Das Leben ist seltsam

in lifeistrange •  5 years ago 

Zu Weihnachten hier mal wieder einen Spieletipp und entgegen der sonst üblichen Thematiken. Bereits bei dem Artikel über Büchern habe ich ja bereits gesagt, dass ich es wichtig finde über Geschichten in die Köpfe anderer Menschen einzutauchen. Dies ist wenn es sehr gut gemacht ist bei Büchern und Filmen möglich, wenn der Autor versucht mit dem Leser zu spielen. Es gibt allerdings kaum ein Medium, dass so gut dazu geeignet ist wie ein Computerspiel.

Denn es erlaubt es die Geschichte auf den Spieler anzupassen und somit wesentlich geschickter mit ihm zu spielen. Gerne wird dabei auf Entscheidungen zurück gegriffen, die dann im weiteren Spielverlauf eine Änderung herbeiführen. Wird dies gut gemacht sind die Entscheidungen nicht immer ersichtlich und der Spieler ist stets bemüht das richtige zu tun und gleitet dabei immer mehr in die Scheiße ab.

Dabei muss man nicht einmal besonders intensiv in die Tasten hauen und sich eine gute Geschichte im Actionrollenspielformat erzählen lassen. Es gibt eben auch quasi interaktive Filme, die zwar auf einer festen Schiene fahren und dennoch eine interessante Geschichte erzählen lassen. Gerade der Hersteller Telltale Games hat sich dafür eine kleine Nische aufgebaut und einige Titel aufgebaut.

Ein anderer Hersteller namens Dontnod Entertainment ist dabei wesentlich weniger Leuten ein Begriff. Vermutlich weil sie sich zunächst ein wenig haben von Tests abschrecken lassen, die sagen, dass es um eine Coming Out of Age-Story geht und man damit als Erwachsener meist weniger anfangen kann. Trotzdem heute ein Plädoyer, warum die Spieleserie „Life is Strange“ einen Besuch wert sein können.

Dabei versuche ich ein wenig zu teasern auch wenn es nicht ganz spoiler frei ist. Ich beschränke mich aber auf das, was man recht schnell ohnehin erfährt oder halte mich bewusst etwas wage. Beide Teile kommen im Episodenformat daher mit jeweils 5 Episoden pro Staffel. Je Staffel wirkt dabei aber wie ein eigenes komplettes Spiel.

Life is Strange

Die Geschichte spielt in dem verschlafenden Nest namens Arcadia Bay im US-Bundesstaat Oregon. Die Protagonistin ist die 18-jährige Max (weiblich), die eigentlich ein ganz normales Mädchen ist. Ein wenig introvertiert und nicht gerade die beliebteste an der Privatschule. Bis zu diesem Punkt ist ersichtlich, wieso man sich als Erwachsener eher davor schaudert ein Spiel zu spielen in dem man die Schulbank wieder drückt.

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Doch Max hat eine Vision in der die Stadt von einem gigantischen Tornado zerstört wird. Dabei sind diese in der Gegend eigentlich überhaupt keine Gefahr. Doch es passieren mehr merkwürdige Dinge in ihrem Umfeld. Denn durch Zufall entdeckt sie, dass sie eine merkwürdige Superkraft hat. Sie kann zu jedem Zeitpunkt ein Stück der Zeit zurück drehen und ungeschehen machen.

Dies ist besonders cool, wenn man merkt, dass eine Entscheidung ganz anders verläuft als man es erwartet hätte oder nicht den gewünschten Effekt hatte. Schon spult man ein wenig zurück und probiert es nochmal. Dabei hat dies allerdings einen großen Nachteil. Diese Zeitsprünge funktionieren nicht unbegrenzt. Je weiter sie in die Vergangenheit reist, umso mehr fordert es seinen Tribut. Und so gibt es eine natürliche Barriere in der Zeit in der auch sie nichts mehr ungeschehen machen kann.

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Alleine ist Max dabei nicht, sondern hat eine abgedrehte und anarchistische Freundin namens Chloe, die ihr Gegenstück darstellt und an Extrovertiertheit kaum noch zu überbieten ist. Der schlechte Einfluss auf sie, der ihr allerdings immer mit Rat und Tat zur Seite steht.

