Larry Rottan -:- Magdalena oder Kunstraub verhindert Sprengung

in kurzgeschichte •  7 years ago 

09.00 Uhr
Handy gibt Laut. Aufstehen. Larry wältzte und räkelte sich. Steht auf. Kurzes Mustern der Körperteile. Kopf ohne Schmerzen, der Rest zufriedenstellend. Sieben Stunden Schlaf, weniger als gewöhnlich, aber er fühlte sich einigermassen. Anziehen, dann erst mal vor die Tür. Nicht zu heiss bis jetzt, aber das könnte sich noch ändern. Wolken wären beruhigender. Der Weg zu ALDI war nicht weit, der Wodka schnell erworben. Und ein Abstecher zu Bäcker, Metzger und Gemüsemarkt.

09.45 Uhr
Frühstück. Brötchen mit Frikadelle, dazu Tomaten und Knoblauch. Kaffee mit Milch. Eisen-, Zink- und Magnesiumtabletten. Scheussliche Musik im Radio. Sein Laptop erwachte aus dem wohlverdienten Maschinenschlaf und checkte Emails. Nichts ausser Viagra-Spam und gefaketen Mails der Postbank. »Dass da noch jemand sein Konto hat«, fuhr es Larry durch den Kopf. Aber gut, »keine Nachricht bedeutet auch keine schlechte Nachricht«. Und dass Magdalena, die schöne Grafikerin, sich nicht meldete, war auch nicht anders zu erwarten. Vielleicht würde er sie heute Mittag treffen. Ihr Name war sehr wohlklingend und Larry seit einiger Zeit latent verliebt in sie.

10.30 Uhr
Larry packte seine beiden Kameras, Ersatzakkus und viele Speicherkarten ein. Der Auftrag versprach Spannung – und Geld. In der Stadt war die Enthüllung eines umstrittenen Denkmals angesagt und eine kleine politische Gruppierung wollte dies mit aller Macht, besser gesagt einer Sprengung, verhindern. Larrys Aufgabe war es, dies foto- und videografisch zu dokumentieren, dafür hätte er die Rechte an dem Material exklusiv und könnte es zu guten Konditionen an die Presse verkaufen. Ein Job auf eigenes Risiko. Und vorallem durften seine Speicherkarten nicht in die Hände der Polizei fallen. Da würde es kein Honorar geben.

11.00 Uhr
Noch eine Stunde bis zur Enthüllung. Larry checkte die Luft seiner Fahrradreifen. In einer halben Stunde würden die Vorbereitungen für die Sprengung, natürlich unbemerkt für die Besucher und Passanten, stattfinden. Larry war über den Zeitplan minutiös informiert, konnte sich also immer in eine gute Fotografierposition begeben. Kontaktaufnahme zu den Aktivisten war ihm natürlich strengstens verboten. Er überlegte kurz, Magdalena anzurufen, ob sie ihn begleiten könne. Aber das würde nur zu einer Katastrope führen. Er trank einen ersten Schluck Wodka.

11.20 Uhr
Larry erreichte den Platz des Denkmals. Schon mehr als 50 Personen hatten sich versammelt. Er ging eine Runde um den Block spazieren. Auf einem PKW-Parkplatz in der Nähe versammelte sich einen Gegendemonstration. Na, die würden heute noch ihren Spass bekommen. Um die Ecke war eine Galerie. Sie hatte überraschenderweise geöffnet, ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Aber sie hatten auch gerade eine spektakuläre Ausstellung mit einem japanischen Maler. Und es war schliesslich viel kunstinteressiertes Publikum in der Stadt. Eine kleine blonde Frau wuselte durch die Menge und steuerte geradewegs auf den Eingang zu. Magdalena. Scheisse, jetzt konnte Larry ihr nicht hinterher laufen.

11.30 Uhr
Zurück am Platz des Denkmals. Zwei der Aktivisten hatte Larry entdeckt. Gar nicht so einfach. Er kannte ihre Gesichter nur von undeutlichen Fotos und hatte ihnen die Namen A, B, C, D und E gegeben. Der ganze Auftrag war per Chat zustande gekommen. Ihre wahren Namen kannte er nicht. Sie waren wohl auch nicht aus dieser Stadt. Larry wollte nur das Bildmaterial. Also machte er erstmal einige Fotos. Die offizielle Presse war auch zahlreich vertreten. Larry kannte den ein oder anderen, sagte »Hallo«, und machte auf sehr beschäftigt, um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden.

