Etwas über deutsche Bibelübersetzungen überhaupt und über die von D. Martin Luther insbesondere.

in hive-196037 •  4 years ago 

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Jede Zeit hat ihre Bücher, und jedes Buch hat seine Zeit. Ist die vorüber, so ist das Buch veraltet und bald vergessen. Andere Bücher treten an die Stelle, die dem Geschmack der Zeitgenossen besser zusagen und mit dem Reiz der Neuheit auftreten. Aber ein Buch überlebt alle andern und wird von jedem Geschlecht gelesen, das ist die Bibel. Denn sie verkündigt den Rat der göttlichen Barmherzigkeit zur Rettung der Sünderwelt und gibt Antwort auf die wichtige Frage: Was muß ich tun, daß ich selig werde? Sie erzählt die wunderbaren Wege der Weisheit und Macht Gottes mit dem Menschengeschlecht vom Anfang bis zum Ende. Sie malt den Menschensohn vor Augen, der der ganzen Menschheit angehört als Wurzel und Krone, der als der eine Mittler zwischen Gott und den Menschen das geheime Sehnen der Nationen ist, auf den auch jede einzelne Menschenseele angelegt ist. Sie ist das Buch der Menschheit, das Buch aller Zeiten und aller Völker, das Buch des Volkes, wie es kein ähnliches auf Erden gibt. Es ist das rechte Buch für die Gelehrten und Gebildeten, unerschöpft und unerschöpflich an Weisheit und Geistesherrlichkeit, und doch auch das Buch für das einfache Volk, voll himmlischer Kindeseinfalt. Es ist das Buch für Männer und Frauen, für Fröhliche und Traurige, für Gesunde und Kranke, für Alte und Junge, für reich und arm, für hoch und nieder, für alle Stände der Menschen, für alle Lagen des Lebens, für alle Bedürfnisse des Menschenherzens.

Darum sind auch die Schriften des Neuen Testaments in der griechischen Sprache geschrieben worden, obwohl die Verfasser beinahe alle geborene Juden waren. Denn das griechische war damals die Weltsprache, die im ganzen Römischen Reich, wenigstens von den Gebildeten in den Städten verstanden wurde (Joh. 19,20). Ja, wenn schon vor Christi Geburt in den Jahren 250-130 auch das Alte Testament von alexandrinischen Juden aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt worden ist, so geschah das freilich zunächst im Interesse der Griechisch redenden Juden in der Diaspora, die ihre Muttersprache nicht mehr verstanden. Es hat aber doch auch dazu beigetragen, daß die heiligen Schriften Israels von den Heiden gelesen werden konnten und gelesen wurden. Daher kam's, daß z. B. der Heidenapostel Paulus allenthalben in den Synagogen neben den Juden auch Gottesfürchtige aus den Heiden, sogenannte Proselyten, antraf (Apg. 13,26), die nicht selten den Grundstock der heidenchristlichen Gemeinden bildeten.

Indes - Jahrzehnte kamen und gingen, und mit der Zeit drang nicht nur die christliche Kirche in neue "barbarische" Länder vor, sondern es traten auch auf dem alten Schauplatz der Römischen Reichs neue Völker auf, die die griechische Sprache nicht verstanden, namentlich deutsche Stämme. Auch sie sollten aber nach dem Willen Gottes des Heils teilhaftig und zur Quelle der seligmachenden Wahrheit geführt werden. Das auserwählte Rüstzeug, das diesen Liebesdienst dem großen deutschen Volksstamm der Westgotenleisten sollte, war Wulfila (Wölflein). Der war einst mit einer Gesandtschaft nach Konstantinopel gekommen, hatte da Griechisch gelernt und war an Jesum Christum gläubig geworden. Im Jahre 341 - erst 30 Jahre alt - zum Bischof seiner Stammesgenossen geweiht, hatte er sie in einer Zeit schwerer Bedrängnis "als ihr Mose" über die Donau hinüber in das heutige Serbien und Bulgarien geführt und hier für den Christenglauben gewonnen. Um sie darin zu befestigen und zu fördern, übersetzte er die Bibel ins Gotische, nachdem er zuvor ein eigenes Abc für sie erfunden hatte. Nur die beiden Bücher der Könige ließ er weg, weil er von deren Lektüre bei dem ohnehin kriegerischen Volk eine Steigerung seiner wilden Kriegslust fürchtete. Im Jahr 381 starb Bischof Wulfila. Sein Volk, das noch ein paar Jahrhunderte lang seine Bibel als einen kostbaren Schatz bewahrt hat, ist gänzlich verschwunden und untergegangen; von der gotischen Bibel aber sind durch eine glückliche Fügung ansehnliche Bruchstücke erhalten. Die schwedische Universität Upsala besitzt in ihrer Bibliothek eine prachtvolle Abschrift davon, freilich von den ursprünglichen 330 Blättern nur 177, auf purpurfarbiges Pergament mit leuchtender Gold- und Silbertinte geschrieben und in massiv silbernem Einband. Sie ist wahrscheinlich in Italien angefertigt und von da unter Karl dem Großen in das Benediktinerkloster Werden (im Rheinland) gebracht worden. Später kam sie nach Prag, wurde aber 1648 von den Schweden weggenommen und ihrer Königin Christina zum Geschenk gemacht. Diese "silberne Handschrift" ist das älteste schriftliche Denkmal unsrer deutschen Sprache und zugleich die erste deutsche Volksbibel. Um dem Leser eine Probe dieser urdeutschen Sprache zu geben, sei das gotische Vaterunser hergesetzt.