Schnell wird klar, dass Arcadia Bay nicht das Paradise ist, dass es zunächst zu sein scheint. Das Sportteam hält den Campus fest in seinen Griff und Außenseiter haben ein hartes Regime zu fürchten. Doch neben dem eigentlichen Schulleben stimmt noch etwas anderes nicht, da scheinbar einige Kinder verschwinden.
Und während man zunächst in die Rolle eines normalen amerikanischen Schulmädchens schlüpft, wird auch ihre Superkraft sehr schnell zur Normalität mit der man hier und da sein Schabernack treiben kann. Doch sehr schnell verschwimmen die Grenzen. Wer zunächst böse erscheint, scheint am Ende doch auch nur ein Opfer zu sein. Und auch die vermeidlich guten Charaktere haben auch eine finstere Seite.

Je mehr man als Max versucht alles irgendwie ins rechte Licht zu rücken, umso mehr entgleitet ihr am Ende doch die Geschichte und es eskaliert langsam immer weiter. Immer stärker taucht man dabei in die Mysterien von Arcadia ein und versucht das große ganze Bild zu verstehen. Und am Ende ist da ja auch immer noch ihre Vision, die das kleine Städtchen völlig zerstören wird.

Zunächst redet man sich noch ein, dass dies ein Hirngespinst von ihr sein könnte. Doch irgendwo zwischen Teenieproblemen und ihrer merkwürdigen Superkraft, scheint es am Ende doch eine geheimnisvolle Kraft zu geben, die alles in eine Bahn zu lenken scheint.

Life is Strange 2

Gerade erst bei mir unter dem Weihnachtsbaum gelandet, da die Linux-Version erst jetzt fertig geworden ist. Aber bereits jetzt bin ich mir sicher, dass ich sehr gut unterhalten werden und einige sehr interessante Stunden vor mir haben werde.

Zwar spielt der zweite Teil in der gleichen Welt wie der erste Teil, bricht allerdings völlig mit den Protagonisten und beginnt im nahegelegenen Seatle. Bereits im Intro wird klar, dass es auch dieses Mal wieder um übernatürliche Kräfte geht. Eine Dashcam aus einem Polizeiauto filmt, wie eine Streife besorgt um Verstärkung über Funk ruft und mit gezogener Waffe aus dem Bild läuft. Kurze Zeit danach fallen einige Schüße und eine riesige Druckwelle wirft das Polizeiauto wie ein Streichholz um.

In diesem Teil wird die Geschichte der beiden Brüder Diaz erzählt. Sean (der Spieler) und Daniel haben mexikanische Wurzeln und wachsen bei ihrem Vater in einem Vorort auf. Dieser versucht das Beste um seinen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Er ist verständnisvoll, vermittelt das man immer mit Leidenschaft dabei sein sollte und das Ehrlichkeit sich lohnt.

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Sean hat dabei vorwiegend Teenagersorgen im Kopf. Er will Abends auf eine Party um seinen heimlichen Schwarm ein wenig näher kennen zu lernen. Da er ein eher hoffnungsloser Fall ist, wird er von seiner besten Freundin beraten, die ihm Tipps für den Abend gibt. Dabei ist insbesondere die kleine Nervensäge Daniel eher im Weg, da der kleine Junge ganz andere Flusen im Kopf hat und sich eher auf das nahende Halloween freut.

Doch aus einer ganz harmlosen alltäglichen Situation eskaliert plötzlich alles und zwingt die beiden Brüder auf die Straße zu gehen und zu fliehen. Auf sich alleine gestellt übernimmt Sean die Verantwortung für seinen kleinen Bruder. Was zunächst ein wenig nach Abenteuerurlaub aussieht, wird schnell eine Reise durch ein tief gespaltenes Amerika.

Auch dieses Mal spielt man viel mit dem Spieler. Wer konnte den ahnen, dass sich hinter diesem Menschen ein Rassist verbirgt? Das ein Menschen der eher creepy wirkt am Ende doch ein wirklich netter Kerl ist. Und wem können die beiden Kinder in der Fremde überhaupt vertrauen?

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Es wird schnell klar, dass Daniel in diesem Teil jener mit den Superkräften ist und telekinetische Wunder verbringen kann. Doch wie soll man all dies nur vernünftig erklären? Es dauert nicht lange bis der Spieler voll und ganz in der Rolle von Sean aufgeht. Man will seinen kleinen Bruder nicht entmutigen und stets besorgt ihn bei Laune zu halten. Trotzdem muss man eben auch die nötige Strenge walten lassen und einige wichtige Lektionen lernen um auf der Straße überleben zu können.

