Es war irgendwann im letzten Jahr (2017) als ich auf Facebook als Nazi beschimpft wurde. Anlass gab mein Profilbild - eine Deutschlandflagge und als Emblem das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen". Was soll ich sagen - woher sollen sie es auch wissen. Über den Osten ist ja fast nichts bekannt außer das es dort schlimm war und schlimm ist und jetzt wohnen da halt für viele nur noch Nazis. Wie die Leute im Osten so groß geworden sind wissen die Wenigsten.
Angefangen hat bei mir alles damit, dass ich die ersten sechs Jahre meiner Kindheit bei meinen Großeltern auf'n Dorf aufgewachsen bin. Meine Mutter absolvierte ihr Lehrerstudium und mein Vater versuchte sich eine Selbständigkeit aufzubauen und gemeinsam brauchten sie erstmal eine Wohnung in der ich dann auch irgendwie integriert werden konnte. Meine Mutter evangelisch getauft mein Vater reformiert-apostolisch. Der daraus resultierende Kompromiss war, dass ich reformiert-apostolisch getauft wurde und evangelisch erzogen. Erziehung in dem Sinne hieß Teilnahme an der Christenlehre - einmal die Woche etwa 1 Stunde im Pfarrhaus mit einer Frau die Bibel durchsprechen und Geschichten hören und versuchen zu merken.
Mit der Einschulung zog ich zu meinen Eltern in eine Vorstadtsiedlung. Vermutlich bin ich zu der Zeit schon gar nicht mehr zur Christenlehre gegangen. Obwohl ich die Veranstaltungen im Pfarrhaus und speziell die Treffen und Spiele im Pfarrgarten immer total schön fand aber die "Bibelstunden" schreckten ab. Meine Schule stand in unserer Vorstadtsiedlung und ging bis zur vierten Klasse. Ab der fünften Klasse musste ich dann in die Stadtschule und damit ging ich auch wieder zur Kirche. Diesmal nannte es sich Junge Gemeinde und war total toll.
In der Jungen Gemeinde trafen wir uns im Keller des Pfarrhauses und besprachen kirchliche aber vor allem auch aktuell politische Themen. Es war sehr interessant welche Meinungen zu den einzelnen Themen so existierten wenn man nicht unter Kontrolle der Lehrer, des Direktors oder der Eltern stand. In der Regel ging es zwar genau wie in der Schule um Solidarität, Frieden und Abrüstung aber aus einem ganz anderen Blickwinkel. Hier kam ich dann auch mit der Bewegung "Kirche von Unten" und der sogenannten "Friedensbewegung der DDR" in Kontakt. Eigentlich waren wir einfach vom Eintritt in die Junge Gemeinde an Teil der Friedensbewegung ohne es recht zu wissen. Wir engagierten uns für diese Themen und halfen unserem Pfarrer bei der Organisation bestimmter Veranstaltungen. Da waren die jährlichen Kreuzmärsche durch die Stadt die immer total aufregend waren. Irgendwann ging es dann los mit den ganzen ökumenischen Gottesdiensten. Wir besuchten uns gegenseitig in den Gottesdiensten. Mein Schulfreund war katholisch und nahm mich mit zu seinem Gottesdienst und dafür kam er mit zu meinem :) Dann gingen wir noch gemeinsam zu den ökumenischen Veranstaltungen und trafen dort Potz Blitz plötzlich unseren Deutschlehrer. Damit waren wir dann auch noch auf einen Gottesdienst bei den Siebenten-Tags-Adventisten eingeladen und den ließen wir uns freilich nicht entgehen.
