Photo contest: post processing #5 (deutsch)

in hive-155041 •  2 years ago  (edited)

Photo contest: post processing #5

(English version: https://steemit.com/hive-185836/@ty-ty/photo-contest-post-processing-5-english)

Wo fange ich an? Alphabetisch, zeitlich? Vorwärts, rückwärts? Ich denke, ich kommentiere die wunderbaren Beiträge in der Reihenfolge, in der sie gepostet worden waren, also chronologisch. Alle folgenden Bewertungen sind meine persönlichen Meinungen und rein subjektiv; ich erhebe damit keinerlei Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, und ich möchte niemand zu nahe treten oder kränken. Über jeden Beitrag habe ich mich wirklich gefreut, und dass es nicht mehr geworden sind, lag vielleicht daran, dass das von mir vorgeschlagene Bild oder die von mir als Anregung gemeinten Fragen dazu von Partizipanten früherer Bambuka-Contests als langweilig empfunden wurden.

Oh, ich darf mich hier nachträglich im neuen tippenden Jetzt etwas korrigieren: es gab kurz vor Toresschluss noch zwei weitere Beiträge! Danke an die Spät-Teilnehmer! Ihre Meteoriten schlugen auf, als ich schon offline gewesen war.

Wie sieht es nun aus, was fällt mir dazu ein, wie schaffe ich Vergleichbarkeiten (– sofern diese irgendeinen tieferen Sinn machen)?

Ich selbst hatte damit gerechnet, dass Ausschnitte aus meinem Foto gebildet würden, vielleicht ein Zoom zur Treppe mit den Personen oder zu den sieben Bäumchen rechts, die wie sieben Zipfelmützen von sieben Zwergen da stehen, oder zur Mauer mit dem schadhaften Anstrich im Kontrast mit dem gepflegt erscheinenden Gebäude. Oder ein Ausschnitt mit etwas für mich völlig Unerwartetem. Jedoch konzentrierten sich alle Beiträge auf das hauptsächliche Sujet, auf das Gebäude: Schloss Bellevue in Berlin.

Manche Beiträge haben diese Individualität des Gebäudes nach Recherche heraus gefunden oder auf den ersten oder zweiten Blick erkannt und dann im Post, in der Arbeit mit berücksichtigt. Das war möglich, aber nicht erforderlich, und ein Beitrag zeigt, wie man ohne das Wissen vom Schloss Bellevue in eine sozusagen freiere Richtung gelangen, durch ein Türchen im Denken entwischen kann.

Ein Schloss ist ein verschlossenes Gebäude. Ich weiß nicht, wie es in anderen Sprachen (Russisch, Spanisch) mit der betreffenden Wortverwandtschaft aussieht. Im Deutschen ist sie kein Zufall. Sie stammt aus dem Lateinischen und ist verwandt mit Klausur und Kloster. Ein Schloss ist ein nicht-öffentliches Gebäude, es ist privat, und zwar typischerweise innerhalb des so genannten Adels, einer gegenüber den Arbeitern und Bürgen privilegierten Klasse oder Kaste, die es auch in Europa noch gibt. Aber auch in Ländern wie Deutschland, das keinen Adel mehr gelten lässt, symbolisieren Schlösser noch immer die Zurückgezogenheit, den Reichtum, die Privilegien vergangener und zeitgenössischer Eliten. Ein ehemals königliches Schloss als Amtssitz des Bundespräsidenten, das steht auch heute noch für die Unnahbarkeit von Regierungen; eigens errichtete Gebäude wie das Kanzleramt sind im wörtlichen ebenfalls „Schlösser“, nämlich nur zu Tagen der Offenen Tür durch ein allgemeines Publikum zu betreten. Andere ehemalige königliche Schlösser wurden hingegen umgewandelt in Museen oder historische Attraktionen.

Mir scheint, diese Gedanken hatten alle Teilnehmer mehr oder minder deutlich im Kopf, als sie mit ihren Beiträgen begannen. Die Auffassung des Gebäudes als goldener Käfig bleibt, ganz abstrakt betrachtet, auf ihre Weise auch bei einem „Schloss“ (ein doppeldeutiges Wort im Deutschen: fürstliches Gebäude vs. Verriegelung, castle vs. lock). Darum blieb das Gebäude als Ganzes erhalten, und kein Ausschnitt wurde so heraus gelöst und isoliert, dass das Schloss als Schloss oder abgeriegeltes Gebäude völlig unerheblich geworden wäre.