Gotisch:

Atta unsar thu in himinam, veihnai namo thein; quimai thiudinassus theins; vairthai vilja theins, sve in himina jah ana airthai; hlaif unsarana thana sinteinan gif uns himma daga; jah aflet uns thatei skulans sijaima , svasve jah veis afletam thaim skulam unsararaim; jah ni briggais uns in fraistubnjai; ak lausei uns af thamma ubilin; unte theina ist thiudangardi jah mahts jah vulthus in aivins. Amen.

Übersetzung:

Vater unser, du in den Himmeln, geweihet werde der Name dein; es komme das Königreich dein: es werde der Wille dein, wie im Himmel auch auf Erden; Brot (Laib) unser das tägliche gib uns an diesem Tag; und erlaß uns, daß Schuldige wir seien, so wie auch wir erlassen den Schuldigen unseren; und nicht bringest uns in Versuchung, sondern löse uns von dem Übeln; denn dein ist das Königreich (eigentlich: Königshaus) und die Macht und die Herrlichkeit in die Ewigkeiten. Amen.

Klingt uns aus diesem Urdeutsch nicht schon mancher wohlbekannte heimatliche Ton entgegen? -

Aber, aber - ein volles Jahrtausend lang blieb die gotische Bibelübersetzung die einzige urdeutsche Übersetzung der Heiligen Schrift. Wie kam das? Es hatte verschiedene Ursachen. Fürs erste lag der Kirche jener Zeit gar nicht daran, daß das Volk mit der Bibel selbst möglichst bekannt werde. Im Gegenteil, man hielt dies für gefährlich und bot alles auf, das Lesen und Forschen der Laien in diesem Buche unmöglich zu machen. Zum Teil schritt man mit großer Strenge ein, wenn man Bibeln unter dem Volke antraf. Fürs andere gab es ja bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts nur geschriebene Bibeln. Wollte man sich eine solche anschaffen, so mußte man sie durch Mönche abschreiben lassen; und da auch der fleißigste Abschreiber an einer einzigen Bibel ein volles Jahr zu schreiben hatte, so kann man sich denken, daß eine solche Abschrift nur um teures Geld zu haben war. Es gab Abschriften auf Pergament, geschmückt mit prächtigen gemalten Bildern und zierlichen Anfangsbuchstaben, die den Wert eines kleinen Landguts darstellten; um den Preis aber, den man für eine gewöhnliche Abschrift zu zahlen hatte, konnte man drei fette Ochsen kaufen. Wie konnte da der einfache Mann aus dem Volke die Kosten für eine Bibel erschwingen!

