Post-Privacy: Die Ära der vollkommenen Transparenz?

in privacy •  6 years ago  (edited)

Abstract. Datenschutz und Privatsphäre scheint für einige nicht mehr gewährleistbar zu sein. Diejenigen, die der Privatsphäre abgeschworen haben versammeln sich unter dem Begriff “Post-Privacy”. Es bezeichnet die Epoche nach der Privatsphäre. Vor allem Michael Seemann, welcher ein umfassendes Buch diesem Thema gewidmet hat, spricht für Post-Privacy. Anhand einiger Argumente Seemanns wird in dieser Arbeit herausgearbeitet, wie stichhaltig seine Argumente sind. Es stellt sich heraus, dass Seemann mit seinen Ausführungen in den meisten Fällen recht behält, sie jedoch in einigen Fällen sehr dramatisch ausformuliert. Technisch nicht affinen Lesern vermittelt er diese Argumente sehr glaubhaft, hat man sich allerdings mit der Materie befasst, finden sich zu fast allen aufgeführten Argumenten Möglichkeiten diese durch einige Maßnahmen zu entkräftigen. Seine Grundaussage, dass wir uns in einer Welt befinden in der Überwachung keine Seltenheit mehr ist und sie in Zukunft noch viel leichter umzusetzen sein wird, fasst jedoch völlig Fuß. Letztendlich wird die These dieser Arbeit bestätigt: “Post-Privacy bedeutet nicht seine Privatsphäre komplett aufgeben zu müssen, sondern erfordert ein Umdenken der Menschen im Umgang mit ihren Daten in einer immer digitalisierteren Welt”.



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Einleitung

Die Bedeutung von Datenschutz und Privatsphäre erhält in der immer vernetzteren Welt mehr und mehr Bedeutung. Spätestens nach den Enthüllungen um die Überwachungsmethoden der NSA im Jahre 2013 durch Edward Snowden sollte jeder auf das Thema “Datenschutz” aufmerksam geworden sein. Besonders Behörden und Unternehmen haben seit dem ihre allgemeinen Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen bedeutsam verschärft. Wo man nun annehmen könnte, dass sich auch Privatpersonen mit der Thematik beschäftigen und ihr Onlineverhalten überdenken, gibt es ebenso eine Bewegung, die davon überzeugt ist, dass die Privatsphäre, wie wir sie kennen nicht mehr zeitgemäß ist. Die Ära der sogenannten “Post-Privacy”, also das Zeitalter in der die Privatsphäre, wie wir sie kennen nicht mehr existiert wurde eingeläutet. Dieser Bewegung, die Aufmerksamkeit benötigt und die viele Facetten hat, widmet sich diese Arbeit. Nach ein paar Anmerkungen zu wichtigen Begriffen geht es zum Hauptteil der Arbeit über, der sich dem Thema Post-Privacy widmet. Es wird als Hauptreferenz das Buch “Das Neue Spiel” [8] von Michael Seemann herangezogen. Anhand einiger der dort sehr ausführlich beschriebenen Gedanken wird analysiert wie stichhaltig die Gedanken und Argumente sind. Schlussendlich soll folgende These bestätigt werden: “Post-Privacy bedeutet nicht seine Privatsphäre komplett aufgeben zu müssen, sondern erfordert ein Umdenken der Menschen im Umgang mit ihren Daten in einer immer digitalisierteren Welt”.

Anmerkungen zu Begriffen

Zu Beginn ist es notwendig ein Grundverständnis einiger Begriffe zu schaffen. Dies wird mittels grundlegender Anmerkungen zu einzelnen Begrifflichkeiten vermittelt, da konkrete Definitionen an dieser Stelle sehr schwierig sind. Dieser doch sehr theoretische Teil ist notwendig, um die Arbeit in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Hierzu wird zunächst auf den Begriff der Privatsphäre und die Bedeutung dessen für die Privatperson eingegangen. Nachfolgend wird beschrieben, was in dieser Arbeit unter dem Begriff Publiksphäre verstanden wird. Abschließend werden einige Gedanken festgehalten, was das bewusste und kontrollierte Teilen von Informationen angeht. Dabei wird auch erläutert, welche positiven Auswirkungen es auf die Gesellschaft haben kann.

