Lukrative Mandate, orchestrierte Kampagnen: Das gekaufte Schweizer Parlament

in korruption •  5 years ago  (edited)

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Lukrative Mandate, orchestrierte Kampagnen – aber unsere Politiker halten sich noch immer alle für unabhängige Parlamentarier. Was machen gut bezahlte Nebenjobs mit einem Politiker? Der Lobbyreport.

NZZ am Sonntag, 22. September 2019

Der kurze Satz fiel beiläufig. Wie eine Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hatte. «Ich bin vieles, aber kein Lobbyist», sagte BDP-Nationalrat Lorenz Hess vorletzten Freitag in der SRF-Talkshow «Arena». Dass gerade Hess das sagt, ist interessant. Er hält eines der bestbezahlten Mandate in Bundesbern. 142 300 Franken bekommt er für das Präsidium der Krankenkasse Visana. Die Anliegen seines Geldgebers könnte er direkt in der mächtigen Gesundheitskommission des Nationalrats geltend machen – wenn er ein Lobbyist wäre. Aber eben: Er ist ja keiner.

Was ist er sonst? Er und all die anderen National- und Ständeräte, die im Sold von Unternehmen und Verbänden stehen? Wie sind sie zu ihren gutbezahlten Mandaten gekommen? Und vor allem: Was machen diese Mandate und das Geld mit einem Politiker oder einer Politikerin? Kann man in der Schweiz politische Entscheide kaufen und, wenn ja: Was kostet das?

Wie viel Geld im Umlauf ist, weiss niemand genau. Eine kürzlich veröffentlichte Recherche, in Auftrag gegeben vom Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth, nennt zwar Beträge, doch sie beruhen weitgehend auf Schätzungen. Die Höhe der Summen ist ohnehin nicht entscheidend, sondern die Frage, was das Geld bewirkt.

Ein Team der «NZZ am Sonntag» hat Mandate und Abstimmungen untersucht und mit über einem Dutzend Meinungsmachern und Lobbyisten gesprochen. Das Resultat zeigt, wie im Bundeshaus, unter den Berner Lauben und in den 1.-Klass-Abteilen zwischen Genf und St.Gallen Gesetze gemacht, verändert oder gebodigt werden. An Strippen ziehen bürgerliche wie linke Politiker. Ein Leitfaden für politischen Einfluss in acht Lektionen.

Lektion 1: Die Mandatskarriere – Wie man es schafft, aus Interessensvertretung einen gutbezahlten Beruf zu machen.

Ein Nationalrat verdient mit Spesen im Durchschnitt 123 589 Franken, ein Ständerat 138 269. Knapp die Hälfte ist steuerfrei. Das ist ordentlich, aber einigen nicht genug. Um das Gehalt etwas aufzubessern, nehmen die Milizparlamentarier Nebenjobs an, von denen «in Bern eine grosse Menge nur so herumliegt». So formuliert es jedenfalls der ehemalige CEO einer grossen Lobby-Agentur.

Krankenkassen: Der Berner BDP-Nationalrat Lorenz Hess, 58.

Herumliegende Nebenjobs aufzusammeln und daraus eine Karriere zu bauen, das beherrscht Lorenz Hess wie kaum ein anderer. Er bringt dafür den perfekten beruflichen Rucksack mit: Matura, PR-Berater, Informationschef der Stadtpolizei Bern. Anschliessend führt er beim Bundesamt für Gesundheit die Kommunikationsabteilung und spurt ein in eine der lukrativsten Branchen der Schweiz: das Gesundheitswesen.

Hess lernt beim Bund, wie der Staat mit Kassen, Spitälern, Medikamenten und Ärzten umspringt. Das Wissen bringt er bei der damaligen PR-Agentur Burson-Marsteller ein. Später führt er eine eigene Lobby-Firma. 2011 schafft er den Sprung in den Nationalrat, wo er in der einflussreichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) einsitzt.

Vier Jahre danach verkauft Hess die Agentur an Furrerhugi, eine der führenden Lobby-Firmen in Bern, und vereint seine Interessen fortan unter der Hess Advisum GmbH. «Die Gesellschaft bezweckt das Erbringen von Beratungsdienstleistungen», heisst es im Handelsregister. Hess berät, wo er vernetzt ist und sich auskennt.

