So langsam dämmert es immer mehr Menschen, dass unser derzeitiges Finanzsystem nicht optimal auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten ist. Spätestens seit dem Crash in 2008.
Was daran ungünstig ist, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Eine populäre Ansicht ist z.B., dass der Börsenhandel sehr viel stärker reguliert werden sollte, da Spekulationen in der „Finanzwirtschaft“ ansonsten negative Auswirkungen auf die „Realwirtschaft“ haben.
Andere meinen die Ursache des Übels in der exponentiellen Natur des Schuldgeldsystems und dem damit verbundenen Zinses-Zins gefunden zu haben.
Zusammengefasst prangert die Zins- (und Zinseszins) – Kritik an, dass jeder Kredit zwei entgegengesetzte Kurven darstellt, die sich gegenseitig aufheben: die Guthaben des Geldgebers und die Schulden des Kreditnehmers, wobei die Schere zwischen beiden aufgrund des exponentiellen Verlauf des Zinseszinses immer weiter auseinanderläuft. Womit der Geldgeber derjenige ist, der sich ins Fäustchen lacht und der Kreditnehmer der auf immer Geschädigte ist, der dem Kreislauf nicht entkommen kann.
Im Folgenden werde ich begründen, warum Zins und Zinses-Zins keineswegs „gefährlich“ oder „böse“ sind.
1. Wer würde Geld verleihen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen?
Oder anschaulicher: Wer würde einem Fremden 10 Jahre lang seine Wohnung überlassen, ohne eine Gegenleistung (Miete) dafür zu erhalten?
Antwort: Nur jemand, der ziemlich dumm ist.
2. Der Zins ist ein Risiko-Zuschlag
Rechenbeispiel:
Ich habe 1000€ übrig, die ich im Moment nicht brauche. Weil andere das Geld gerade benötigen, verleihe ich an jeweils 100 Leute 10€. Die Ausfallwahrscheinlichkeit beträgt 5%, d.h. dass im Schnitt 5 Personen ihren Kredit nicht zurück zahlen können.
Nach einem Jahr bekomme ich von 95 Personen meine 10€ + Zinsen zurück, und 5 können wie vorausgesagt den Kredit nicht bedienen.
Um diesen Ausfall zu kompensieren, müsste ich einen Zins von 50€ (Verlust) / 95 (zahlungskräftige Schuldner), macht gleich 5,3%, ansetzen.
Demzufolge bekomme ich 95 x 10,53€ zurück, und lande wieder bei meinen 1000€.
Weil ich aber noch was von dem Geschäft haben will (siehe 1.), und ich eine eventuelle Inflation berücksichtige, verleihe ich das Geld zu mindestens 6% Zinsen oder mehr.
3. Der Josephspfennig
Die Geschichte vom „Josephspfennig“ klingt beim ersten Hören einleuchtend und erschütternd.
Kurzfassung, Cent-Version:
Joseph legt für seinen Sohn im Jahr Null einen Cent mit 5% Zinsen an.
Nach 2000 Jahren haben sich Zinsen und Zinseszinsen auf mehrere Milliarden Kugeln in Größe der Erde aus purem Gold angesammelt, die seinen Nachfahren zustehen.
Bei linearer Berechnung (nur mit Zins, ohne Zinseszins) wäre es ca. 1 Euro Guthaben.
Was ist aber der Denkfehler bei diesem Märchen?
Herkömmliche Kredite liegen nicht mehrere Jahre brach, bis am Ende eine Gesamtsumme zurückgezahlt wird.
Sondern im Normalfall wird ein Kredit Monat für Monat in festen Raten abbezahlt. Mit dem abnehmenden Schuldenbetrag verringert sich auch die Zinslast jeden Monat, anstatt sich zu erhöhen.
4. Den Zins kann man nicht verbieten
Selbst wenn man der Auffassung ist, dass der Zins böse ist und verboten gehört, wäre ein Verbot praktisch nicht umsetzbar.
Der Grund: siehe 1.
Niemand würde mehr Geld an andere verleihen. Die Wirtschaft käme zum Erliegen.
Außerdem würde man Mittel und Wege finden, den Zinsbetrag auf andere Weise zu begleichen, z.B. ich leihe jemandem 1000€, bekomme 1000€ zurück, und dazu noch eine Korb voller Gemüse der Saison.
Auch das „Islamic Banking„, welches augenscheinlich islam-konform auf Zinsen verzichtet, hat einen kreativen Weg gefunden um eine Gebühr für das Verleihen von Geld einzunehmen: Die Bank kauft ein Haus. Danach verkauft sie das Haus an den Kreditnehmer inklusive einem Aufschlag. Der Kreditnehmer zahlt den Gesamtbetrag in Raten zurück. Verarschen kann ich mich selbst.
Ebenso ist ein Anreiz in Form einer Firmen-Beteiligung nichts Anderes als ein Zusatzbetrag, der notwendig ist, um jemanden zu überreden dem Kreditnehmer sein Geld zu überlassen.
Der Unterschied ist hier nur, dass der Betrag, den man zurück bekommt im Vornherein noch nicht fix ist und sich am zukünftigen Wert des Unternehmens orientiert.
5. Den Zinseszins kann man auch nicht verbieten
Würde man nur den Zins erlauben, aber nicht den Zinses-Zins, würde Folgendes passieren:
In diesem Jahr lege ich meine 1000€ für 5% bei der Bank A an.
Anstatt mein Geld bei Bank A liegen zu lassen und im nächsten Jahr wieder nur 50€ zu kassieren, hebe ich am Ende des Jahres meine 1050€ ab und gehe damit zu Bank B, wo ich den Gesamtbetrag wieder für 5% neu verzinsen lasse… usw.
Damit habe ich meinen Zinseszins.
Um Zins und Zinseszins zu verbieten, müsste man schon sämtliche Vermögen aller Privatpersonen und Unternehmen kontrollieren. Leider sind wir aktuell genau auf dem Weg dorthin… aber nicht mit dem Ziel, Zinsen zu unterbinden, sondern unter dem Vorwand, Steuerhinterziehung und Kriminalität auszurotten. Oder vielleicht auch, um die Bürger jeglicher Privatsphäre zu berauben…
Es gibt allerdings noch eine weitere Möglichkeit, Zinsen schleichend abzuschaffen. Und die wurde in den letzten Jahre sogar angewendet: Und zwar wurde der Leitzins von den Zentralbanken massiv gesenkt.
6. Die Zinsen liegen momentan praktisch bei null, aber hat das den Lebensstandard verbessert?
Nun möge bitte ein Vertreter der Zinses-Zins-Kritiker auf meinen Beitrag antworten und mir erklären, warum es den Menschen immer noch nicht besser geht, obwohl die Wurzel allen Übels, nämlich der Zins momentan auf einem historischen Tiefstand befindet.