Wissen

Gregory Bateson beschreibt Information als einen “Unterschied, der einen Unterschied macht” (Bateson, 1979, S. 228). Michael Seemann erweitert beziehungsweise verdeutlicht diese Definition insoweit, dass er behauptet, dass Daten der erste Unterschied in der Definition von Bateson seien. Denn Daten seien “alles, was sich mit der Unterscheidung von Null und Eins ausdrücken lässt” (Seemann, 2014, S. 18). Um das an dieser Stelle nochmals zu verdeutlichen kann man sagen, dass Daten eine Repräsentation von Werten in einem auswertbaren Format sind. Ferner beschreibt Seemann angelehnt an Batesons Definition “Informationen sind Daten, die einen Unterschied machen” (Seemann, 2014, S.18). Das bedeutet, dass aus Daten, die die gleiche Aussage haben aber möglicherweise auf unterschiedlichen Medien oder in unterschiedlichen Formaten abgelegt wurden, keine neue Information entsteht. Darüber hinaus unterstützt die Aussage von Ambrose Bierce: “Wissen nennen wir jeden Teil unserer Unwissenheit, den wir geordnet und katalogisiert haben” (Springer Gabler, 2018, S. 362) die oben aufgeführte Anmerkungen. Für den Rahmen dieser Arbeit kann man festhalten, dass es sich bei Wissen somit um ein komplexes Netzwerk aus verknüpften Informationen handelt. Wichtig ist auch anzumerken, dass es sich bei den genannten Anmerkungen eben nur um Anmerkungen handelt und die Übergänge und Definitionen von Daten, Informationen und Wissen nicht sehr eindeutig sind.

Privatsphäre

Wie auch Judith DeCew in ihrem Artikel “Privacy” [7] beschreibt, welcher zuletzt in der Frühlingsausgabe 2015 der Stanford Encyclopedia of Philosophy erschien, existiere für den Begriff Privatsphäre keine eindeutige Definition. Auch William A. Parent fasst in seinem Text “Privacy: A Brief Survey of the Conceptual Landscape” [12] zusammen, dass verschiedene Auffassungen der Privatsphäre existieren. So schreibt er Alan Westin vertrete die Meinung Privatsphäre sei der Anspruch von Personen, Gruppen und Institutionen für sich selbst zu entscheiden wann, wie und bis zu welchem Maße Informationen über sie anderen Dritten übermittelt werden. Das ist vermutlich die Definition von Privatsphäre, welcher die meisten zustimmen würden. Parent führt in seinem Text allerdings auch ein gutes Beispiel an, welches oben genannte Definition unklar erscheinen lässt: Was passiert wenn sich Person A zum Beispiel in einem komatösen Zustand befindet? Nun kann sie nicht entscheiden wann, wie und bis zu welchem Maße Informationen über sie anderen Dritten übermittelt werden. Somit wird die Definition schwammig. Die Definition der Privatsphäre von Parent ist “der Zustand, in der eine Person im Besitz von undokumentierten persönlichen Informationen über sie selbst ist, welche niemand anders kennt” (Parent, S. 23) und wird im Zusammenhang dieser Arbeit als Grundverständnis von Privatsphäre verstanden. Undokumentierte Informationen sind an dieser Stelle laut Parent Informationen, welche nirgendwo öffentlich einsehbar und somit an keiner Stelle öffentlich dokumentiert sind. Die Privatsphäre ist also ein Raum (sowohl geistig als auch physisch), in dem Informationen verwahrt und Handlungen ausgeführt werden können, die von niemand anderem einsehbar sind. Nachfolgend werden die innerhalb der Privatsphäre verwahrten Informationen und ausgeführten Handlungen als Gehalt der Privatsphäre bezeichnet. Unter dieser Annahme ist die Privatsphäre nicht statischer sondern dynamischer Natur, denn die Privatsphäre hat beispielsweise gegenüber eines guten Freundes oder einer Lebenspartnerin bzw. eines Lebenspartners deutlich weniger Gehalt als gegenüber von Fremden, Unternehmen oder des Staates. Der Gehalt der Privatsphäre kann somit je nach Situation und Umgebung wachsen oder schrumpfen.

