Larry Rottan -:- Lesung mit Musik

in kurzgeschichte •  7 years ago 

»Wie sich herausstellte, bewegt sich Ceres tatsächlich zwischen Mars und Jupiter, genau in dem von der TitiusBode-Reihe vorhergesagten Abstand, um die Sonne. Ceres wurde daher, wie der 1781 entdeckte Uranus, für einen Planeten gehalten, womit sich die Anzahl der Planeten im Sonnensystem zunächst auf acht erhöhte. Erst als die Zahl der zwischen Mars und Jupiter gefundenen Himmelskörper um 1850 rasch anstieg, setzen sich für diese Objekte die Bezeichnungen Kleine Planeten, Kleinplaneten, Planetoiden oder Asteroiden durch, womit auch Ceres ihren Status als Planet verlor. Eine Neufassung des Planetenbegriffs durch die Internationale Astronomische Union, die aufgrund der Entdeckung weiterer Himmelskörper in der Größenklasse Plutos nötig wurde, führte dazu, dass Ceres, gemeinsam mit Pluto und Eris, nun als Zwergplanet klassifiziert wird. Als Zwergplaneten gelten im Sonnensystem jene Himmelskörper, die sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne befinden und ausreichend Masse haben, damit die eigene Schwerkraft sie zu annähernd kugelförmiger Gestalt zusammenzieht (hydrostatisches Gleichgewicht), die jedoch im Unterschied zu Planeten ihre Umlaufbahn nicht von anderen Objekten freigeräumt haben.«

Und was ist nun ein hydrostatisches Gleichgewicht? Larry war müde und klappte den Laptop-Deckel herunter. Genug der Wissenschaft. Zeit für eine Tasse Tee. Einen möglichst kräftigen, um die Müdigkeit zu vertreiben. Er schaltete das Radio an. Kulturprogramm. Später wollte er zu einer Lesung mit Musik in ein Cafe in der Nähe gehen. Aber es war kalt und nieselte ein wenig. Sehr glatteisverdächtig. Das Wasser kochte. Larry nahm zwei Beutel und brühte sie auf. Ein Blick in den Kühlschrank. Immer noch träge, nahm er Margarine, Lachsgeschnetzeltes, Frischkäse und Leberwurst heraus. Auch hatte er noch einige Brötchen. Eine Zwiebel zerlegte er in kleine Ringe. Und aß. Übersättigt überfiel Larry die Müdigkeit und er legte den Kopf auf den Tisch.

Es war voller als erwartet, die meisten Gäste standen im Raum herum. Vor der Bühne waren Stühle aufgereiht. Larry nahm ein Schild mit der Aufschrift Reserviert aus seiner Jacke, legte es auf einen freien Stuhl und hing die Jacke über die Rückenlehne. Aufatmen. Sein Sitzplatz war gesichert. Nun galt es, sich an der Theke durchzukämpfen, bei der hübschen Kellnerin einen Bitter Lemon zu ordern und ebenfalls auf dem Stuhl abzustellen. Er kannte kaum jemanden, grüßte mal flüchtig hier und da und beobachtete das Publikum. Einige Bilder hingen an den Wänden. Eine Ausstellung schien mit der Lesung verbunden zu sein; das war ihm bei den Ankündigungen entgangen. Er schaute sich um und entdeckte einen Hinterraum. Dieser wurde zum einen als Galerie, zum anderen für ein durchaus ansehnliches Buffet genutzt. Hätte er das vorher gewußt und ein bis zwei Brötchen weniger gefuttert. Nun ja, für ein paar Sushihäppchen war noch Platz im Magen. An den Wänden hingen einige schwarzweisse Fotografien sowie ein paar seltsame dunkle Collagen. Jemand forderte nun die Gäste auf, in den Vorderraum zu kommen, die Lesung würde gleich beginnen. Larry liess sich nicht hetzen und betrachtete noch ein paar Minuten die Bilder. Sie hatten Qualität. Dann wurde es plötzlich laut.

Auf der Bühne tobte ein Gitarrist auf seinem Instrument. Er trug einen komischen Hut. Der Raum war nun voller Menschen. Larry kämpfe sich durch die Menge nach vorne. Das Publikum war sehr jung, wahrscheinlich hauptsächlich Studenten der lokalen Universität. Als das Stück zu Ende war, hatte Larry auch endlich seinen Stuhl erreicht. Er war noch frei. Immerhin, sie haben Respekt vor einem reservierten Stuhl.

Nun erzählte eine Frau eine blutrünstige und männerfeindlich angehauchte Geschichte. Es folgte ein psychedelisch buntes Video. Leider war das Publikum immer noch ein wenig unruhig. Vorallem an der Theke wurde zu viel gesprochen. Dann wieder live gespielte Klangstrukturen, dadaistisch, energetisch, percussiv und durchaus anstrengend. Plötzlich Explosionen. Theaterblitze, wie Larry bemerkte, sehr effektvoll eingesetzt.

Das Chaos begann.