Alle Partizipanten bis auf einen beschäftigten sich mit dem Schloss, aber niemand ließ es als solches stehen. Es wurde philosophisch hinterfragt, spielerisch verulkt, surrealistisch verfremdet oder in ästhetischer Durchsichtigkeit aufgelöst. Dann gab es zuletzt noch die politische Karikatur, die sich ausdrücklich auf das Gebäude in seiner aktuellen Funktion als deutsches Bundespräsidialamt bezieht, und davor aber auch noch eine Assoziation als Gefängnis, und zwar nicht für Personen, sondern als Gefängnis des Denkens.

Diese Vielfalt finde ich großartig, allen Beteiligten nochmals Dank! Mir scheint, auch weitere Teilnehmer hätten nicht mehr viel anderes beitragen können, aber dennoch hätte ich mich sehr gerne eines besseren belehren und von @lllll1ll und von @manuelgil64 und manchen anderen überraschen lassen. ;-)

Nun ein paar meiner Gedanken zu den einzelnen Beiträgen, bevor ich am Schluss versuchen werde, denjenigen zu benennen, der mir persönlich am besten gefällt. (Das wird ziemlich schwer werden!)

1 )
@barski
https://steemit.com/hive-185836/@barski/photo-contest-post-processing-5-creators-of-red-lines

Das selbst gewählte Motto oder Thema der roten Linien zieht sich als verbindender Faden durch den Post und durch das komplexe Bild. Barski beginnt im wahrsten Sinne des Wortes bei Adam und Eva, bei der sicherlich allseits bekannten Legende von der Vertreibung der Vorfahren aller Menschen aus dem Paradies. Die Entwicklung seiner Gedanken endet bei einem Netz aus roten Linien, in die die ganze Welt verstrickt ist. Dieses Netz wird auf das Gebäude projiziert, weil darin die Herrschenden symbolisiert sind, welche rote Linien ziehen, wie es ihnen gefällt.

Bei den Bearbeitungsschritten möchte im am meisten hervorheben, dass Barski eine Idee umsetzt, die mir auch schon des öfteren durch den Sinn ging: Er macht das, was vor der Zeit des digitalen Post Processing als „Doppelbelichtung“ bekannt war, das bedeutet: zwei Aufnahmen auf dieselbe Stelle des Films zu machen, um zwei Bilder übereinander zu legen. In Barskis hier vorgezeigter und instruktiv beschriebener Arbeit finde ich das sehr gut gelungen.

Im übertragenen Sinn könnte ich vielleicht sagen: Barski visualisiert eine bedrohlich aus dem Verborgenen wirkende hinter der offenkundigen Wirklichkeit. Aber damit nicht genug, gibt es eine „Dreifachbelichtung“, ein drittes Foto als oberste Ebene, als Vordergrund: der neue Usurpator der Macht auf dem Weg in ihr Zentrum, scheinbar unbeeindruckt vom Netz der roten Linien.

Für weitere Details verweise ich auf den Post von Barski, besonders noch wegen des Roten Auges. Mir gefällt das Ergebnis sehr, sehr gut, und mir gefällt ferner der beschriebene Weg dort hin – und nicht zuletzt: dass das Ziel nicht von Anfang fest stand, sondern dass der Autor sich offen hielt für Wechselwirkungen mit seinem Werk. Ich persönlich schätze das: planvoll, aber nicht stur festgelegt.

Insgesamt: 10 Punkte von 10 Punkten, wenn ich mir eine solche Skala vorstelle.


2 )
@udabeu
[no post - no link]

Kein eigener Post, und darum nicht eigentlich gültig als Beitrag, aber zwei Bilder, deren Motto anscheinend just for fun lautet, so deutet es jedenfalls die Überschrift im Kommentar an. Weitere Informationen erhalten wir Leser erst aus einem kurzen Kommentar-Wechsel mit Barski; daraus geht hervor, dass Udabeu einen sogenannten „AI Image Generator“ („a machine learning toolkit to generate images from text“) bemüht hatte, um diese Bilder zu erzeugen.

Mein Wissen darüber ist sehr begrenzt; ich vermute aber, dass Udabeu an Parametern „geschraubt“ und aus Ergebnissen ausgewählt hat, so dass dieser Prozess, auch wenn er uns ihn nicht erläutert, dem des Post Processing gleicht: spielerische Versuche, ein Bild zu manipulieren, und allmähliches Entstehen einer zumindest visuellen Idee, wenn auch ohne eine dazu berichtete Dokumentation oder Geschichte.

Ich vermute ferner, dass die AI auf Bilder ihrer Datenbank zurück gegriffen hat, um daraus Elemente und stilistische Merkmal zu extrahieren und sie dem Ausgangsbild zu integrieren. Vielleicht reicht Udabeu diesbezüglich noch ein paar Informationen nach.