Publiksphäre

Transparenz steht im Gegensatz zur Privatsphäre und wird von Institutionen häufig erwartet. Allgemein kann man sagen, dass Transparenz von Institutionen Vorgänge jener sind, welche von außen nachvollziehbar und schlüssig sind. Im weitesten Sinne sorgt Transparenz für Vertrauen und stellt in vielen Fällen die Basis eines demokratischen Systems dar. Ein Raum, in dem Informationen verwahrt und Handlungen ausgeführt werden können, die von jedem einsehbar sind, wird analog zur Privatsphäre nachfolgend als Publiksphäre bezeichnet. Das bedeutet, dass die Privatsphäre zusammen mit der Publiksphäre die Gesamtheit an Informationen über eine Entität (hier Personen, Unternehmen, Institutionen, etc.) darstellen. Ebenfalls anzumerken ist, dass der Gehalt immer exklusiv ist. Das bedeutet Teile davon können nicht sowohl innerhalb der Privatsphäre und Publiksphäre sein. Der geistige und physische Raum der Publiksphäre kann unter der Annahme, dass dessen Gehalt nie in die Privatsphäre gelangt nur wachsen und nicht schrumpfen.

Informationen teilen

Nicht alle Informationen müssen zwingend “privat” oder “geheim” sein. Dieser Abschnitt wird das bewusste und kontrollierte Teilen von Informationen näher erläutern und welche Vorteile es bieten kann. Zunächst kann man sagen, dass Informationen, bei welchen kein Bezug auf Personen abgeleitet werden kann, kein Problem in der Weitergabe hinsichtlich der Privatsphäre darstellen. Rezepte, wissenschaftliche Berichte, Quellcode von Software, usw. können an dieser Stelle als Beispiel genannt werden. Gerade bei der Weitergabe von Wissen haben sich eigens dafür entwickelte Plattformen und Lizenzen bewährt. Das beste Beispiel bezüglich der freien Weitergabe von Wissen ist beispielsweise die Wikipedia, eine Sammlung von gemeinfreien Werken lässt sich im Internet Archive ausfindig machen und auf Github finden sich unzählige Softwareprojekte mit frei zugänglichem Quellcode. Das sind nur ein paar Beispiele, wie man Informationen frei zugänglich machen kann, ohne seine eigene Privatsphäre oder die der anderen in irgendeiner Form zu beeinträchtigen und von denen alle anderen profitieren können. An dieser Stelle ist also wichtig festzuhalten, dass Privatsphäre nicht bedeutet, gar nichts mehr nach außen hin weiterzugeben, sondern Informationen so zu abstrahieren und allgemeingültig auszudrücken, dass im Nachhinein keine Rückschhlüsse auf die Person mehr möglich sind. Doch leider gibt es an dieser Stelle auch Gegenbeispiele, wie beispielsweise Google oder Facebook. Hierbei wird nämlich im Falle von Facebook ein Profil angelegt (meistens unter dem richtigen Namen) und über dieses Profil werden dann Informationen ausgetauscht. Das ermöglicht natürlich den Plattformbetreibern diese Daten zu missbrauchen und im besten Fall nur weiterzuverkaufen, um Profit zu machen oder aber ein komplexes Netz aus Beziehungen zu anderen Personen herzustellen, um so noch mehr in das analoge Leben der Benutzer eindringen zu können. Im Falle von Google geschieht das bereits durch das Absenden einer einfachen Suchabfrage. Es gibt an dieser Stelle also auch Negativbeispiele und man sollte sich genau überlegen, welchen Plattformen man traut. Nachdem nun einige Begrifflichkeiten näher beleuchtet wurden, folgt nun der Hauptteil, in dem einige Argumente bezüglich Post-Privacy von Michael Seemann in seinem Buch “Das Neue Spiel” hinsichtlich ihrer Stichhaltigkeit untersucht werden.