Nun wurde es freilich besser, als Johann Gensfleisch zu Gutenberg (geb. in Mainz 1397) die Buchdruckerkunst erfand. Das erste Buch, das gedruckt wurde, war die lateinische Bibel (1452). Bald folgten auch deutsche Bibeln: bis 1518 gab es nicht weniger als 14 verschiedene deutsche Übersetzungen der Heiligen Schrift. Aber teuer war die Bibel doch auch so noch: sie kostete 12 Gulden, nach dem heutigen Geldwert 250 Mark. Und dann waren alle diese Bibeln nicht aus dem hebräischen oder griechischen Grundtext übersetzt, sondern aus der lateinischen Bibelübersetzung, der sogenannten "Vulgata" (d. h. "die allgemein gebräuchliche“ Übersetzung), welche das ganze Mittelalter hindurch einzige Quelle der Schriftkenntnis war. Überdies waren diese Verdeutschungen oft recht ungeschickt, unverständlich und ungenießbar. Ein paar Beispiele mögen das zeigen. Hiob 39,21-25: "Es grebt die Erd mit den klauven. Es erhöcht sich durstiglich. Es geet gegen die Zukunft des gewessenden. Es verschmecht den schrecken, noch entweycht den Waffen. Auf ihm wird dönen der köcher, der schaft schüt sich und der schilt. Hytzend und griesgrament schlindet es die Erd, macht zedönet den Ruf des hornes. Wo es hort daz horn, es spricht "vach". Es schmeckt den Streite von fern, die übung des herzogen und die klage dez heres." Ferner Hebr. 11:1-3: "Aber der gelaub ist ein substantz der Ding, der man hat Zuversicht, und ein stätter Anhang der Ding, die da nit erschinen. Wann in diesem haben erffet die Gezüknuß die alten. Wir vernehmen mit dem Gelauben, das die Welt sei zugefuget mit dem Wort Gotz, das die Gesichtigen würden aus den Unsichtigen." - Eine so undeutsche Bibel, konnte die jemals zu einem Volksbuch werden für die Christen deutscher Zunge?

Und das ist der dritte Grund, warum unser Volk so lange auf das Wort Gottes in seiner Muttersprache warten mußte: der richtige Dolmetscher war noch nicht da, der sprachgewaltig und gelehrt, fromm und unerschrocken dem großen Werk wäre gewachsen gewesen. Den konnte nur Gott schenken, Gott, der alles fein tut zu seiner Zeit.

Und er hat ihn uns geschenkt in D. Martin Luther. Luther war nicht nur des Hebräischen und Griechischen mächtig, daß der die Bibel im Grundtext lesen und verstehen konnte, - er war auch ein Kind des Volkes, schon im Elternhaus mit der Sprache den Anschauungen und Begriffen des gemeinen Mannes vertraut geworden. Er lebte und webte in der Bibel, sie war ihm die Quelle der Wahrheit, des Friedens und der Kraft, und mit welcher Tapferkeit hat er dort zu Worms vor Kaiser und Reich bezeugt: "Mein Gewissen ist in Gottes Wort gebunden; hie steh ich, ich kann nicht anders!" Von Worms aber war er von seinem Kurfürsten vor den Nachstellungen der Feinde auf die Wartburg geflüchtet worden, und hier auf diesem stillen, abgelegenen Patmos reifte in ihm der Entschluß, den ihm schon seine Freunde in Wittenberg nahegelegt hatten: "Dies Buch muß aller Menschen Zungen, Hände, Augen, Ohren und Herzen erfüllen"! Mit herzlichem Gebet um des heiligen Geistes Beistand und mit eisernem Fleiß machte er sich Anfang Dezember 1521 an die Arbeit und übersetzte in der Zeit von 3 Monaten das ganze Neue Testament. Damit hatte er angefangen nicht nur, weil es leichter zu verdeutschen war, sondern auch, weil ihm vor allem daran lag, sein Volk mit dem lauteren Evangelium bekannt zu machen, und er wohl wußte, daß das Alte Testament nur im Lichte des Neuen richtig verstanden werden könne. Als er am 6. März 1522 nach Wittenberg zurückgekehrt war, sah er seine Übersetzung mit seinem Freund Melanchthon, dem besten Kenner des Griechischen in damaliger Zeit, noch einmal sorgfältig durch; dann aber betrieb er den Druck mit einem wahren Feuereifer. In der Buchdruckerei des Melchior Lotther arbeiteten 3 Pressen, und an manchen Tag wurden 10.000 Bogen abgezogen. Im September war die erste Auflage mit 3.000 Exemplaren fertig gedruckt und im Handumdrehen vergriffen, obwohl das Exemplar noch anderthalb Gulden kostete. Dem "Septembertestament" folgte dann binnen 3 Monaten die "Dezemberausgabe", die ebenso rasch abgesetzt wurde. Im Jahr 1523 erschienen dann die 5 Bücher Mose, und so ging's Jahr für Jahr fort, bis 1534 die ganze Bibel samt den Apokryphen fertig vorlag. Sie erschien in der Druckerei des ehrsamen Bürgers und nachmaligen Bürgermeisters Hans Lufft. Daß Luther das Neue Testament in 3 Monaten, das Alte erst in 12 Jahren vollenden konnte, erklärt sich nicht nur daraus, daß er nach seiner Rückkehr von der Wartburg nicht mehr die ungestörte Muße hatte wie dort, sondern auch aus der größeren Schwierigkeit, das Hebräische in gutes Deutsch zu übersetzen, zumal die hebräische Sprachwissenschaft dazumal doch noch in den Windeln lag. "Ach Gott", - schreibt er im Jahr 1528 - "wie ein groß und verdrießlich Werk ist es, die hebräischen Schreiber zu zwingen, deutsch zu reden! Wie sträuben sie sich und wollen ihre hebräische Art gar nicht lassen und dem groben Deutschen nachfolgen; gleich als ob eine Nachtigall sollte ihre liebliche Melodie verlassen und dem Kuckuk nachsingen." Und ein andermal schreibt er: "Ich habe mich des beflissen im Dolmetschen, daß ich's rein und klar deutsch geben möchte, und ist uns wohl oft begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei , vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, haben's dennoch zuweilen nicht gefunden. Im Hiob arbeiteten wir also, M Philipps, Aurogallus und ich, daß wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertigen konnten. Lieber, nun es verdeutscht und bereit ist, kann's ein jeder lesen und meistern, läuft einer jetzt mit den Augen durch drei, vier Blätter und stößt nicht einmal an; wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen sind, da er jetzt überhin gehet wie über ein gehobelt Brett, da wir haben schwitzen müssen und uns ängstigen, ehe denn wir solche Wacken und Klötze aus dem Wege räumten, auf daß man könnte so fein dahergehen." Er scherzte wohl auch: Hiob werde gewiß viel ungeduldiger sein über die langsame Übersetzung als über die leidigen Tröstungen seiner Freunde.