Die Verwendung eines solchen Tools wirft interessante Fragen auf, die möglicherweise jenen Fragen gleichen, welche vor etwa 150 Jahren diskutiert wurden, als die Fotografie sich anschickte, in die Welt der Gemälde-Kunst einzudringen. Fotografie als mögliche Form der Kunst erschien damals vielen als fundamentaler Kontrast oder gar als Widerspruch zur bewusst mit Pigment und Pinsel gestaltenden Bildkunst. Wie ist das mit der sogenannten AI? Letztendlich entscheidet ja deren Benutzer über das Ergebnis, also der Mensch, nicht die Maschine.

Das Ergebnis von Udabeu finde ich persönlich überzeugend genug, dass ich es mir als Bild aufhängen würde, und zwar das erste der beiden. Das zweite wäre mir zu Comic-lastig; das ist natürlich eine Geschmacksfrage.

Udabeus Beitrag läuft außer Konkurrenz, da er ohne Post geblieben ist, aber ich gebe ihm hier doch eine Einstufung auf meiner Skala: 8 von 10 Punkten für das Ergebnis #1.

Die Diskussion über die fundamentale Frage nach dem Charakter einer derartigen Bildbearbeitung, die sicherlich längst läuft (an andern Orten), halte ich für spannend und Ergebnis-offen, wobei ich selbst derzeit noch zu etwa 70 % „dagegen“ bin, weil mir in dem Tool zu viele verborgene Parameter wirken und ich nicht kontrollieren könnte, auf welche Bilder es zugreifen soll und auf welche nicht. Ein solches Tool, dem ich als Grenzen eine eigene Bild-Datenbank zuweisen könnte, wäre für mich allerdings höchst interessant und würde meine Zurückhaltung überwinden. Doch das ist ein weites Feld und erfordert weitere Posts und Diskussionen. ;-)


3 )
@evagavilan
https://steemit.com/hive-185836/@evagavilan/concurso-de-fotografia-post-procesamiento-5

Evas Traum von Farben, sozusagen ein im Unterbewussten gefundenes Thema, wird berichtet und im Bild grandios umgesetzt. Es ist der Traum von einer bunten Gesellschaft, scheint mir, von Lebendigkeit und Miteinander statt Schwarz-Weiß-Denken und Ausgrenzung. Die Umwandlung des Feuermelders in eine Amphore, die Farben wie Wein ausgießt, und der in den schwarzen Himmel wie in Samt eingebettete Sichelmond, der dem Farbausguss seinen Segen zu erteilen scheint – das ist in meinen (kunstgeschichtlich nur schwach ausgebildeten) Augen ein magischer Surrealismus, den ich stumm bestaune und auf mich wirken lasse. Ein Spiel mit Archetypen, so kommt es mir vor, hervor geholt aus einem Unterbewussten und fast direkt wieder zurück geströmt in mein eigenes Unterbewusstes, so dass ich es wirklich nicht besser in Worte zu fassen vermag.

Meine persönliche Bewertung: 10 Punkte von 10 Punkten


4 )
@esthersanchez
https://steemit.com/hive-185836/@esthersanchez/photo-contest-post-processing-5

Esther lädt ein zu einem Rücksprung in der Zeit, nämlich in das Jahr 1900, indem sie sich vorstellt, das von ihr geschaffene Bild sei etwa dann entstanden. Sie reduziert die bildlichen Elemente nach vorhergehenden kleinen Bearbeitungs-Schritten auf eine Art Kohle-Zeichnung. Erstaunlicherweise macht diese das gezeigte Gebäude leicht und durchsichtig, geradezu transparent. Gleichzeitig scheinen sich Gewichte zu verschieben, so dass das Schloss leicht wird. Das macht mich nachdenklich, nicht über den Bundespräsidenten, sondern über das Sehen. Vielleicht wäre eine solche Zeichnung mir im Jahr 1900 gar nicht besonders aufgefallen, aber im Jahr 2022, in einer Zeit der Bilderfluten, wirkt es auf mich beruhigend, und es flüstert mir zu, dass Kupfer- und Holzstich, Radierung, Kohle- oder Bleistiftzeichnung noch lange nicht ausgedient haben.

Meine persönliche Bewertung: 9 Punkte von 10 Punkten


5 )
@michelangelo3
https://steemit.com/hive-185836/@michelangelo3/photo-contest-5-by-bambuka

Michelangelo der Dritte zeigt einen möglichen Fluchtweg aus dem Gefängnis des Denkens. Ein angenehm luxuriös scheinendes Ideologie-Gebäude beherbergt in seinem Bericht die dort befindlichen Ideen als Garant der Sicherheit. Drei Wächter haben dabei eine doppelte Aufgabe: sie lassen nichts ein, aber sie lassen möglicherweise auch keine Idee hinaus in die Realität, in die Freiheit, wo sie leben und sich bewähren kann. Doch der Goldene Käfig hat eine Pforte, und diese steht ausgehängt – wie konnte das passieren? Ist etwas entwichen, ist etwas eingedrungen? Ist es eine Falle?