Post-Privacy

Michael Seemann beschreibt in seinem Buch “Das Neue Spiel” das Thema der Post-Privacy als Kontrollverlust. Er beschreibt Computer und das gesamte Internet als “Kopiermaschinen” (Seemann, 2014, S. 26 ff.), da unsere Daten von Maschine zu Maschine weiterkopiert würden und wir kaum noch beeinflussen könnten, was mit unseren Daten auf dem Weg zum Ziel passiert. In diesem Kapitel wird Post-Privacy aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Zunächst wird die Thematik aus den Augen einer Privatperson geschildert. Anschließend weitet sich der Blick auf Institutionen und schließlich wird die gesamte Gesellschaft in Betracht gezogen.

Bedeutung für Privatpersonen

“Andersheit lässt sich kaum mehr durch Privatheit schützen. Aber sehr wohl durch Öffentlichkeit stärken” schreibt Michael Seemann in einem Artikel seines Blogs [9]. Hierbei bezieht er sich auf der einen Seite auf ein vom MIT entwickeltes Tool mit dem Namen “Gaydar”, womit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit über Freundeslisten auf Facebook herausgefunden werden kann, ob eine bestimmte Person homosexuell ist. Auf der anderen Seite existieren auch Projekte, wie zum Beispiel “It Gets Better”, wo Menschen ihre Geschichten über das “Anderssein” erzählen in der Hoffnung anderen eine Stütze zu sein. Seemann führt außerdem an: “Wenn wir bei Google etwas suchen, bei Facebook etwas liken oder eine E-Mail von einem Yahoo!-Nutzer bekommen, landen die Daten auch auf britischen Festplatten”, da diese am Glasfaserknoten bei den britischen Inseln vom GCHQ komplett abgegriffen werden [4]. Das ist wahr, was aber nicht aufgeführt wird ist, dass es in den meisten Fällen zumindest eine Transportverschlüsselung gibt. Das bedeutet, dass die Informationen, die zwischen dem eigenen Gerät und dem Server kommuniziert werden zumindest auf diesem Wege verschlüsselt sind, der Verkehr zwar abgegriffen werden kann, man aber mit den Informationen relativ wenig anfangen kann. Hier muss man allerdings anführen, dass Metadaten, wie zum Beispiel Herkunft und Ziel des Verkehrs und das verwendete Protokoll durchaus erlauben ein Aktivitätsprofil zu generieren. Die Information in Seemanns Argument stimmt zwar, es gibt aber durchaus Möglichkeiten die geschilderte Problematik zu umgehen, indem man beispielsweise alternative Suchmaschinen, soziale Netze und Mail-Provider verwendet. Das Problem der Metadaten lässt sich exemplarisch auch mit einer VPN-Lösung (Virtual Private Network) oder dem Tor-Browser in den Griff bekommen, indem die Absenderadresse verschleiert wird.
Versetzt man sich nun in die Lage in solch einer Post-Privacy Utopie zu leben, in der jeder alles über jeden weiß. Würde das den Menschen als Individuum nicht ziemlich uninteressant machen? Es gäbe kaum noch Bedarf Diskussionen zu führen oder durch den Einblick in jemandes Privatsphäre durch Gespräche dessen Vertrauen zu genießen und sich so auf menschlicher Ebene näher zu kommen. Es würde sehr wahrscheinlich die Person zu einer rein fachlichen und sachlichen Kommunikationsmaschine abwerten, die womöglich eher einem Roboter gleicht als einem Menschen. Auch wenn es Personen gibt, die bereitwillig viele Informationen über sich selbst veröffentlichen, bedeutet das nicht, dass sie keine Privatsphäre brauchen. Das zeigt auch eine Studie [3], welche von “Journalism & Mass Communication Quarterly” veröffentlicht wurde. Sie zeigt, dass Probanden bei gelegentlicher Erinnerung an Überwachung durch den Staat ihre Meinung zu gewissen Themen unterdrückten. Dabei ist noch anzumerken, dass sie vor allem ihre Meinung unterdrückten, wenn sie sie als Minderheitsmeinung wahrnahmen. Michael Seemann führt an man solle versuchen keine Geheimnisse zu haben. “Durch das Veröffentlichen möglichst vieler persönlicher Daten nimmt man Geheimdiensten ihre Exklusivität, was wiederum ihre Macht schmälert” (Jung, ab Minute 21) . Ob das allerdings die Antwort darauf ist, ob vollkommene Transparenz die Lösung für die immer ausgebauteren Überwachungsmöglichkeiten ist, sei dahingestellt. Elisabeth Noelle-Neumann hat mit ihrer “Theorie der Schweigespirale” [2] zusätzlich folgende Aussagen aufgeführt:

  1. “Menschen neigen dazu, ihre eigene Meinung zu verschweigen, wenn sie denken, dass sie sich mit ihrer Meinung dem Isolationsdruck anderer aussetzen würden.”

  2. “Diejenigen hingegen, die öffentliche Unterstützung spüren, neigen dazu, ihre Meinung laut und deutlich zu äußern.”

Offene Meinungsäußerungen auf der einen Seite und zurückhaltendes Schweigen auf der anderen Seite setzen laut Noelle-Neumann den Schweigespiralprozess in Gang. Somit ist auch Selbstzensur ist eine Form seine Privatsphäre zu wahren. Keine Geheimnisse zu haben ist faktisch unmöglich. Es gibt immer Situationen, in denen ein Schweigen vorteilhaft sein könnte, weil es womöglich zu einem friedlichen Ausgang einer Diskussion, zur Deeskalation einer feindlich angereicherten Atmosphäre und ähnlichem führen kann. Ob nun Meinungen und Ansichten in die Publiksphäre gelangen, liegt im Ermessen des Einzelnen und genau das ist was Privatsphäre zu einem Privileg macht, welches das Individuum unter jeglichen Umständen verteidigen sollte. Seemann ist hier anderer Meinung. Er behauptet dass Privatpersonen nicht mehr so angreifbar sind, wenn sie ihre Privatsphäre offenbaren (Seemann, 2014, S. 165 f.):

  • “Als Politiker schaffst du Vertrauen, wenn du möglichst viele Vorgänge offenlegst, die deinen Tätigkeitsbereich betreffen.”

  • “Als Autorin schaffst du eine größere Reichweite für deine Ideen.”

  • “Als Aktivist findest du schneller Gleichgesinnte.”

Klar ist, dass die politischen Ansichten eines Politikers nicht Teil seiner Privatsphäre sind, sondern in der Publiksphäre schweben. Das bedeutet aber nicht, dass er nun auch noch seine sexuelle Orientierung, seine familiäre Konstellation, seinen Freundeskreis, seine finanzielle Situation und ähnliches der Öffentlichkeit preisgeben muss. Die Autorin könnte auch unter einem Pseudonym ihre Werke verfassen und auch der Aktivist muss weder Namen, noch Adresse und Bekanntenumfeld enthüllen, um Gleichgesinnte zu finden. An dieser Stelle kann man durchaus sein digitales und analoges Leben trennen. Natürlich muss man sich bewusst sein, dass im Nachhinein gegebenenfalls durch Korrelation von Informationen auf die tatsächliche Person zu schließen ist oder man doch den Freundeskreis des Politikers rekonstruieren kann, allerdings sollte man sich dessen im Klaren sein bevor man eine Rolle annimmt.
Somit ist die Bedeutung von Post-Privacy nun im Bezug auf Privatpersonen verdeutlicht worden. Nachfolgend wird die Bedeutung von Post-Privacy im Zusammenhang mit Institutionen erläutert und die Perspektive von einem Individuum weitet sich auf eine zusammengehörende Gruppe von Personen.

