Die dunkel-grüne Zimmerdecke (German short story / poetry)

in poetry •  7 years ago  (edited)

16.03.2018. 15:59 Uhr. Draußen ist es kalt. Ihr Zimmer verdunkelt sich mit jeder Minute ein wenig mehr, weil die weißen Flocken auf ihr schräges Dachfenster treffen und nach und nach eine immer dichtere Decke bilden, die das ohnehin schon schwache Sonnenlicht nur müde hindurchschimmern lässt. Sie schaltet die Leselampe auf ihrem hellblauen Nachttisch ein. Nun ist es wieder hell genug, um die einzelnen Buchstaben auf den gräulichen Seiten ihres neuen Buches zu erkennen. Sie versucht sich zu konzentrieren, doch immer wieder scheinen die Wörter vor ihren Augen zu verschwimmen. Als würden sie zusammen tanzen und sich nicht darum kümmern, dass sie jemand zu Sätzen zusammenfügen möchte. Ihr wird schwindelig. Sie klappt das Buch zu. Legt es mit einem tiefen Seufzer neben sich auf das Bett. Sie schließt die Augen. Atmet tief durch. Zu viele Gedanken schwirren durch ihren Kopf, als dass sie den Wörtern und Sätzen irgendeinen Sinn entnehmen könnte. Sie öffnet die Augen wieder und schaut an ihre dunkelgrüne Zimmerdecke. Wieso ist das Leben nur so fürchterlich verwirrend? All die Menschen auf den Straßen, auf den Schulfluren und auf dem Pausenhof sehen so wundervoll unbeschwert aus. So, als könnten sie ein Buch lesen, ohne die Buchstaben tanzen zu sehen. Als könnten sie die Augen schließen und grinsend an nichts denken. Sie fragt sich, ob auch sie so aussieht, wenn sie durch die Welt schlendert und dem ein oder anderen ein freundliches Nicken oder gar ein "Hallo" widmet und dabei versucht nicht stehen zu bleiben, auf den Boden zu sinken und einfach Pause zu machen. Pause vom Leben. Für ein paar Minuten vergessen, was gestern war, was sie morgen erwartet und gegen was sie jetzt eigentlich kämpfen müsste. Sie fragt sich, ob vielleicht all diese Menschen, mit etwas kämpfen. Vielleicht ist sie nicht die einzige, die müde ist. Sie weiß nicht, wer gerade zur gleichen Zeit an seine dunkel-grüne, blaue, gelbe, rote oder weiße Zimmerdecke starrt und sich wünscht, dass Leben einfach für ein paar Minuten anhalten zu können.

-Gioia

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