from a psychological point of view. So if you want to read more deeply, you are certainly in good hands there to find various impulses...


Zur freundlichen Beachtung: / For friendly note:

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Vielleicht auch ein kleines Detail, welches die Etymologie hinzufügen kann. Im 8. Jahrhundert nannte sich "Freund" "friunt" und das bedeutete: Nächster, Geliebte(r), Verwandte(r).
Sollte ich Freundschaft definieren müssen, würde ich sagen, Freundschaft bedingt auf der biologischen Ebene das Zünden der Spiegelneuronen auf beiden Seiten und gibt den Befreundeten das Gefühl angebunden zu sein an etwas Größeres.

Der Mann ist als Kumpel in der Überzahl, ich kann bis heute nur zwei Frauen den Titel Kumpel verleihen Freundschaft und das, was damit verbunden sein soll, ist was für Romantiker
VgA