Bedeutung für Institutionen

Michael Seemann definiert Institutionen in seinem Buch “Das Neue Spiel” auf Seite 71 wie folgt: “Wenn wir in diesem Buch von Institutionen sprechen, meinen wir die Untergruppe der hierarchisch organisierten, personell und infrastrukturell fest abgrenzbaren Einheiten, die sich der Lösung eines Problems verschrieben haben. Dazu können Unternehmen, gemeinnützige Organisationen wie Vereine und Clubs sowie Behörden gehören.” Dieser Definition folgt auch diese Arbeit.
Durch die Enthüllungen von Edward Snowden ist schon länger bekannt, dass beispielsweise die NSA, aber auch das britische GCHQ und der deutsche BND Lauschangriffe auf Bürger, Unternehmen und Regierungen gemacht beziehungsweise Unterstützung dabei geleistet haben. Seemann führt an, dass dort, “wo die Macht auf Geheimnissen beruht, ist sie fragil und wird dadurch in Zukunft immer angreifbarer sein” (Seemann, 2014, S. 174). Eine sehr ähnliche Annahme findet sich im Bereich der Verschlüsselungstechnologien: “[Das System] darf keine Geheimhaltung erfordern, und es kann ohne Nachteile in die Hände des Feindes fallen” (Kerckhoff, 1883, S. 12) hält Augustin Kerckhoff in einem Artikel des Journal des sciences militaires vom Januar 1883 fest. Man kann hier festhalten, dass vor allem Transparenz in Machtpositionen eine sehr große Rolle spielt, da Geheimnisse irgendwann durch irgendwen vermutlich unweigerlich ans Tageslicht kommen.
Seemanns These “Effektiv gegen Überwachung kämpfen bedeutet, die Wirkung von Überwachung zu schwächen” zielt darauf ab, dass mit steigenden Möglichkeiten der Überwachung durch Institutionen auch Gegenüberwachung durch die eigentlichen Opfer immer einfacher wird. Für Institutionen lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass es immer wichtiger ist Transparenz zu zeigen. Tut man das nicht, kann es irgendwann dazu führen, dass Informationen an die Öffentlichkeit geraten und man sich im Nachhinein verantworten muss, um das Vertrauen der Bürger zu behalten.
Institutionen haben in vielerlei Hinsicht eine gesellschaftliche Verantwortung, daher ist es umso wichtiger ihre Vorgänge und Entscheidungen dem Bürger in verständlicher Art und Weise zu vermitteln, damit er Vertrauen aufbauen kann und die Institution dadurch einen gesellschaftlichen Mehrwehrt generiert. Weiten wir erneut die Perspektive und blicken auf die gesamte Gesellschaft, um zu sehen was Post-Privacy an gesellschaftlicher Bedeutung hat.