Wir können uns heutzutage kaum eine richtige Vorstellung davonmachen, was für eine Arbeit diese Verdeutschung der Heiligen Schrift war und mit welcher Treue, als vor Gottes Augen, Luther daran arbeitete. Als er z. B. an die Opfergesetze im dritten Buch Mose kam, ging er zu einem Metzger, ließ vor seinen Augen einen Hammel abstechen, fragte nach allen Namen und Ausdrücken für die einzelnen Teile des Tieres und für die einzelnen Verrichtungen und nahm dann diese Ausdrücke in seine deutsche Übersetzung auf. In einem Brief an seinen Freund, den Hofprediger Spalatin, erkundigt er sich nach den Namen einiger Raubvögel, gewissen Wildbrets und giftigen Gewürms, auch andrer schwieriger Wörter; und als er an das 21. Kapitel der Offenbarung kam, bat er denselben um Zusendung der Edelsteine aus der kurfürstlichen Schatzkammer und um ihre Namen, um dort richtig übersetzen zu können. Wie meisterhaft wußte er die deutsche Sprache zu handhaben, eben wie ein Meister im Saitenspiel seine Harfe! Man weiß nicht, was man an seiner Bibelübersetzung mehr bewundern soll, den Reichtum und die Fülle oder die Wahrheit und Schönheit oder den Wohllaut und die Volkstümlichkeit des Ausdrucks. Was für ein reicher Vorrat an Wörtern stand ihm zu Gebot, Wiederholungen zu vermeiden, Abwechslung hineinzubringen, die feineren Unterschiede des Grundtextes auszudrücken! Man denke z. B. an die Ausdrücke: "Weg, Pfad, Straße, Steig, Bahn" oder an: "bewahren, behüten, schützen, schirmen". Man vergleiche die "Pforte des Himmels! mit der Tür der Hütte". Wie volkstümlich sind Ausdrücke wie "Dornen und Disteln, Stecken und Stab, Land und Leute, matt und müde" usf.! Wie sehr wurde er den Bedürfnissen des gemeinen Mannes gerecht, wenn er für die vorkommenden Maße Münzen und Gewichte deutsche Benennungen einführte, den römischen Prokonsul in einen deutschen Landpfleger verwandelte, die Terebinthe des Gelobten Landes in eine deutsche Eiche, die morgenländliche Gazelle in das einheimische Reh! Ein Dolmetscher - führt er in seinem Sendbrief über das Dolmetschen aus - müsse die hohen "Schloß- und Hofwörter" meiden und der Mutter im Haus, dem Kind auf der Gasse, den Leuten auf dem Markt "aufs Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen". Auch dürfe man kein "Buchstabilist" sein. "Aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund - welcher Deutsche verstünde das? Aber also redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über. Das heißt gut deutsch geredet, dessen ich mich beflissen, und es leider nicht allewege erreicht noch getroffen habe." Offenbart uns Luther in diesen und ähnlichen Äußerungen die Grundsätze, die er bei seiner Übersetzungsarbeit befolgt hat, so gewährt es uns einen herzerquickenden Blick in seinen lauteren Sinn, wenn er schreibt: "Das kann ich mit gutem Gewissen zeugen, daß ich meine höchste Treue und Fleiß darin erzeigt und nie keinen falschen Gedanken dabei gehabt habe. Denn ich habe keinen Heller dafür genommen noch gesucht noch damit gewonnen; so habe ich meine Ehre darin nicht gemeint, das weiß Gott mein Herr; sondern habe es zu Dienst getan den lieben Christen und zu Ehren einem, der droben sitzt, der mir alle Stunde so viel Gutes tut, daß wenn ich tausendmal so viel und so fleißig dolmetsch, dennoch nicht eine Stunde verdient hätte, zu leben oder ein gesund Auge zu haben. Es ist alles seiner Gnade und Barmherzigkeit, was ich bin und habe, ja es ist seines teuren Blutes und sauren Schweißes; darum soll's auch, ob Gott will, alles ihm zu Ehren dienen mit Freuden und von Herzen."

