Luftspiegelungen

in kurzgeschichte •  7 years ago 

Oder: Das ist doch gar nicht wahr!

Kurzgeschichte

Bis zum Horizont und weit darüber hinaus, erstreckte sich die weite afrikanische Savanne. Dürres Gras wechselte mit eingestreutem Gebüsch, das allerlei Tierarten Verstecke und Schatten bot. Dazwischen vereinzelt gigantische Affenbrotbäume und Schirmakazien. Erst in der Ferne erhoben sich verschwommen namenlose Berge, denen vorgelagert sich flache Seen erstreckten. Ihr Fata hieß Morgana.
Die Hitze umschloss Mensch und Tier wie ein dicker Mantel aus Watte. Über der vollkommen flachen Erde, wo der Storch die Kinder bringt und spitze Winkel wie stumpfe wirken, stand gleißend eine glühende Scheibe und trieb ihr Unwesen.

Im Schatten einer Schirmakazie hatten ein paar Löwen Schutz vor der gnadenlosen Sonne gefunden. Ihr Chef, ein Exemplar von beachtlicher Größe, lag auf der Seite und genoss die Mittagsruhe.
Die Löwenkinder balgten miteinander und erlernten auf diese Weise das Spiel das Leben heißt. Ein besonders frecher Knirps versuchte hartnäckig den dunkelbraunen Pinsel am Ende des väterlichen Schwanzes zu fangen. Und hatte er ihn erwischt, so biss er hinein.
Papa ließ daraufhin seinen Schwanz einige Male hin und her peitschen. Es blieb unklar, ob er damit seinen Sohn oder die summenden Fliegen verscheuchen wollte. Mit einem Mal jedoch hob er den Kopf und blickte hellwach Richtung Süden. Auch die Damen sahen sich um. Ihre Aufmerksamkeit war geweckt. Was immer sie hörten, es beendete die Mittagspause.

Papa Löwe erhob sich und streckte seinen muskulösen Körper. Träge setzte er sich mit bedächtigen Schritten in Bewegung, wobei seine Schulterblätter mit ihrem geschmeidigen Auf und Ab gewaltige Urkräfte erahnen ließen.
Die ganze Familie folgte ihm. Das Ziel schien die nächste von schütterem Gebüsch umwucherte Schirmakazie zu sein, der Grund des Aufbruchs blieb dem menschlichen Beobachter noch unerschlossen.

Dann aber, wie aus dem Nichts, erschien am Horizont die Lösung des Rätsels. Die Schleier der Luftspiegelungen gerieten in Bewegung. Zunächst war es nur ein verschwommener Fleck, der sich nach einer Weile in drei hohe Gestalten teilte. Wie Geister manifestierten sie sich und es schien als schwebten sie.
Weder schnell noch langsam, zielstrebig, in gleichmütigen Schritten kamen die Gestalten näher und offenbarten sich als – Massai!

Sie trugen Speere. Die roten Umhänge auf ihrer weißen Haut wurden von einer lauen Brise umspielt. Ihre blonden Haare waren kurz geschoren und die leuchtend blauen Augen schienen mit der himmlischen Kuppel zu verschmelzen.
Die Massai hatten die Löwen lange bemerkt. Nur manchmal töteten sie einen, um sich als Männer zu beweisen.
Sie unterhielten sich in ihrem nilosaharanisch-bayerischen Dialekt über das Dorffest, das sie besuchen wollten. Dort sollte es den traditionell-afrikanischen Schweinebraten mit Knödel, Rotkohl und Bärwurz geben. Wenn sich die Dunkelheit über dem Kral ausbreiten würde und die knisternden Lagerfeuer Hyänen vertrieben, wollten sie jodeln und beraten, wie mit den massenhaft ins Land strömenden Flüchtlingen aus Schwarzeuropa und den mitteleuropäischen Kalifaten umzugehen sei. Es würde Krieg geben. Darüber bestand Einigkeit.

Wie sie gekommen waren so verschwanden die Massai in jener flimmernden Hitze über der weiten Savanne. Und die Löwen setzten ihre Mittagsruhe fort.
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