Es war eine schöne Zeit mit sehr vielen Aktionen und die Friedensbemühungen nahmen richtig Fahrt auf. Unterbrochen wurde das ganze lediglich durch Jugendweihen und Konfirmation - ja ich hab beides mitgemacht. Jugendweihe mit der Schule, hier gabs das Buch "Vom Sinn des Lebens" und einmal im Leben richtig saufen. Dann noch die Konfirmation war eher so eine Pflichtveranstaltung um weiter mit machen zu dürfen - wir (die Konfirmanden) haben einen Gottesdienst gehalten. Danach gings mit der Jungen Gemeinde normal weiter Aktion für Aktion. Man war ständig unterwegs und hatte immer was zu tun. Den Höhepunkt der ganzen Serie bildete dann die Aktion "Schwerter zu Pflugscharen". 1983 jährte sich der 500. Geburtstag Martin Luthers und mit der Jungen Gemeinde war eine Fahrt zum Kirchentag in Wittenberg geplant.
Gefahren sind wir dann am 25.09.1983 früh entweder mit dem Zug oder auf Autos verteilt. Als wir in Wittenberg ankamen war die ganze Stadt schon voller Menschen und überall sah man Polizei, teilweise sogar Soldaten und jene die man zwar nicht sah aber immer wußte dass sie in der Nähe sind - die Leute von Horch und Guck. Es war ein Sonntag und in der Kirche sollte Richard von Weizsäcker reden - ein Politiker aus der BRD. So was war nicht nur selten, so was gab es sonst nur im Palast der Republik vor ausgesuchtem Publikum. Unser Pfarrer meinte irgendwo werden welche stehen und Fotos machen und wir sollen immer freundlich lächeln. Naja nach der Veranstaltung standen tatsächlich welche und knipsten scheinbar alle die aus der Kirche raus kamen. Die Veranstaltung war Klasse auch wenn die Aktion aus einem Schwert eine Pflugschar zu schmieden schon am Vortag stattgefunden hatte. Die Rede von Weizsäcker war interessant und bot wieder Stoff für diverse Wochen Diskussion in der Jungen Gemeinde.
Nach dem Gottesdienst gings dann schnell raus aus der Kirche und wie abgesprochen zu den Treffpunkten und ab nach Hause. Jeder mit einer Luther Medaille um den Hals :) Ich glaube wir sind einfach getrampt. War in der DDR zumindest absolut üblich - schließlich betrug die Wartezeit von Bestellung bis zur Auslieferung eines Autos ca. 13 Jahre. Anmelden konnte man natürlich erst mit 16 oder so. Die Luther Medaille wollten wir dann als Erkennungszeichen wer alles da war am Montag in der Schule tragen. Unser Pfarrer meinte vorher schon: "Das dürfen sie Euch nicht verbieten, ist von der Regierung mit den Kirchen besprochen wurden. Wenn die Lehrer aber fordern ihr sollt sie ablegen, dann tut ihr das und sagt es dann beim nächsten Treffen in der JG". Hat genau eine Stunde gedauert bis mich mein Musiklehrer fragte was das ist und was das soll. Habs ihm erklärt Gedenkmedaille zum 500. Geburtstag von Luther und so. Naja er will sich erkundigen bis dahin soll ich sie mal abnehmen. In der letzten Stunde kam er dann und meinte ja ist ok darf ich tragen - der Fuchs :)
Danach wurde es ruhiger war so zu sagen ein vorläufiger Höhepunkt. Eigentlich ging es aber im Hintergrund immer weiter nur wurden aus meiner Sicht keine so schönen sichtbaren Aktionen mehr in den folgenden Jahren durchgeführt.
Im Rückblick würde ich sagen das waren die vorbereitenden Aktionen für die Wende, in den Jahren wurden die Leute mit einander bekannt gemacht und organisiert. Irgendwann gab es dann das Neue Forum und den Runden Tisch und den Entwurf einer neuen Verfassung und da schließt sich der Kreis auf diesem Verfassungsentwurf prangte auch wieder das Logo "Schwerter zu Pflugscharen".
("Verfassungsentwurf für die DDR" ISBN: 978-3-86163-002-9)
Anbei noch ein bischen Lektüre:
Guter Post man merkt das du dir Mühe machst👍
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Deine Erfahrungen zeigen, dass es viele erst mal mit Bildung versuchen sollten, bevor sie andere diffamieren und verurteilen. Aber leider zählen Fakten immer weniger. Es geht meist nur noch ums Bauchgefühl. Auch in der Politik.
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