Er führt als Präsident die schweizerische Pankreasstiftung, sitzt im Vorstand der Spitex, berät die medizinische Fakultät der Universität Bern und die Schweizer Paraplegiker-Stiftung in Nottwil. Seit 2017 präsidiert er den Stiftungs- und Verwaltungsrat der Visana. «Er hat gute Freunde, und er gibt zurück», sagen jene, die ihm wohlgesinnt sind. Andere lästern, er verkaufe Einfluss.

Im Nationalrat und der Kommission stimmt er konsequent für tiefere Kosten der Krankenkassen. Etwa, wenn er sich für das elektronische Patientendossier einsetzt. In den Medien macht er sich stark für einen Impfzwang und schlägt vor, nicht geimpfte Erkrankte müssten sich an den Behandlungskosten beteiligen. Was wiederum den Kassen zugutekäme.

Er sei nicht käuflich, erwidert Hess. «Ich bin Mitglied des Parlaments, daneben arbeite ich als Verwaltungsratspräsident einer grossen Krankenversicherung und werde für meine Arbeit bezahlt», sagt er. «Damit ist klar, dass ich auf der Linie unserer Branche abstimme.» Lobbying stehe nicht im Pflichtenheft. Nie habe er eine Empfehlungsmail der Krankenkassen verschickt, nie würde er versuchen, Mitglieder der Kommission zu beeinflussen.

Wenige in Bundesbern haben – völlig legal – eine derart erfolgreiche Mandatskarriere aufgebaut wie Hess. Viele Parlamentarier halten ein paar kleine Mandate. Andere gehen zielgerichtet vor. «Es gibt Politiker, die fragen uns, ob wir ihnen ein Mandat vermitteln könnten», sagt Victor Schmid. Er ist Partner der mächtigen Kommunikationsagentur Konsulenten und seit Jahrzehnten im Geschäft. Interessant ist, dass es offenbar nicht allein um Geld geht. «Parlamentarier», sagt Schmid, «suchen Betätigungsfelder, auf denen sie sich profilieren können. Viele haben aber das Know-how nicht. Wir können das liefern.»

Lektion 2: Der gute Sitz – Wieso die Wahl in die richtige Kommission darüber entscheidet, wie lukrativ die Mandate sind.

Wie wird aus einem ehemaligen Lehrer, Berufsoffizier und Finanzdirektor einer der bestverdienenden Gesundheitspolitiker des Landes? Mit etwas Glück bei der parteiinternen Sitzverteilung. Denn wenn es einen Hebel gibt, um in kurzer Zeit zu lukrativen Nebenjobs zu kommen, ist es die Wahl in die richtige Fachkommission des Parlaments.

Gesetze und Gesetzesänderungen werden in diesen Kommissionen vorgespurt; dort fallen die wichtigen Entscheide. Nur sind nicht alle ständigen 12 Nationalrats- und 11 Ständeratskommissionen gleich bedeutend. Ganz oben in der Hierarchie der Mandate-Jäger stehen die Gesundheitskommission und die Kommission für Wirtschaft und Abgaben. «Wer in diesen Gremien sitzt, bekommt Angebote», sagt der ehemalige Migros-Lobbyist Martin Schläpfer. «Die meisten Parlamentarier wollen dorthin, auch jene, die keine spezifische Fachkompetenz haben.» Und wer mal drin ist, der bleibt in der Regel drin, so lange er im Rat sitzt, acht Jahre, vielleicht zwölf. «Das ist für Firmen interessant», sagt Schläpfer.

Besonders interessant sind Ständeräte. In der kleinen Kammer sind die Kommissionen kleiner, 13 statt 25 Mitglieder. Die einzelne Stimme hat mehr Gewicht, womit wir beim ehemaligen Lehrer und Berufsoffizier wären.

Er heisst Josef Dittli und wurde vor vier Jahren für den Kanton Uri in den Ständerat gewählt. Seine letzte Tätigkeit davor: Finanzdirektor des Kantons. In Bern schaffte er es in die Gesundheitskommission und übernahm diverse Mandate, darunter 2018 eines der lukrativsten überhaupt: das Präsidium des Krankenkassenverbands Curafutura, ein 40-Prozent-Job, der mit jährlich 140 000 Franken entlöhnt wird.