Eine Gruppe junger Männer kam herein, in schwarze Mäntel gekleidet. Ruppig verschafften sie sich Platz. Zwei von ihnen begannen ein Duell mit leuchtenden Plastikschwertern aufzuführen, die anderen sangen a cappella ein hymnenartigen Kanon. Ihre Sprache konnte Larry nicht heraushören und demzufolge auch nichts verstehen. Auf der Bühne versuchte der Gitarrist die Darbietung zu übertönen. Das Blaulicht eines Streifenwagen reflektierte in den Schaufenstern zur Strasse hin und Larry sah, wie das Fahrzeug ins Schleudern geriet und gegen die Schaufensterscheibe kollidierte. Sie zerbarstete. Ein dahinter folgendes Auto konnte auch nicht abbremsen und rammte den Streifenwagen, der nun auf die andere Strassenseite rutschte. Schreie im Raum. Panik. Der Gitarrist tanzte Pogo mit seinem Instrument.

Scheinbar war niemand durch die Glasscheibe verletzt worden, aber alle waren nun aufgesprungen und rannten vor die Tür, die ersten rutschten sofort aus. Die nachfolgenden erkannten die Gefahr, wurden aber von der panischen Meute nach draussen gedrängt. Larry begab sich hinter die Theke, das schien fürs erste ein sicherer Platz zu sein. Das Personal war verschwunden. Die Schwertkämpfer sprangen über den Tresen, hin zur Kasse, entnahmen die Scheine und flohen Richtung Hinterausgang. Larry war ganz froh, dass sie ihn nicht beachteten.

Auf der Strasse ein Schußwechsel. Im Cafe war niemand mehr und Larry suchte nun Schutz vor Querschlägern in der Küche. In der Ecke stand die Kellnerin. Sie war sehr hübsch und Larry schon öfters aufgefallen. Er schaute sie an. Sie reagierte nicht auf sein »Hallo«. Wieder Klirren von zerberstendem Glas. Die Schiesserei dauerte an und eine Kugel hatte die zweite große Schaufensterscheibe getroffen.

Drei der Männer in den schwarzen Mänteln stürmten nun wieder im Eiltempo durch das Cafe in Richtung Hinterraum, verfolgt von einer Horde Polizisten. Wo die nun alle herkamen, war Larry nicht erschliesbar. Ihr Anführer rief:
»Halt, zurück und alle raus. Wir räuchern sie aus.«
Das war der erste wirklich bedrohlich klingende Satz. Larry schluckte. Dann sah er auch, wie irgendwelche kleinen Gegenstände in den Raum geworfen wurden. Rauchbomben. Der Nebel breitete sich schnell aus. Die Kellnerin stand nun neben ihm.
»Folge mir!«
Sie riss ihr Shirt hoch und hielt sich einen Teil des Stoffes vor Mund und Nase. Larry schaute überrascht auf ihre entblösten Brüste.
»Komm!«
raunte sie und lief hinter der Theke entlang Richtung Bühne. Larry hielt ebenfalls sein Shirt vors Gesicht und lief ihr nach. Die Augen begannen zu brennen, ihm war schwindlig. Er verfluchte diese Aktion.

Neben der Bühne war ein kleiner Nebenraum und in diesem gab es eine sehr unauffällige Tür. Sie öffnete diese. Dahinter war ein Treppenhaus. »Schnell, und mach die Tür wieder zu.«
Sie rannten die Treppe hoch. Im zweiten Stock öffnete sie eine weitere Tür und sie gelangten in eine leerstehende Wohnung. Sie schloss hinter ihnen wieder ab. Sofort zog sie ihr Shirt nun ganz aus.
»Beeil Dich, zieh Dich aus.«
Hektisch entledigte sie sich Schuhe und Hose.
»Wir müssen die Klamotten einpacken und uns Duschen. Sonst macht das Nervengift uns gleich bewusstlos.«
Wie im Trance tat Larry wie befohlen. Irgendwo hatte sie einen Müllbeutel gefunden und stopfte alle Kleidungsstücke und auch die Schuhe hinein.
»Hast Du ein Handy? Leg es beiseite.«
Nun packte sie auch seine Jacke hinein und verknotete den Sack. Sie nahm in an der Hand.
»Und jetzt Duschen."

Eilig fuehrte sie ihn ins Bad. Larry fühlte sich bereits wieder etwas besser. Das lag wohl nicht zuletzt an ihrem zauberhaften Körper. Sie drehte die Brause auf und bedeutete ihm, auch unter die Dusche zu kommen.
»Mach schon.«
Kaum war er auch unter der Dusche, rieb sie mit ihren Händen seinen Körper ab.
»Das Gift muss weg. Reib es mir auch ab.«

Als sie sich gegenseitig so ziemlich alle Körperteile abgerieben hatten, hielt sie inne und lächelte zum ersten Male.
»Das war knapp. Geht es Dir besser?«
Larry bejahte. Draussen heulten immer noch Polizeisirenen.
»Du musst jemanden anrufen, der uns Kleidung bringt.«
sagte sie.
»Aber erst später, wenn die Polizei weg ist. Bis dahin müssen wir uns hier arrangieren.«
Sie drehte wieder die Brause auf und Larry spürte eine Hand zwischen seinen Schenkeln.

»Wie heißt Du?«
»Ceres. Ich bin der Asteroid in deinem Hirn«

Larry öffnete die Augen und schaute auf die Uhr. Halb zehn.
Scheisse, die Lesung verschlafen.

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Das war … ein reichlich seltsamer Traum. Wirkte recht konfus, aber das ist wohl eine der merkwürdigen Eigenschaften von Träumen.
Aber willkommen bei den Geschichtenerzählern hier! Ich bin gespannt, was noch alles kommt.

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