Meine persönliche Bewertung: 9 Punkte von 10 Punkten


6 )
@peppermint64
https://steemit.com/hive-185836/@peppermint24/ein-tag-wie-fast-jeder-andere-in-der-hauptstadt

Prinz Pfefferminz reicht als Beitrag eine politische Karikatur in Form einer dreiteiligen Bildergeschichte ein. Weitere Episoden oder Bilder sind angekündigt, ich bin gespannt. Im jetzt ersten Bild wirkt die Szene noch „neutral“: ein Postbote wirft bündelweise Briefe ein. Es könnte Fan-Post sein für den oder die Schloss-Bewohner. Das zweite Bild wird schon deutlicher: Rechnungen! Genauer: „Quartalsabrechnungen für Krieg und Klima“, wie das Überbringer-Hörnchen anzukündigen weiß. Ein derzeit brisantes Thema, das aber allzu gern verschleiert und verschwiegen wird. Konsequenterweise erfahren wir im dritten Bild, dass es hier nichts zu sehen gibt – wobei aber „die Hütte brennt“, eine visualisierte Metapher. Ich mag sowas, auch wenn es plakativ sein mag.

Meine persönliche Bewertung: 8 Punkte von 10 Punkten


Gesamtzahl: 54 von 60 Punkten (oder 46 von 50 Punkten) – ich gratuliere! Und ich danke noch einmal allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern!


Abschließend bleibt nur zu sagen: ich brauche ein achteckiges Zimmer. Also stelle ich mir mal kurz vor, ich hätte ein solches – dann würde ich in einer der acht Wände die Eingangstür haben, an der gegenüberliegenden Wand diesen meinen Schrieb in einem Rahmen aufhängen und an den verbleibenden sechs Wänden eure Beiträge! Das wäre eine Ausstellung, in der sich eure Bilder gegenseitig betrachten, beleuchten, bespaßen, kommentieren, ergänzen, überdenken. Vielleicht liefe in diesem achteckigen Zimmer den ganzen Tag Musik, „Bilder einer Ausstellung“ in Dauerschleife, und die Besucher sollten versuchen, jedem Bild von euch eines der Musik-Bilder von Mussorgsky zuzuordnen. Wenn wir dann sechshundert Stimmzettel zusammen haben, machen wir eine statistische Auswertung für die häufigsten Zuordnungen.

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"Feuermelder. Berechtigt zum Melden ist, wer die Brandstelle angeben kann."
Foto: ty-ty

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Höhö , klasse Post , ja , fehlt nur noch dass die Mitbewerber "!ihre" Beiträge zur weiteren Präsentation freigeben , dann hätt´ste die auch noch anzeigen könntieren und zu , jaja .

!invest_vote

Tolle Zusammenfassung und Auswertung!
Danach bekommt man noch einmal einen ganz anderen Blick auf die einzelnen Kunstwerke, wenn man sie "durch die Brille eines anderen" betrachtet.

jedem Bild von euch eines der Musik-Bilder von Mussorgsky zuzuordnen

Mit den Werken von Mussorgsky habe ich mich nie beschäftigt oder hätte das jetzt zuordnen können. Aber ich war mal vor Dekaden auf einer Goa-Part mit Leitmotto: "Mussorgsky Forest"

Mitten im Wald, im tiefsten Nirgendwo, wilde Kunst, kunterbuntes Ambiente gemixt mit allem was der GOA Musikstyle so hergibt.

Hatte so gesehen mit Mussorgsky an sich nichts zu tun, aber war eben nicht einzuordnen. Das war die grosse Gemeinsamkeit.

Berechtigt zum Melden ist, wer die Brandstelle angeben kann."

"Hilfe, es brennt!"
"Wo genau?"
"Ja direkt gegenüber!"
"Danke für die Info, aber gegenüber von WO, du Knallbacke?!?"

Damals, als es weder digitale Zuordnung noch GPS Daten gab

P.S. Welcome to the #bockchaintree :)

Super geschrieben, ich kann mich deiner Wertung nur anschließen. Fand gleich den ersten Beitrag mit den roten Linien Hammer, dachte wie soll man das noch toppen. Und beim fliegenden Feuermelder dachte ich nur noch: Wow! So hat jede Umsetzung ihren eigenen Charme, ein sehr gelungener Contest.