Man merkt regelrecht das Kopfkino, dass einem widerfährt schon bei kleinen Entscheidungen. Soll man den Bruder ständig beschützten oder auch beibringen Dinge selbst zu erledigen? Schickt man ihn wirklich zum Holzsammeln in den Wald? Und überhaupt was tut man wenn er wieder einmal quengelt und darüber beklagt solch einen Hunger zu haben.

Was tut man, wenn man einfach nicht genügend Geld hat um etwas zu kaufen? Ist es dann gerechtfertigt zu klauen oder gibt es eine andere Möglichkeit an etwas essbares zu kommen? Ständig ist man in einem Spagatt dazwischen für Daniel vernünftig zu versorgen und gleichzeitig ein Vorbild zu bleiben.

Dieser Teil erzählt eine Wechselbad der Gefühle. Sean vergleicht sie beide mit zwei Wölfen, die auf einer Reise gehen. Wenn Daniel versucht am Lagerfeuer einen Wolf zu mimen und dabei eher wir ein sterbender Hund klingt, wird einem schon warm um das Herz. Trotzdem sollte man sich darauf einstellen, dass nach etwas Gutem es nicht lange dauert bis auch wieder etwas passiert bei denen einen der Mund offen stehen bleibt.

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Fazit

Beide Geschichte funktionieren auf einer ähnlichen Art und Weise. Man darf es sich nicht als ein Actionspiel vorstellen, sondern eher wie einen interaktiven Film. Mal läuft ein Gespräch ab und man kann antworten geben. Wird man gefragt, wo man wohnt, soll man da eine ehrliche Antwort geben oder lieber lügen um etwas zu verbergen?

Immer wieder gibt es offene Gegenden in denen man das Gebiet erkunden kann und dabei sich Dinge näher ansehen kann oder damit interagiert. Am Ende sind es aber eben keine Puzzle, die man löst, sondern man trifft Entscheidungen. Nicht immer sind die Konsequenzen wirklich klar und frei nach Goethes Faust, ist man stets bemüht das richtige zu tun und scheitert dabei immer wieder eklatant.

Nicht selten kommt man in eine moralische Zwickmühle. Sollte man jemanden mit einer Lüge schützen oder vielleicht sogar die Schuld bei sich selbst aufladen? Wo zieht Sean die Grenze bei Daniel wann Dinge erlaubt sind und wann man es lieber bleiben lassen sollte. Überhaupt welche Werte soll man ihn vorleben?

In beiden Spielen wird der Spieler an harte Entscheidungen geführt und bestimmt so den Film, den er zu sehen bekommt. Mal herzzreißend, mal schockierend, immer ein modernes Drama aus der Sicht der Jugendlichen erzählt und immer mit einer Brise des übernatürlichen wird das Spiel am Ende zu einem Erlebnis bei dem man sowohl in die Rolle der Charakteren als auch in sein eigenes Moralbild schlüpft.

Abgerundet wird das soziale Experiment damit, dass am Ende jeder Episode einige der Entscheidungen mit anderen Mitspielern verglichen werden und so einen Einblick in die Gesellschaft geben. Wieviele Prozent der Spieler haben jemanden bestohlen, der einem vorher erniedrigt und geschlagen hat? Mehr als 80%. Dagegen haben nur 5% Geld gestohlen, wenn sie sich unbeobachtet gefühlt haben.

Ja und selbst ich ertappe mich als Atheist, wie ich mit jemanden bete, um ihn nicht zu kränken. Wie immerhin 92% der Leute auch. Immer wieder wird man überrascht, wie krass sich andere Spieler im Schnitt verhalten haben oder wie ausgeglichen andere Entscheidungen waren.

Wer akzeptiert, dass er hier einen interaktiven Film geboten bekommt und auch mit wenig Action klar kommt, bekommt zwei wundervolle geheimnisvolle Geschichten erzählt. Beide sind voller Tragiken und Emotionen, der man sich nur schwer entziehen kann. Gerade dadurch, dass man sie selbst durchlebt, können diese Dinge in einem auslösen, die mit einem normalen Film nicht möglich gewesen wäre.

Festhängen tut man dabei nicht. Zwar gibt es manchmal zeitkritische Entscheidungen, aber das Spiel zieht einem von ganz alleine in eine Richtung ohne das man sich dessen immer bewusst ist. Und dennoch bewegt sich alles eben auf einer festen Schiene in Richtung Höhepunkt entgegen. Das man dies aber selten erkennt und wissen möchte, wie es weiter geht, treibt einem sehr schnell durch die Handlung.