Seither ist bei Dittli eine gewisse Aufweichung in ordnungspolitischen Fragen zu beobachten. 2016, vor dem Curafutura-Präsidium, hatte er entscheidend dazu beigetragen, das damalige Tabakproduktegesetz zu Fall zu bringen. Das Gesetz hätte die Tabakkonvention der Weltgesundheitsorganisation WHO erfüllt, was heisst: Das Werbeverbot für Zigaretten und dergleichen wäre verschärft worden. Die Tabaklobby wünschte sich die Rückweisung des Gesetzes.

Dittli stellte den entsprechenden Antrag. Dies, obwohl er im Rat erklärte, der Schutz von Minderjährigen sei ihm wichtig. Das allumfassende Werbeverbot sei aber ein zu starker Eingriff in die Marktwirtschaft. Die Mehrheit stimmte ihm zu und brachte das Gesetz zu Fall.

Zwei Jahre später, Dittli war mittlerweile Curafutura-Präsident, regte er an, dass der Bund Vorschläge macht, wie man das Tabakproduktegesetz doch noch WHO-konform ausgestalten könnte. «Viele Anwesenden trauten ihren Ohren nicht», schrieb damals die «Aargauer Zeitung».

Dittli lag dafür ganz auf der Linie von Curafutura. Der Krankenkassenverband ist für griffigere Werbeverbote. Und so stimmte er im Rat für eine Verschärfung des Jugendschutzes, obwohl dies aus liberaler Sicht etwas weit gehe, wie er sagt. «Meine Abstimmungsverhalten entspricht aber meiner eigenen Entscheidungsfindung», beteuert Dittli.

«Chabis», sagt Ex-Lobbyist Schläpfer zu solchen Erklärungen. «Es ist doch ganz normal, dass man sich für seine Firma einsetzt. Der frühere Curafutura-Präsident Ignazio Cassis habe 180 000 Franken verdient. «Es muss mir keiner sagen, er sei unabhängig gewesen.»

Lektion 3: Der 100 000-Franken-Teppich – Wie Lobbyagenturen Bedürfnisse schaffen und sie dann befriedigen.

Der Treibstoff für das System sind die PR-Agenturen im Hintergrund. Externe Lobbyisten in Bundesbern sind unentwegt dabei, Umsatz zu generieren für ihre Unternehmen. Und wie immer, wenn es darum geht, etwas zu verkaufen, muss man Bedürfnisse schaffen. «Gute Firmen finden ihre Kunden selber», sagt Daniel Heller von der PR-Agentur Farner.

Was er damit meint, sieht so aus: Agenturen halten Ausschau nach Gelegenheiten, nach einer Gesetzesrevision etwa, die sich nachteilig auf eine bestimmte Gruppe auswirken könnte. Ist sie gefunden, bietet die Agentur der Gruppe ein Massnahmenpaket an: Argumente, Strategien, Unterlagen, Gespräche. Sie legt «einen Teppich», so der Jargon der Branche. Und das so früh als möglich. Spätestens beim Beginn des Vernehmlassungsverfahrens sollte der Angriff auf die Vorlage erfolgen.

Liegt der Teppich, tritt die Agentur in den Hintergrund. Nun spielt der Grundsatz: «All politics are local.» Statt direkt mit Parlamentariern zu reden, organisiert die Agentur Treffen zwischen Volksvertretern und lokalen Unternehmern. Nichts sei wirkungsvoller als solche Einzelgespräche, sagt Daniel Heller.

Ein Gesetz verhindern oder einem zum Durchbruch verhelfen, das ist nicht gratis. «Einen Gesetzesentwurf vom Anfang bis zur Schlussabstimmung im Parlament oder gar bis zu einer Volksabstimmung intensiv zu begleiten, kann mit allen Kommunikationsmassnahmen um die 100 000 Franken pro Jahr kosten und drei bis fünf Jahre dauern.» Das sagt Victor Schmid von der Kommunikationsagentur Konsulenten. Die gleiche Zahl nennt unabhängig davon ein Vertreter einer anderen grossen Beraterfirma. Dazu gehören, so der Berater, «etwas Medienklamauk» und ein Katalog von Argumenten. Die Medien sind offenbar die nützlichen Idioten in diesem Spiel.