Bedeutung für die Gesellschaft

In der Wirtschaftwissenschaft werden Güter unter anderem nach ihrer Rivalität im Konsum klassifiziert. Somit werden zwischen rivalen und nicht-rivalen Gütern unterschieden. Erstere sind Güter, welche nach dem Konsum durch einen Konsumenten einen anderen Konsumenten beim Konsum des selbigen Gutes be- oder verhindern. Überträgt man diese Erkenntnis auf die digitale Welt stellt man fest, dass zwar versucht wird manche digitale Güter beispielsweise durch das Urheberrecht oder den Einsatz von Kopierschutzmechanismen zu rivalisieren, allerdings lässt sich das in den meisten Fällen auf Grund der einfachen Kopierbarkeit von digitalen Gütern kaum ernsthaft umsetzen. Die Güter der digitalen Welt sind also allesamt nicht-rival, die einen sind einfacher und die anderen schwerer zu kopieren aber insgesamt lassen sie sich beliebig oft vervielfältigen.
Genau diese Kopierbarkeit der Daten bezeichnet Seemann als einen “Treiber des Kontrollverlusts” (Seemann, 2014, S. 25). Aber erst die Verknüpfung der Daten und der dadurch entstehenden Generierung von Wissen macht es so gefährlich. Um beim Thema der Überwachung – vor allem der staatlichen – zu bleiben, was womöglich das prominenteste Thema im Bezug auf Post-Privacy ist, stellt es eine akute gesellschaftliche Gefahr insbesondere für die Demokratie dar. Dieser Meinung ist auch Seemann und führt als Beispiel an, das der erste FBI-Chef J. Edgar Hoover ein Kronzeuge dafür sei, als er genügend Material sammelte, um alle mächtigen Menschen in den USA zu erpressen. Viel schlimmer ist, dass die NSA nicht nur Wissen über US-Amerikanische Politiker besitzt, sondern global persönliche Informationen zu Wissen umwandeln kann. Das zeigt, dass persönliche Informationen früher oder später missbraucht werden könnten.
Doch gibt es auch Elemente, welche nicht vom Kontrollverlust beeinflusst werden? In der Terminologie von Seemann bezeichnet er diese Elemente als antifragil. Es sind Dinge, “die auf Öffentlichkeit, Transparenz und Vernetzung setzen: freies Wissen, Open Government, offene Daten, Open Source, etc.” (Seemann, 2014, S. 165). Der Unterschied dabei ist allerdings, dass es sich zwar um Informationen in der Publiksphäre handelt, diese aber nicht zwingend personenbezogenes Wissen generieren.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir durch das “Cloudifizieren” unserer Daten die Kontrolle über diese verlieren. Es wird immer schwerer mit zunehmender Anzahl an Sensoren und Kameras im Alltag einen Überblick zu behalten, welche Informationen von einem wo gespeichert werden und inwiefern diese Informationen in Wissen umgewandelt und eventuell gegen uns verwendet werden könnten. Aufgrund dessen sollte es nicht unser Anspruch sein genau zu wissen, wer unsere Daten wie und für was nutzt. Vielmehr ist Sensibilisierung dahingehend wichtig. Gleichzeitig muss jeder für sich entscheiden welche Informationen in die Publiksphäre gelangen sollen. Man kann womöglich nicht auf alles verzichten, das muss man auch nicht, aber es ist genauso wenig notwendig in sozialen Medien alles über sich preiszugeben und mit der Welt zu teilen. In vielerlei Hinsicht generieren diese Informationen kaum Mehrwert für andere Teilnehmer des Netzwerks, sehr wohl aber für die Plattformbetreiber, welche durch den Verkauf des generierten Wissens auf der einen Seite viel Geld machen, aber auf der anderen Seite auch immer mehr an Macht gewinnen, indem sie es schaffen die öffentliche Meinung (zum Beispiel durch personenbezogene Werbung) gezielt in eine bestimmte Richtung zu lenken. Nicht ohne Grund haben Facebook und Google eine Monopolstellung im Internet, welche kaum noch zu kontrollieren ist.
Transparenz sollte vor allem dort gewährleistet sein, wo Macht herrscht. Davon sind vor allem die Regierungen, aber auch Unternehmen und Behörden betroffen. Im Bezug auf Privatsphäre sollte man solche Institutionen strikt von Privatpersonen trennen, da Institutionen Transparenz nötig machen, um Vorgänge – vor allem in einer demokratischen Regierungsform – nachvollziehbar zu gestalten, während die Privatsphäre der Bürger unter jeglichen Bedingungen gewahrt werden sollte. Zudem ist aber auch wichtig zu unterscheiden, ob das Aufgeben der Privatsphäre durch immer weiter fortschreitende Überwachungsmöglichkeiten erzwungen oder freiwillig ist. Es erscheint oft so als würden Befürworter von Post-Privacy eine Utopie beschreiben, in der der zwischenmenschliche Aspekt komplett vernachlässigt wird. Es geht nämlich auch darum Vertrauen gegenüber einer anderen Person aufzubauen und diese einen tieferen Einblick in die eigene Privatsphäre zu gewähren und die Privatsphäre nicht als etwas abzustempeln, was nicht mehr existiert. Vielmehr scheinen sie sich nur auf sich selbst du beziehen, genauer gesagt auf die einzelne Person innerhalb der Gesellschaft und das Gesamtbild der Gesellschaft, wenn diese in einer Post-Privacy Ära lebe nicht betrachten. Es kann nicht vorteilhaft sein, wenn jeder Mensch komplett durchschaubar ist. Im Verlauf dieser Arbeit sollte folgendes klarer geworden sein: “Post-Privacy bedeutet nicht seine Privatsphäre komplett aufgeben zu müssen, sondern erfordert ein Umdenken der Menschen im Umgang mit ihren Daten in einer immer digitalisierteren Welt”. Zudem macht uns unsere Privatsphäre zu dem was wir sind, denn die “Gedanken sind frei, [niemand] kann sie erraten” (von Fallersleben, Richter, 1842, S. 307) und deshalb ist es wichtig dafür zu kämpfen.

