Wird Indien unterschätzt?

Indien wird in wenigen Jahren, ebenso wie bereits in der Gegenwart China, ein wichtiger weltpolitischer Faktor, sowie eine Wirtschaftsmacht sein.

In Europa betrachten wir Indien allerdings folgendermaßen:

Die Inder*innen sind arm, es gibt dort viele Slums, Unmengen an Krankheiten, viel Gewalt, ein grausames Kastenwesen, religiösen Fundamentalismus und eine exorbitante Umweltverschmutzung.

In allen diesen Punkten steckt selbstverständlich ein Körnchen Wahrheit, aber schauen wir uns lieber an, wie sich Indien in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird.

In Indien leben derzeit 1,4 Milliarden Menschen und nach UN-Schätzungen werden es in ein paar Jahren bereits 1,5 Milliarden sein. Das jährliche Wachstum beträgt 15 Millionen Menschen. Mitte dieses Jahrhunderts wird Indien bereits 1,7 Milliarden Menschen zählen und damit genau so viele Menschen beherbergen wir China und die USA zusammen. Bereits jetzt, ist auf Dollarbasis berechnet, Indien die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Vor Indien liegen nur China, die USA, Japan und Deutschland. Bis 2040 wird man durch die wirtschaftlichen Wachstumsraten zu den USA und Japan aufschließen. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird man wohl die größte Volkswirtschaft der Welt sein.

Einer der Vorteile von Indien gegenüber China ist, dass es in Indien seit der Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1947, eine stabile Demokratie gibt. Die Demografie des Landes spricht auch von enormen Wettbewerbs-vorteilen für Indien. Die indische Gesellschaft ist extrem jung. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 26 Jahren!

Die Jio Platforms Limited blickt beispielsweise einer Zukunft entgegen, welche sie zum indischen Alibaba mutieren lassen könnte. Die US-Finanzelite hat sich bei Jio-Platforms mit Milliardenbeträgen eingekauft. Facebook hat 5,7 Milliarden US-Dollar ausgegeben, um 10 % Anteile zu erwerben und Google hat eine Erklärung abgegeben sich mit 4,5 Milliarden US-Dollar beteiligen zu wollen. Mehrere Anlagegesellschaften haben sich mit neun- oder zehnstelligen US-Dollar Beträgen beteiligt. Die führenden indischen Banken HDFC (privat) oder State Bank of India (Hauptaktionär ist der Staat), gehören bereits zu den Top 100 Banken der Welt. Die Pharmakonzerne Sun, Cipla oder Glenmark gelten bereits jetzt als Apotheke der Welt. Ungefähr eine Milliarde aller in den USA ausgestellten Rezepte entfallen bereits auf Medikamente indischer Herkunft. Der Großteil der Schwellen- und Entwicklungs-länder wird von der indischen Pharmaindustrie versorgt. Der in der Zukunft wohl wichtigste Sektor ist der IT-Sektor. Hier ein kleiner Vergleich. Das derzeit wertvollste Dax-Unternehmen SAP beschäftigt weltweit 100.000 Fachkräfte. In Europa sind die Namen der indischen IT-Konzerne weitgehend unbekannt. Fakt ist, dass Tata Consultancy Services (TCS) bereits jetzt 400.000, Infosys 200.000, Wipro 160.000, HCL Technologies 120.000 und Tech Mahindra 100.000 Menschen beschäftigt. Wenn man alle IT-Experten Indiens zusammenzählt, kommt man auf mehrere Millionen Menschen, welche in dieser Branche tätig sind.

Seit 2014 gibt es in Indien eine zweite Welle an umfangreichen Wirtschaftsreformen. Es wird massiv in die Infrastruktur des Landes investiert. Dazu zählen vor allem Straßen, Flughäfen, Wasserwege, der Personen-Nahverkehr und Millionen von öffentlichen Toiletten. Neu-Delhi hat außerdem den Ausbau der gesetzlichen Basis-Krankenversicherung vorangetrieben und im Rahmen des Jan-Dhan-Programms das Projekt Bankkonten für Alle.

In unseren Breiten gelten die Inder*innen oftmals als faul. Eine Studie der Schweizer Großbank UBS hat 77 Großstädte und ihre Jahresarbeitszeit verglichen. Auf Platz 1 befindet sich die indische Wirtschafts-hauptstadt Mumbai mit 3.315 und auf Platz 4 ist Neu-Delhi mit 2.511 Arbeitsstunden.In Mumbai arbeitet man also etwa doppelt so lang wie in Österreich oder Deutschland.

Wir sollten auf alle Fälle den Aufstieg und Werdegang Indiens nicht nur beobachten, sondern uns von vielen vorgefertigten Meinungen, über die größte Demokratie der Welt, verabschieden und unsere Wirtschaftsbeziehungen stark intensivieren.

Wir haben Aufholbedarf!