Schlägt der frühe Angriff fehl, und ein Gesetz schafft es in die Räte, versuchen die externen Lobbyisten einen Keil zu schlagen zwischen National- und Ständerat. Das führt zu Verzögerungen und Verwässerungen und im besten Fall zur Verhinderung. Dafür könne eine schlagkräftige Agentur ständig auf ein Dutzend National- und Ständeräte als Vermittler zurückgreifen, sagt ein Mitglied einer grossen PR-Agentur.

Lektion 4: Der Opportunist – Wie man auch mit einem bunten Bauchladen gut über die Runden kommt.

Tabak und Schnaps: Der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner, 46.
Eines kann man dem Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner sicher nicht vorwerfen: dass er einseitig interessiert ist. Er kann sich für gesundheitsgefährdende Substanzen wie Tabak und Spirituosen ebenso begeistern wie für Firmen, die Interesse an der Gesundheit der Bevölkerung haben. Mandate hat er bei der Krankenkasse Group Mutuel, beim Forum Gesundheit Schweiz, bei der IG Biomedizinische Forschung.

Er gehört der Informationsgruppe Erfrischungsgetränke an, die sich für zuckerhaltige Getränke einsetzt, der IG Genuss und der parlamentarischen Gruppe Spirituose und Prävention. Dabei stellt er sich voll und ganz in den Dienst seiner Mandatsgeber. Ob er seine Pfründen sichern wolle, wurde er einst in der «Rundschau» von SRF gefragt. Seine Antwort: «Ganz genau.»

Um Mandanten zu gefallen, wendet sich Frehner auch von der Parteilinie ab. Im März stimmte er für eine Franchisen-Erhöhung, obwohl die SVP dagegen war. Interessen vertritt er auch ausserhalb des Ratsbetriebs. Morgen Montag lädt er zur Veranstaltung «Wie viel ist ein Menschenleben wert?» Das Referat hält der Pharma-Lobbyist René Buholzer.

Zwei Tage später, am 25. September, hält Frehner als Präsident der IG Genuss Hof. Bei «Genuss ohne Risiko?» mit dabei: Nastasja Sommer, Lobbyistin von Japan Tobacco. Sie informiert über das Tabakproduktegesetz. Der Dîner-Abend verspricht Open House mit Obstbränden, Whisky und Zigarren – einer von vielen kulinarischen Anlässen, an dem sich Politiker und Lobbyisten zuprosten. «Ich sehe mich nicht als Vertreter dieser einzelnen Branchen», verteidigt sich Frehner. Als Liberaler sei er «im Zweifel immer pro Wirtschaft».

Als Beirat der Groupe Mutuel will er verstehen, «was die Anliegen der Spitäler, Krankenkassen, Pharmafirmen und Kantone sind». Für dieses Verständnis bekommt er jährlich 10 000 Franken. Als Beirat für Spiritsuisse setzt er sich für «eine wichtige Wirtschaftsbranche in unserem Land ein». Frehner erinnert mit seinem Portfolio an die Typen an den Mittelmeerstränden, die mit ihren Bauchläden die badenden Touristen abklappern.

Lektion 5: Linker Lobbyist – Wie man im Nationalrat als Gewerkschafter 250 000 Franken einstreichen kann.

Natürlich lassen sich nicht alle Parlamentarier fürstlich von Unternehmen oder Verbänden bezahlen. Einige führen gar keine Mandate, viele nur solche, die nicht oder mit ein paar tausend Franken entschädigt werden. Die bürgerlichen Politiker sind, was lukrative Nebenjobs betrifft, im Vorteil. Nicht weil sie einfacher zu beeinflussen wären. Ihre politische Haltung entspricht einfach eher der Haltung der Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die solche Mandate anbieten können.

Gewerkschaften: Der Berner SP-Nationalrat Corrado Pardini, 54.

Doch gut bezahlen für ihre Dienste lassen sich auch Linke, zum Beispiel die Gewerkschafter im Parlament. Der Berner SP-Nationalrat Corrado Pardini etwa leitet den Sektor Industrie der Gewerkschaft Unia, mit einem Pensum von 70 Prozent. «Ja, ich bin ein Interessensvertreter der Gewerkschaften», sagt er.

Im Parlament kämpft er für Arbeitnehmerschutz und faire Löhne. Derzeit führt er überparteiliche Gespräche, um die AHV und die 2.Säule von Negativzinsen auszunehmen. «Ein Lobbyist bin ich aber nicht, sondern seit 32 Jahren bei der Gewerkschaft angestellt.» Nach eigenen Angaben erhält er von der Unia pro Jahr 110292 Franken brutto. Zusammen mit den Bezügen als Nationalrat kommt Pardini beinahe auf eine Viertelmillion Franken.