Mit solcher Lauterkeit, Treue und Sorgfalt hat der teure Mann Gottes an seiner Bibelübersetzung gearbeitet, und zwar fort und fort bis an sein Ende. Denn jede neue Auflage war eine verbesserte Auflage, auch die zehnte und letzte, die er selber noch besorgte.

Schon das Neue Testament war mit unendlicher Begeisterung begrüßt und mit wahrem Heißhunger gekauft und gelesen worden; als nun auch das Alte Testament und somit die ganze Bibel vollendet war, war die Freude, der Jubel, die Dankbarkeit gegen Gott noch größer. Der fromme Dr. Johann Bugenhagen, genannt Pommer, Pfarrer zu Wittenberg, feierte von 1534 an alljährlich mit seinen Kindern ein Dankfest in seinem Hause zum Dank für "den treuen und seligen Schatz", den Gott dem deutschen Volk durch Martin Luther beschert. Der gottselige Fürst von Anhalt (+1553) machte seinem Entzücken über diese Übersetzung in den Worten Luft: "Luther hat die Bibel nicht anders denn aus sonderlicher Gnade und Gabe des heiligen Geistes so reinlich, klar und verständlich in unsere deutsche Sprache gebracht." Ja selbst einer der schärfsten Gegner Luthers, der katholische Professor Johannes Cochläus, muß wider Willen den segensreichen Eingang bezeugen, den die Lutherbibel bei dem Volke fand, wenn er schreibt: "Selbst Schuster und Weiber und alle Unwissende, die nur etwas Deutsch lesen gelernt haben, lesen das Lutherische Neue Testament begierigst, lernen es durch öfteres Lesen auswendig und tragen es in der Tasche, dadurch sie in wenig Monaten so viel auf ihre Wissenschaft sich einbilden, daß sie nicht bloß mit katholischen Laien, sondern selbst mit Priestern und Mönchen, ja sogar mit Magistern und Doktoren der Theologie sich nicht scheuen über Glauben und Evangelium zu disputieren."

Mit Recht hat der treue Gehilfe und Mitarbeiter des Reformators, Georg Rörer, in der Bibelausgabe von 1545, der letzten, die Luther noch erlebt hat, gleichsam als Vermächtnis des Bibelverdeutschers an seine lieben Deutschen die Worte gesetzt: Glaubet an das Licht, dieweil ihr's habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid! (Joh. 12,36) Unser heutiges Geschlecht darf sich diese Mahnung recht zu Herzen nehmen. Möge seine Stimme nicht ungehört verhallen! Möge seine Gabe mit neuem Eifer, mit neuer Treue benützt werden! Möge in vielen Herzen der Sinn aufsprossen und fester wurzeln, der sich in dem Vers ausspricht:

Herr, dein Wort, die edle Gabe,
Dieses Gold erhalte mir;
Denn ich zieh es aller Habe
Und dem größten Reichtum für.
Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten
Worauf soll der Glaube ruhn?
Mir ist's nicht um tausend Welten
Aber um dein Wort zu tun!

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