Am Ende ist es aber eben doch ein interaktiver Film den man in einer ruhigen Stunde gut spielen kann und wesentlich mehr geboten bekommt als in so manchem Kinofilm. Dieses Spiel vom bekannten Publisher Square Enix befasst sich zwar mit vielen Teenieproblemen und man spielt auch welche, ist aber am Ende doch wesentlich mehr.

Ich fühlte mich bisweilen immer sehr gut unterhalten und viele Freunde waren es auch. Gerade dadurch, dass hier nicht eine düstere Geschichte wie bei Heavy Rain erzählt wird, sondern eine vermeidlich unschuldige Geschichte von Jugendlichen, werden einige Dinge erst so richtig böse. Gerade jetzt über Weihnachten gibt es ja viele Sales.

Für 25€ gibt es momentan auf Steam die kompletten Staffeln der beiden Teile bis zum 2. Januar. Für den ersten Teil gibt es die erste Episode zudem frei. Für die Zeit, die man darin verbringen kann, meiner Meinung nach wesentlich besser als so mancher Kinofilm. Am besten spielt es sich tatsächlich mittels Controller. Sprachausgabe gibt es nur auf englisch, was aber spätestens mit deutschen Untertiteln recht gut funktioniert und der Stimmung keinen Abbruch tut.

In diesem Sinne: Viel Spaß!

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Schöne Vorstellung und es ist schon beeindruckend wie interaktiv alles geworden ist. Da schafft man eine ganz neue Bindung zum Zuschauer und gleichzeitig eröffnen sich viele neue Möglichkeiten.
Während die ersten interaktiven Filme wohl Pornos waren, hat sich durch die beeindruckenden Animationen viel getan.

Nun ein gutes Computerspiel erzählt eine Geschichte so, dass der Spieler auf einer Schiene fährt ohne es zu merken. Es macht eben einen Unterschied, ob man nur etwas betrachtet oder selbst dazu gezwungen wird und auf etwas zugeht. Genau dies bekommen die Macher von dem Spiel hier so richtig gut hin. Findet man Blut im Schnee, muss man einfach nachsehen wohin die Spur führt, alleine schon weil man neugierig ist.

Einige Leute bemängeln den mangelnden Realismus im Spiel. Ja, Überraschung. Übernatürliches gibt es nicht! :) Bin nun allerdings damit durch und kann nur sagen, dass es mich stark gefesselt hat. Bis zu 7 verschiedene Enden sind möglich und ich habe ein furchtbar trauriges bekommen, weil ich ständig versucht habe alles zum Guten rumzureißen und gleichzeitig Daniel versucht habe ein Vorbild zu sein. Dieser saugt dies alles auf und zieht daraus am Ende seine Schlüsse. Dadurch sieht man eben auch die Konsequenz aus seinem Tun, wie es kein Film schaffen würde.

Tatsächlich sind solche Arten von Interaktionen nichts neues. Bereits im Computerspiel von Bladerunner (1997) wurde mit mehreren dynamischen Pfaden herum gespielt. Bereits davor gab es zig interaktive Videos als Spiel, die meist aber sehr simple und vorausschauende Pfade anboten. Richtig gut versteht sich darauf die Spieleschmiede Bioware, die Entscheidungen ins Rollenspiel einwebt und die Begleiter mit ihren moralischen Standpunkten Entscheidungen vorhalten.

Oder wenn man mit dem Dämonen über die Seele eines Kindes verhandelt und er einen Vorschlag macht. Man überlässt das Kind ihm und er wird sich 30 Jahre lang schlafen legen (weit außerhalb des aktuellen Konfliktes). Als Dank für die eigene Verschwiegenheit bekommt man zusätzliche Mächte verliehen. Es wird nichts gezeigt, das eigne Problem ist gelöst und trotzdem fällt es schwer einem solchen Pakt zuzustimmen, weil irgend etwas in einem sagt: Das darfst Du nicht!

Die jüngeren Spielen inzwischen ja doch recht viel, aber vor allem die Älteren tun Computerspiele oft als "Ballerspiele" oder "Zeitfresser" ab. Betrachte ich dann so, was sie im Fernseher konsumieren, sollten sie sich vielleicht mal auf dieses Medium einlassen, da sie sonst einige wirklich tolle Geschichten verpassen.

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