Pardini ist ein institutioneller Lobbyist. Er wurde bereits als Interessenvertreter gewählt, wie etwa der Freisinnige Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Gewerbeverbands. Aber neben dem Nationalratsmandat angeblich noch 70 Prozent zu arbeiten, ist reichlich ambitioniert. Wenn man alle Sitzungstage für Parlament und Kommissionen berücksichtigt, sogar an der Grenze der Unmöglichkeit. Laut Studien geht man bei einem Nationalratsmandat heute von einem 80-Prozent-Job aus.

Lektion 6: Nicht auffallen – Warum angepasste und brave Parlamentarier besser abkassieren.

61 Männer und Frauen wurden vor vier Jahren neu ins Parlament gewählt. 48 davon haben seither eines oder mehrere private Mandate hinzugewonnen. Was man bekommt, hängt nebst der Kommission von der politischen Haltung ab. «Mandate erhalten Parlamentarier im Einklang mit ihrer Gesinnung», sagt Daniel Heller von Farner. Einen Grünen für die Autolobby zu gewinnen, dürfte schwierig sein. Aber wesentlich ist auch das Temperament.

Nicht beliebt sind lärmige Parlamentarier, die sich gerne selbst inszenieren. «Die braven sind die besseren Lobbyisten», erklärt Ex-Lobbyist Schläpfer. Ein Nationalrat, der andere gerne attackiert, eignet sich nicht als Interessenvertreter. Und wer anfangs noch angriffig politisiert, wird durch einen guten Posten schnell ruhiger. «Wer durch ein gutes Mandat ausgesorgt hat, ist parteipolitisch oft nicht mehr besonders aktiv», sagt Schläpfer.

Lektion 7: Allianzen bilden – Warum es im und ums Bundeshaus für alles ein Lobbygrüppchen gibt.

Was haben die Bienen, die Sportfans, die Gebärdensprache, die Raumfahrt, das Pferd, die Volksmusik und ein paar Dutzend Länder von Algerien bis Weissrussland gemeinsam? Für sie gibt es jeweils eine parlamentarische Interessengruppe. Knapp 160 solche Gruppen sind registriert. Alle haben ein Präsidium und ein Sekretariat, meistens geführt von den passenden Verbänden, manchmal aber auch von Lobby-Firmen.

Allein die Agentur Furrerhugi macht das Büro für fünf Gruppen. Dazu kommen ausserparlamentarische Interessengruppen: Die IG Seltene Krankheiten, getragen von Pharmafirmen, Spitälern und Patientenorganisationen – Sekretariat: Furrerhugi. Oder der Arbeitskreis Sicherheits- und Wehrtechnik, eine Lobbyorganisation für die umstrittene Schweizer Waffenindustrie mit über 40 National- und Ständeräten. Sekretariat: Farner Consulting. Lobby-Firmen schaffen Bedürfnisse – das gilt auch hier. «Die Agenturen orten ein Problem und gründen eine IG oder einen Verband, um das Problem zu bekämpfen», sagt der ehemalige Migros-Lobbyist Martin Schläpfer.

Lorenz Hess präsidiert übrigens auch eine IG. Sie heisst IG Erfrischungsgetränke und ist die Lobbyorganisation der Süssgetränkehersteller. Hess bekommt dafür 8000 bis 9000 Franken. Mit dabei: Gesundheits- und Genussapostel Sebastian Frehner.

Lektion 8: Die Erbengemeinschaft – Wie Mandate von einem Parteikollegen zum nächsten wandern.

Zement: Der Freiburger CVP-Ständerat Beat Vonlanthen, 62.

Dr. Beat Vonlanthen ist ein Ständerat, wie man sich einen Ständerat vorstellt: 62 Jahre alt und grau meliert, früher CVP-Regierungsrat, staatsmännischer Slogan: «Das Erfolgsmodell Schweiz stärken.» Seit seiner Wahl 2015 hat er einige Mandate gesammelt, vom Casinoverband bis zur Fachvereinigung Wärmepumpen. Vor allem aber ist er Präsident von Chocosuisse, dem Verband der Schokoladefabrikanten, und von Cemsuisse, dem Verband der Zementindustrie.