11.45 Uhr
Der da im dezent grauen Anzug mußte A sein. Er hatte einen Geigenkasten unterm Arm. Ein romantischer Bombenleger? Oder war das im Zeitalter der Rucksack- und Kofferterroristen einfach nur eine geniale Idee? Er ging ihm aus sicherer Distanz hinterher. Larrys Wissensstand war, dass die Bombe die Statue zerstören sollte, aber Menschen nicht gefährdet würden. Das Sprengmaterial sollte aus einem Theaterfundus stammen. Nun, wenn denn diese Statue vom Sockel fällt und in mehrere Teile zerbricht, wäre die Aktion schon gelungen. Leichte Verletzungen einiger Passanten in direkter Nähe waren zwar nicht ganz auszuschliessen, aber Larry kannte den Sicherheitsabstand. Gleich würde es losgehen. Der Bürgermeister würde eine Rede halten, das Tuch fallen, und dann … Larry trank einen Schluck Wodka.

12.00 Uhr
Es war soweit, der Bürgermeister betrat das Rednerpult. Seine Stadt hatte das Kunstwerk finanziert und so liess er es sich auch nicht nehmen, die Veranstaltung höchstpersönlich zu eröffnen. Jetzt waren über 100 Menschen auf dem Platz. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Auch von den Gegendemonstranten war noch nichts zu hören. A begab sich näher zur Statue. Seine Aufgabe war es, den Koffer an einer bestimmten Stelle am Sockel des Denkmals zu platzieren, und einer der anderen Aktivisten könnte per Funk den Zünder auslösen. Welcher es war, wusste Larry nicht, genau das sollten auch seine Kameras nicht mitbekommen.

12.08 Uhr
Die Rede langweilte. Im Hintergrund zaghafte Buh-Rufe. Alles schien unter Kontrolle. Larry mußte an Magdalena denken. Er hatte sie neulich in einem Szenelokal kennengelernt und versuchte den Kontakt zu ihr zu intensivieren. Aber sie war weiterhin sehr distanziert. Bis auf ein gewisses Leuchten in ihren Augen. Larry nahm einen weiteren Schluck Wodka zu sich. Vielleicht würde sie nach der Sprengung neugierig hier hinkommen. Sie würde als erste seine Bilder sehen.

12.10 Uhr
Seine Gedanken wurden unterbrochen. Um die Ecke war Reifenquietschen zu hören. Und dann lautes Technobummbumm. Sollten ausgerechnet irgendwelche Golf GTI-fahrenden Diskokidz die Aktion stören? Leichte Unruhe machte sich breit, der Bürgermeister gestikulierte, zu verstehen war er jetzt nicht mehr. Mitarbeiter des Politikers versammelten sich um ihn. Larry filmte. A ging ganz nahe zur Statue, setzte den Koffer ab und wich einen Schritt zurück. Dabei rempelte er die Kulturamtsleiterin an. »Ihr könnt doch jetzt keine Musik machen«, fauchte sie ihn an. Oder etwas ähnliches. Larry konnte es nicht wirklich verstehen. Sie bückte sich nach dem Geigenkoffer und bedeutete A sich schnellstes damit zu entfernen. Polizei war nun auch zur Stelle.

12.16 Uhr
Schüsse erklungen im Hintergrund, dann Schreien. Chaos. Larry beschloß, A zu verfolgen, der sichtlich irritiert, sich aus der Menge entfernte und ratlos am Strassenrand stand. Von B und D nichts zu sehen, C und E hatte Larry sowieso nicht entdeckt. Wieder quietschende Autoreifen. Und jetzt auch Polizeisirenen. A betrat die Strasse. Er sah sich nervös um. Eine dunkle Limousine kam um die Ecke geschossen. A zögerte einen Moment, einen Moment zu lang, der Mercedes versuchte ohne zu Bremsen auszuweichen und erfasste ihn frontal. A wurde durch die Luft geschleudert, das Fahrzeug kam ins Schleudern und prallte gegen die Mauer. Zitternd hielt Larry die Kamera fest, die weiterhin im Videomodus lief. Passanten liefen zu A, sie konnten ihm aber nicht mehr helfen. Gebannt und wie versteinert schaute Larry auf das Fahrzeug. Niemand traute sich in die Nähe. Der Kofferraum war aufgesprungen und Bilder lagen auf der Strasse. Ein seltsames Gefühl beschlich Larry. Dann sah er den Geigenkasten unter dem Fahrzeug. Die Beifahrertür öffnete sich. Blutüberströmt fiel eine Frau auf die Strasse und schaute Larry an. Magdalena. Er wollte zu ihr laufen.

12.19 Uhr
Die Bombe explodierte.

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