Literatur

[1] Augustin Kerckhoff. „La Cryptographie Militaire“. In: Journal des sciences militaires IX (1883).

[2] Elisabeth Noelle-Neumann. Die Theorie der Schweigespirale. URL: http://noelle-neumann.de/wissenschaftliches-werk/schweigespirale/ (besucht am 13.02.2018).

[3] Elizabeth Stoycheff. „Under Surveillance: Examining Facebook’s Spiral of Silence Effects in the Wake of NSA Internet Monitoring“. In: Journalism & Mass Communication Quarterly 93 (2016).

[4] Ewen MacAskill, Julian Borger, Nick Hopkins, Nick Davies und James Ball. GCHQ taps fibre-optic cables for secret access to world’s communications. The Guardian. URL: https://www.theguardian.com/uk/2013/jun/21/gchq-cables-secret-world-communications-nsa (besucht am 07.02.2018).

[5] Gregory Bateson. Mind and nature: A necessary unity. Dutton New York, 1979.

[6] Hoffmann von Fallersleben, Ernst Heinrich Leopold Richter. „Die Gedanken sind frei“. In: Schlesische Volkslieder mit Melodien: Aus dem Munde des Volkes (1842). Hrsg. von Breitkopf und Härtel, S. 307.

[7] Judith DeCew. „Privacy“. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Hrsg. von Edward N. Zalta. Spring 2015. Metaphysics Research Lab, Stanford University. URL: https://plato.stanford.edu/archives/spr2015/entries/privacy/ (besucht am 02.01.2018).

[8] Michael Seemann. Das Neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust. orange-press, 2014.

[9] mspro. Netzkommentar: Postprivacy. URL: http://mspr0.de/?p=1750 (besucht am 18.01.2018).

[10] Springer Gabler. Zitate für Manager: Über 2600 Sinnsprüche, die Ihre Botschaft auf den Punkt bringen. 4. Aufl. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2018.

[11] Tilo Jung. Privatsphäre – Jung & Naiv: Folge 97. Youtube. URL: https://www.youtube.com/watch?v=WfVwAQyUkZo (besucht am 11.02.2018).

[12] William A. Parent. Privacy: A Brief Survey of the Conceptual Landscape. URL: http://digitalcommons.law.scu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1173&context=chtlj (besucht am 24. 01. 2018).


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