Vonlanthens Vorgänger war Parteikollege Urs Schwaller – und von ihm hat Vonlanthen das Präsidium von Cemsuisse übernommen. Von einem anderen Parteikollegen, Peter Bieri, ging die Wärmepumpen-Vereinigung zu ihm über, und von CVP-Mann Christophe Darbellay erhielt er den Casinoverband. Das ist ein gängiges Prinzip in der Schweizer Politik: Erbfolge unter demokratischen Bedingungen.

Eine zuverlässige Nachfolge zahlt sich aus, auch in diesem Fall. Denn Vonlanthen sitzt in der Kommission für Rechtsfragen, die sich mit der Konzernverantwortungsinitiative beschäftigt, einer linken Initiative, die Schweizer Konzerne für den Schaden ihrer Tochterfirmen im Ausland haftbar machen will. Die Konzerne wehren sich diskret: über ihr Netzwerk im Bundeshaus.

Als Vonlanthen im Herbst 2017 erstmals mit der Initiative zu tun hat, redet er auf Radio RTS von einem Gegenvorschlag zum Begehren. Die grossen Wirtschaftsverbände aber wollen keinen solchen Gegenvorschlag. Ihre Angst: Die Bevölkerung würde sich im Zweifel für das Original, die Initiative, entscheiden. Sie beginnen, das Lobbying im Bundeshaus zu intensivieren. Am 12. März 2019 berät der Ständerat diesen Gegenvorschlag. Das Lobbying läuft bis zum Abend davor. Am Ende entscheidet sich der Rat mit 22 zu 20 Stimmen für die Wirtschaft und lehnt Initiative wie Gegenvorschlag ab.

Entscheidend für diese Mehrheit ist die Stimme Vonlanthens. Er hat seine Meinung geändert, ein Gegenvorschlag kommt für ihn nicht mehr infrage. Jetzt liegt er auf der Linie von Konzernen wie Lafarge Holcim, die er im Zementverband vertritt. Vonlanthens Meinungsumschwung wird hinter vorgehaltener Hand diskutiert. «Hier spielen die Seilschaften der Wirtschaftsverbände», sagen Personen in der eigenen Fraktion. Vonlanthen sagt: «Ich war und bin immer für wirtschaftskompatible Lösungen. Ich habe meine Meinung nicht auf Druck von aussen korrigiert.»

Lobbyismus eindämmen Mandate beschränken

Illegal sind bezahlte Mandate nicht. Jedes Mitglied des Bundesparlaments darf beliebig viele solche Nebenjobs annehmen. Seit letztem Jahr müssen aber alle Interessenbindungen offengelegt werden. Mit einer parlamentarischen Initiative will der Walliser CVP-Ständerat Beat Rieder die Verstrickungen eindämmen.

Er verlangt, dass ein Ratsmitglied nur noch Mandate von Firmen und Organisationen annehmen darf, die nichts mit seinen Kommissionen zu tun haben. Wer also in der Energiekommission politisiert, muss Mandate von Kraftwerksbetreibern ablehnen. SVP-Nationalrat Claudio Zanetti schlägt vor, die ständigen Kommissionen abzuschaffen und wieder zum früheren System zurückzukehren. Bis 1991 wurden für viele Geschäfte jeweils Spezialkommissionen gebildet. Das würde verhindern, dass Parlamentarier über mehrere Legislaturen in derselben Kommission sitzen.

Facts

1959 Mandate deklarieren 246 National- und Ständeräte in der aktuellen Legislatur. Im Schnitt sind es acht Mandate für einen Nationalrat, zehn für einen Ständerat, hat die NGO Transparency International Schweiz errechnet. Die Anzahl Mandate hat sich zwischen 2000 und 2011 mehr als verdoppelt.

150 bis 200 Mandate hielten die Mitglieder der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben in den letzten 15 Jahren im Schnitt.

1700 Organisationen haben durch ein Mandat oder den Zutrittsausweis zum Bundeshaus direkten Zugang zu mindestens einem Ratsmitglied.

11 Auf diesem Platz im Mittelfeld liegt die Schweiz auf einer Rangliste mit EU-Ländern bezüglich Transparenz und Lobbyismus in der Politik. Besonders schlecht schneidet sie bei Sanktionen ab.

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